Ein Fall von Muskelatrophie mit ausgebreiteten Sensibilitätsstörungen (Syringomyelie) 1885-002/1885.3
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    Separatabdruck ans Dr. Wittelshöfers, W. Med. Wochenschtel (Nr. 13 und 14, 1885.)

     

    Ein Fall von Muskelatrophie mit ausgebreite ten Sensibilitätsstörungen (Syringomyelie).

     

    Von Dr. SIGM. FREUD.

     

    Sekundararzt im Wiener Allgemeinen Krankenhause.) in his

     

    (Aus der IV. medizinischen Abtheilung des Herrn Primarius Scholz.)

     

    A. Krankengeschichte, with

     

    Johann T., 36 Jahre alt, Weber, anfgenommen s. J.-N. 21355 am 10. November 1884, gibt an, dass er in seinem sechsten Lebensjahre an Nerventieber erkrankt, seither ge sund gewesen sei. Als Ursache seines gegenwärtigen Leidens. beschuldigt er Zugluft und eine feuchte Wohnung. Die ersten Symptome seiner Krankheit waren im Winter 1882 Schwäche des linken Oberarmes und Pamstigsein der Finger, welche beide im darauffolgenden Sommer sich etwas besserten, im Herbste 1883 aber wieder zunahmen. Im Mai 1884 trat spontan Anschwellung am linken Vorderarme und Handrücken aut, welche zur Abszessbildung führte. Pat, wurde damals durch. 20 Tage auf der IV. medizinischen Abtheilung behandelt. Von Juni bis Mitte Oktober 1884 arbeitete Pat. viel, gebrauchte seinen linken Arm, merkte aber, dass derselbe sehr leicht ermüde. Drei Wochen vor der Aufnahme bildete sich neuerdings eine Anschwel lung am linken Vorderarme, welche aufbrach und Eiter entleerte. Gleichzeitig wurde die Unempfindlichkeit der linken Hand so gross, dass Pat. z. B. nicht in seine Hosentasche hineinfand.

     

    Status praesens: Der Kranke ist ein mittelgrosses, mässig genährtes Individuum von tahler Gesichtsfarbe, an Intelli genz beschränkt, aber klar. Die inneren Organe und Exkrete zeigen keine Abnormität, eine etwas hohe und monotone Stimme ist auf fällig. Die Funktionen der Sinnesorgane und der Hirnnerven sind intakt, ebenso Motilität und alle Qualitäten der Empfindung am 1

     

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    Rumpfe von der sechsten Rippe abwärts und an den Beinen. Da gegen zeigen sich erhebliche motorische und sensible Störungen am Rumpfe bis zum Niveau der sechsten Rippe und an den oberen Extremitäten, welche im Folgenden beschrieben werden sollen.

     

    a) Motorische Symptome. Der Kranke ist mit einer hochgradigen Verkrümmung der Wirbelsäule behaftet, über deren Entwicklung er nichts anzugeben weiss. Der obere Theil der Brust wirbelsänle ist nach links konvex, vom achten Brustwirbel ab aber nach links konkav and lordotisch, die Lendenwirbelsäule erscheint gerade. Die linke Thoraxhälfte ist vorne schmal and stark gewölbt, die rechte breit, flach; das Akromion steht links höher. Diese Miss staltung erschwert die Beurtheilung der an den Schulterblatt muskeln beiderseits vorhandenen Atrophien. Die inneren Ränder beider Scapulae etwas abstehend. Beide M. latissimi dorsi sind verdünnt. der M. intraspinatus ist rechts dünn, links scheint er ganz zu fehlen. Auch der M. encullaris ist links weit schmächtiger als rechts. Auffällige Funktionsstörungen im Bereiche dieser Mas keln finden sich nicht vor.

     

    Die Arme sind beiderseits mager, doch zeigt nur der linke Oberarm Funktionsstörung und Abnahme der Masse in seinen Mus keln. Grösster Umfang des linken Oberarmes 19 Ctm., der des rechten 20 Ctm. Der linke M. pectoralis major etwas dünner als der rechte; die Rundung der Schulterhöhe wird links vermisst, die Beuger des Oberarmes, insbesondere der M. biceps, dünn und schlaff. Die Hebung des linken Armes zur Horizontalen sehr erschwert, dabei treten faszikuläre Zuckungen im hinteren Antheile des Del toideus auf und werden einzelne Bündel dieses Muskels härter als andere. Die Rotationen des Oberarmkopfes merklich erschwert, die Kraft der Bengung schwach, dabei wird der M. biceps nicht ordent lich hart, Kraft der Streckung weit beträchtlicher, doch ist der M. triceps in stärkster Kontraktion schlaffer anzufühlen als auf der rechten Seite.

