S.
internationale Zeitschrift
hir PsychoanalyseHerausgegeben von Sigm. Freud
XXIII. Bau! 1937 Heft 4
Konstruktionen in der Analyse
Von
Sigm. FreudI.
Ein sehr verdienter Forscher, dem ich es immer hoch angerechnet, daß er
der Psychoanalyse Gerechtigkeit erwiesen zu einer Zeit, da die meisten an;
deren sich über diese Verpflichtung hinaussetzten, hat doch einmal eine
ebenso kränkende wie ungerechte Äußerung über unsere analytische Technik
getan. Er sagte, wenn wir einem Patienten unsere Deutungen vertragen, ven
fahren wir gegen ihn nach dem berüchtigten Prinzip: Heads 1 Win, Tails you
base. Das heißt, wenn er uns zustimmt, dann ist es eben recht; wenn er aber
widerspricht, dann ist es nur ein Zeichen seines Widerstandes, gibt uns also
auch recht. Auf diese Weise behalten wir immer recht gegen die hilflose
arme Person, die wir analysieren, gleichgiltig wie sie sich gegen unsere Zu;
mutungen verhalten mag. Da es nun richtig ist, daß ein Nein unseres Pa;
tienten uns im allgemeinen nicht bestimmt, unsere Deutung als unrichtig
aufzugeben, ist eine solche Entlarvung unserer Technik den Gegnern der
Analyse sehr willkommen gewesen. Es verlohnt sich darum, eingehend Claw
zustellen, wie wir das „]a" und das „Nein“ des Patienten während der
analytischen Behandlung, den Ausdruck seiner Zustimmung und seines
Widerspruchs, einzuschätzen pflegen. Freilich wird bei dieser Rechtfertigung
kein ausübender Analytiker etwas erfahren, was er nicht schon weiß.Es ist bekanntlich die Absicht der analytischen Arbeit, den Patienten
dahin zu bringen, daß er die Verdrängungen —- im weitesten Sinne ver;
standen — seiner Frühentw-icklung wieder aufhebe, um sie durch Realu
tionen zu ersetzen, wie sie einem Zustand von psychischer Gereiftheit entu
sprechen würden. Zu diesem Zwecke soll er bestimmte Erlebnisse und die
durch sie hervorgerufenen Affektregungen wieder erinnern, die derzeit beiS.
460 Sign. Freud
ihm vergessen sind. Wir wissen, daß seine gegenwärtigen Symptome und
Hemmungen die Folgen solcher Verdrängungen, also der Ersatz für jenes
Vergessene sind. Was für Materialien stellt er uns zur Verfügung, durch
deren Ausnützung wir ihn auf den Weg führen können, die verlorenen Er;
innerungen wieder zu gewinnen? Mancherlei, Bruchstücke dieser Erinne
rungen in seinen Träumen, an sich von unvergleichlichem Wert, aber in der
Regel schwer entstth durch alle die Faktoren, die an der Traumbildung Am
teil haben; Einfälle, die er produziert, wenn er sich der „freien Assoziation“
überläßt, aus denen wir Anspielungen auf die verdrängten Erlebnisse und
Ahkömrnlinge der unterdrückten Affekt1egungen sowie der Reaktionen
gegen sie herauszufinden vermögen; endlich Andeutung von Wiederholungen
der dem Verdrängten zugehörigen Affekte in wichtigeren oder geringfügigen
Handlungen des Patienten innerhalb wie außerhalb der analytischen Situa
tion. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß das Verhältnis der Übertragung,
das sich zum Analytiker herstellt, besonders geeignet ist, um die Wieden
kehr solcher Affektbeziehungen zu begünstigen. Aus diesem Rohstoff —
sozusagen — sollen wir das Gewünschte herstellen.Das Gewünschte ist ein zuverlässiges und in allen wesentlichen Stücken
vollständiges Bild der vergessenen Lebensjahre des Patienten. Hier werden
wir aber daran gemahnt, daß die analytische Arbeit aus zwei ganz verschiea
denen Stücken besteht, daß sie sich auf zwei gesonderten Schauplätzen vol];
zieht, an zwei Personen vor sich geht, von denen jedem eine andere Aufv
gabe zugewiesen ist. Man fragt sich einen Augenblick lang, warum man auf
diese grundlegende Tatsache nicht längst aufmerksam gemacht wurde, aber
man sagt sich sofort, daß einem hier nichts vorenthalten wurde, daß es sich
um ein allgemein bekanntes, sozusagen selbstverständliches Faktum handelt,
das nur hier in einer besonderen Absicht herausgehoben und für sich ga
würdigt wird. Wir wissen alle, der Analysierte soll dazu gebracht werden,
etwas von ihm Erlebtes und Verdrängtes zu erinnern, und die dynamischen
Bedingungen dieses Vorgangs sind so interessant, daß das andere Stück der
Arbeit, die Leistung des Analyükers, dagegen in den Hintergrund rückt. Der
Analytiker hat von dem, worauf es ankommt, nichts erlebt und nichts ver;
drängt; seine Aufgabe kann es nicht sein, etwas zu erinnern, Was ist also
seine Aufgabe? Er hat das Vergessene aus den Anzeichen, die es hinter;
lassen, zu erraten oder, richtiger ausgedrückt, zu k o n s tr u ie r e n. Wie,
wann und mit welchen Erläuterungen er seine Konstruktionen dem Analy;
sierten mitteilt, das stellt die Verbindung her zwischen beiden Stücken der
analytischen Arbeit, zwischen seinem Anteil und dem des Analysierten.Seine Arbeit der Konstruktion oder, wenn man es so lieber hört, der Rot
S.
