Beobachtungen über Gestaltung und feineren Bau der als Hoden beschriebenen Lappenorgane des Aals 1877-001/1877
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    Beobachtungen über Gestaltung
    und feineren Bau der als Hoden
    beschriebenen L a p p e n o r g a n e des
    Aals
    (Mit 1 Tafel.)
    Von Sigmund Freud, stud. med.
    (Vorgelegt in der Sitzung am 15. März 1877.)
    In den Monaten März und September des Jahres 1876
    habe ich in der zoologischen Station zu Triest auf Anregung
    meines Lehrers, des Herrn Professors C l a u s , die Geschlecht-
    sorgane des Aals untersucht, über welche einige Zeit vorher
    Dr. S y r s k i eine zu neuen Untersuchungen anregende
    Mittheilung gemacht hatte. Diejenige Jahreszeit, welche von den Autoren als
    die Laichzeit des Aals bezeichnet wird – von October bis Januar − konnte
    ich nicht in Triest zubringen. Herr Professor Claus hat aber in den letztgenannten
    Monaten eine grössere Menge von Aalen aus Triest kommen lassen
    und sie mir zur Untersuchung im zoologisch-vergleichend-anatomischen
    Institut übergeben. Dafür, wie für die anderweitige Unterstützung bei der
    Ausführung dieser Arbeit, sei mir gestattet, Herrn Prof. Claus aufs Wärmste
    zu danken.

    Ich habe im Ganzen etwa 400 Aale untersucht, die zwischen 200mm
    und 650mm lang waren; doch befanden sich unter dieser Anzahl nur wenige
    Thiere kleiner als 250mm oder grösser als 480mm, denn ich war nicht im
    Stande mir hinreichend viele winzige Thierchen zu verschaffen und habe
    andererseits die Untersuchung von Aalen, deren Länge einen halben Meter
    überschritt, bald aufgegeben, weil ich bei keinem dieser grossen

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    Thiere das von S y r s k i beschriebene Organ auffinden konnte. Der Triester
    Markt bot mir auch die Gelegenheit 36 Exemplare des Meeraals (Conger
    vulgaris) auf ihre Geschlechtsorgane zu untersuchen; es ist mir aber nicht
    geglückt ein dem S y r s k i ’schen Organe des Aals analoges Organ beim
    Conger aufzufinden.

    Dr. S y r s k i hat in einer Abhandlung „über die Reproductionsorgane
    der Aale“ (Sitzungsberichte der Wiener Akademie Bd. LXIX., I. Abth.) angegeben,
    dass bei kleinen und mittelgrossen Aalen anstatt der Ovarien ein
    paariges Organ gefunden wird, das aus einer Reihe von Läppchen besteht,
    und das er für den lange gesuchten Hoden der Aale erklärte.

    E s f e h l t e a b e r d e r N a c h w e i s v o n S p e r m a t o -
    z o e n u n d w a r ü b e r h a u p t k e i n e R ü c k s i c h t a u f
    d e n h i s t o l o g i s c h e n B a u d e r L a p p e n o r g a n e genommen,
    so dass die vom Entdecker gegebene Deutung als Hoden durchaus
    nicht unanfechtbar zu sein schien. Besonders nahe lag für den Leser der
    S y r s k i ’schen Mittheilung die Vermuthung, dass das Lappenorgan doch
    nichts anderes als ein modificirter Eierstock sei.

    Es knüpfte sich auch ein so grosses Interesse an die Frage nach den Geschlechtsorganen
    des Aals und waren so viele Bemühungen den Hoden mit
    Sicherheit nachzuweisen missglückt.

    Wenn ich daher auch nicht erwarten konnte, durch eingehendere Untersuchung
    jenes Organs, die seit Jahrhunderten schwebende Frage in Erledigung
    zu bringen, so schien es doch angezeigt, die anatomischen Angaben von
    S y r s k i einer Nachuntersuchung zu unterwerfen und Einiges über den
    feineren Bau des Lappenorgans in Erfahrung zu bringen.