     

    Der Umfang der Unterarme beiderseits gleich, auch ist keine sinnfällige Atrophie der Muskeln linkerseits vorhanden; doch ist die Dorsalflexion der Hand links erschwert, die Supination unvollkom mener als rechts, die kleinen Handmuskeln intakt. Die Bewegungen der linken Hand sind oft hastig und ungeschickt.

     

    Einer eingehenden elektrischen Untersuchung entzog sich der wenig intelligente Patient, als er merkte, dass er Gegenstand beson derer Aufmerksamkeit geworden sei. Doch liess sich konstatiren, dass in den atrophirten Muskeln nirgends Entartungsreaktion, sondern quantitative Herabsetzung der Erregbarkeit bei normalem Zuckungs modus bestand. Bei galvanischer Prüfung von der Supraklavikular

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    grube aus (kleine Eletrode auf Erb's Supraklavikularpunkt, mitt. lere Platte am Sternum) trat rechts die erste KSZ bei 0-9 mA. aut (abgelesen am kleinen Edelman'n'schen Galvanometer), und zwar ziemlich gleichzeitig in de betreffenden Muskeln. Links reagirten die einzelnen Muskeln ungleichzeitig, der Deltoideus zu letzt, mit KSZ bel 1-4 2-7 mA. Bei direkter galvanischer Reizung von seinem vorderen motorischen Punkte gab der rechte Deltoideus erste KSZ bei 2-5 mA, der linke erst zwischen 3 und 4 mA.

     

    Eigenthümlicherweise zeigte sich die elektrische Erregbarkeit des linken N. ulnaris erhöht im Vergleiche mit dem rechten (bei wiederholter Prüfung an seinem empfindlichsten Punkte oberhalb des inneren Kondyls).

     

    Rechter N. ulnaris: bei 1-9 mA. erste KSZ, bei 3

     

    bis 4 mA. erste AOZ und ASZ. Erste faradische Reaktion bei

     

    Rollenabstand 80 Mm.

     

    Linker N. ulnaris: bei 14 mA. erste KSZ, bei 24 mA. erste AOZ und ASZ. Erste faradische Reaktion bei Rollenabstand 90 Mm.

     

    b) Sensible Störungen. Die von der oberen Brust apertur bis zur sechsten Rippe ausgedehnte Sensibilitätsstörung variirt für die verschiedenen Qualitäten der Sensibilität und für die einzelnen innerhalb der bezeichneten Grenzen eingeschlossenen. Körpertheile, jedoch in der Weise gleichsinnig, dass dort, wo die eine Sinnesqualität stärker gestört ist, auch die übrigen mehr als an anderen Stellen beeinträchtigt sind. Im Allgemeinen haben die taktilen Empfindungen weniger gelitten als Schmerz- und Tem peraturemplindung. Die Sensibilität ist am besten erhalten an der rechten Rumpfhältte, dann tolgen der Reihe nach die rechte obere Extremität und die linke Rumpthälfte, während am linken Arme die Störung am ausgesprochensten ist und vom zentralen zu dem peripheren Abschnitte der Extremität hin zunimmt. Der Unter schied in der Affektion der linken Hand und des linken Oberarmes ist weit beträchtlicher, als der Unterschied zwischen linkem Ober arme und rechtem Arme. Die Verhältnisse gestalten sich demnach folgender Art. Am rechten Arme und an der rechten Thoraxhälfte werden selbst die teinsten Berührungen empfunden, aber minder deutlich als an den Beinen oder im Gesichte. Die Feinheit der taktilen Empfindung nimmt links etwas ab, doch wird Streichen mit einem Haare noch auf der linken Schulterhöhe gefühlt, am linken Unterarme braucht es stärkere Berührung, um eine sichere Empfindung zu erzeugen und vom linken Handgelenke ab besteht, wenn nicht völlige taktile Anästhesie, so doch die hochgradigste Herabsetzung des Tastgefühles. Der Kranke ist ganz unfähig, einen