Konstruktionen in der Analyse 461
konstruktion, zeigt eine weitgehende Übereinstimmung mit der des Archäo;
lagen, der eine zerstörte und verschüttete Wohnstätte oder ein Bauwerk der
Vergangenheit ausgräbt. Sie ist eigentlich damit identisch, nur daß der Ania!
lyti.ker unter besseren Bedingungen arbeitet, über mehr Hilfsmaterial ver;
fügt, weil er sich um etwas noch Lebendes bemüht, nicht um ein zerstörtes
Objekt, und vielleicht auch noch aus einem anderen Grunde. Aber wie der
Archäologe aus stehengebliebenen Mauerresten die Wandungen des Ge
bäudes aufbaut, aus Vertiefungen im Boden die Anzahl und Stellung von
Säulen bestimmt, aus den im Schutt gefundenen Resten die einstigen Wand;
verzierungen und Wandgemälde wiederherstellt, genau so geht der Ana;
lytiker vor, wenn er seine Schlüsse aus Erinnerungsbrocken, Assoziationen
und aktiven Äußerungen des Analysierten zieht. Beiden bleibt das Recht
zur Rekonstruktion durch Ergänzung und Zusammenfügung der erhaltenen
Reste unbestritten. Auch manche Schwierigkeiten und Fehlerquellen sind für
beide Fälle die nämlichen. Eine der heikelsten Aufgaben der Archäologie
ist bekanntlich die Bestimmung des relativen Alters eines Fundes, und wenn
ein Objekt in einer bestimmten Schicht zum Vorschein kommt, bleibt es oft
zu entscheiden, ob es dieser Schicht angehört oder durch eine spätere Stö;
rung in die Tiefe geraten ist. Es ist leicht zu erraten, was bei den analytisdien
Konstruktionen diesem Zweifel entspricht.Wir haben gesagt, der Analytiker arbeite unter günstigeren Verhältnissen
als der Archäolog, weil er auch über Material verfügt, zu dem die Ausa
grabungen kein Gegenstück bringen können, z. B. die Wiederholungen von
aus der Frühzeit stammenden Reaktionen und alles, was durch die Über;
nagung an solchen Wiederholungen aufgezeigt wird. Außerdem kommt aber
in Betracht, daß der Ausgr‘a'ber es mit zerstörten Objekten zu tun hat, von
denen große und Wichtige Stücke ganz gewiß verloren gegangen sind, durch
mechanische Gewalt, Feuer und Plünderung. Keiner Bemühung kann es ge;
lingen, sie aufzufinden, um sie mit den erhaltenen Resten zusammenzusetzen.
Man ist einzig und allein auf die Rekonstruktion angewiesen, die sich darum
oft genug nicht über eine gewisse Wahrscheinlichkeit erheben kann. Anders
ist es mit dem psychischen Objekt, dessen Vorgeschichte der Analytiker era
heben will. Hier trifft regelmäßig zu, was sich beim archäologischen Objekt
nur in glücklichen Ausnahmsfällen ereignet hat wie in Po rn pe ji und mit
dem Grab des Tu tankhamen. Alles Wesentliche ist erhalten, selbst was
vollkommen vergessen scheint, ist noch irgendwie und irgendwo vorhanden,
nur verschüttet, der Verfügung des Individuums unzugänglich gemacht. Man
darf ja bekanntlich bezweifeln, ob irgend eine psychische Bildung wirklich
voller Zerstörung anheirnfällt. Es ist nur eine Frage der analytischen Technik,S.
