S.
III.
Beiträge zur Traumdeutung.
‘ l .
Ein Traum als Beweismittel.
Von Sigm. Freud.Eine Dame, die an Zweifelsucbt und Zwangszeremeniell leidet, stellt an
ihre Pflegerinnen die Anforderung, von ihnen keinen Moment aus den Augen
gelassen zu werden, weil sie sonst zu grubeln beginnen wurde, was sie in dem
nnhewachten Zeitraum Unerlaubtes getan haben mag. Wie sie nun eines
Abends auf dem Diwan aus-ruht, glaubt sie zu bemerken, daß die diensthabende
Pflegerin eingeschlaten ist. Sie fragt: Haben sie mich gesehen?; die Pflegerin
fahrt auf und antwortet: Ja, gewiß. Die Kranke hat nun Grund zu einem
neuen Zweifel und wiederholt nach einer Weile dieselbe Frage. Die Pflegerin
bebeuert es von neuem; in diesem Augenblicke bringt eine andere Dienerin
das Abendessen.Dies ereignet sich eines Freitag abends. Am nächsten Morgen erzählt
die Pflegen'u einen Traum, der die Zweifel der Patientin zentreut.Traum. Man hat ihr ein Kind gegeben, die Mutter ist
abgereist, und sie hat das Kind verloren. Sie fragt unter-
wegs die Leute auf der Straße, ob sie das Kind gesehen
haben. Dann kommt sie an ein großes Wasser, geht über
einen schmalen Steg. (Dazu später ein Nachtrag: Auf diesem Steg
ist plötzlich die Person einer anderen Pflegerin wie eine
Fata Morgana vor ihr aufgetaucht.) Dann ist sie in einer ihr
bekannten Gegend und trifft dort eine Frau, die sie als
Mädchen gekannt hat, die damals Verkäuferin in einem
Ehwarengesehaft war, später aber geheiratet hat. Sie fragt
die vor ihrer Tür stehende Frau: Haben Sie das Kind gesehen?
Die Frau interessiert sich aber nicht für diese Frage, sondern
erzählt ihr, daß sie jetzt von ihrem Menue geschieden ist,
wobei sie hinzufügt, daß es auch in der Ehe nicht immer
glücklich geht. Dann wacht sie beruhigt auf und denkt sich,
das Kind wird sich schon bei einer Nachbarin finden. ‘Analyse. Von diesem Traum nahm die Patientin an. daß er sich auf
das von der Pflegerin abgelengnete Einanhlafan beziehe, Was ihr die Pflegeriu‚S.
74 Beitnge zur Traumdeutung.
ohne ausgefrugt zu werden, im Anschluß an den Traum erzählte, setzte sie
in den Stand, eine praktisch zureichende, wenn auch an manchen Stellen
unvollständige Deutung des Traumes vorzunehmen. Ich selbst habe nur den
Bericht der Dame gehört, nicht die Pflegerin gesprochen; ich werde, nachdem
die Patientin ihre Deutung vorgetragen hat, hinzufügen, was sich aus unserer
allgemeinen Einsichtnahme in die Gesetze der Traumbildung erganzen laßt.„Die Pflegerin sagt, bei dem Kind im Traume denke sie an eine Pflege,
von welcher sie sich außerordentlich befriedigt gefühlt habe. Es handelte
sich um ein an hlenorrhoischer Augenentzündung erkranktes Kind, das nicht
sehen konnte. Aber die Mutter dieses Kindes reiste nicht ab, sie nahm an
der Pflege teil. Dagegen weiß ich, daß mein Mann, der viel auf diese Pflegerin
halt, mich ihr beim Abschied zur Behütung übergeben hat, und daß sie ihm
damals versprach, auf mich acht zu geben — wie auf ein Kind !"Wir erraten anderseits aus der Analyse der Patientin, daß sie sich mit
ihrer Forderung, nicht aus den Augen gelassen zu werden, selbst in die
Kindheit zurückversetzt hat.„Sie hat das Kind verloren, fährt die Patientin fort„heilit, sie hat mich
nicht gesehen, hat mich aus den Augen verloren. Das ist ihr Geständnis, dal}
sie wirklich eine Weile geschlafen und mir dann nicht die Wahrheit gesagt hat.“Das Stückchen des Tranmes, in dem die Pdegerin bei den Leuten auf
der Straße nach dem Kinde fragt, blieb der Dame dunkel, dagegen weiß sie
über die weiteren Elemente des manifesten Traumes gute Auskunft zu geben.„Bei dem großen Wasser denkt sie an den Rhein, aber sie setzt hinzu,
es war doch weit größer als der Rhein. Sie erinnert sich dann, daß ich ihr
am Abend vorher die Geschichte ven Jones und dem Walfisch vorgeleseu und
erzählt habe, daß ich selbst einmal im Ärmellumal einen Wßlfisel’i gesehen.