    Meine Untersuchungen führen mich nun dazu die Angaben S y r s k i ’s fast
    durchgehends zu bestätigen. Die histologische Untersuchung des Lappenorgans
    macht es mir aber nicht möglich, der Meinung, dass dieses der Hoden des Aals
    sei, entschieden beizupflichten oder sie mit sichern Gründen zu widerlegen.

    Im Folgenden will ich nun das Lappenorgan nach seinen anatomischen
    und histologischen Verhältnissen beschreiben und mit dem Ovarium vergleichen.
    Die anatomische Beschreibung kann nichts wesentlich Neues zu dem
    von S y r s k i Mitgetheilten hinzufügen.

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    Das Lappenorgan des Aals liegt jederseits in dem Winkel, wo sich
    die Rückwand der Leibeshöhle mit den Seitenwänden derselben vereinigt, in
    seltenen Fällen ist es weiter medianwärts gerückt und sitzt dem Peritonialüberzuge
    der Schwimmblase auf. Seine paarigen Antheile ziehen durch die
    ganze Länge der Leibeshöhle und erstreckten sich weithinein in die caudale
    Fortsetzung derselben. Das rechte Lappenorgan beginnt etwas weiter vorne
    und reicht zur Ausgleichung weniger weit nach hinten als das linke. Bis zur
    Aftergegend verlaufen das rechte und das linke Lappenorgan parallel, von
    da ab nähern sie sich einander immer mehr, bis sie im caudalen Antheil der
    Leibeshöhle median neben einander zu liegen kommen und nur durch eine
    dünne Scheidewand, die hinter der Afteröffnung beginnt, und die caudale
    Leibeshöhle in zwei Theile theilt, getrennt werden. Genau die nämliche Lage
    im Rumpf und im Abdomen haben auch die beiden gekrausten Blätter, die
    man seit R a t h k e mit Sicherheit als die Ovarien des Aals kennt.

    Jedes Lappenorgan besteht aus einem schmalen bandartigen Streifen und
    aus den Läppchen, welche dieser an seinem freien Ende trägt. Die Läppchen
    sind derb und weisslich, die grössten finden sich im vordersten, die kleinsten
    im Caudaltheil des Organs. Die einzelnen Läppchen decken sich manchmal
    mit kleinen Partien ihrer anstossenden Flächen; zwischen zwei gut entwickelte
    grössere Lappen schiebt sich oft ein kleinerer verkümmerter ein. Der
    Caudaltheil des Organs besteht nicht mehr aus einer einfachen, sondern aus
    einer doppelten Reihe von Läppchen, von denen die äussere Reihe in der
    Continuität des Organs liegt, die innere aber das darstellt, was S y r s k i
    pars accessoria oder pars recurrens genannt hat. Die pars accessoria fehlt oft
    auf einer oder auf beiden Seiten, häufiger auf der rechten, weil das rechte
    Lappenorgan nicht soweit nach hinten als das linke reicht.

    Auch der Eierstock hat eine pars accessoria. Im caudalen Theil der Leibeshöhle
    kann zu jedem Blatt des Ovariums ein zweites inneres Blatt hinzutreten.
    Man sieht die pars accessoria des Eierstockes aber nicht so leicht wie
    die des Lappenorgans, weil die beiden Blätter des Ovariums an ihren breiten
    Flächen mit einander verklebt sind. In seltenen Fällen kann man die

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    Doppelblättrigkeit des Ovariums auch in der Leibeshöhle selbst auffinden.
    E i n w e s e n t l i c h e r U n t e r s c h i e d d e s L a p p e n -
    o r g a n s v o m E i e r s t o c k l i e g t d a r i n , d a s s d a s
    e r s t e r e d e r Wa n d u n g e i n e s L ä n g s c a n a l s a u f -
    s i t z t , w e l c h e r n u r z u g l e i c h m i t d e m L a p p e n -
    o r g a n v o r k o m m t u n d d e n w e i b l i c h e n A a l e n
    i m m e r f e h l t . ( S y r s k i )

    Dieser Längscanal folgt durchaus dem Verlaufe des Lappenorgans. Er
    beginnt blind dort, wo jederseits das Lappenorgan beginnt und reicht mit
    demselben bis hinter den After. Ich fand seine Wände jedesmal aufeinander
    liegen, so dass sein Lumen geschlossen war, und er keinerlei Inhalt führte.
    Er steht mittelst einer dreieckigen Ausbuchtung in der Gegend des Afters in
    offener Communication mit der Leibeshöhle, denn man kann ihn mit Leimmasse
    füllen, wenn man durch den porus genitalis des unversehrten Thieres
    injicirt. S y r s k i erklärt diesen Canal für das Vas deferens.

