S.
Meine Berührung mit
Josef PopperilynlkcüsVnn
Sigma. FreudDie im 15. Jahrgang rieirende Zein‚drrifr ‚Allgemeine Nähr-
pflicht“ (herausgegeben vom Verein gleidxen Nemene, Wien, m., Reis-
nernreße 16) hat zum zehnjihrigen Tod.:srage vun ]nref Pnpper.i.y‚„
kr: us eine reichhaltige G:dcnknummer herausgegeben. Sie enriräie die von
mr. Heinrich und-„„ var dem Pnpper-Lynkeus-Denkmal gehal-
rene Rede, Beirrige von Prof. Einsrein, Prof, Max Adler, Pral'. R. v, Mises.
Raoul Auernheimer u. =. und auch einen Originalbeilrag von Sigmund
Freud. Der Schöpfer der Psychuznzlyse irre sida bereit.: einrrnd (vgl. Ges.
Sdrril'ren, Bd. XI, 5. 295 E) über eine Beziehung der Pnpper.Lynkeur'rdren
Anrdrnuungen zur pdydznanalytisrhen Traumdeutung gedußerr. und daß er
nun ausführlidaer zurürkknmmt auf reine „Berührung“ rnir dern ,reiriidnen,
grnßen— Zeilgenosdm, den er _ wiewnhl jahrzehntelang in derselben Srrdr
lebend —peraönlich nie sah, wird die Leser dieser Zeitschrift besonders
interessieren Wir gehen daher Freudr Beitrag zur Gedenknurnrner hier
wieder.Es war im Winter 1899, daß mein Buch „Die Traumdeutung“, ins
neue Jahrhundert vordatiert, endlich vor mir lag. Dieses Werk war
das Ergebnis einer vier- bis fünfjährigen Arbeit, auf nicht gewöhn-
liche An entstanden. Für Nervenkrankheiten an der Universität habili-
tiert, hatte ich versucht, mich selbst und meine rasch angewachsene
Familie durch ärztliche Hilfeleistung an die sogenannten „Nervösm“
zu erhalten, deren es in unserer Gesellschaft nur zu viele gab. Aber
die Aufgabe erwies sich als schwerer, als ich erwartet hatte. Die ge-
bräuchlichen Behandlungsmerhoden nützten nifenbar nichts oder zu
wenig, man mußte neue Wege suchen. Und wie wollte man über-
haupt den Kranken helfen, wenn man nichts von ihren Leiden ver—
stand, nichts von der Verursaehung ihrer Beschwerden, von der Be-
deutung ihrer Klagen? Ich sudne also eifrig nach Anhalt und Unter-
weisung bei Meister Charcot in Paris, bei Bernheim in Nancy;
eine Beobadrtung meines überlegenen Freundes Josef Breuer in
Villen schien endlich neue Aussicht auf Verständnis und therapeuti-
schen Einfluß zu eröffnen.m Blwrgung iv — 113 — 5
S.
Diese neuen Erfahrungen brachten es nämlich zur Gewißhcit, daß
die von uns nervös genannten Kranken in gewissem Sinne an psyd1i.
schen Störungen litten und daher mit psyd1ischen Mitteln zu behan.
dell] waren. Unser Interesse mußte sich der Psychologie zuwenden.
Was nun die in den Philosophenschulen herrschende Seelenwissen.
