Ergänzungen zur Traumlehre 1920-005/1920
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    Prof. Sigm. Freud (Wien), Ergänzungen zur Traumlehre.

    Der Vortragende beschäftigte sich in seinen kurzen Ausführungen mit drei
    Punkten der Traumlehre. Die ersten zwei betrafen den Satz, daß der Traum
    eine Wunscherfüllung sei, und brachten notwendige Modifikationen desselben;
    der dritte Punkt bezog sich auf eine volle Bestätigung seiner Ablehnung der
    sogenannten prospektiven Tendenz des Traumes. Der Vortragende führte aus,
    daß man Grund habe, neben den bekannten Wunschträumen, und den, Angst-
    träumen, die sich der Theorie leicht fügen, eine dritte Kategorie anzuerkennen,
    die er „Strafträume“ nennt. Nimmt man Rücksicht auf die berechtigte An-
    nahme einer besonderen selbstbeobachtenden kritischen Instanz im Ich (Ich-
    ideal, Zensor, Gewissen), so sind auch diese Strafträume der Wunscherfüllungs-
    theorie zu subsummieren, denn sie stellen die Wunscherfüllung dieser kritischen
    Instanz dar. Sie haben etwa dasselbe Verhältnis zu den glatten Wunschträumen,

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    wie die aus Reaktionsbildung hervorgegangenen Symptome der Zwangsneurose
    zu hysterischen Symptomen. Eine ernsthaftere Ausnahme von der Regel, daß
    der Traum eine Wunscherfüllung sei, erblickt Redner in den sogenannten
    „traumatischen“ Träumen, wie sie bei Unfallskranken vorkommen, aber auch
    in den Psychoanalysen Neurotischer die vergessenen psychischen Kindheitstraumen
    wiederbringen. In betreff ihrer Vereinigung mit der Wunscherfüllungstheorie
    verwies er auf eine bald zu veröffentlichende Arbeit des Namens „Jenseits des
    Lustprinzips“.

    Den dritten Punkt seiner Mitteilungen bildete die Erwähnung einer noch
    ungedruckten Untersuchung des Dr. Varendonck aus Gent, dem es ge-
    lungen ist, das unbewußte Phantasieren in Zuständen von Halbschlaf („autisti-
    sches Denken“ von diesem Forscher genannt), in großem Umfang seiner bewußten
    Beobachtung zuzuführen. Es stellte sich dabei heraus, daß das Vorsehen der
    Möglichkeiten des nächsten Tages, die Vorbereitung von Lösungs- und An-
    passungsversuchen u. dgl. durchaus in den Bereich dieser vorbewußten Tätig-
    keit fällt, welche auch die latenten Traumgedanken schafft, und, wie der Vor-
    tragende immer behauptete, nichts mit der Traumarbeit zu tun hat.