    Man kann natürlich nichts Endgiltiges über denselben aussagen, bevor die
    Natur des Lappenorgans sichergestellt ist, denn er scheint eine bestimmte
    Beziehung zum Lappenorgan zu besitzen. Ich will bemerken, dass ich keine
    Oeffnungen finden konnte, die aus den Läppchen in diesen Längscanal führen.
    – In Betreff der Angaben über die Einfachheit des porus genitalis und das
    Vorkommen einer Spalte zwischen Mastdarm und Hals der Harnblase muss
    ich S y r s k i beistimmen. Ich habe mich überzeugt, dass beim Conger diese
    Verhältnisse die nämlichen sind.

    Den erwähnten Längscanal konnte ich aber nur bei Thieren darstellen, wo
    das Lappenorgan gut entwickelt, die einzelnen Läppchen breit, weisslich und
    vollkommen von einander gesondert waren. Diesen am meisten vorgeschrittenen
    Zustand des Lappenorgans habe ich nur bei den grösseren Aalen etwa
    von 400mm bis 430mm und zwar häufiger im September und den folgenden
    Monaten als im März angetroffen. Während des ganzen Zeitraumes meiner
    Untersuchungen fand ich aber bei kleineren Aalen Formen des Lappenorgans,
    die ich als minder entwickelte ansehen muss, und bei denen ich mich
    vergebens bemühte, den Längscanal aufzufinden.

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    Das unentwickelte Lappenorgan ist ein schmales Bändchen, das nur
    sehr schwer in situ zu sehen ist. Die einzelnen Läppchen sind nicht weisslich,
    sondern hyalin- oder röthlichgrau von den reichen Blutgefässnetzen, die sie
    führen, sie sind ferner dünner und schmäler als die entwickelten Lappen und
    lassen zwischen sich grössere oder kleinere Strecken des ungelappten freien
    Randes des Organs. Je kleiner das ganze Lappenorgan ist, desto undeutlicher
    heben sich die einzelnen glashellen Läppchen von dem freien Rande des Organs
    ab, desto seichter werden die Einkerbungen zwischen ihnen; bei kleinen
    Aalen von 200mm sind die Läppchen ganz unkenntlich geworden: der freie
    Rand des schmalen Bändchens, als welches das Lappenorgan nun erscheint,
    zeigt eine schwach wellige oder gar vollkommen geradlinige Begrenzung. (Fig.
    1.) Im letzteren Falle verdient das Lappenorgan seinen Namen nicht mehr, es
    hat sein charakteristisches Aussehen eingebüsst und unterscheidet sich wenig
    von einem schmalen, undeutlich gekrausten, hyalinen Ovarium, wie man es
    bei 200mm grossen Aalen finden kann.

    Das „krausen“ oder manchettenförmige Aussehen des Eierstocks beruht
    nämlich auf der Bildung von Querfalten auf der äusseren von der Leibeshöhle
    abgekehrten Fläche des Organs und ist nur der Anfang einer complicirten
    Falten- und Nebenfaltenbildung daselbst, die gleichen Schritt mit der
    Reife des Organs hält. Wie die Lappung des Lappenorgans, so scheint die
    Querfaltung des Eierstocks bloss ein Wachsthumsvorgang zu sein und einem
    frühen Zustand des Organs abzugehen.