     

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    Gegenstand bei geschlossenen Augen durch Betasten mit der linken Hand zu erkennen, was rechts ganz gut möglich ist; den Druck aufgelegter Gegenstände verspürt er links fast nie, unterschätzt ihn gewöhnlich auch von der rechten Hand aus. Ein mittleres, gefülltes Chromsäureelement, das er in der linken Hand wägt, hält er für ein nussgrosses Stück Eis rechts schätzt er denselben Gegenstand aut 25 Dekagr. und hat eine annähernd richtige Vor stellung von dessen Grösse. Prüfungen dieser Art wurden aber durch die geringe Aufmerksamkeit des Kranken gestört. Schmerz und Temperaturempfindung waren rechts viel stärker herabgesetzt, als die taktile Empfindung. Man konnte überall am rechten Arme die Haut durchstechen, ohne Schmerzensäusserungen hervorzurufen, während unterhalb der sechsten Rippe und im Gesichte die Haut sich sehr schmerzempfindlich erwies. Eis wurde am rechten Arme und Rumpte einfach als ,kalt" bezeichnet, sowie man aber das Niveau der sechsten Rippe passirte, erkannte der Kranke das Eis und gab zu erkennen, dass ihm die Kälteempfindung unangenehm sei. Am linken Oberarme wurde Streichen mit einem Stücke Eis von dem Streichen mit Seife nicht mehr unterschieden; die linke Hand war ganz analgisch und zeigte nach einer Untersuchung mit einem brennenden Lichte mehrere kreuzergrosse Schorfe, welche ohne Schmerz und Empfindung erzeugt worden waren. Die Unter suchung mit dem faradischen Pinsel ergab die im Vorigen ange führte Reihenfolge der befallenen Körpertheile. Bei Aufsetzen einer feuchten Elektrode auf die Haut wurde auch in der linken Hand deutliche Empfindung in den tiefen Theilen angegeben.

     

    Dass die Lagevorstellungen von den Armen gestört waren, wurde zweifellos erkannt, wenn man passive Bewegungen der einen Extremiät durch willkürliche Bewegungen der andersseitigen bei gehlossenen Augen nachahmen liess. Während dies dem Kranken für die Stellungen der Füsse vortrefflich gelang, zeigte er sich in der Nachahmung der Stellung der Hände und Finger sehr unsicher. Iusi ondere schien er in der Kenntniss der Lage des linken Armes und wieder am meisten der linken Finger beeinträchtigt.

     

    e) Trophische Störungen. Drei Narben am Hand gelenke und Handrücken links bestätigten die Angaben des Patien ten von Schwellungen und Abszessbildungen, welche daselbst zu wiederholten Malen aufgetreten waren.

     

    Während einer sechswöchentlichen Beobachtung und elektri schen Behandlung wurde die Analgesie am rechten Arme und die Anästhesie der linken Hand merklich gesteigert. Der Kranke be hauptete, eine Kräftigung der Muskeln des linken Armes zu ver spiiren.

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    Aidha B. Versuch einer Diagnose, din A

     

    Das im Vorigen beschriebene Krankheitsbild setzt sich aus solchen motorischen und sensiblen Störungen zusammen. welche selten vereint gefunden werden, und ist ausserdem durch die Abwesenheit von cephalischen Symptomen und Schmerzen und die Beschränkung auf den oberen Abschnitt des Rumpfes mit Einschluss der oberen Extremitäten aus gezeichnet. Die Affektion der Muskeln trägt den Charakter einer der typischen Formen der Muskelatrophie: bilaterale Erkrankung von Schulter- und Schulterblattmuskeln, ein seitige des Deltoideus, Pektoralis und der Oberarmbeuger, Erhaltensein der faradischen Reaktion und der normalen Zuckungsform, Lähmung nur dem Muskelschwunde pro portional. In

     

    Die sensible Störung ist wesentlich als partielle" Empfindungslähmung zu bezeichnen, da über dem ganzen Gebiete der Affektion Schmerz- und Temperaturempfindung weit auffälliger als die Tastempfindungen gelitten haben. In dem Bereiche der linken Hand besteht hochgradige Herab setzung aller Empfindungsqualitäten; ebendort, wo die sen sible Störung am stärksten entwickelt ist, ist eine Beein trächtigung der trophischen Funktionen, eine Neigung zu Abszessbildungen auffällig, welche indess als Folgen unbeach teter Schädlichkeiten auf die Anästhesie zurückgeführt werden könnten. Der Verlauf der Erkrankung ist ein mit Schwankungen progressiver, ein ätiologisches Moment nicht bekannt.