462 Sign, Freud
ob es gelingen wird, das Verborgene vollständig zum Vorschein zu bringen.
Dieser außerordentlichen Bevorzugung der analytischen Arbeit stehen nur
zwei andere Tatsachen entgegen, nämlich daß das psychische Objekt unvenu
gleichlich komplizierter ist als das materielle des Ausgräbers und daß unsere
Kenntnis nicht genügend vorbereitet ist auf das, was wir finden sollen, da
dessen intime Struktur noch so viel Geheimnisvolles birgt. Und nun kommt
unser Vergleich der beiden Arbeiten auch zu seinem Ende, denn der Haupt;
unterschied der beiden liegt darin, daß für die Archäologie die Rekonstruka
tion das Ziel und das Ende der Bemühung ist, für die Analyse aber ist die
Konstruktion nur eine Vorarbeit.II.
Vorarbeit allerdings nicht in dem Sinne, daß sie zuerst als Ganzes er;
ledigt werden müßte, bevor man das Nächste beginnt, etwa wie bei einem
Hausbau, wo alle Mauern aufgerichtet und alle Fenster eingesetzt sein
müssen, ehe man sich mit der inneren Dekoration der Gemächer beschäftigen
kann. Jeder Analytiker weiß, daß es in der analytischen Behandlung anders
zugeht, daß beide Arten von Arbeit nebeneinander herlaufen, die eine immer
voran, die andere an sie anschließend. Der Analytiker bringt ein Stück Kam
struktion fertig, teilt es dem Analysierten mit, damit es auf ihn wirke; dann
konstruiert er ein weiteres Stück aus dem neu zustaömenden Material, ver;
fährt damit auf dieselbe Weise, und in solcher Abwechslung weiter bis zum
Ende. Wenn man in den Darstellungen der analytischen Technik so wenig
von „Konstruktionen“ hört, so hat dies seinen Grund darin, daß man an;
statt dessen von „Deutungen“ und deren Wirkung spricht. Aber ich meine,
Konstruktion ist die weitaus angemessenen Bezeichnung. Deutung bezieht
sich auf das, was man mit einem einzelnen Element des Materials, einem
Einfall, einer Fehlleistung u. dgl. vornimmt. Eine Konstruktion ist es aber,
wenn man dem Analysierten ein Stück seiner vergessenen Vorgeschichte etwa
in folgender Art verführt: Bis zu Ihrem nten Jahr haben Sie sich als
alleinigen und unbeschränkten Besitzer der Mutter betrachtet, dann kam ein
zweites Kind und mit ihm eine schwere Enttäuschung. Die Mutter hat Sie
für eine Weile verlassen, sich auch später Ihnen nicht mehr ausschließlich
gewidmet. Ihre Empfindungen für die Mutter wurden ambivalent, der Vater
gewann eine neue Bedeutung für Sie und so weiter.In unserem Aufsatz ist unsere Aufmerksamkeit ausschließlich dieser Vor;
arbeit der Konstruktionen zugewendet. Und da erhebt sich zu allererst die
Frage, welche Garantien haben wir während der Arbeit an den Konstrukn
tionen, daß wir nicht irre gehen und den Erfolg der Behandlung durch die!S.