    Obwohl also die kleinsten Ovarien, die man bei Thieren von 200mm findet,
    immer noch zwei bis drei Mal breiter sind als die kleinsten ungelappten
    Formen des S y r s k i ’schen Organs bei gleich grossen Thieren, so muss
    man doch zugestehen, dass das Aussehen des unentwickelten Lappenorgans
    sich dem eines ganz unreifen Ovariums so sehr nähert, dass bei der Identität
    aller topographischen Verhältnisse beider Organe nur mehr die histologische
    Untersuchung entscheiden kann, ob das Lappenorgan ein Organ sui generis
    oder eine Modification des Eierstocks ist, die sich aus einem sehr frühen
    Zustand des letzteren entwickelt.

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    Die mikroskopische Untersuchung des Lappenorgans macht eine
    solche Beziehung zum Ovarium sehr unwahrscheinlich. In Bezug auf den
    feineren Bau unterscheidet sich die ungelappte Form des S y r s k i ’schen
    Organs nicht wesentlich von den Formen mit deutlichen, aber noch schmalen
    und hyalinen Lappen. Ich will darum eine der letzteren Formen zum
    Ausgangspunkt der Beschreibung nehmen.

    Das Lappenorgan kehrt eine Fläche der Leibeshöhle zu, eine andere liegt
    der Seitenwand derselben an. Von der ersteren, der inneren Fläche treten die
    reichlichen Blutgefässe in das Organ ein, die sich zu einem capillaren Kranz
    an dem freien Rande des Organs auflösen. Auch das wellige Bindegewebe des
    Peritonäums rückt auf der inneren Seite weiter gegen den Rand des Organs
    vor als auf der äusseren, wo die zelligen Elemente freiliegen. Man kann daher
    beim Lappenorgan, wie beim Ovarium, das auch seine Gefässe an der Innenseite
    empfängt und ausschliesslich auf seiner äusseren Fläche Falten bildet
    (daher sich diese beim reifen Ovarium sammtartig anfühlt), die äussere Fläche
    „K e i m s e i t e “ und die innere Fläche „B l u t g e f ä s s s e i t e “ nennen.
    Beide Seiten des Lappenorgans werden bedeckt von einem Plattenepitelium,
    das sich in das Peritonealepitel fortsetzt, aber kleinzelliger und leichter
    zur Anschauung zu bringen ist als dieses. Die einzelnen Plattenepitelien sind
    polygonal, mit grossen ovalen oder polygonalen Kernen, strecken sich aber
    an manchen Stellen und zwar besonders an den Rändern der Läppchen und
    am angehefteten Rand des Organs in die Länge und ziehen sich zu Spindelzellen
    aus. (Fig. 2.)

    Auf der äusseren Fläche des Organs sind sie zu eigenthümlichen sternförmigen
    Figuren angeordnet. Das Epitel des Eierstockes ist dem eben beschriebenen
    sehr ähnlich. Unterhalb des Epitels findet sich ein bindegewebiges
    Maschenwerk, das je nach der Reife des Organs eine mehr oder minder complicirte
    Ausbildung erreicht hat, und in den Lücken dieses Gerüstes Zellen,
    die ich als die wesentlichen und charakteristischen Elemente des Lappenorgans
    betrachten muss.

    Diese Zellen sind, frisch untersucht, ganz durchsichtig, wie die frischen
    Eizellen; nach Behandlung mit Reagentien werden

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    sie granulirt, sie
    haben einen grossen, rundlichen, gewöhnlich sich stärker imbibirenden Kern,
    welcher constant ein sehr dunkles Kernkörperchen zeigt.

    Die Zellen selbst sind kleiner als die Eizellen und auch sonst leicht von
    diesen zu unterscheiden, sie sind rundlich, wenn sie einzeln in den Maschen
    des Gerüstes liegen, dagegen kubisch wenn sie zu mehreren in einer Gewebslücke
    beisammen liegen und sich gegenseitig abgeplattet haben. Für gewöhnlich
    sind die Grenzen der Zelle durch scharfe Contouren gegeben, es
    kommen aber Zellen vor, denen diese abgehen. (Fig. 3 d.)

