Meine Berührung mit Josef Popper-Lynkeus 1932-051/1932.2
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    Meine Berührung mit
    Josef Popperilynlkcüs

    Vnn
    Sigma. Freud

    Die im 15. Jahrgang rieirende Zein‚drrifr ‚Allgemeine Nähr-
    pflicht“ (herausgegeben vom Verein gleidxen Nemene, Wien, m., Reis-
    nernreße 16) hat zum zehnjihrigen Tod.:srage vun ]nref Pnpper.i.y‚„
    kr: us eine reichhaltige G:dcnknummer herausgegeben. Sie enriräie die von
    mr. Heinrich und-„„ var dem Pnpper-Lynkeus-Denkmal gehal-
    rene Rede, Beirrige von Prof. Einsrein, Prof, Max Adler, Pral'. R. v, Mises.
    Raoul Auernheimer u. =. und auch einen Originalbeilrag von Sigmund
    Freud. Der Schöpfer der Psychuznzlyse irre sida bereit.: einrrnd (vgl. Ges.
    Sdrril'ren, Bd. XI, 5. 295 E) über eine Beziehung der Pnpper.Lynkeur'rdren
    Anrdrnuungen zur pdydznanalytisrhen Traumdeutung gedußerr. und daß er
    nun ausführlidaer zurürkknmmt auf reine „Berührung“ rnir dern ,reiriidnen,
    grnßen— Zeilgenosdm, den er _ wiewnhl jahrzehntelang in derselben Srrdr
    lebend —peraönlich nie sah, wird die Leser dieser Zeitschrift besonders
    interessieren Wir gehen daher Freudr Beitrag zur Gedenknurnrner hier
    wieder.

    Es war im Winter 1899, daß mein Buch „Die Traumdeutung“, ins
    neue Jahrhundert vordatiert, endlich vor mir lag. Dieses Werk war
    das Ergebnis einer vier- bis fünfjährigen Arbeit, auf nicht gewöhn-
    liche An entstanden. Für Nervenkrankheiten an der Universität habili-
    tiert, hatte ich versucht, mich selbst und meine rasch angewachsene
    Familie durch ärztliche Hilfeleistung an die sogenannten „Nervösm“
    zu erhalten, deren es in unserer Gesellschaft nur zu viele gab. Aber
    die Aufgabe erwies sich als schwerer, als ich erwartet hatte. Die ge-
    bräuchlichen Behandlungsmerhoden nützten nifenbar nichts oder zu
    wenig, man mußte neue Wege suchen. Und wie wollte man über-
    haupt den Kranken helfen, wenn man nichts von ihren Leiden ver—
    stand, nichts von der Verursaehung ihrer Beschwerden, von der Be-
    deutung ihrer Klagen? Ich sudne also eifrig nach Anhalt und Unter-
    weisung bei Meister Charcot in Paris, bei Bernheim in Nancy;
    eine Beobadrtung meines überlegenen Freundes Josef Breuer in
    Villen schien endlich neue Aussicht auf Verständnis und therapeuti-
    schen Einfluß zu eröffnen.

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    Diese neuen Erfahrungen brachten es nämlich zur Gewißhcit, daß
    die von uns nervös genannten Kranken in gewissem Sinne an psyd1i.
    schen Störungen litten und daher mit psyd1ischen Mitteln zu behan.
    dell] waren. Unser Interesse mußte sich der Psychologie zuwenden.
    Was nun die in den Philosophenschulen herrschende Seelenwissen.
    schaft gehen konnte, war freilich geringf gig und für unsere Zwecke
    unbrauchbar; wir hatten die Methoden, wie deren theoretische Voraus»
    setzungen neu zu finden, Ich arbeitete also in dieser Richtung zuerst
    in Gemeinschaft mit Breuer, dann unabhängig von ihm. Am Ende
    wurde es ein Stück meiner Technik, daß ich die Kranken aufforderte,
    mir kritiklus mitzuteilen, was immer durch ihren Sinn ging, auch
    solche Einfällc, deren Berechtigung sie nicht verstanden, deren Mit.—
    teilung ihnen peinlids war.

    Wenn sie meinem Verlangen nachgaben, erzählten sie mit auch
    ihre Träume, als ob diese von derselben Art wären wie ihre anderen
    Gedanken. Es war ein deutlicher Wink, diese Träume zuwerten wie andere
    verständliche Produktionen. Aber sie waren nicht verständlich, sondern
    fremdartig, verworren, absurd, wie eben Träume sind und weshalb sie von
    der Wissenschaft als sinn— und zwecklose Zuckungen am Seelenorgan
    verurteilt wurden. Wenn meine Patienten recht hatten, die ja nur den
    Jahrtausende alten Glauben der unwisscnschaftlichen Menschheit zu
    wiederholen schienen, so stand ich vor der Aufgabe einer „T raum—
    deutung“, die vor der Kritik der Wissenschaft bestehen konnte.