Konstruktionen in der Analyse 453
ngetung einer unrichtigen Konstruktion aufs Spiel setzen? Es mag uns
scheinen, daß diese Frage eine allgemeine Beantwortung überhaupt nicht zur
läßt, aber noch vor dieser Erörterung Wollen wir einer trostreichen Auskunft
lauschen, die uns die analytische Erfahrung gibt. Die lehrt uns nämlich,. es
bringt keinen Schaden, wenn wir uns einmal geirrt und dem Patienten eine
umightige Konstruktion als die wahrscheinliche historische Wahrheit vor;
gefiagen haben. Es bedeutet natürlich einen Zeitverlust, und wer dem Pa;
tiean immer nur irrige Kombinationen zu erzählen weiß, wird ihm keinen
guten Eindruck machen und es in seiner Behandlung nicht weit bringen, aber
ein einzelner solcher Irrtum ist harmlos. Was in solchem Falle geschieht,
ist vielmehr, daß der Patient wie unberührt bleibt, weder mit Ja noch mit
Nein darauf reagiert. Das kann möglicherweise nur ein Aufschub seiner
Reaktion sein; bleibt es aber so, dann dürfen wir den Schluß ziehen, daß wir
uns geirrt haben, und werden dies ohne Einbuße an unserer Autorität bei
passender Gelegenheit dem Patienten eingestehen. Diese Gelegénheit ist gen
geben, wenn neues Material zum Vorschein gekommen ist, das eine bessere
Konstruktion und somit die Korrektur des Irrtums gestattet. Die falsche
Konstruktion fällt in solcher Art heraus, als ob sie nie gemacht werden wäre,
ja in manchen Fällen gewinnt man den Eindruck, als hätte man, mit Polod
nius zu reden, den Wahrheitskarpfen grade mit Hilfe des Lügenköders ga
fangen. Die Gefahr, den Patienten durch Suggestion irre zu führen, indem
man ihm Dinge „einredet“, an die man selbst glaubt, die er aber nicht an,;
nehmen sollte, ist sicherlich maßlos übertrieben werden. Der Analytiker
müßte sich sehr inkorrekt benommen haben, wenn ihm ein solches Mißge«
schick zustoßen könnte; vor allem hätte er sich vorzuwerfen, daß er den
Patienten nicht zu Wort kommen ließ. Ich kann ohne Ruhmredigkeit be;
haupten, daß ein solcher Mißbrauch der „Suggestionu in meiner Tätigkeit
sich niemals ereignet hat.Aus dem Vorstehenden geht bereits hervor, daß wir keineswegs geneigt
sind, die Anzeichen zu vernachlässigen, die sich aus der Reaktion des Pa;
tienten auf die Mitteilung einer unserer Konstruktionen ableiten. Wir wollen
diesen Punkt eingehend behandeln. Es ist richtig, daß wir ein „Nein“ des
Analysierten nicht als vollwertig hinnehmen, aber ebensowenig lassen wir
sein "Ja" gelten; es ist ganz ungerechtfertigt, uns zu beschuldigen, daß wir
sein-e Äußerung in allen Fällen in eine Bestäfigung umdeutien. In Wirklich:
keit geht es nicht so einfach zu, machen wir uns die Entscheidung nicht so
leicht.Das direkte „]a“ des Analysierten ist vieldeutig. Es kann in der Tat am;
zeigen, daß er die vernornmene Konstauktion als richtig anerkennt, es kannS.
464 Sign. Freud
aber auch bedeutungslos sein oder selbst, was wir „heuchlerisch" heißen
können, indem es seinem Widerstand bequem ist, die nicht aufgedeckte
Wahrheit durch eine solche Zustimmung weiterhin zu verbergen. Einen
Wert hat: dies Ja nur, wenn es von indirekten Bestätigungen gefolgt wird,
wenn der Patient in unmittelbarem Anschluß an sein Ja neue Erinnerungen
produziert, welche die Konstruktion ergänzen und erweitern. Nur in diesem
Falle anerkennen wir das „Ja“ als die volle Erledigung des betreffenden
Punktes.Das Nein des Analysierten ist ebenso vieldeutig und eigentlich noch
weniger verwendbar als sein ja. In seltenen Fällen erweist es sich als Aus;
druck berechtigter Ablehnung; ungleich häufiger ist es Äußerung eines
Widerstandes, der durch den Inhalt der mitgeteilten Konstruktion hervor;
gerufen wird, aber ebensowohl von einem anderen Faktor der komplexen
analytischen Situation herrühren kann. Das Nein des Patienten beweist also
nichts für die Richtigkeit der Konstruktion, es verträgt sich aber sehr gut
mit dieser Möglichkeit. Da jede solche Konstruktion unvollständig ist, nur
ein Stückchen des vergessenen Geschehens erfaßt, steht es uns frei arm»
nehmen, daß der Analysierte nicht eigentlich das ihm Mitgeteilte leugnet‚
sondern seinen Widerspruch von dem noch nicht aufgedeckten Anteil her
aufrecht hält. Er wird in der Regel seine Zustimmung erst dann äußern, wenn
er die ganze Wahrheit erfahren hat, und die ist oft recht weitläufig. Die einzig
sichere Deutung seines „Nein“ ist also die auf Unvollständigkeit; die Kom
struktion hat: ihm gewiß nicht alles gesagt.Es ergibt sich also, daß man aus den direkten Äußerungen des Patienten
nach der Mitteilung einer Konstruktion wenig Anhaltspunkte gewinnen kann,
ob man richtig oder unrichtig geraten hat. Umso interessanter ist es, daß es
indirekte Arten der Bestätigung gibt1 die durchaus zuverlässig sind. Eine der;
selben ist eine Redensart, die man in wenig abgeänderten Worten von den
verschiedensten Personen wie über Verabredung zu hören bekommt. Sie
lautet: Das (daran) habe ich (oder: hätte ich) nie gedacht. Man
kann diese Äußerung unbedenklich übersetzen: Ja, Sie haben das Unbe4
wu ß te in diesem Falle richtig getroffen. Leider hört man die dem Analyt
tiker so erwünschte Formel häufiger nach Einzeldeutungen als nach der Mit!