Ich meine, das große Wasser ist das Meer, also eine Anspielung auf die
Geschichte von Jonas.“„Ich glaube auch, daß der schmale Steg aus der namlichen, in Mundart
geschriebenen lustigen Geschichte herrlihrt. In ihr wird erzählt, daß der
Beligionslehrer den Schulkindem das wunderbare Abenteuer des Jonas verträgt,
worauf ein Knabe den Einwand macht, das könne doch nicht sein, denn der
Herr Lehrer habe ein anderes Mal gesagt, der Walfiach habe einen so engen
Schlund, daß er nur ganz kleine Tiere schlucken könne. Der Lehrer hilft
sich mit der Erklärung, Jonas sei eben ein Jude gewesen, und der drücke
sich überall durch. Meine Pfleger-in ist sehr religiös, aber zu religiösen
Zweifeln geneigt, und ich habe mir darum Vorwürfe gemacht, daß ich durch
meine Vorlesung vielleicht ihre Zweifel angeregt habe.“„Auf diesem schmalen Steg sah sie nun die Erscheint einer anderen
ihr bekannten Pflegerin Sie hat mir deren Geschichte erzählt, diese ist in
den Rhein gegangen, weil man sie ans der Pflege, in der sie sich etwas hatte
zu Schulden kommen lassen, weggeschickt hatte.!) Sie fürchtet also auch1) Ich haha mir an dieser Stelle eine Verdichtung des Materials zn Schulden
kommen lassen, die ich bei einer Revision der Niederschrift vor der referierenden
Deine karrigieren konnte Die als Erscheinung auf dem Steg auftretende Pflegerin
hntt‚g sich in der Pflege nichts zu Schulden kommen lassen. Sie wurde weggeschickt,
weil die Mutter des Kindes, die zur Abreise genötigt war, erklhrte, sie Welle in ihrer
Abwesenheit eine filters — also doch verläßliohere — Wumpemon bei dem Kinde
haben. Daran reihte sich eine zweite Erzihlung von einer anderen Pfisgerin, die
wirklich wegen einer Naehliasigkeit entlassen werden wll', sich darum aber nicht
«trinkt hatte. Das für die Deutung des Traumelements nötige Material ist hiexwieS.
Sign. Freud: Ein Traum als Beweismittel. 75
wegen jenes Einsehlafens weggeschickt. zu werden. Übrigens hat sie am Tage
nach dem Vorfall und der Traumerzählung heftig geweiht und mir, auf meine
Frage nach ihren Gründen, recht barsch geantwortet: Das wissen Sie so gut
wie ich, und jetzt werden Sie kein Vertrauen mehr zu mir haben.“Da die Erscheinung der ertriinkten Pflegerin ein Nachtrag, und zwar
von besonderer Deutlichkeit war, hätten wir der Dame teten mussen, die
Traumdeuan an diesem Punkte zu beginnen. Diese erste Hälfte des Trnumes
war nach dem Bericht der Träumerin auch von heftigster Angst erfüllt, im
zweiten Teil bereitet sich die Beruhigung vor, mit welcher sie erwmht.„Im nächsten Stück des Tmumes, setzt die analysierenlie Dame fort,
finde im Wieder einen sicheren Beweis für meine Auflnssllng, (laß es sich darin
um den Vorfall em Freitag Abend handelt, denn mit der Frau, die früher
Verkäuferin in einem Edwarengeschlift war, kann nur das Mädnhen gemeint
sein, welches dzmsls das Nechtmshl brachte. Ich bemerke, daß die Pflegerin
den ganzen Tag über Übligkeiten geklagt hatte Die Frage, die sie an die
Frau richtet: Haben Sie das Kind gesehen?, ist ja ofl'enbar abgeleitet von
meiner Frage: Haben Sie mich gesehen?, wie meine Formel lautet, die ich
eben zum zweitenmal stellte, als das Mädchen mit den Schüsseln eintrat.“Auch im Trauma wird in zwei Stellen nach dem Kind gefragt. —— Daß
die Frau keine Antwort gibt., sich nicht interessiert, möchten wir als eine
Herabsetzung der anderen Dienerin zu Gunsten der Träumerin deuten, die