     

    In welchen Abschnitt des Nervensystems Gehirn, Rückenmark, periphere Nerven ist die Ursache dieses eigenthümlichen Symptomenkomplexes zu verlegen? Wenn man den Versuch einer Lokaldiagnose unternehmen will, kann man zunächst die Annahme einer Gehirnläsion ohne Beden ken zurückweisen. Die Abwesenheit aller cephalischen Sym ptome, die Lokalisation der Erkrankung, die Muskelatrophie sind für diese Abweisung massgebend. Auch einer Erkran kung peripherer Nerven und Nervenwurzeln muss wider sprochen werden. Gegen den neuritischen Ursprung der Sym ptome spricht das Fehlen von Schmerzen während des ganzen Verlanfes, die Doppelseitigkeit, vor Allem aber der Umstand, dass die myotrophischen Störungen an ganz anderen Ab schnitten des Körpers hervortreten, als die sensiblen, so dass am linken Oberarme Muskelatrophie besteht ohne bedeutende Sensibilitätsstörung, der linken Hand fast völlige

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    Anästhesie ohne Andeutung von Lähmung und Atrophie. Der Charakter der Muskelaffektion entspricht auch durchaus nicht dem einer neuritischen Affektion. Die Analogie dersel ben mit einer typischen Muskelatrophie ist für die Lokal diagnose nicht verwerthbar, weil über den Sitz der Erkran kung bei der typischen Muskelatrophie bekanntlich noch keine Einigung erzielt worden ist.

     

    Es bleibt also nur die Annahme einer spinalen Aftek-1 tion im Hals- und oberen Brustmarke entsprechend dem Be reiche der Erkrankung. Diese Affektion kann keine trans versale sein, denn in unserem Krankheitsbilde fehlen die Symptome der Leitungsunterbrechung, welche die Folge einer Erkrankung des Rückenmarksquerschnittes wäre. Sie kann auch keine halbseitige sein, denn es fehlt die für letztere charakteristische Vertheilung der motorischen und sensiblen Störungen auf verschiedene Körperseiten. Durch das Fehlen. jeder Andeutun von Leitungsunterbrechung ist die weisse Substanz des Rückenmarkes von der Erkrankung ausge schlossen. Andererseits erklärt die bekannte Systemerkran kung der grauen Substanz, die der Vorderhörner, nicht die vorhandenen sensiblen Symptome. Es erübrigt also nur noch die Möglichkeit einer longitudinalen Erkrankung der ganzen grauen Substanz des Hals- und oberen Brustmarkes, welche allen positiven und negativen Merkmalen unseres Falles ge recht werden könnte. Denn es ist kein Zweifel, dass durch Affektion der hinteren grauen Substanz des Rückenmarkes sensible Störungen erzeugt werden, ebenso wie motorische und myotrophische durch Erkrankung der vorderen. Soll die supponirte Affektion der grauen Substanz den Einzelheiten unseres Falles gerecht werden, so muss dieselbe vorwiegend links entwickelt und überdies in den Hinterhörnern weit ausgedehnter und intensiver sein, als in den Vorderhörnern.

     

    C. Literaturnachweis. And

     

    Die pathologische Anatomie hat uns nur eine Erkran kungsform des Rückenmarkes kennen gelehrt, welche den ausgesprochenen Anforderungen genügt: die zentrale Glia wucherung mit Höhlenbildung, oder das zentrale Gliom mit Syringomyelie" 1). Die Entwicklung unserer Anschauungen und Erfahrungen über diese Affektion des Rückenmarkes ist

     

    F. Schultze. Ueber Spalt-, Hohlen- and Gliombildung im Rückenmarke und in der Medulla oblongata. Virchow's Archiv 1882. Band 87.