teilung umfangreicher Konstruktionen. Eine ebenso wertvolle Bestätigung,
diesmal positiv ausgedrückt, ist es, wenn der Analysierte mit einer Assozia;
tion antwortet, die etwas dem Inhalt der Konstruktion Ähnliches oder Ana:
]oges enthält. Anstatt eines Beispieles hiefür aus einer Analyse, das leicht
aufzufinclen, aber weitläqu darzustellen wäre, möchte ich hier ein kleines
außeranalyt-isches Erlebnis erzählen, das einen solchen Sachverhalt mit beinS.
Konstruktionen in der Analyse 455
nahe komisch wirkender Eindringlichkeit darstellt. Es handelte sich um einen
Kollegen, der mich — es ist lange her — zum Knnsiliarius in seiner ärzte
lichen Tätigkeit gewählt hatte. Eines Tages aber brachte er mir seine junge
Frau, die ihm Ungdegenheiten bereitete. Sie verweigerte ihm unter allerlei
Von-ändern den sexuellen Verkehr, und er erwartete offenbar von mit, daß
ich sie über die Folgen ihres unzweckmäßigen Benehmens aufklären sollte.
Ich ging darauf ein und setzte ihr auseinander, daß ihre Weigerung bei ihrem
Mann wahrscheinlich bedauetliche Gesundheitsstörungen oder Versuchungen
hervorrufen würde, die zum Verfall ihrer Ehe fiihren könnten. Dabei unten
brach er mich plötzlich, um mir zu sagen: Der Engländer, bei dem Sie einen
Hirntumor diagnostiziert haben, ist auch schon gestorben. Die Rede schien
zuerst unverständlich, das auch im Satze rätselhalt, es war von keinem
anderen Gestorbenen gesprochen worden. Eine kurze Weile später verstand
ich. Der Mann wollte mich offenbar bekräftigen, er wollte sagen: Ja, Sie
haben ganz gewiß recht, Ihre Diagnose bei dem Patienten hat sich auch
bestätigt. Es war ein volles Gegenstück zu den indirekten Bestätigungen
durch Assoziationen, die wir in den Analysen erhalten. Daß an der Äuße;
rung des Kollegen auch andere, von ihm beiseite geschobene Gedanken einen
Anteil gehabt haben, will ich nicht bestreiten.Die indirekte Bestätigung durch Assoziationen, die zum Inhalt der Kom
struktion passen, die ein solches „auch" mit sich bringen, gibt unserem
Urteil wertvolle Anhaltspunkte, um zu erraten, ob sich diese Konstruktion
in der Fortsetzung der Analyse bewahrheiten wird. Besonders eindrucksvoll
ist auch der Fall, wenn sich die Bestätigung rnit Hilfe einer Fehlleistung in
den direkten Widerspruch einschleicht. Ein schönes Beispiel dieser Art habe
ich früher einmal an anderer Stelle veröffentlicht. In den Träumen des Pa
tienten tauchte wiederholt der in Wien wohlhekannte Name _]auner auf,
ohne in seinen Assoziationen genügende Aufklärung zu finden. Ich ver»
suchte dann die Deutung, er meine wohl G au ner, wenn er ]aun er sage,
und der Patient antwortete prompt: Das scheint mir doch zu jewa gt. Oder
der Patient will die Zumutung, daß ihm eine bestimmte Zahlung zu hoch
erscheine, mit den Worten zurückweisen: Zehn Dollars spielen bei mir keine
Rolle, setzt aber anstatt Dollars die niedrigere Geldstthe ein und sagt: Zehn
Schilling.Wenn die Analyse unter dem Druck starker Momente steht, die eine negaa
tive therapeutische Reaktion erzwingen, wie Schuldbewußtsein, mass);
chistische3 Lcidensbedürfnis, Sträuben gegen die Hilfeleistung des Analyu
tikers, macht das Verhalten des Patienten nach der Mitteilung der Konstrukxstion uns oft die gesuchte Entscheidung sehr leicht. Ist die Konstruktion
Int. z=n„1u. !. Psychoanalyse. mm 50S.