sich im Traum uber die andere erhebt, gerade weil sie gegen Vorwürfe wegen
ihrer Unaohtsamkeit anzukämpi'en hat.„Die im Trauma erscheinende Frau ist nicht wirklich von ihrem Menue
geschieden. Die ganze Stelle stammt aus der Lebensgeschichte des anderen
Mädchens, welches durch des Manhtwort ihrer Eltern von einem Menue fern
gehalten — geschieden ‚ wird, der sie heiraten will. Der Satz, daß es in
der Ehe auch nicht immer gut abgeht, ist wahrscheith ein Trost, der in
Gesprächen der beiden zur Verwendung kam. Dieser Trost wird ihr zum
Vorbild für einen anderen, mit dem der Traum schließt: Das Kind wird sich
schon finden.“„Ich huhu eher aus diesem Traume entnommen, daß die Pflegerin in
jenem Abend wirklich eingesehlnfen war und darum weggeschickt zu werden
fürchtet. Ich habe darum den Zweifel an meiner eigenen Wahrnehmung
aufgegeben. Übrigens hat sie nach der Erzählung des Tranmee hinzugefügt,
sie bedeute es sehr, daß sie kein Tranmhuch mitgebracht habe. Als ich be—
merkte, in solchen Büchern stehe doch nur der schlimmste Aberglsuhe, ent
gegnete sie, sie sei gar nicht nherglhuhieeh, eher das müsse sie sagen: alle
Unannehmlichkeiten ihres Lebens seien ihr immer an Freitsgen passiert.
Außerdem behandelt sie mich jetzt schlecht, zeigt sich empfindlich, reizbar
und macht mir Szenen“Ich glaube, wir werden der Dame zugestehen müssen, daß sie den Traum
ihrer Pfiegerin richtig gedeutet und verwertet hat. Wie so oft bei der Traum-
deutung in der Psychoanalyse kommen für die Übersetzung des Traumes nicht
allein die Ergebnisse der Assoziation in Betracht, sondern auch die Begleit<
umstände der Truulnerzählung, das Benehmen des Träumers vor und nach dersonst nicht selten, auf zwei Quellen verteilt. Mein Gedächtnis vnllmg die
zur Deutung Führende Synthese _- Übrigens findet. sich in der Geschichte der er«
ausm Pflegerin das Moment des Ahreisens der Mutter, welr.has von der Düne uni
die Abreise ihres Mannes bezogen wird. Wie m,. sieht, eine Überdetermiuisrung,
welehe die Eleganz der Deutung beeintflchtigt.S.
76 Beiträge nur Traumdeutung,
Treumnnnlyse, sowie alles, was er ungefähr gleiehzeih'g mit dem Trlume —
in derselben Stunde der Behandlung — äußert und vsrrüt. Nehmen wir die
Reizherkeit der Pflegerin, ihre Beziehung auf den unglückhringeuden Freitag
u. e. hinzu, so werden wir das Urteil bestätigen, der Traum enthnits das
Geständnis, daß sie damals, als sie es ableugnete, wirklich eingeniekt sei und
darum fürchte, von ihrem Pflegekind weggesehiekt zu werden))Aber der ihm, welcher für die Dame eine praktische Bedeutung hatte,
regt bei uns das theoretische Interesse nach zwei Richtungen an. Der Traum
lduft zwar in eine Tröstung aus, aber im wesentlichen bringt er ein fur die
Beziehung zu ihrer Dame wichtiges Geständnis. Wie kommt der Traum,
der doch der Wunscherfiillung dienen soll, dazu, ein Gesthndnis zu ersetzen,
welches der Träumerin nicht einmal vorteilhaft wird? Sollen wir uns wirklich
veranlaßt finden, außer den Wunsch— (und Angst-) Traumen auch Geständnis-
trliume znzugeben, sowie Warnungstrltume, Reflexionstrtiume, Aupessungs-
trfiume u. dgl.?Ich bekenne nun, daß ich noch nieht ganz verstehe, warum der Stand-
punkt, den meine Traumdeutung gegen solche Versuchungen einnimmt, bei so
vielen und darunter namhaften Psychoanalytikern Bedenken findet. Die Unter-
scheidung von Wunsch—, Geständnis, Warnungs- und Anpassungstrlumen u. dgl.