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    in Kürze folgende ): Zunächst ergab sich als zufälliger Be fund bei Leichenöffnungen, dass im Rückenmarke eine Er weiterung des Zentralkanales bestehen könne, ohne sich durch Symptome während des Lebens der betreffenden Individuen zu verrathen. Dieser Zustand wurde mit dem Namen Hydro myelie bezeichnet und für kongenital angesehen. Späterhin machte man die Erfahrung, dass bei Personen, welche mannig fache schwere Erscheinungen während des Lebens gezeigt hatten, eine zentrale Höhlenbildung im Rückenmarke der anscheinend einzige abnorme Befund sei. Es lag nahe, diese Höhlenbildung, welche man als Erweiterung des normalen Zentralkanales auffasste, für eine erworbene zu halten und in Beziehung zu den beobachteten Krankheitssymptomen zu bringen. Dieser Schritt ist zuerst von Hallopeau) gemacht worden, welcher auf derartige Befunde die Lehre von der Sclérose periependymaire mit sekundärer Erweiterung des Zentralkanales gründete. Der Gedanke, in der zentralen Höhlenbildung ein Produkt eines pathologischen Prozessses zu sehen, wurde von nun an festgehalten; aber Simon) und Westphal) widerlegten gleichzeitig die Auffassung dieser Höhlen und Kanäle als Erweiterungen des Zentralkanales, indem sie in mehreren Fällen den unveränderten Zentralkanal ventral von der pathologischen Kanalbildung nachwiesen. Da mit war die Berechtigung gegeben, die erworbene Syringo myelie von dem kongenitalen Zustande der Hydromyelie abzu trennen. Die Aufmerksamkeit lenkte sich bald auf das Gewebe, welches die Wandung des neugebildeten Kanales darstellt, und Fr. Schultze) erbrachte den Beweis, dass die patho logische Höhlenbildung durch Zerfall innerhalb gewucherter Gliamasse zu Stande kommt, da die erstere immer mit letz terem Prozesse vereinigt gefunden wird, und an verschiedenen Stellen desselben Präparates bald nur Gliawucherung, bald solche mit beginnender oder vorgeschrittener Höhlenbildung aufzeigbar ist. Es wurde ferner als charakteristisch für diesen

     

    2) Vergl. Leyden. Ueber zentrale Höhlenbildung im Rückenmarke", in dessen Klinik der Rückenmarkskrankheiten. II 1875. a) Note sur un fait de Sclérose diffuse de la moelle avec Lacune an centre de cet organ, alteration de la substance grise, atrophie musculaire. Gaz méd. de Paris 1870. n. a. a. 0.

     

    4) Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des zentralen Nervensystems. Arch. f. Psych. V. Ueber einen Fall von Höhlen- und Geschwulstbildung im Rücken marke mit Erkrankung des verlängerten Markes und einzelner Hirnnerven."

     

    Arch. f. Psych. V. ") Fr. Schultze 1. c.

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    Prozess ermittelt, dass er zumeist im Hals- und oberen Brust theile des Rückenmarkes beginnt und daselbst vorwiegend die hintere graue Substanz zerstört, aber auch gelegentlich in die Vorderhörner oder in die weisse Substanz übergreift. Unentschieden bleibt derzeit, ob alle Fälle von Höhlen bildung im Rückenmarke in der von Simon, Westphal und Fr. Schultze entwickelten Weise aufzufassen sind, und ferner, ob nicht der Prozess der zentralen Gliose mit Syringo myelie etwa doch an kongenitale Missbildung und Entwick lungshemmung des Zentralkanales anknüpft. Letztere Ansicht wurde seinerzeit von Leyden ) vertreten, durch die Unter suchungen von Pick und Kahler ) gestützt, und hat erst neuerdings die Zustimmung ihres früheren Gegners West phal) erworben.

     

    Die pathologisch-anatomischen Eigenthümlichkeiten der Syringomyelie (Lokalisation im Hals- und oberen Brustmarke, vorzugsweise hinteren Antheile der grauen Substanz) er füllen genau die durch den Befund unseres Falles gestellten Anforderungen. Fragen wir nun, ob der Symptomenkomplex unseres Falles mit den durch die (zentrale Gliose mit) Syringomyelie hervorgerufenen Krankheitsbildern überein stimmt.

     

    Stellen wir die in der Literatur aufgezeichneten Fälle pathologischer Höhlenbildung im Rückenmarke (mit Vernach lässigung der Frage nach dem Ursprunge der Höhlenbil dung) zusammen, so ergibt sich, dass die Syringomyelie ver laufen kann:

     

    1. symptomenlos;

     

    2. unter dem Bilde von Parästhesien 10):

     

    3. einer (partiellen) Sensibilitätsanfhebung mit trophi

     

    schen und vasomotorischen Störungen ¹¹);

     

    Ueber Hydromyelus and Syringomyelie. Virchow's Archiv 1876, Band 68.