    Diese Inhaltszellen des Lappenorgans charakterisiren sich durch mancherlei
    Eigenschaften als jugendliche und wenig resistente Elemente. Sie sind sehr
    empfindlich gegen Reagentien, schwer in unveränderter Form zu conserviren,
    sie geben auch bei denselben Methoden nicht durchwegs dieselben Bilder. Ich
    konnte Zellen mit hellen Kernen isoliren, während gewöhnlich die Zellkerne
    ein dichteres Gefüge als der Zellenleib zu haben scheinen. Mitunter ergaben
    sich aus kleinen Läppchen Zellen, die wenig Ähnlichkeit mit der Mehrzahl
    der Inhaltszellen zu haben schienen. Sie zeigten eine sehr stark glänzende
    Kerncontour und anstatt des so charakteristischen dunkeln Kernkörperchens
    den Kern erfüllt von einer dunkeln fein granulirten Masse, die noch durch
    einen hellen Hof von der Kerncontour geschieden war. (Fig. 4 a, b.)

    Ich glaube nicht, dass diese Zellen eine besondere Art ausmachen, die man
    von den anderen Elementen des Lappenorgans abtrennen sollte; ich vermuthe
    vielmehr, dass unbemerkt gebliebene Veränderungen in der Stärke der
    Reagentien und gewisse Zustände der Zellen, welche die Eigenthümlichkeit
    haben die Kerne in Mitleidenschaft zu ziehen und ihr Aussehen zu verändern,
    diese abweichenden Bilder hervorgebracht haben.

    In ganz kleinen Lappen habe ich einige Male Zellen in sehr geringer
    Menge gefunden, welche durch ihre Grösse und ihr Aussehen, besonders
    durch einen Kranz von hellen Kügelchen in der Peripherie des Kernes ganz
    dieselben Bilder wie mittelgrosse und kleine Eizellen gaben. (Fig. 4 c.) Ich
    enthalte mich einer Deutung dieser sehr seltenen Elemente.

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    Die Inhaltszellen liegen, wie erwähnt, in den Lücken eines bindegewebigen
    Gerüstes. Durch Zerzupfungen ganz kleiner Läppchen oder
    durch die Betrachtung der Partien eines Lappenorgans, die sich zwischen
    den Läppchen befinden, kann man sich überzeugen, dass dieses Gerüste aus
    Zellen und deren verschieden gestalteten Ausläufern besteht, neben denen
    dickere Bindegewebsfasern vorkommen.

    Die Zellen tragen die Charaktere von Bindegewebskörpern an sich: sie
    sind unregelmässig, halbmondförmig, dreikantig, mitunter sternförmig,
    gewöhnlich aber spindelförmig, zeigen einen nicht granulirten, sich stark
    färbenden Kern, der meist die Gestalt der Zelle bestimmt und von einem
    schmalen Saum umgeben ist, welcher in die faserförmigen, gewöhnlich leisten-
    und plattenförmigen Fortsätze ausläuft. Durch diese Leistchen, die
    oft absonderlich geformt, geknickt und mit Einlagerungen von glänzenden
    kleinen Körpern versehen sind, verbinden sich die Zellen mit einander und
    stellen Rahmen – mitunter scheint es, sogar geschlossene Räume her, – in
    denen die Inhaltszellen liegen. (Fig. 4 d, g, f.)

    Von letzteren erhält man oft Bilder, die auf Proliferationszustände schliessen
    lassen. Es ist vielleicht kein Gewicht darauf zu legen, dass man in den
    unreifsten Läppchen und gegen den freien Rand auch etwas grösserer Lappen
    die Inhaltszellen gewöhnlich einzeln in den Lücken des bindegewebigen Zellennetzes
    trifft, dagegen im Innern der kleineren Läppchen und in älteren
    Läppchen überhaupt in einem Maschenraum zwei, drei oder mehr Inhaltszellen
    antrifft, die ganz das Ansehen von Spaltungsproducten tragen. (Fig.
    3 a, b.) Man sieht aber auch oft in einer Lücke anstatt einer einzigen Zelle
    ein kleines Häufchen von Kernen im Protoplasma eingebettet, welches keine
    Zellgrenzen erkennen lässt, (Fig. 3 c.) und dann andere Stellen, wo sich um
    einige dieser Kerne schon Zellgrenzen gebildet haben, während andere noch
    frei im Protoplasma liegen. Endlich ist anzuführen, dass die Inhaltszellen an
    Grösse ab- und an Zahl zunehmen, je grösser und reifer das Lappenorgan ist.

