S.
Originalarbeiten.
I
Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewuften in der
Psychoanalyse.Von Prof. Dr. Sigm. Freud, LL. D. Wien.)
Ich möchte mit wenigen Worten und so klar als möglich darlegen,
welcher Sinn dem Ausdruck ,Unbewufites in der Psychoanalyse und
nur in der Psychoanalyse zukommt.Eine Vorstellung — oder jedes andere psychische Element — kann
jetzt in meinem Bewußtsein gegenwärtig sein und im nächsten Augen-
blick daraus verschwinden; sie kann nach einer Zwischenzeit ganz
unverändert wiederum auftauchen, und zwar, wie wir es ausdrücken,
aus der Erinnerung, nicht als Folge einer neuen Sinneswahrnehmung.
Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, sind wir zu der Annahme
genötigt, daß die Vorstellung auch während der Zwischenzeit in unserem
Geiste gegenwärtig gewesen sei, wenn sie auch im Bewußtsein latent
blieb. In welcher Gestalt sie aber existiert haben kann, während sie
im Seelenleben gegenwärtig und im Bewußtsein latent war, darüber
können wir keine Vermutungen aufstellen.An diesem Punkte müssen wir darauf gefaßt sein, dem philoso-
phischen Einwurf zu begegnen, daß die latente Vorstellung nicht als
Objekt der Psychologie vorhanden gewesen sei, sondern nur als physische
Disposition für den Wiederablauf desselben psychischen Phänomens, näm-
lich eben jener Vorstellung. Aber wir können darauf erwidern, daß eine
solche Theorie das Gebiet der eigentlichen Psychologie weit überschreitet,
daß sie das Problem einfach umgeht, indem sie daran festhält, daß
„bewußt“ und „psychisch“ identische Begriffe sind, und daß sie offenbar
im Unrecht ist, wenn sie der Psychologie das Recht bestreitet, eine ihrer
gewöhnlichsten Tatsachen, wie das Gedächtnis, durch ihre eigenen Hilfs-
mittel zu erklären.Wir wollen nun die Vorstellung, die in unserem Bewußtsein gegen-
wårtig ist und die wir wahrnehmen, „bewußt“ nennen und nur dies als*) Zuerst englisch erschienen in „Proceedings of The Society for Psychical
Research“ Part LXVI., Vol. XXVI.S.
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Sinn des Ausdruckes „bewußt“ gelten lassen; hingegen sollen latente
Vorstellungen, wenn wir Grund zur Annahme haben, daß sie im Seelen-
leben enthalten sind — wie es beim Gedächtnis der Fall war — mit
dem Ausdruck „unbewußt“ gekennzeichnet werden.Eine unbewußte Vorstellung ist dann eine solche, die wir nicht be-
merken, deren Existenz wir aber trotzdem auf Grund anderweitiger Anzeichen
und Beweise zuzugeben bereit sind.Dies könnte als eine recht uninteressante deskriptive oder klassi-
fikatorische Arbeit aufgefaßt werden, wenn keine andere Erfahrung für
unser Urteil in Betracht käme als die Tatsachen des Gedächtnisses oder
die der Assoziation über unbewußte Mittelglieder. Aber das wohlbekannte
Experiment der „posthypnotischen Suggestion“ lehrt uns an der Wich-
tigkeit der Unterscheidung zwischen bewußt und unbewußt fest-
halten und scheint ihren Wert zu erhöhen.Bei diesem Experiment, wie es Bernheim ausgeführt hat, wird
eine Person in einen hypnotischen Zustand versetzt und dann daraus
erweckt. Während sie sich in dem hypnotischen Zustande, unter dem
Einflusse des Arztes befand, wurde ihr der Auftrag erteilt, eine bestimmte
Handlung zu einem genau bestimmten Zeitpunkt, z. B. eine halbe Stunde
später, auszuführen. Nach dem Erwachen ist allem Anscheine nach
volles Bewußtsein und die gewöhnliche Geistesverfassung wiederum ein-
getreten, eine Erinnerung an den hypnotischen Zustand ist nicht vor-
handen, und trotzdem drängt sich in dem vorher festgesetzten Augen-
blick der Impuls, dieses oder jenes zu tun, dem Geiste auf, und die
Handlung wird mit Bewußtsein, wenn auch ohne zu wissen weshalb,
ausgeführt. Es dürfte kaum möglich sein, eine andere Beschreibung
des Phänomens zu geben, als mit den Worten, daß der Vorsatz im Geiste
jener Person in latenter Form oder unbewußt vorhanden war,
bis: der gegebene Moment kam, in dem er dann bewußt geworden ist.