     

    *) Pick Ueber die Entstehung eines mehrfachen Zentralkanales:" Archiv f Paych VIII, 1878. Pick und Kahler. Beitrage zur Patho logie und pathologischen Anatomie des Zentralnervensystems. Separataus gabe, 1879. A contribution to the study of Syringomyelia (Hydromyelia), Brain,

     

    vol. VI, 1883)

     

    10) Fall von Schultze (Virch. Arch., Bd. 87) Nr. II. 1) Fall von Schüppel (ein Fall von allgemeiner Anästhesie. Arch. f. Heilkunde 1874, Bd. 15). Fall von Fürstner und Zacher (zur Patho logie und Diagnostik der spinalen Höhlenbildung. Arch. t. Psych. 1883, Band 14). Fall von Bernhardt (Beitrag zur Lehre von der sogenannten -partiellen Empfindungslähmung. Berl. klinische Wochenschrift 1884), ohne Sektion.

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    4. einer Muskelatrophie oder atrophischen Lähmung (begleitet von Schmerzen und Parästhesien) ¹); 5. einer Kombination von Muskelatrophie und Sen sibilitätsstörung ¹);

     

    6. unter tumors ¹4). dem diffusen Bilde eines Rückenmarks

     

    Die Mannigfaltigkeit der durch den Prozess der Syringo myelie erzeugten Krankheitsbilder erklärt sich befriedigend aus der wechselnden Ausdehnung desselben und sein Ueber greifen auf die Vorderhörner oder Theile der weissen Sub stanz, erschwert aber natürlicher Weise die sichere Diagnose der Syringomyelie.

     

    Fr. Schultze hat aber in seiner wiederholt hier zitir ten Abhandlung einen klassischen Einzelfall herausgegriffen, in welchem diese Diagnose ermöglicht wird: wenn näm lich eine Atrophie der oberen Extremi täten mit partieller Sensibilitätsstörung und trophischen Störungen ohne Symptome von Leitungsunterbrechung im Rücken

     

    12) Fall von Schüppel (über Hydromyelu Archiv für Heilk, 1865. Band 6). Fall von Grimm (ein Fall von progressiver Muskelatrophie. Virchow's

     

    Arch. 1869, Bd. 48. Fall von Hallopean (1. r.). Fall von Westphal (über einen Fall von Hühlen- und Geschwulst

     

    bildung ete, Arch. f. Psych. V, 1875).

     

    Fall von Kahler u. Pick (Beitrage etc., p. 110) Beobachtung III. Fall von Schulize (1. e. Fall V. amyotrophische Lateraisklerose, nach Erb).

     

    Fall von Gull-Clarke 1862 (nach Leyden, Klinik der Rücken markskrankheiten). Fall von Ludwig Mayer (ein Fall von allgemeiner, progressiver

     

    Muskelatrophie. Virch. Arch. 1-63, Bd. 27). Fall von Fr Schultze (1. e) Beobachtung IV. Fall von Kahler (Paraplegia cervicalis mit eigenthümlichen Sensibilitäts

     

    störnngen, Prager med. Wochenschr. 1882) ohne Sektion. Fall von Remak (ein Fall von zentraler Gliomatose (Syringomyelie)

     

    des Halsmarkes. Deutsche med. Wochenschr. 1884) ohne Sektion. 4) Siehe die Zusammenstellung bei Reisinger (über das Gliom des Rückenmarkes. Beschreibung eines hiehergehörigen Falles mit anatomischer.

     

    Untersuchung von Prof. Marchand, Virch. Arch. 1884, Bd. 98). Weder die oben gegebene Uebersicht, noch die hier stehenden Belege können Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Letzterer Mangel mag durch die Unsicherheit entschuldigt werden, welche Fälle von Höhlenbildung und von Gliose des Rückenmarkes hieher gerechnet werden dürfen Bei der Unvoll ständigkeit einiger älterer Beobachtungen und den fliessenden Uebergängen (insbesondere zwischen Krankheitsbild 4 und 5) war es auch nicht leicht, den einzelnen Fall treffend an subsumiren.

