Beispiele des Verrats pathogener Phantasien bei Neurotikern 1910-007/1910
  • S.

    43

    III.

    Beispiele des Verrats pathogener Phantasien bei
    Neurotikern.

    I. Ich sah kürzlich einen etwa 20jährigen Kranken, der ein un-
    verkennba
    res, auch von anderer Seite agnosziertes Bild einer Dementia
    praecox (Hebephrenie) bot. In den Anfangsstadien des Leidens hatte
    er periodischen Stimmungswechsel gezeigt, eine erhebliche Besserung
    erreicht und wurde in einem solchen günstigen Zustand von den Eltern
    aus der Anstalt geholt und durch etwa eine Woche zur Feier seiner
    vermeintlichen Herstellung mit allerlei Vergnügungen regaliert. An diese
    Festwoche schloss sich die Verschlimmerung unmittelbar an. In die
    Anstalt zurückgebracht, erzählte er, der konsultierende Arzt habe ihm 
    den Rat gegeben,mit seiner Mutter etwas zu kokettieren“. Es ist
    nicht zweifelhaft, dass er in dieser wahnhaften Erinnerungstäuschung der
    Erregung Ausdruck gegeben, welche durch das Beisammensein mit der
    Mutter in ihm hervorgerufen wurde, und die der nächste Anlass 
    seiner Verschlimmerung war.

  • S.

    44

    II. Vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, da die Ergebnisse
    und Voraussetzungen der Psychoanalyse nur wenigen Personen vertraut
    waren,
    wurde mir von verlässlicher Seite folgender Vorfall berichtet.
    Ein junges Mädchen, Tochter eines Arztes, war an Hysterie mit lokalen
    Symptomen erkrankt; der Vater verleugnete die Hysterie und liess ver-
    schiedene somatische
    Behandlungen einleiten, die wenig Nutzen brachten.
    Eine Freundin stellte
    einmal an die Kranke die Frage: Haben Sie
    denn noch nie daran gedacht, den Dr. F. zu Rate zu ziehen? Darauf
    antwortete die Kranke: Wozu sollte ich das tun? Ich weiss ja, er
    würde mich fragen: Haben Sie schon die Idee gehabt,
    mit Ihrem Vater
    geschlechtlich zu verkehren? – Ich halte es für überflüssig,
    ausdrücklich
    zu versichern, daß ich eine solche Fragestellung weder damals 
    geübt
    habe noch heute übe. Man wird aber aufmerksam darauf, dass gerade
    vieles, was die Patienten als Äusserungen oder Handlungen der Ärzte erzählen, 
    als Verrat ihrer eigenen pathogenen Phantasien verstanden werden darf.

    Dr. Sigm. Freud.