schaft gehen konnte, war freilich geringf gig und für unsere Zwecke
unbrauchbar; wir hatten die Methoden, wie deren theoretische Voraus»
setzungen neu zu finden, Ich arbeitete also in dieser Richtung zuerst
in Gemeinschaft mit Breuer, dann unabhängig von ihm. Am Ende
wurde es ein Stück meiner Technik, daß ich die Kranken aufforderte,
mir kritiklus mitzuteilen, was immer durch ihren Sinn ging, auch
solche Einfällc, deren Berechtigung sie nicht verstanden, deren Mit.—
teilung ihnen peinlids war.Wenn sie meinem Verlangen nachgaben, erzählten sie mit auch
ihre Träume, als ob diese von derselben Art wären wie ihre anderen
Gedanken. Es war ein deutlicher Wink, diese Träume zuwerten wie andere
verständliche Produktionen. Aber sie waren nicht verständlich, sondern
fremdartig, verworren, absurd, wie eben Träume sind und weshalb sie von
der Wissenschaft als sinn— und zwecklose Zuckungen am Seelenorgan
verurteilt wurden. Wenn meine Patienten recht hatten, die ja nur den
Jahrtausende alten Glauben der unwisscnschaftlichen Menschheit zu
wiederholen schienen, so stand ich vor der Aufgabe einer „T raum—
deutung“, die vor der Kritik der Wissenschaft bestehen konnte.Zunächst verstand ich nau'irlich von den Träumen meiner Patienten
nicht mehr als die Träumer selbst. Indem ich aber auf diese Träume
und besonders auf meine eigenen das Verfahren anwendete, dessen
ich mich schon beim Studium anderer abnormer psychischer Bildungen
bedient hatte, gelang es mir, die meisten der Fragen zu beantworten,
die eine Traumdeutung aufwerfen konnte. Es gab da viel zu fragen:
Wovon träumt man? Warum mt man überhaupt? Woher rühren
all die merkwürdigen Eigenheiten, die den Traum vom wachen Den—
ken unterscheiden u. dgl. mehr, Einige der Antworten waren leicht
zu geben, erwiesen sich auch als Bestätigung von früher geäußerten
Ansichten, andere erfurderten durchaus neue Annahmen über den
Aufbau und die Arbeitsweise unseres seelischen Apparats. Man träumre
von dem, was die Seele während des wachen Tages bewegt hatte:—ll4«
S.
man träumte, um die Regungen, die den Schlaf stören wollten, zu
besänftigen und den Schlaf fortsetzen zu können. Aber warum konnte
der Traum so fremdartig ersdrelnen, so verworfen unsinnig, so ofien.
bar gegensätzlich gegen den Inhalt des wachen Denkens, wenn er sich
doch mit dern nämliehen Stoß beschäftigte? Sicherlich war der Traum
nur der Ersatz einer vernünftigen Gedankentäligkeit und ließ sich
deuten, d. h. in eine solche übersetzen, aber was nach Erklärung ver-
langte, war die Tatsache der Entstellung, die die Traumarbcit an
dem vernünftigen und versiändlidren Material vorgenommen hatte.
Die Traumentstcllung war das tiefste und schwierigste Problem des
Traumlebens. Und zu ihrer Aufklärung ergab sich folgendes, was den
Traum in eine Reihe stellte mit anderen psyd:lopathologischen Bd-
dungen, ihn gleichsam als die normale Psychose des Menschen ent-
larvte‚ Unsere Seele, jenes kostbare Instrument, mittels dessen wir uns
im Leben behaupten, ist nämlich keine in sich friedlich geschlossene
Einheit, sondern eher einem modemen Staat vergleichbar, in dem
eine genuß- und zerstörungsshdrtige Masse durch die Gewalt einer
besonnenen Oberschicht niedergehalten werden muß. Alles was sich
in unserem Seelenleben tummelt und was sich in unseren Gedanken
Ausdruck schafft, ist Ahkömmling und Vertretung der mannigfachen
Triebe, die uns in unserer leiblichen Konstitution gegeben sind; aber
nid1t alle diese Triebe sind gleich ienkbar und erziehbar, sich den
Anforderungen der Außenwelt und der menschlichen Gemeinsd'naft zu
fügen. Manche von ihnen haben ihren ursprünglich unbändigen
Charakter bewahrt; wenn wir sie gewähren ließen, würden sie uns
unfehlbar ins Verderben stürzen. Wir haben darum, durch Schaden
klug gemacht, in unserer Seele Organisationen entwickelt, die sich der
direkten Triebäußerung alr Hemmungen entgegenstellerl. Was als
Wunschregung aus den Quellen der Triebkr'a'fte auftaucht, muß sid1
die Prüfung durch unsere obersten seelischen Instanzen gefallen lassen
und wird. wenn es nicht besteht, verworfen und vom Einfluß auf
unsere Maul at. also von der Ausführung abgehalten. Jr., oh genug
wird diesen Wünschen selbst der Zutritt zum Bewußtsein verweigert,
dem regelmäßig selbst die Existenz der gefährlichen Triebquellen
Fremd ist. Wir sagen dann, diese Regungen seien für das Bewußtsein
verdrängt und nur im Unbewußten vorhanden. Gelingt es dem Ver.— 115 — g.