    Zunächst verstand ich nau'irlich von den Träumen meiner Patienten
    nicht mehr als die Träumer selbst. Indem ich aber auf diese Träume
    und besonders auf meine eigenen das Verfahren anwendete, dessen
    ich mich schon beim Studium anderer abnormer psychischer Bildungen
    bedient hatte, gelang es mir, die meisten der Fragen zu beantworten,
    die eine Traumdeutung aufwerfen konnte. Es gab da viel zu fragen:
    Wovon träumt man? Warum mt man überhaupt? Woher rühren
    all die merkwürdigen Eigenheiten, die den Traum vom wachen Den—
    ken unterscheiden u. dgl. mehr, Einige der Antworten waren leicht
    zu geben, erwiesen sich auch als Bestätigung von früher geäußerten
    Ansichten, andere erfurderten durchaus neue Annahmen über den
    Aufbau und die Arbeitsweise unseres seelischen Apparats. Man träumre
    von dem, was die Seele während des wachen Tages bewegt hatte:

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    man träumte, um die Regungen, die den Schlaf stören wollten, zu
    besänftigen und den Schlaf fortsetzen zu können. Aber warum konnte
    der Traum so fremdartig ersdrelnen, so verworfen unsinnig, so ofien.
    bar gegensätzlich gegen den Inhalt des wachen Denkens, wenn er sich
    doch mit dern nämliehen Stoß beschäftigte? Sicherlich war der Traum
    nur der Ersatz einer vernünftigen Gedankentäligkeit und ließ sich
    deuten, d. h. in eine solche übersetzen, aber was nach Erklärung ver-
    langte, war die Tatsache der Entstellung, die die Traumarbcit an
    dem vernünftigen und versiändlidren Material vorgenommen hatte.
    Die Traumentstcllung war das tiefste und schwierigste Problem des
    Traumlebens. Und zu ihrer Aufklärung ergab sich folgendes, was den
    Traum in eine Reihe stellte mit anderen psyd:lopathologischen Bd-
    dungen, ihn gleichsam als die normale Psychose des Menschen ent-
    larvte‚ Unsere Seele, jenes kostbare Instrument, mittels dessen wir uns
    im Leben behaupten, ist nämlich keine in sich friedlich geschlossene
    Einheit, sondern eher einem modemen Staat vergleichbar, in dem
    eine genuß- und zerstörungsshdrtige Masse durch die Gewalt einer
    besonnenen Oberschicht niedergehalten werden muß. Alles was sich
    in unserem Seelenleben tummelt und was sich in unseren Gedanken
    Ausdruck schafft, ist Ahkömmling und Vertretung der mannigfachen
    Triebe, die uns in unserer leiblichen Konstitution gegeben sind; aber
    nid1t alle diese Triebe sind gleich ienkbar und erziehbar, sich den
    Anforderungen der Außenwelt und der menschlichen Gemeinsd'naft zu
    fügen. Manche von ihnen haben ihren ursprünglich unbändigen
    Charakter bewahrt; wenn wir sie gewähren ließen, würden sie uns
    unfehlbar ins Verderben stürzen. Wir haben darum, durch Schaden
    klug gemacht, in unserer Seele Organisationen entwickelt, die sich der
    direkten Triebäußerung alr Hemmungen entgegenstellerl. Was als
    Wunschregung aus den Quellen der Triebkr'a'fte auftaucht, muß sid1
    die Prüfung durch unsere obersten seelischen Instanzen gefallen lassen
    und wird. wenn es nicht besteht, verworfen und vom Einfluß auf
    unsere Maul at. also von der Ausführung abgehalten. Jr., oh genug
    wird diesen Wünschen selbst der Zutritt zum Bewußtsein verweigert,
    dem regelmäßig selbst die Existenz der gefährlichen Triebquellen
    Fremd ist. Wir sagen dann, diese Regungen seien für das Bewußtsein
    verdrängt und nur im Unbewußten vorhanden. Gelingt es dem Ver.