scheint mir nicht viel sinnreicher, als die notgedrungen zugelassene Ditferen«
zierung ärztlicher Spezialisten in Frauen-, Kinder- und ZahnKrzten. Ich nehme
mir hier die Freiheit, die-Erörterungen der Traumdeutung über diesen Punkt
hier in äußerster Kurze zu wiederholen.”)Als Sehlnfstörer und Triumbildner können die sogenannten „Tagesreate“
fungieren, sd'ektbesetzte Denkvorgiinge des Traumtages, welche der allgemeinen
Schlaferniedrigung einigermaßen widerstanden haben. Diese Tegesreste deckt
man auf, indem man den manifesten Traum auf die latean Truumgedauken
zuruekführt; sie sind Stücke dieser letzteren, gehören also den — bewußt
oder vorhewnßt gebliebenen — Tätigkeiten des Wachens an, die sich in die
Zeit des Schlafena fortsetzen mögen. Entsprechend der Maunigfaltigkeit der
Denkvorglinge im Bewußten und Vorbewnßten haben diese Tagesreste die
vielfachsteu und verschiedenartigsten Bedeutungen, es können unerledigte Wünsche
oder Befürchtungen sein7 ebenso Vorsiitze, Überlegungen, Warnungen, Au-
pussungsuarsnche an bevorstehende Aufgaben usw. Insofern muß ja die in
Rede stehende Chernkten'st'ik der Träume nach ihrem durch Deutung erkannten
Inhalt gerechtfertigt erscheinen. Aber diese Tagesreste sind noch nicht der
Traum, vielmehr fehlt ihnen das Wesentliche, was den Traum ausmacht. Sie
sind fur sich allein nicht im stands, einen Traum zu bilden. Streng genommen
sind sie nur psychisches Material für die Traumarheit, wie die zufällig vor—
handenen Sinnes— und Leibreize oder eingeführte experimentelle Bedingungen
deren sometisnhes Material bilden. Ihnen die Hauptrolle bei der Traum-
bildung zuschreiben, heißt nichts anderes als den voranalytisehen Irrtum an
neuer Stelle wiederholen, Träume erklärten sich durch den Nachweis eines
verdorhenen Megens oder einer gedruckten Hsntstelle. So zdhlebig sind
wissenschaftliche Irrtümer und so gern bereit, sich, wenn abgewiesen, unter
neuen Masken wieder einzusehleichen.Soweit wir den Sechverhalt durchsehaut haben, miissen wir sagen, der
wesentliche Faktor der Traumbildung ist ein uuhewullter Wunsch, in der Regel!) Die Pflegerin gestand übrigens einige Tage man: einer dritten Person ihr
Einmhhfen an jenem Abend zu und rechtferügtß so die Deutung der Dame.
.) 3. Auflage, p. 367 u. o.S.
Sigm. Freud: Ein Traum als Beweismittel. 77
ein infantiler, jetzt verdrängter, welcher sich in jenem somatischen oder
psychischen Material (also auch in den Tagesreeten) zum Ausdruck bringen
kann und ihnen darum seine Kraft leiht, so daß sie auch während der nacht-
lichen Denkpanse zum Bewußtsein durchdringen können. Dieses unhe-
wuflten Wunsches Erllillung ist jedesmal der Traum, mag er sonst was immer
enthalten, Warnung, Überlegung, Geständnis und was sonst aus dem reichen
Inhalt des vorbewuliten Wachlehens unerledigt in die Nacht hineinragt.
Dieser unbewulite Wunsch ist es, welcher der Traumurheit ihren eigentamliehen
Charakter gibt als einer unbewuilten Bearbeitung eines vorbewußteu Materials.
