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Prof. Sigm. Freud (Wien), Ergänzungen zur Traumlehre.
Der Vortragende beschäftigte sich in seinen kurzen Ausführungen mit drei
Punkten der Traumlehre. Die ersten zwei betrafen den Satz, daß der Traum
eine Wunscherfüllung sei, und brachten notwendige Modifikationen desselben;
der dritte Punkt bezog sich auf eine volle Bestätigung seiner Ablehnung der
sogenannten prospektiven Tendenz des Traumes. Der Vortragende führte aus,
daß man Grund habe, neben den bekannten Wunschträumen, und den, Angst-
träumen, die sich der Theorie leicht fügen, eine dritte Kategorie anzuerkennen,
die er „Strafträume“ nennt. Nimmt man Rücksicht auf die berechtigte An-
nahme einer besonderen selbstbeobachtenden kritischen Instanz im Ich (Ich-
ideal, Zensor, Gewissen), so sind auch diese Strafträume der Wunscherfüllungs-
theorie zu subsummieren, denn sie stellen die Wunscherfüllung dieser kritischen
Instanz dar. Sie haben etwa dasselbe Verhältnis zu den glatten Wunschträumen,S.
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wie die aus Reaktionsbildung hervorgegangenen Symptome der Zwangsneurose
zu hysterischen Symptomen. Eine ernsthaftere Ausnahme von der Regel, daß
der Traum eine Wunscherfüllung sei, erblickt Redner in den sogenannten
„traumatischen“ Träumen, wie sie bei Unfallskranken vorkommen, aber auch
in den Psychoanalysen Neurotischer die vergessenen psychischen Kindheitstraumen
wiederbringen. In betreff ihrer Vereinigung mit der Wunscherfüllungstheorie
verwies er auf eine bald zu veröffentlichende Arbeit des Namens „Jenseits des
Lustprinzips“.Den dritten Punkt seiner Mitteilungen bildete die Erwähnung einer noch
ungedruckten Untersuchung des Dr. Varendonck aus Gent, dem es ge-
lungen ist, das unbewußte Phantasieren in Zuständen von Halbschlaf („autisti-
sches Denken“ von diesem Forscher genannt), in großem Umfang seiner bewußten
Beobachtung zuzuführen. Es stellte sich dabei heraus, daß das Vorsehen der
Möglichkeiten des nächsten Tages, die Vorbereitung von Lösungs- und An-
passungsversuchen u. dgl. durchaus in den Bereich dieser vorbewußten Tätig-
keit fällt, welche auch die latenten Traumgedanken schafft, und, wie der Vor-
tragende immer behauptete, nichts mit der Traumarbeit zu tun hat.
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