    Eine solche Proliferation der Inhaltszellen verbunden mit Wucherung des
    Gerüstes scheint den Vorgang der Läppchenbildung auszumachen. In den
    kleineren aber gut gesonderten

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    Lappen sind die Maschenräume weiter
    geworden, das Gerüste zeigt sich derber, aus Platten, dicken Fasern, Spindelzellen
    bestehend, die Inhaltszellen, die keine neuen Charaktere zeigen,
    liegen im Haufen beisammen. (Fig. 5 hz). Von der Fläche besehen, zeigen
    die Läppchen das facettirte Aussehen, das S y r s k i beschrieben hat; die
    Facetten entsprechen Anhäufungen von Zellen, die unmittelbar unter dem
    Epitel liegen, die Scheidewände der Facetten entsprechen dem bindegewebigen
    Gerüste. Ein frisches Läppchen zeigt sich ausserdem mit Fettkörnchen
    erfüllt, die die Zellen oft verdecken können. Ebenso kann das reiche Blutgefässnetz,
    dessen Capillaren überall mit den Balken des Gerüstes verlaufen,
    die Ansicht der Zellen im frischen Zustand stören.

    In den grossen, dicken und weisslichen Lappen ist das Gerüste noch
    mächtiger geworden und gibt dem Gewebe trotz seines Zellenreichthums
    grosse Derbheit und Festigkeit. Vom freien Rand des Lappens haben sich
    Dissepimente hinein gebildet, die Inhaltszellen sind bedeutend kleiner geworden,
    sie liegen nicht mehr unregelmässig durch das Gerüste zerstreut,
    sondern haben e i g e n t h ü m l i c h e Z e l l s t r ä n g e entstehen
    lassen, welche am Rande des Lappens durch die erwähnten Dissepimente
    getrennt sind, einen sehr unregelmässigen Verlauf durch den Lappen nehmen
    und in dessen Innerem mit einander vielfach anastomosiren. Ein Lumen
    schliessen die Zellstränge nicht ein, sie sind durchaus solide; ob ihnen
    Schläuche von einer membrana propria ausgekleidet entsprechen: dies zu entscheiden,
    ist mir nicht geglückt.

    Ich zweifle nicht, dass mit der zuletzt beschriebenen Form die Entwicklung
    des Lappenorgans nicht abgeschlossen ist, aber ich kann keine Mittheilung
    über die weiteren Schicksale desselben machen, denn es ist mir nicht
    gelungen, einen reiferen Zustand des Lappenorgans zu erhalten. Ich bedaure
    dies umsomehr, als unsere jetzigen Kenntnisse vom Lappenorgan einen sicheren
    Ausspruch über dessen Natur nicht zu rechtfertigen scheinen.
    Wenn man sich zu orientiren sucht, was sich mit einiger Wahrscheinlichkeit
    über das Lappenorgan sagen lässt, so ergibt sich Folgendes: Die Mei-
    nung, dass das Lappenorgan eine Modi-