466 Sign. Freud
falsch, so ändert sich nichts beim Patienten; wenn sie aber richtig ist oder
eine Annäherung an die Wahrheit bringt, so reagiert er auf sie mit einer
unverkennbaren Verschlimmerung seiner Symptome und seines Allgemeiru
befindens.Zusammenfassend werden wir feststellen, wir verdienen nicht den Von;
Wurf, daß wir die Stellungsnahme des Analysierten zu unseren Konstruk;
tionen geringschätzig zur Seite drängen. Wir achten auf sie und entnehmen
ihr oft wertvolle Anhaltspunkte. Aber diese Reaktionen dm Patienten sind
zumeist vieldeutig und gestatten keine endgültige Entscheidung Nur die
Fortsetzung der Analyse kann die Entscheidung über Richtigkeit oder Un;
brauchbarkeit unserer Konstruktion bringen. Wir gehen die einzelne Kam
struktion für nichts anderes aus als für eine Vermutung, die auf Prüfung,
Bestätigung oder Verwerfung wartet. Wir beanspruchen keine Autorität für
sie, fordern vom Patienten keine unmittelbare Zustimmung, diskutieren nicht
mit ihm, wenn er ihr zunächst widerspricht. Kurz, wir benehmen uns nach
dem Vorbild einer bekannten Ne stro y sehen Figur, des Hausknechts, der
für alle Fragen und Einwendungen die einzige Antwort bereit hat: Im
Laufe der Begebenheiten wird alles klar werden.III.
Wie dies in der Fortsetzung der Analyse vor sich geht, auf welchen
Wegen sich unsere Vermutung in die Überzeugung des Patienten verwandelt.
das darzustellen lohnt kaum der: Mühe; es ist aus täglicher Erfahrung jedem
Analytiker bekannt und bietet dem Verständnis keine Schwierigkeit. Nur
ein Punkt daran verlangt nach Untersuchung und Aufklärung. Der Weg,
der von der Konstruktion des Analytikers ausgeht, sollte in der Erinnerung
des Analysierten enden; er führt nicht immer so Weit. Oft genug gelingt es
nicht, den Patienten zur Erinnerung des Verdrängten zu bringen. Anstatfi
dessen erreicht man bei ihm durch korrekte Ausführung der Analyse eine
sichere Überzeugung von der Wahrheit der Konstruktion, die therapeutisch
dasselbe leistet wie eine wiedergewonnene Erinnerung. Unter welchen Um;
Ständen dies geschieht und wie es möglich wird, daß ein scheinbar unvoll;
kommener Ersatz doch die volle Wirkung tut, das bleibt ein Stoff für spätere
Forschung.Ich werde diese kleine Nlitteilung mit einigen Bemerkungen beschließen,
die eine weitere Perspektive eröffnen. Es ist mir in einigen Analysen aufge:
fallen. daß die Mitteilung einer offenbar zutreffenden Konstruktion ein über;
raschendes und zunächst unverständliches Phänomen bei den AnalysiertenS.