Der Psychoanalytiker kann den Traum nur charakterisieren als Ergebnis der
Traumarbeit, die latenten Traumgadsnken kann er nicht dem Trauma zurechnen,
sondern dem vnrhewußten Nachdenken, wenngleich er diese Gedanken erst
aus der Deutung des Tranmes erfahren hat. (Die sekundäre Bearbeitung
durch die bewuflte Instanz ist hiebei der Traumubeit zugezählt; es wird an
dieser Auffassung nichts geändert, wenn man sie absenden. Man mußte dann
sagen: der Traum im psychoanslytischen Sinne umfaßt die eigentliche Traum-
arheit und die sekundäre Bearbeitung ihres Ergebnisses.) Der Schluß aus
diesen Erwägungnn' lautet, daß man den Wunscherfullnngscharakter des
Traumes nicht in einen Bang mit dessen Charakter als Warnung, Geständnis,
Lösungsversnch usw. versetzen darf, ohne den Gesichtspunkt der psychischen
Tiefendimension, also den Standpunkt der Psychoanalyse, zu verlengnen.Kehren wir nun zum Trauma der Pflegerin zurück, um an ihm den
Tiefencharakter der Wunscherfiillung nachzuweisen. Wir sind darauf vorhe—
reitet, daß seine Deutung durch die Dame keine vollständige ist. Es srlihrigen
die Partien des Treuminhaltes, denen m‘e nicht gerecht werden konnte. Sie
leidet überdies an einer Zwangeneurase, welche nach meinen Eindrücken das
Verständnis der Traumsymbole erheblich erschwert, ähnlich wie die Dameutia
praecnx es erleichtert.Unsere Kenntnis der Tranmsymhoiik gestattet uns aber, ungedeutete
Stellen dieses Traumes zu verstehen und hinter den bereits gedeuteten einen
tieferen Sinn zu ernten. Es muß uns auffallen, daß einiges Material, welches
die Pflegerin verwendet, aus“ dem Komplex des Gebärms, Kinderhabens
kommt. Das große Wasser (der Rhein, der Kanal, in dem der Walfisch
gesehen wurde) ist wohl das Wasser, aus dem die Kinder kommen. Sie
knmmt ja auch dahin ‚auf der Suche nach dem Rinde“. Die Jonasmyths
hinter der Determinierung dieses Wassers, die Frage, Wie Janus (das Küid)
durch die enge Spalte kommt, gehören demselben Zusammenhang an. Die
Pflegeriu, die sich aus Krankung in den Rhein gestürzt hat, ins Wasser ge-
gangen ist, hat ja auch in ihrer Verzweiflung am Leben eine sexualsymholisehc
Trhstung an der Todesart gefunden. Der enge Steg, auf dem ihr die Er-
scheinung entgegentritt, ist sehr wahrscheinlich gleichfalls als ein Genita.lsymbol
zu deuten, wenngleid1 ich gestehen muß, daß dessen genauere Erkenntnis noch
aussteht,Der Wunsch: ich will ein Kind haben, scheint also der Traumln'ldner
aus dem Unbewußten zu sein, und kein anderer scheint besser geeignet, die
Pflegerin über die peinliche Situation der Realität zu trösten. „Man wird
mich wegechicken, ich werde mein Pflege1dnd verlieren. Was liegt daran?
Ich werde mir dafür ein eigenes, leihliehes verschaffen.“ Vielleicht gehört
die ungedentete Stelle, daß sie alle Leute auf der Straße nach dem Kinds
fragt, in diesen Zusammenhang; sie wäre dann zu übersetzen: und mußte ich
mich auf der Sin-aße ausbieten, ich werde mir das Kind zu schaden wissen.
Ein bisher verdeckter Train der Träumarin wird hier plötzlich laut, und zuS.
78 Eeitrsge zur 'l‘numdsutung.
diesem paßt erst das Geständnis: „Also gut, ich habe die Augen zugemscht
und meine Verlil.ßliehkeit als Pflegerin kompromittiert, ich werde jetzt die
Stelle verlieren. Werde ich so dumm sein, ins Wasser zu gehen wie die X?