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    fication des Ovariums ist,
    welche von einem frühen Entwicklungszustand des letzteren ausgeht, ist zwar
    nicht völlig auszuschliessen, denn es ist ja nicht gelungen nachzuweisen, dass
    die erste Anlage beider Organe schon eine verschiedene sei; sie ist aber gar
    nicht wahrscheinlich, denn soweit das Lappenorgan in seiner Entwicklung
    zurückverfolgt worden, hat es sich als different vom unreifen Ovarium erwiesen.
    Es fehlen auch alle Übergänge zwischen entwickelten Formen des
    Lappenorgans und des Ovariums, vielmehr entwickelt sich das Lappenorgan
    zu einem ganz anderen Typus als der Eierstock. Hier werden die Zellen grösser,
    ohne wie es scheint, sich zu vermehren, bleiben in Reihen angeordnet;
    dort hingegen proliferiren die Zellen, werden kleiner und ordnen sich endlich
    zu anastomosirenden Strängen. Für die Hodennatur des Lappenorgans
    spricht der histologische Bau nicht direct, denn ein bindegewebiges Gerüste
    und rundliche Zellen in dessen Maschen, die proliferiren, sind Bestandtheile,
    welche vielen jugendlichen Organen zukommen mögen. Die mikroskopische
    Untersuchung des Lappenorgans spricht aber auch nicht gegen die Auffassung,
    dass das Lappenorgan der Hoden der Aale sei, denn das Lappenorgan,
    wie es S y r s k i bei bis 430mm grossen Aalen gefunden hat, stellt sich als
    ein u n r e i f e s Organ heraus, und jene Veränderungen der Zellen, welche
    zur Spermatozoenbildung führen, könnten noch bei weiterer Reife auftreten.
    Die beständige Proliferation, die Verkleinerung der Zellen und ihre Anordnung
    zu Strängen: diese Vorgänge in dem Lappenorgan des Aals scheinen
    der Meinung, dass das Lappenorgan der Hoden sei, die ja von S y r s k i
    durch anatomische Gründe gestützt ist, wenigstens nicht zu widersprechen.

    Es würde sich dann thatsächlich so verhalten, wie v . S i e b o l d es
    in seinem Buch über die Süsswasserfische Mitteleuropa’s ausgedrückt hat
    „d a s s d i e A a l e n i c h t i m G e r i n g s t e n f ü r d a s
    F o r t p f l a n z u n g s g e s c h ä f t v o r b e r e i t e t i n d a s
    M e e r h i n a u s t r e t e n . “
    Es wäre dann auch der Ausspruch von S y r s k i , dass bei den Aalen Dimorphismus
    herrsche, indem die Weibchen grösser seien als die Männchen, einzuschränken;
    es lässt sich dies höchstens von den nicht geschlechtsreifen Thieren
    sagen, denn

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    selbst wenn man zugibt, dass das Lappenorgan der Hoden ist,
    so hat doch niemand ein reifes Lappenorgan und ein reifes Aalmännchen gesehen.
    S y r s k i hat auch angegeben, dass die Aale, welche das Lappenorgan
    besitzen, grosse Augen haben. M . C . D a r e s t e hat (in einer Mittheilung,
    die ich aus den Annals nat. History, Vol. 16, Nr. 96 kenne) hinzugefügt,
    dass diese kleinen Aale mit grossen Augen in Frankreich als Varietät
    pimperneau unterschieden werden, und dass es von dieser Varietät auch solche
    gebe, die Ovarien und kein Lappenorgan besitzen, er hat darauf die Meinung
    gegründet, dass die Aalvarietät pimperneau beiderlei Geschlechter besitze und
    fruchtbar sei, und dass die anderen Aalvarietäten, die bloss Ovarien haben,
    die Eier nicht zur Entwicklung bringen und steril bleiben.

    Ich muss gestehen, dass mir die Schlüsse, die D a r e s t e gezogen hat,
    wenig zwingend erscheinen. Weder er noch S y r s k i haben, so viel ich
    weiss, Messungen mitgetheilt, aus denen hervorgehen würde, dass die Aale mit
    Lappenorganen grosse Augen haben. Ich habe in Triest gegen 50 Aale, theils
    Weibchen, theils solche mit Lappenorgan, gemessen und niemals gefunden,
    dass zwischen dem Vorhandensein oder Fehlen des Lappenorgans und der −
    relativen oder absoluten − Grösse des Auges ein Zusammenhang bestünde; ich
    darf also behaupten, dass auch bei Aalen mit kleinen Augen, die also nicht zur
    Varietät pimperneau gezählt werden können, das Lappenorgan vorkommt und
    damit fällt die Unterscheidung der Aale in sterile und fruchtbare Varietäten.