Konstruldionen in der Analyse 467
zum Vorschein brachte. Sie bekamen lebhafte Erinnerungen, von ihnen selbst
315 „überdeutlieh“ bezeichnet, aber sie erinnerten nicht etwa die Begebenheit,
die der Inhalt der Konstruktion war, sondern Details, die diesem Inhalt nahe«
standen, z. B. die Gesichter der darin genannten Personen überscharf, oder
die Räume, in denen sich Ähnliches hätte zutragen können, oder, ein Stück
weiter weg, die Einrichtungsgegenstände dieser Räumlichkeiten, von denen
die Konstruktion natürlich nichts hatte wissen können. Dies geschah eben;
sowohl in Träumen unmittelbar nach der Mitteilung als auch im Wachen in
phantasieartigen Zuständen. An diese Erinnerungen selbst schloß weiter
nichts an; es lag dann nahe, sie als Ergebnis eines Kompromisses aufm;
fassen. Der „Auftxieb" des Verdrängten, durch die Mitteilung der Konstruk;
tion rege geworden, hatte jene bedeutsamen Erinnerungsspuren zum Bewußt;
sein tragen wollen; einem Widerstand war es gelungen, zwar nicht die Ba
wegung aufzuhalten, aber wohl sie auf benachbarte, nebensächliche Objekte
zu verschieben.Diese Erinnerungen hätte man I'Ialluzinationtän nennen können, wenn zu
ihrer Deutlichkeit der Glaube an ihre Aktualität hinzugekommen wäre. Aber
die Analogie gewann an Bedeutung, als ich auf das gelegentliche Vorkommen
wirklicher Halluzinationen bei anderen, gewiß nicht psychotischen, Fällen
aufmerksam wurde. Der Gedankengang ging dann weiter: Vielleicht ist es
ein allgemeiner Charakter der Halluzination, bisher nicht genug gewürdigt,
daß in ihr etwas in der Frühzeit Erlebtes und dann Vergessenes wiederkehrt,
etwas was das Kind gesehen oder gehört zur Zeit, da es noch kaum sprach::
fähig war, und was sich nun dem Bewußtsein aufdrängt, wahrscheinlich ent—
stellt und verschoben in Wirkung der Kräfte, die sich einer solchen Wieder;
kehr widersetzen Und bei der nahen Beziehung der Halluzination zu be:
stimmten Formen von Psychose darf unser Gedankengang noch weiter
greifen. Vielleicht sind die Wahnbildungen, in denen wir diese Halluzia
nationen so regelmäßig eingefügt finden, selbst nicht so unabhängig vom
Auftrieb des Unbewußten und von der Wiederkehr des Verdrängten, wie
wir gemeinhin annehmen. Wir betonen im Mechanismus einer Wahm
bildung in der Regel nur zwei Momente, die Abwendung von der Realwelt:
und deren Motive einerseits und den Einfluß der Wunscherfüllung auf den
Inhalt des Wahns anderseits. Aber kann der dynamische Vorgang nicht
eher der sein, daß die Abwendung von der Realität vom Auftrieb des Ver.
drängten ausgenützt wird, um seinen Inhalt dem Bewußtsein aufzudrängen,
wobei die bei diesem Vorgang erregten Widerstände und die Tendenz zur
Wunscherfiillung sich in die Verantwortlichkeit fiir die Entstellung und Veraschiebung des Wiedererinnerten teilen? Das ist doch auch der uns bekannte
30°S.
468 Siam. Freud
Mechanismus des Traumes, den schon uralte Ahnung dem Wahnsinn gleich;
gesetzt hat. 'Ich glaube nicht, daß diese Auffassung des Wahns vollkommen neu ist,
aber sie betont doch einen Gesichtspunkt, der für gewöhnlich nicht in den
Vordergrund gerückt wird. Wesentlich an ihr ist die Behauptung, daß der
Wahnsinn nicht nur Methode hat, wie schon der Dichter erkannte, sondern
daß auch ein Stück historischer Wahrheit in ihm enthalten ist, und
es liegt uns nahe, anzunehmen, daß der zwanghafte Glaube, den der Wahn
findet, gerade aus solch infantiler Quelle seine Stärke bezieht. Mit stehen
heute, um diese Theorie zu erweisen, nur Reminiszenzen zu Gebote, nicht
frische Eindrücke. Es würde wahrscheinlich die Mühe lohnen, wenn man
versuchte, enßprechende Krankheitsfälle nach den hier entwickelten Voraus;
setzungen zu studieren und. auch ihre Behandlung danach einzurichten. Man
würde die Vergebliche Bemühung aufgeben, den Kranken von dem Insinn
seines Wahns, von seinem Widerspruch zur Realität, zu überzeugen und viele
