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530 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Dritte Sitzung am 9. November 1921.
Kleine Mitteilungen.
a) Frau Dr. Deutsch: „Eine Beobachtung.“ Zwei Brüder, die einer
völlig unähnlich sind, von denen der ältere stirbt. Der jüngere Bruder hat
sich nachher physisch und psychisch außerordentlich dem Verstorbenen ange-
ähnelt. Er wollte den älteren Bruder bei der Mutter ersetzen; dies war das
offenkundige Motiv der Metamorphose.b) Bernfeld: „Zur Krawattensymbolik.“ Ein fünfjähriges Mädchen
modelliert einen Jungen mit Krawatte aus Plastelin, wobei die Krawatte tief
sitzt und Penesform hat. Sie hat knapp vorher, angeblich zum erstenmal, einen
kleinen Jungen nackt gesehen.c) Nürnberg: berichtet über zwei Fälle besonders starker Liebes-
beziehungen von Vätern zu Töchtern. Ein Vater hatte als Zweiundvierzigjähriger
eine sexuelle Beziehung zur vierzehnjährigen Tochter. Ein anderer Vater
hatte starke inzestuöse Phantasien in bezug auf seine Tochter. Der erste Fall
gelangt zum inz. Sex. Beziehung zur Tochter hat narzistischen Charakter.
Patient identifiziert sich mit seinem Vater (auf homosexueller Grundlage) und
seiner Tochter.Im zweiten Falle Phantasien einer Ehe mit der erst dreijährigen Tochter.
Patient sucht in dem kleinen Mädchen sein infantiles Ichideal. Die Deflorations-
phantasie ist nicht nur mit dem Sadismus, sondern auch mit der Analerotik
verknüpft.d) Schilder: „Psychosenach Staroperation.“ Eine Patientin behauptet
nach Staroperation, man wolle ihr Nase, Brüste etc. abschneiden und sie auch
kastrieren. Sie erlebte auch in der Phantasie Agressionen von Tieren und sah
kleine Tiere zerstückelt. An die Augenoperation schließen sich Kastrations-
phantasien an. Hatte auch Züge von Transitivismus gezeigt. Die Operation
ruft den Komplex der Gefährdung des Lebens und des Genitales hervor. Die
Geburtsphantasien spielen in der Psychose eine große Rolle. Der Kastrations-
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komplex ist der letzte auftauchende. Die später hypomanische Phantasie schließt
die Psychose ab. Die Psychose stellt eine Art Komplexbearbeitung dar. Daher
später die hypomanische Phase. Das Organische drückt sich psychisch aus.e) Kolnai wirft einige Probleme in der Beziehung der Ichtriebe und
Sexualtriebe auf. Die Ichtriebe werden auch egoistische genannt, die Sexual-
triebe aber nicht altruistische. Die Stellung des Ich und Sexualtriebe zur
Sublimierung ist verschieden. Kann man Ichtriebe als Funktionä der Ver-
drängung der Sexualtriebe ansehen? Wie verhält sich der angebliche
Parallelismus der Ich- und Sexualtriebe zur Bevorzugung der Ichtriebe im
Bewußten? Welcher Faktor bändigt die Ichtriebe? Warum verankert sich die
Gesellschaft in Ichtrieben und nicht in Arttrieben?f) Hitschmann: „Über Unterrichtsfragen in der Psychoanalyse.“
Zeigt Tafeln zur Veranschaulichung der Begriffe Bewußt, Unbewußt etc.An der Diskussion beteiligten sich: Schilder, Nürnberg, Rank,
Reik, Friedjung, Freud, Hitschmann, Deutsch.35*
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