Nein, ich bleibe überhaupt nicht Pflegeriu, ich will heiraten, Weib sein, ein
leibliches Kind haben, daran lasse ich mich nicht hindern.“ Diese Über-
setzung rechtfertigt sich durch die Erwägung, daß „Kinderheben“ wohl der
infantile Ausdruck des Wunsches nach dem Sexualverkehr ist, wie es auch
vor dem Bewußtsein zum euphemistisnhen Ausdruck dieses nnstößigen Wunsches
gewählt werden kann.Das für die Trünmerin nachteilige Geständnis, zu dem wohl im Wach»
leben eine gewisse Neigung vorhanden war, ist else im Tranme ermöglicht
worden, indem ein latenter Charakng der Pflegerin sich desselben zur
Herstellung einer infantilen Wunseherfiillung bediente. Wir dürfen vermuten,
dlß dieser Charakter in innigem Zusammenhang — zeitlichem wie inhaltlichem
— mit dem Wunsche nach Kind und Sexualgenuß steht.Eine weitere Erkundignng bei der Dame, der ich das erste Stück dieser
Traumdeutung danke, förderte folgende unerwartete Aufschlusse über
die Lebenssehicksale der Pflegerin zu Tage. Sie wollte, ehe sie Pfleger-in
wurde, einen Mann heiraten, der sich eifrig um sie bemühte, verzichtete aber
darauf infolge des Einspruchs einer Tante, zu welcher sie in einem merk-
würdigen, sus Abhängigkeit und Trotz gemischten Verhältnis steht. Diese
Tante, die ihr des Heiraten versagte, ist selbst Oberiu eines Krankenpfleger-
ordens; die Träumerin sah in ihr immer ihr Vorbild, sie ist durch Erba
rüukaichten an sie gebunden, widersetzte sich ihr aber, indem sie nicht in
den Orden eintrat, den ihr die Tante bestimmt hatte. Der Trotz, der sich
im Traurne verraten, gilt also der Tante. Wir haben diesem Charakterzug
anflleretische Herkunft zugesprochen und nehmen hinzu, daß es Geldinteressen
sind, welche sie von der Tante abhängig machen, denken auch daran, daß
das Kind die emule Geburtstheorie bevorzugt.Das Moment dieses Kindertrotzes wird uns vielleicht einen innigeren
Zusammenhnng zwischen den ersten und der letzten Szene des Traumes annehmen
lassen Die ehemalige Verkäuferin von Eliwaren im Trauma ist zunächst die
andere Disnerin der Dame, die im Moment der Frage: Haben Sie mich ge»
sehen? mit dem Nachmahl ins Zimmer trat. Aber es scheint, daß sie über-
haupt die Stelle der feindlichen Konkurrentin zu übernehmen bestimmt ist.
Sie wird als Pflegeperson herabgesetzt, indem sie sich für das verlorene Kind
gar nicht interessiert, sondern von ihren eigenen Angelegenheiten Antwort
gibt. Auf sie wird also die Gleichgültigkeit gegen das Pflegekind verschoben,
zu der sich die Träumerin gewendet hat, Ihr wird die unglücklißhe Ehe
und Scheidung angedichtet, welche die Trünmerin in ihren geheimsten Wünschen
selbst fürchten müßte. Wir wissen aber, daß es die Tante ist, welche die
Träumerin von ihrem Verlobten geschieden hat So mag die „Verkäuferin
von Eßwaren" (was einer infantilen symbolischen Bedeutung nicht zu entr
behren braucht) zur Repräsentantin der, übrigens nicht viel älteren, Tante-
Oberin werden, welche bei unsererTritumerin dio hergebrs.chte Halle derMutter-
Konkurrentrin eingenommen hat. Eine gute Bestätigung dieser Deutung liegt in
dem Umstand, daß der im Trauma „bekannte“ Ort, an dem sie die in Rede stehende
Person vor ihrer Tür findet, der Ort ist, wo eben diese Tante als Oberin lebt.Infolge der Distanz, welche den Annlysierendeu vom Objekt der Analyse
trennt, muß es ratsam werden, nicht weiter in das Gewebe dieses Traumes
einzudringen. Man darf vielleicht sagen, auch soweit er der Deutung
zugänglich wurde, zeigte er sich reich an Bestdfigungen wie nn neuen Problemen.
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