mehr in der Anerkennung des Wahrheitskems einen gemeinsamen Boden
finden. auf dem sich die therapeutische Arbeit entwickeln kann. Diese Ar;
beit bestünde darin, das Stück historischer Wahrheit von seinen Entsbel;
lungen und Anlehnungen an die reale Gegenwart zu befreien und es zurecht;
zurücken an die Stelle der Vergangenheit, der es zugehört. Die Verrücku.ng
aus der vergessenen Vorzeit in die Gegenwart oder in die Erwartung der Zu;
kunft ist ja ein regelmäßiges Vorkommnis auch beim Neurotiker. Oft genug,
wenn ihn ein Angstzustand erwarten läßt, daß sich etwas Schreckliches era
eignen wird, steht er bloß unter dem Einfluß einer verdrängten Erinnerung,
die zum Bewußtsein kommen möchte und nicht bewußt werden kann, daß
etwas damals Schreckhaftes sich wirklich ereignet hat, Ich meine, man wird
aus solchen Bemühungen an Psychotikem sehr viel Wertvolles erfahren,
auch wenn ihnen der therapeutische Erfolg versagt bleibt.Ich weiß, daß es nicht verdienstlich ist, ein so wichtiges Thema so beis
läufig zu behandeln, wie es hier geschieht. Ich bin dabei der Verlockung
einer Analogie gefolgt. Die Wahnbildungen der Kranken erscheinen mir
als Äquivalente der Konstruktionen, die wir in den analytischen Behanda
lungen aufbauen, Versuche zur Erklärung und Wiederherstellung, die unter
den Bedingungen der Psychose allerdings nur dazu führen können, das Stück
Realität, das man in der Gegenwart verleugnet, durch ein anderes Stück zu
ersetzen, das man in früher Vorzeit gleichfalls verleugnet hatte. Die intimen
Beziehungen zwischen dem Stoff der gegenwärtigen Verleugnung und dem
der damaligen Verdrängung aufzudecken, wird die Aufgabe der Einzel;
untersuchung. Wie unsere Konstruktion nur dadurch wirkt, daß sie einS.
Knmtrukflonen in de! Andyle 469
orengegangener Lebensgeschichte wiederhringt. so denkt auch des
seine überzeugende Kraft dem Anteil historischer Wahrheit, den er
edle der ahgewiesenen Realität einsetzt. In solcher Art würde auch}
4 1 sich dem Sehe unterwerfen, den ich früher einmal nur fiir die
ausgesprochen habe, der Kranke leide an seinen Reminiszenzxen.
- Fomel wollte auch damals nicht die Komplikation der Krank:
chung bstleihen und die Wirkung so vieler anderer Momente
eßen.
man die Menschheit als ein Ganzes und setzt sie an die Stelle des
„ menschlichen Individuums, so findet man, daß auch sie Wahn-
‚„ entwickelt hat. die der logischen Kritik unzugänglich sind
Wirklichkeit widersprechen. Wenn sie trotzdem eine außerordenta
Gewalt über die Menschen äußem können, so führt die Untersuchung
'chen Schluß wie beim einzelnen Individuum. Sie danken ihre Macht
Gehalt an historischer Wahrheit. die sie aus der Verdxängung
. .. Uneiten heraufgeholt haben.S.
XXIII. Band 1937 Heft 4
——lnternationale Zeitschrift
für PsychoanalyseOiiiziellcs Organ der internationalen Psyd\oanalytischen Vereinigung
Heraussesehen von
Sigm. Freucl
Unter Miiwixkung von
4 Felix Boehm G. Bose M. Eitingon ]. E. G. van Emden Thomas M. French
min. Kalkan: Jerusalem Hai; Chiengo
Lewis E. Hill 5. Hollés Ernest Jones ]. W. Kannabich Bertram D. Lewin
Ballimnre Endzput Landau Moxkau New York
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Wien WimSigm. Freud ........ Konstruktionen in der Analyse
Helene Deutsch ..... Uber das induzierte Irresein (Folie 21 deux)
‘ ]eanneLampl-deGroot. Masochismus und NarzißmusTherese Benedek . . . Abwehrmechanismen und Ichstruktur
]. H. van der Heap . . . Die Objektivität des Analytikers
Philip R. Lehrman . . . Über einige unbewußte Komponenten beim
Mord
Paul Schilder ....... Zur Psychoanalyse der Benzhedrinwirkung
Gustaw Bychowski . Psychoanalyse im hypoglykämischen Zustand
René Spitz ........ Familienneurose und neurotische FamilieRodolphe Loewenstein . Bemerkungen zur Theorie des therapeutischen
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Referate
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