S.
drängten, irgendwo durchzudringen‚ zum Bewußtein oder zur Motihtat
oder zu beiden, dann sind wir eben nicht mehr normal. Dann ent-
wickeln wir die ganze Reihe neurotischer und psyd'mtiscl-rer Symptome.
Das Aufreehthalten der notwendig gewordenen Hemmungen und Ver.
drängungen kostet unser Seelenleben einen großen Kräfteaufwand,
von dem es sich gerne ausruht. Der nächtliche Schlafzustand scheint
dafiir eine gute Gelegenheit zu sein, weil er ia die Einstellung unse-
rer motorischen Leistungen mit sid1 bringt. Die Situation erscheint
ungefährlich, also ermäßigen wir die Strenge unserer inneren Polizei-
gewalten. Wir ziehen sie nicht ganz ein, denn man kann es nid1t
wissen, das Unbewußte schläft vielleicht niemals. Und nun tut der
Nachlaß des auf ihm lastenden Drucks seine Wirkung. Aus dem ver-
drängten Unbewußten erheben sich Wünsche, die im Schlaf wenigstens
den Zugang zum Bewußtsein frei finden würden. Wenn wir sie erfahren
könntm, würden wir entsetzt sein über ihren Inhalt, ihre Maßlosig»
keit, ja ihre bloße Möglichkeit. Doch das gesdlieht nur selten, worauf
wir dann eiligst unter Angst erwad‘iclL In der Regel erfährt unser
Bewußtsein den Traum nicht so, wie er wirklich gelauret hat. Die
hemmenden Mächte, die Traumzensur‚ wie wir sie nennen wollen,
werden zwar nicht voll wach, aber sie haben auch nieht ganz ge-
sd11afen. Sie haben den Traum beeinflußt, während er um seinen
Ausdruck in Worten und Bildern rang, haben das Anstößigste be-
seitigt, anderes bis zur Unkenntlidikeit abgeändert, echte Zusammen»
hänge aufgelöst falsche Verknüpfungen eingeführt, his aus der ehr-
lichen. aber brutalen Wunschphantasie des Traumes der manifesre,
von uns erinnerte Traum geworden ist, mehr oder weniger verwor-
ren, fast immer fremdartig und unverständlich. Der Traum, die Traum-
:nmtellung, ist also der Ausdruck eines Kompromisses, das Zeugnis
des Konflikts zwischen den miteinander unverträglichen Regungen und
Bestrebungen unseres Seelenlebens. Und vergessen wir es nicht, der—
selbe Vorgang, das nämliche l<räftespiel, das uns den Traum des nor-
malen Schläfers erklärt, gibt uns den Schlüssel zum Verständnis aller
neurottischen und psycbotischen Phänomene.Ich bitte um Entschuldigung dafiir, daß ich bisher so viel von mir
und meiner Arbeit an den Traumproblernen gehandelt habe; es war
notwendige Voraussetzung des folgenden. Meine Erklärung der Traum-—116—
S.
entstellung schien mir neu zu sein, ich hatte nirgends etwas ähnlid1es
gefunden. Jahre später (ich kann nicht mehr sagen, wann) gerieten
‚Die Phantasien eines Realisten“ von ]osel Popper—Lynkeut in
meine Hand. Eine der darin enthaltenen Gesdtiehten hieß „Träumen wie
Wad1en‘, sie mußte mein stärkstes Interesse erwecken. Ein Mann war
in ihr beschrieben, der von sich rühmen konnte, daß er nie etwas
Unsinniges geträumt hatte. Seine Träume mochten phantastisdr sein
wie die Märchen, aber sie standen mit der wachen Welt nicht so in
Widerspruch, daß man mit Bestimmtheit hätte sagen können. „sie
seien unmöglich oder an und fiir sich absurd“. Das hieß in meine
Ausdnlcksweise übersetzt, bei diesem Manne kam keine Traumentstel-
lung zu Stande, und wenn man den Grund ihres Ausbleibens erfuhr,
hatte man auch den Gmnd ihrer Entstehung erkannt. Papper gibt
seinem Manne volle Einsicht in die Begründung seiner Eigentümlich-
keit. Er läßt ihn sagen: ‚In meinem Denken wie in meinen Gefühlen
herrscht Ordnung und Harmonie, auch kämpfen dit; beiden nie mit-
einander . .. Ich bin Eins, ungeteilt‚ die Anderen sind geteilt und ihre
zwei Teile: Wachen und Träumen fiihren beinahe immerfort Krieg
miteinander“. Und weiter über die Deutung der Träume: „Das ist
gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger Aufmerksam-
keit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. — Warum es
meistens nicht gelingt? Es sd1eint bei Euch etwas Verstecktes in den
Träumen zu liegen, etwas Unkeusches eigener Art, eine gewisse Heim-
lidikeit in Eurem Wesen, die schwer auszudrüd(en ist; und darum
scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu sein.