     

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    marke vorliegt. Es ist dies die eigenthümliche Kom bination von Symptomen. welche unseren Fall auszeichnet. Auf Grund der Schultze'schen Erörterungen haben in den letzten Jahren Kahler ), Bernhardt ¹) und Remak) je einen Fall veröffentlicht, in welchem sie die Diagnose der Syringomyelie bei Lebzeiten des Kranken für gestattet hielten. In diesem Vorgehen und in einer in Bern hardt's Mittheilung enthaltenen Aufforderung finde ich die Rechtfertigung für meine eigene Mittheilung einer Kranken geschichte und Diagnose ohne Sektionsbetund, und kann nur bedauern, dass ich nicht Gelegenheit hatte, meinen Kranken eingehender zu untersuchen und durch längere Zet zu beob achten. Dem Schultze'schen Krankheitsbilde entsprechen von den ohne anatomische Untersuchung publizirten Fällen nur der Remak'sche und der unserige in allen Zügen; bei Bernhardt's Krankem fehlte die Muskelatrophie 18), und in Kahler's Beobachtung war die wichtige Bedingung der mangelnden Leitungsunterbrechung nicht erfüllt, da Parese der unteren Extremitäten vorhanden war; an den oberen Extremitäten bestand anstatt Atrophie spastische Lähmung. Es ist übrigens klar, dass das Schultze 'sche Krankheits bild einem Zustande entspricht, in welchem sich die Affektion strenge auf die graue Substanz beschränkt, und bei Ueber greifen des Prozesses auf die weisse Substanz eines seiner am schärtsten charakterisirenden Merkmale, das Fehlen der Leitungsunterbrechung, einbüssen muss.

     

    Im Folgenden stelle ich die mir bekannt gewordenen drei Fälle zusammen, welche das Schultze'sche Krank heitsbild in grosser Reinheit zeigen:

     

    19 Kasuistische Beiträge V, Paraplegia cervicalis mit eigenthumlichen

     

    Sensibilitätsstörungen Prager med. Wochenschr. 1882. Beitrag zur Lehre von der sogenannten partiellen Empfindungs lähmung. Berl. klin. Wochenschr. 1884. Ein Fall von zentraler Gliomatose (Syringomyelie) des Halsmarkes. Deutsche med Wochenschr 1884 1) Weshalb auch die Diagnose von Remak (1. c.) angefochten wurde.

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    Fall von

     

    Motorische Störungen

     

    Sensible Störungen

     

    Trophische Störungen

     

    Anästhesie am oberen Rumpfe n. an beid. Armen; Analgesie am ganzen Kör per mit Ausnahme des Blasenbildungen an der

     

    rechten Hand.

     

    Gesichtes.

     

    Mässige Störung der Tast empfindungen links, Aufhe hung d. Temperatursinnes u. Herabsetzung d. Schmerz empfind. links am oberen Rumpfe und ganzen Arme.

     

    Anästhesie am link. Vorder arme u der Hand, Analgesie u Temperatursinnslähmung am ganzen Rumpfe bis zur 6. Rippe u. an beid. Armen.

     

    Bemerkungen

     

    Vorübergehend bulbare Symptome.-Herabsetzung der Sehnenreflexe am link. Beine Syringomye lie und Gliomatose.

     

    Blasenbildung (Herpes Zo ster?) im Bereiche der Sen sibilitätsstörung; Affektion des linken Schultergelen kes. Kein Anzeichen von At fektion der Beine.

     

    Entar

     

    tungsreaktion in kleinen Handmuskeln Beginn

     

    vor 11 Jahren.

     

    Keine Affektion der Beine. Seit zwei Jahren.

     

    Abszessbildungen am lin ken Handgelenke. Nei gung zu Hautnekrosen.

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    Wie ersichtlich, stimmen die drei Krankheitsfälle, ab gesehen von jenen Symptomen, welche das Schultze sche Krankheitsbild ausmachen, auch in einzelnen anderen Zügen zusammen wie: das örtliche Uebergreifen der Sensibilitäts störung über die Muskelaffektion und die stärkere Beeinträch tigung der Schmerz- und Temperaturempfindung im Vergleiche zu den taktilen Empfindungsqualitäten.

     

    Druck der k. Wiener Zeitung. Selbstverlag des Verfassers.