    Um anschaulich zu machen, dass die Grösse der Augen wohl von anderen
    Dingen als von der Anwesenheit des Lappenorgans beeinflusst wird, theile
    ich die Messungen der Körperlänge des Kopfes und des horizontalen Durchmessers
    des Auges von drei Aalen mit, die alle drei das Lappenorgan besassen
    und alle gewisse sehr auffallende Merkmale,1 mit einander gemein hatten.

    1) Diese Merkmale sind: Sehr dunkle, ins Grünliche oder Bläuliche spielende Färbung
    des Rückens, tief schwarze Brustflossen, wenig steiler, geradliniger Abfall
    des Kopfes zur Schnauze, grosse Deutlichkeit der Seitenporen am Kopfe. Ich habe
    auch Aale von solchem Aussehen gefunden, die Ovarien hatten.
    Das Thier C hatte also trotz seiner bedeutenden Körperlänge relativ und absolut
    kleine Augen und zwar relativ kleinere Augen als die meisten Aalweibchen.

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    430

    A B C
    Körperlänge 350mm 390mm 430mm
    Von der Schnauzenspitze
    bis zum Kiemenloch
    42 47 42
    Horizontaler Durchmesser des Auges 8 9 6

    D a r e s t e hat allerdings auch seine Unterscheidung der Aale in grossäugige
    fruchtbare und kleinäugige sterile darauf basirt, dass die ersteren,
    die pimperneau, sich nur an den Flussmündungen aufhalten, während die
    letzteren in die Flüsse selbst aufsteigen. Ich habe über die Thatsache selbst
    keine Erfahrung, möchte es aber für gewagt halten, Unterscheidungen von
    Varietäten auf Verhältnisse wie Körperlänge, Aufenthalt und Dimensionen
    des Auges zu gründen, welche theils mit dem Alter, theils individuell und
    physiologisch variiren können.

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    Freud: Über das Syrskysche Organ etc.

    Fig.1.

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    431

    Erklärung der Abbildungen.
    Fig. 1. Die hauptsächlichsten Formen des Lappenorgans. Schematische
    Zeichnung.
    A Lappenloses Organ.
    B Organ mit schmalen hyalinen Läppchen.
    C Entwickeltes Lappenorgan.
    Fig. 2. Epitelien des Lappenorgans isolirt aus Müller’scher Flüssigkeit.
    p. E. polygonales Epitel.
    sp. E. Spindelzellen-Epitel.
    Fig. 3. Inhaltszellen und Bindegewebskörper des Lappenorgans isolirt, aus
    Müller’scher Flüssigkeit. Vergrössert gezeichnet nach H a r t n . 4/8,
    a drei Inhaltszellen
    b zwei Zellen von Bindegewebskörpern umringt.
    c Kerne in feinkörnigem Protoplasma von Bindegewebskörpern
    eingeschlossen.
    d zwei Bindegewebskörper mit einander verbunden, deren leistenförmige
    Fortsätze eine Zelle einrahmen.
    e Bindegewebszelle mit grossem Protoplasmasaum.
    f Bindegewebszelle mit ringförmiger Leiste.
    g Bindegewebskörper mit leistenförmigem Fortsatz.
    h Ungewöhnliche Form der Verbindung zweier Bindegewebskörper
    durch ein geknicktes Leistchen.
    Fig. 4. Ungewöhnliche Zellen aus einem kleinen Lappen. a und b isolirt aus
    Müller’scher Flüssigkeit, c isolirt aus Überosmiumsäure. Die Zellen
    von spindelförmigen Körpern umgeben.
    Fig. 5. Ansicht eines Stückchen vom freien Rande des Lappenorgans zwischen
    zwei kleinen Läppchen.
    sp. Spindelzellen.
    b. Bindegewebskörper.
    z. Zellen des Lappenorgans.
    hz. Zellen des Lappenorgans in Häufchen angeordnet.

Freud, Sigmund (1877-001/1877): Beobachtungen über Gestaltung und feineren Bau der als Hoden beschriebenen Lappenorgane des Aals. Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe, 75 (I. Abtheilung), 1877, 4:419-431