Es ist aber im tiefsten Grund durdtaus nicht so; ja es kann gar nicht
so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder
träumt“.Dies war aber unter Verzicht auf psychologische Terminologie die»
selbe Erklärung der Traumentstellung, die ich aus meinen Arbeiten
über den Traum entnommen hatte. Die Entstel.lung war ein Kompro-
miß, etwas seiner Natur nach Unaufrichtiges, das Ergebnis eines Kon-
flikts zwischen Denken und Fühlen, oder, wie ich gesagt hatte, zwi-
schen Bewußtem und Verdränglem. Wo ein solcher Konflikt nicht
bestand, nicht verdrängt zu werden brauchte, kannten die Träume
audt nidtt fremdartig und unsinnig werden. In dem Mann, der nicht—ll7—
S.
anders träumte als er im Wachen dachte, hatte Pupper jene innere
Harmonie walten lassen, die in einem Smaßkörper herzustellen sein
Ziel als Sozialrefcrmer war. Und wenn die Wissenschaft uns sagt. daß
ein solcher Mensch, ganz ohne Arg und Falsch und ohne alle Ver-
drängungen, nicht vorkommr oder nicht lebensfähig ist, so ließ sich
doch erraten, daß, soweit eine Annäherung af) diesen Idealzustand
möglich ist, sie in Peppers eigener Person ihre Verwirklichung ge—
funden hatte.Von dem Zusammentreffen mit seiner Weisheit überwältigt, begann
ich nun alle seine Schriften zu lesen, die über Voltaire, über Reli-
gion, Krieg, Allgemeine Nährpllicht u. a., bis sich das Bild des schlich-
ten großen Mannes, der ein Denker und Kritiker, zugleich ein gütiger
Menschenl'reund und Reformer war, klar vor meinem Blick aufbaute,
Ich sann viel über die Rechte des Individuums, für die er eintrat und die
ich so gerne mit: vertreten hätte, störte mich nicht die Erwägung, daß
weder das Verhalten der Natur noch die Zielsetzungen der menschli-
chen Gesellschaft ihren Ansprudi voll rechtfertigen Eine besondere
Sympathie zog mich zu ihm hin, da offenbar auch er die Bitterkeit
des jüdischen Lebens und die Hohlbeit der gegenwänjgen Kulturideale
schmerzlich empfunden. Doch habe ich ihn selbst nie gesehen. Er
wußte von mir durch gemeinsame Bekannte, und einmal hatte id1
einen Brief von ihm zu Beantworten, der eine Auskunft verlangte.
Aber ich habe ihn nicht aufgesud1t. Meine Neuerungen in der Psyche-
logie hatten mich den Zeitgenossen, besonders den älteren unter ihnen,
entfremdet; oft genug, wenn id1 mich einem Manne näherte, den ich
aus der Entfernung geehrt hatte, fand ich mich wie abgewiesen durch
seine Verständnislosigkeit für das, was mir zum Lehensinhalt geworden
war. Josef Pepper kam doch von der Physik, er war ein Freund von
Emst Mach gewesen; ich wollte mir den erfreulichen Eindruck unserer
Übereinstimmung über das Problem der Traumentstellung nid-rt stören
lassen. Sa kam es, daß ich den Besuch bei ihm aufsehob, bis es zu
spät wurde und ich nur noch in unserem Rathauspark seine Büste
grüßen konnte.INIllulllUl”Illl|HIl|UIIIllWillU|Hll|IllllllllllllnlllllHIUlnUIUIIllIllHlllHlllUWilllillIllHIHlllH|HlllliUIHUIllll|HUIHHII'Illllfllllfllflllllllfllllnilnulnlnlllnlflllfllllllllllllllflllllllll
— 118 —
PsychoanalytischeBewegungIv1932Heft2
113
–118