Aber nicht in seiner Gänze ist er im Bewußtsein aufgetaucht, sondern nur
die Vorstellung des auszuführenden Aktes. Alle anderen mit dieser Vor-
stellung assoziierten Ideen — der Auftrag, der Einfluß des Arztes, die Erin-
nerung an den hypnotischen Zustand, blieben auch dann noch unbewußt.Wir können aber aus einem solchen Experiment noch mehr lernen.
Wir werden von einer rein beschreibenden zu einer dynamischen
Auffassung des Phänomens hinübergeleitet. Die Idee der in der Hypnose
aufgetragenen Handlung wurde in einem bestimmten Augenblick nicht
bloß ein Objekt des Bewußtseins, sondern sie wurde auch wirksam,
und dies ist die auffallendere Seite des Tatbestandes: sie wurde in
Handlung übertragen, sobald das Bewußtsein ihre Gegenwart bemerkt
hatte. Da der wirkliche Antrieb zum Handeln der Auftrag des Arztes
ist, kann man kaum anders als einräumen, daß auch die Idee des Auf-
trages wirksam geworden ist,S.
Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewuften in der Psychoanalyse. 119
Dennoch wurde dieser letztere Gedanke nicht ins Bewußtsein auf-
genommen, wie es mit seinem Abkómmling, der Idee der Handlung
geschah; er verblieb unbewußt und war daher gleichzeitig wirksam
und unbewuft.Die posthypnotische Suggestion ist ein Produkt des Laboratoriums,
eine künstlich geschaffene Tatsache. Aber wenn wir die Theorie der
hysterischen Phänomene, die zuerst durch P. Janet aufgestellt und
von Breuer und mir ausgearbeitet wurde, annehmen, so stehen uns
natürliche Tatsachen in Fülle zur Verfügung, die den psychologischen
Charakter der posthypnotischen Suggestion sogar noch klarer und deut-
licher zeigen.Das Seelenleben des hysterischen Patienten ist erfüllt mit wirk-
samen, aber unbewußten Gedanken; von ihnen stammen alle Symptome
ab. Es ist in der Tat der auffälligste Charakterzug der hysterischen
Geistesverfassung, daß sie von unbewußten Vorstellungen beherrscht wird.
Wenn eine hysterische Frau erbricht, so kann sie dies wohl infolge der
Idee tun, daß sie schwanger sei. Dennoch hat sie von dieser Idee keine
Kenntnis, obwohl dieselbe durch eine der technischen Prozeduren der Psycho-
analyse leicht in ihrem Seelenleben entdeckt und für sie bewußt gemacht
werden kann. Wenn sie die Zuckungen und Gesten ausführt, die ihren
„Anfall“ ausmachen, so stellt sie sich nicht einmal die von ihr be-
absichtigten Aktionen bewußt vor und beobachtet sie vielleicht mit den
Gefühlen eines unbeteiligten Zuschauers, Nichtsdestoweniger vermag
die Analyse nachzuweisen, daß sie ihre Rolle in der dramatischen
Wiedergabe einer Szene aus ihrem Leben spielte, deren Erinnerung wäh-
rend der Attacke unbewußt wirksam war. Dasselbe Vorwalten wirksamer
unbewußter Ideen wird durch die Analyse als das Wesentliche in der
Psychologie aller anderen Formen von Neurose enthüllt.Wir lernen also aus der Analyse neurotischer Phänomene, daß ein
latenter oder unbewußter Gedanke nicht notwendiger Weise schwach sein
muß, und daß die Anwesenheit eines solchen Gedankens im Seelenleben
indirekte Beweise der zwingendsten Art gestattet, die dem direkten durch
das Bewußtsein gelieferten Beweis fast gleichwertig sind. Wir fühlen uns
gerechtfertigt, unsere Klassifikation mit dieser Vermehrung unserer Kennt-
nisse in Übereinstimmung zu bringen, indem wir eine grundlegende Unter-
scheidung zwischen verschiedenen Arten von latenten und unbewußten
Gedanken einführen. Wir waren gewohnt zu denken, daß jeder latente
Gedanke dies infolge seiner Schwäche war, und daß er bewußt wurde,
sowie er Kraft erhielt, Wir haben nun die Überzeugung gewonnen, daß
es gewisse latente Gedanken gibt, die nicht ins Bewußtsein eindringen,
wie stark sie auch sein mögen. Wir wollen daher die latenten Gedanken
der ersten Gruppe vorbewußt nennen, während wir den Ausdruck
unbewußt (im eigentlichen Sinn) für die zweite Gruppe reservieren,S.
