S.
EINE KUNDGEBUNG der geistigen Wien.
Ein Zeugnis für die große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Gemeinde.
Angesichts des politischen Kampfes in dieser Stadt
fühlen wir uns vor unserem Gewissen verpflichtet, folgende
Erklärung abzugeben:
Der achtzig wirkende Mensch flieht zwischen und über
den Klassen. Er kann sich keinem politischen
Dogma beugen, dem der Geist allein ist, der die
neue deutsche Gesellschaft bauen soll. Politische Spaltung
bekämpft. Ein Augenblick aber wie dieser verlangt von
uns Entscheidungen, die im geistigen Sinne getroffen
werden müssen.
Es ist nicht unsere Absicht, in den Kampf der Wirt-
schaftsauffassungen einzugreifen und zu Steuerfragen etwas
zu sagen, noch zu nehmen wir unsere Haltung gegen Staat
und Gesellschaft die Brücke, den geistigen Menschen das
Land zu schlagen, und nicht zu suchen, die Brücke
über alle Gegensätze der oberflächlichen Forderungen.
Es wäre aber ein wahres Versäumnis,
wenn man im Abwehrkampf gegen Steuer-
lasten die große soziale und kulturelle
Leistung der Wiener Stadtverwaltung
überläge. Diese große und fruchtbare Leistung, welche
die wichtigsten Intellektuellen betrifft, die Jugend nach den besten
Grundsätzen erzieht und unterstützt, den Strom der Kultur
in die Tiefst des Volkes leitet, muss man gerade
jetzt mit allen verfügbaren Mitteln unterstützen,
damit wir sie erhalten und gefördert wissen. Geist
und Humanität sind ein und dasselbe. Sie vermögen die
lautere und gerechte Gegenwehr des materiellen Lebens zu
mildern.
Mögen auch die ökonomischen Bewegungen und
politischen Zeitarbeiten, den Vordergrund be-
kommen, wir werden uns nicht betäuben lassen.
Wir können den Tod des besten Intellektuellen nicht
bringen. Die Wahrheit, dazu der Verstand, die Geis-
tesfähigkeit, das Gute, das Menschliche, sind eine wahre
Weltanschauungspartei zu gründen, die aber zu Verwirklichung nur auf
den Stillstand, ja auf den Rückschritt abzielt.
Aber den Geistes ist vor allem Freiheit, die
jetzt gefährdet ist, und die sich schützen wir
uns verpflichtet fühlen. Das Ringen um eine
höhere Menschlichkeit und der Kampf gegen
Trägheit und Verdummung wird und immer bereit
finden. Er findet uns auch fest bereit.
Dr. Alfred ADLER,
Wien,
Wilhelm BARNER, Schriftsteller,
Arthur BRUTENBAUER, akademischer Maler.
Professor Karl BÜHLER, Vorstand des Psychologischen In-
stituts der Universität Wien.
Franz CIZEK, Professor der Kunstgewerbeschule.
Lea DELEAU, akademischer Maler.
Josef DOBROWSKY, akademischer Maler.
Karl FORESI, Schauspieler und Regisseur des Deutschen
Volkstheaters.
Dr. Sigmund FREUD, Professor an der Universität Wien.
Dr. Max GRAF, Schriftsteller, Professor an der Akademie
für Musik und darstellende Kunst.
Fritz GRÜNBAUM, Schriftsteller, Direktor des Stadt-
theaters.
Dr. Janina GRÜN, Schriftstellerin.
Anton HANAK, akademischer Bildhauer, Professor an der
Kunstgewerbeschule.
Albert HEINE, Hofrat, Direktor des Burgtheaters a. D.
Regisseur und Schauspieler, Professor an der Hochschule für
Musik und darstellende Kunst.
Josef JAHNS, Direktor der Renaissancebühne.
Dr. Hans KELSEN, Professor an der Universität Wien.
Dr. Michael KIEWAI, Komponist.
Theodor KOZAK-TUZENBACH, akademischer Maler.
Dr. Rudolf KRAUS, Professor an der Universität Wien.
Professor Franz LICHTBLAU, Architekt.
Petronius M. MAEDER, Dichter.
Anna Maria MORALES.
Maria MAYER, Burgschauspielerin.
Georg NEIREL, akademischer Maler.
Margarete REINIG.
Dr. Robert RYLIL, Schriftsteller.
Wilhelm REUMBAUER, Professor an der Hochschule für
Bodenkultur.
Ferdinand RAHN, Schauspieler am Deutschen Volkstheater.
Alfred ROLGAR, Schriftsteller.
Professor Otto KRITSCHER, Architekt.
Professor Helene RAAUBERG.
Franz SALMBINGER, Komponist.
Karl SCHNELLER, Schriftsteller.
Dr. Oskar STRNAD, Architekt, Professor an der Kunst-
gewerbeschule.
Dr. Anton WEBERN, Tonkünstler.
Dr. Egon WELLESZ, Dozent an der Universität Wien.
Jenny WURIEL, Schauspielerin.
Professor Karl WITHAUS, Architekten.
Franz ZÜLOW, akademischer Maler.
Ein Zeugnis für die große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Gemeinde
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