120 Sigm. Freud.
die wir bei den Neurosen betrachtet haben. Der Ausdruck unbewuBt,
den wir bisher bloß im beschreibenden Sinne benützt haben, erhält jetzt
eine erweiterte Bedeutung. Er bezeichnet nicht bloB latente Gedanken
im allgemeinen, sondern besonders solche mit einem bestimmten dyna-
mischen Charakter, nämlich diejenigen, die sich trotz ihrer Intensität
und Wirksamkeit dem Bewußtsein ferne halten,' Ehe ich meine Auseinandersetzungen fortführe, will ich auf zwei
Einwendungen Bezug nehmen, die sich voraussichtlich an diesem Punkte
erheben, Die erste kann folgendermaßen formuliert werden: anstatt uns
die Hypothese der unbewußten Gedanken, von denen wir nichts wissen,
anzueignen, täten wir besser anzunehmen, daß das Bewußtsein geteilt
werden kann, so daß einzelne Gedanken oder andere Seelenvorgänge ein
gesondertes Bewußtsein bilden können, das von der Hauptmasse bewußter
psychischer Tätigkeit losgelöst und ihr entfremdet wurde. Wohlbe-
kannte pathologische Fille, wie jener des Dr. A zam, scheinen sehr ge-
eignet zu sein zu beweisen, daß die Teilung des Bewußtseins keine
phantastische Einbildung ist.Ich gestatte mir, dieser Theorie entgegenzuhalten, daß sie einfach
aus dem Mißbrauch mit dem Worte „bewußt“ Kapital schlägt. Wir haben
kein Recht, den Sinn dieses Wortes so weit auszudehnen, daß damit auch
ein Bewußtsein bezeichnet werden kann, von dem sein Besitzer. nichts
weiß. Wenn Philosophen eine Schwierigkeit dabei finden, an die Existenz
eines unbewußten Gedankens zu glauben, so scheint mir die Existenz
eines unbewußten Bewußtseins noch angreifbarer. Die Fälle, die man als
Teilung des Bewußtseins beschreibt, wie der des Dr. Azam, können besser
als Wandern des Bewuftseins angesehen werden, wobei diese Funk-
tion — oder was immer es sein mag — zwischen zwei verschiedenen
psychischen Komplexen hin- und herschwankt, die abwechselnd bewußt
und unbewubt werden.Der andere Einwand, der voraussichtlich erhoben werden wird,
wire der, daß wir auf die Psychologie der Normalen Folgerungen an-
wenden, die hauptsächlich aus dem Studium pathologischer Zustände
stammen. Wir kónnen ihn durch eine Tatsache erledigen, deren Kenntnis
wir der Psychoanalyse verdanken. Gewisse Funktionsstórungen, die sich
bei Gesunden höchst häufig ereignen, z. B. Lapsus linguae, Gedüchtnis-
und Sprachirrtümer, Namenvergessen usw. kónnen leicht auf die Wirk-
samkeit starker unbewufiter Gedanken zurückgeführt werden, gerade so
wie die neurotischen Symptome. Wir werden mit einem zweiten, noch
überzeugenderen Argument in einem späteren Abschnitt dieser Erörterung
zusammentreffen.Durch die Auseinanderhaltung vorbewufter und unbewubter Ge-
danken werden wir dazu veranlaft, das Gebiet der Klassifikation zu
verlassen, und uns über die funktionalen und dynamischen RelationenS.
Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewuften in der Psychoanalyse. 121
in der Tätigkeit der Psyche eine Meinung zu bilden. Wir fanden ein
wirksames Vorbewuftes, das ohne Schwierigkeit ins Bewußtsein
übergeht, und ein wirksames Unbewuftes, das unbewuft bleibt
und vom Bewußtsein abgeschnitten zu sein scheint.Wir wissen nicht, ob diese zwei Arten psychischer Tätigkeit von
Anfang an identisch oder ihrem Wesen nach entgegengesetzt sind, aber
wir kónnen uns fragen, warum sie im Verlaufe der psychischen Vorginge
verschieden geworden sein sollten, Auf diese Frage gibt uns die Psycho-
analyse ohne Zögern klare Antwort. Es ist dem Erzeugnis des wirk-
samen Unbewuften keineswegs unmöglich, ins Bewußtsein einzudringen,
aber zu dieser Leistung ist ein gewisser Aufwand von Anstrengung not-
wendig. Wenn wires an uns selbst versuchen, erhalten wir das deutliche
Gefühl einer Abwehr, die bewiltigt werden muff, und wenn wir es
bei einem Patienten hervorrufen, so erhalten wir die unzweideutigsten
Anzeigen von dem, was wir Widerstand dagegen nennen. So lernen
wir, daß der unbewufte Gedanke vom Bewußtsein durch lebendige
Krifte ausgeschlossen wird, die sich seiner Aufnahme entgegenstellen,
wührend sie anderen Gedanken, den vorbewuften, nichts in den Weg
legen. Die Psychoanalyse läßt keine Möglichkeit übrig daran zu zweifeln,
daß die Abweisung unbewubter Gedanken bloß durch die in ihrem Inhalt
verkórperten Tendenzen hervorgerufen wird. Die nächstliegende und
wahrscheinlichste Theorie, die wir in diesem Stadium unseres Wissens
bilden können, ist die folgende. Das Unbewufte ist eine regelmäßige
und unvermeidliche Phase in den Vorgängen, die unsere psychische
Tätigkeit begründen; jeder psychische Akt beginnt als unbewufter und
kann entweder so bleiben oder sich weiter entwickelnd zum Bewußtsein
fortschreiten, je nachdem, ob er auf Widerstand trifft oder nicht. Die
Unterscheidung zwischen vorbewufter und unbewufter Tätigkeit ist keine
primäre, sondern wird erst hergestellt, nachdem die „Abwehr“ ins Spiel
getreten ist, Erst dann gewinnt der Unterschied zwischen vorbewufiten
Gedanken, die im Bewußtsein erscheinen und jederzeit dahin zurück-
kehren können, und unbewuüten Gedanken, denen dies versagt bleibt,
theoretischen sowie praktischen Wert. Eine grobe, aber ziemlich angemessene
Analogie dieses supponierten Verhältnisses der bewuften Tätigkeit zur
unbewuften bietet das Gebiet der gewöhnlichen Photographie. Das erste
Stadium der Photographie ist das Negativ; jedes photographische Bild
muf den ,negativen Prozef^ durchmachen, und einige dieser Negative,
die in der Prüfung gut bestanden haben, werden zu dem „positiven
Prozeß“ zugelassen, der mit dem Bilde endigt.Aber die Unterscheidung zwischen vorbewufter und unbewufter
Tätigkeit und die Erkenntnis der sie trennenden Schranke ist weder das
letzte noch das bedeutungsvollste Resultat der psychoanalytischen Durch-
forschung des Seelenlebens. Es gibt ein psychisches Produkt, das beiS.
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den normalsten Personen anzutreffen ist und doch eine höchst auffallende
Analogie zu dem wildesten Erzeugnisse des Wahnsinns bietet und den
Philosophen nicht verstindlicher war als der Wahnsinn selbst. Ich
meine die Träume. Die Psychoanalyse gründet sich auf die Traumanalyse;
die Traumdeutung ist das vollståndigste Stück Arbeit, das die junge
Wissenschaft bis heute geleistet hat. Ein typischer Fall der Traum-
bildung kann folgendermaßen beschrieben werden: Ein Gedankenzug ist
durch die geistige Tätigkeit des Tages wachgerufen worden und hat
etwas von seiner Wirkungsfåhigkeit zurückbehalten, durch die er dem
allgemeinen Absinken des Interesses, welches den Schlaf herbeiführt und
die geistige Vorbereitung für das Schlafen bildet, entgangen ist. Während
der Nacht gelingt es diesem Gedankenzug, die Verbindung zu einem der
unbewußten Wünsche zu finden, die von Kindheit an im Seelenleben des
Träumers immer gegenwärtig, aber für gewöhnlich verdrängt und von
seinem bewuBten Dasein ausgeschlossen sind. Durch die von dieser un-
bewuften Unterstützung geliehene Kraft können die Gedanken, die Über-
bleibsel der Tagesarbeit, nun wiederum wirksam werden und im Bewußt-
sein in der Gestalt eines Traumes auftauchen. Es haben sich also
dreierlei Dinge ereignet:1. Die Gedanken haben eine Verwandlung, Verkleidung und Ent-
stellung durchgemacht, welche den Anteil des unbewußten Bundesgenossen
darstellt.2. Den Gedanken ist es gelungen, das Bewußtsein zu einer Zeit zu
besetzen, wo es ihnen nicht zugänglich hätte sein sollen.3. Ein Stück des Unbewußten, dem dies sonst unmöglich gewesen
wäre, ist im Bewußtsein aufgetaucht.Wir haben die Kunst gelernt, die „Tagesreste* und die latenten
Traumgedanken herauszufinden; durch ihren Vergleich mit dem
manifesten Trauminhalt sind wir befähigt, uns ein Urteil über
die Wandlungen, die sie durchgemacht haben, und über die Art und
Weise, wie diese zu stande gekommen sind, zu bilden.Die latenten Traumgedanken unterscheiden sich in keiner Weise
von den Erzeugnissen unserer gewöhnlichen bewußten Seelentätigkeit.
Sie verdienen den Namen von vorbewußten Gedanken und können in
der Tat in einem Zeitpunkte des Wachlebens bewußt gewesen sein. Aber
durch die Verbindung mit den unbewußten Strebungen, die sie während
der Nacht eingegangen sind, wurden sie den letzteren assimiliert, ge-
wissermaßen auf den Zustand unbewußter Gedanken herabgedrückt und
den Gesetzen, durch welche die unbewußte Tätigkeit geregelt wird,
unterworfen. Hier ergibt sich die Gelegenheit zu lernen, was wir auf
Grund von Überlegungen oder aus irgend einer anderen Quelle empi-
rischen Wissens nicht hätten erraten können, daß die Gesetze der unbe-
wußten Seelentätigkeit sich im weiten Ausmaß von jenen der bewußtenS.
Einige Bemerkungen über den Begriff des UnbewuBten in der Psychoanalyse. 123
unterscheiden. Wir gewinnen durch Detailarbeit die Kenntnis der Eigen-
tümlichkeiten des Unbewuften und können hoffen, daß wir durch
griindlichere Erforschung der Vorgänge bei der Traumbildung noch mehr
lernen werden.Diese Untersuchung ist noch kaum zur Hilfte beendet und eine
Darlegung der bis jetzt erhaltenen Resultate ist nicht möglich, ohne in die
höchst verwickelten Probleme der Traumdeutung einzugehen. Aber ich
wollte diese Erörterung nicht abbrechen, ohne auf die Wandlung und den
Fortschritt unseres Verståndnisses des Unbewufiten hinzuweisen, welche
wir dem psychoanalytischen Studium der Träume verdanken,Das Unbewußte schien uns anfangs bloß ein rätselhafter Charakter
eines bestimmten psychischen Vorganges; nun bedeutet es uns mehr, es
ist ein Anzeichen dafür, daß dieser Vorgang an der Natur einer gewissen
psychischen Kategorie teilnimmt, die uns durch andere bedeutsamere
Charakterzüge bekannt ist, und daß er zu einem System psychischer
Tätigkeit gehört, das unsere vollste Aufmerksamkeit verdient. Der Wert
des Unbewußten als Index hat seine Bedeutung als Eigenschaft bei weitem
hinter sich gelassen. Das System, welches sich uns durch das Kenn-
zeichen kundgibt, daß die einzelnen Vorgänge, die es zusammensetzen,
unbewußt sind, belegen wir mit dem Namen „das Unbewußte“, in Er-
mangelung eines besseren und weniger zweideutigen Ausdrucks. Ich
schlage als Bezeichnung dieses Systems die Buchstaben „Ubw.“, eine
Abkürzung des Wortes „Unbewußt“ vor.Dies ist der dritte und wichtigste Sinn, den der Ausdruck „un b e-
wußt“ in der Psychoanalyse erworben hat.
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