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    drängten, irgendwo durchzudringen‚ zum Bewußtein oder zur Motihtat
    oder zu beiden, dann sind wir eben nicht mehr normal. Dann ent-
    wickeln wir die ganze Reihe neurotischer und psyd'mtiscl-rer Symptome.
    Das Aufreehthalten der notwendig gewordenen Hemmungen und Ver.
    drängungen kostet unser Seelenleben einen großen Kräfteaufwand,
    von dem es sich gerne ausruht. Der nächtliche Schlafzustand scheint
    dafiir eine gute Gelegenheit zu sein, weil er ia die Einstellung unse-
    rer motorischen Leistungen mit sid1 bringt. Die Situation erscheint
    ungefährlich, also ermäßigen wir die Strenge unserer inneren Polizei-
    gewalten. Wir ziehen sie nicht ganz ein, denn man kann es nid1t
    wissen, das Unbewußte schläft vielleicht niemals. Und nun tut der
    Nachlaß des auf ihm lastenden Drucks seine Wirkung. Aus dem ver-
    drängten Unbewußten erheben sich Wünsche, die im Schlaf wenigstens
    den Zugang zum Bewußtsein frei finden würden. Wenn wir sie erfahren
    könntm, würden wir entsetzt sein über ihren Inhalt, ihre Maßlosig»
    keit, ja ihre bloße Möglichkeit. Doch das gesdlieht nur selten, worauf
    wir dann eiligst unter Angst erwad‘iclL In der Regel erfährt unser
    Bewußtsein den Traum nicht so, wie er wirklich gelauret hat. Die
    hemmenden Mächte, die Traumzensur‚ wie wir sie nennen wollen,
    werden zwar nicht voll wach, aber sie haben auch nieht ganz ge-
    sd11afen. Sie haben den Traum beeinflußt, während er um seinen
    Ausdruck in Worten und Bildern rang, haben das Anstößigste be-
    seitigt, anderes bis zur Unkenntlidikeit abgeändert, echte Zusammen»
    hänge aufgelöst falsche Verknüpfungen eingeführt, his aus der ehr-
    lichen. aber brutalen Wunschphantasie des Traumes der manifesre,
    von uns erinnerte Traum geworden ist, mehr oder weniger verwor-
    ren, fast immer fremdartig und unverständlich. Der Traum, die Traum-
    :nmtellung, ist also der Ausdruck eines Kompromisses, das Zeugnis
    des Konflikts zwischen den miteinander unverträglichen Regungen und
    Bestrebungen unseres Seelenlebens. Und vergessen wir es nicht, der—
    selbe Vorgang, das nämliche l<räftespiel, das uns den Traum des nor-
    malen Schläfers erklärt, gibt uns den Schlüssel zum Verständnis aller
    neurottischen und psycbotischen Phänomene.

    Ich bitte um Entschuldigung dafiir, daß ich bisher so viel von mir
    und meiner Arbeit an den Traumproblernen gehandelt habe; es war
    notwendige Voraussetzung des folgenden. Meine Erklärung der Traum-

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    entstellung schien mir neu zu sein, ich hatte nirgends etwas ähnlid1es
    gefunden. Jahre später (ich kann nicht mehr sagen, wann) gerieten
    ‚Die Phantasien eines Realisten“ von ]osel Popper—Lynkeut in
    meine Hand. Eine der darin enthaltenen Gesdtiehten hieß „Träumen wie
    Wad1en‘, sie mußte mein stärkstes Interesse erwecken. Ein Mann war
    in ihr beschrieben, der von sich rühmen konnte, daß er nie etwas
    Unsinniges geträumt hatte. Seine Träume mochten phantastisdr sein
    wie die Märchen, aber sie standen mit der wachen Welt nicht so in
    Widerspruch, daß man mit Bestimmtheit hätte sagen können. „sie
    seien unmöglich oder an und fiir sich absurd“. Das hieß in meine
    Ausdnlcksweise übersetzt, bei diesem Manne kam keine Traumentstel-
    lung zu Stande, und wenn man den Grund ihres Ausbleibens erfuhr,
    hatte man auch den Gmnd ihrer Entstehung erkannt. Papper gibt
    seinem Manne volle Einsicht in die Begründung seiner Eigentümlich-
    keit. Er läßt ihn sagen: ‚In meinem Denken wie in meinen Gefühlen
    herrscht Ordnung und Harmonie, auch kämpfen dit; beiden nie mit-
    einander . .. Ich bin Eins, ungeteilt‚ die Anderen sind geteilt und ihre
    zwei Teile: Wachen und Träumen fiihren beinahe immerfort Krieg
    miteinander“. Und weiter über die Deutung der Träume: „Das ist
    gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger Aufmerksam-
    keit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. — Warum es
    meistens nicht gelingt? Es sd1eint bei Euch etwas Verstecktes in den
    Träumen zu liegen, etwas Unkeusches eigener Art, eine gewisse Heim-
    lidikeit in Eurem Wesen, die schwer auszudrüd(en ist; und darum
    scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu sein.
    Es ist aber im tiefsten Grund durdtaus nicht so; ja es kann gar nicht
    so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder
    träumt“.

    Dies war aber unter Verzicht auf psychologische Terminologie die»
    selbe Erklärung der Traumentstellung, die ich aus meinen Arbeiten
    über den Traum entnommen hatte. Die Entstel.lung war ein Kompro-
    miß, etwas seiner Natur nach Unaufrichtiges, das Ergebnis eines Kon-
    flikts zwischen Denken und Fühlen, oder, wie ich gesagt hatte, zwi-
    schen Bewußtem und Verdränglem. Wo ein solcher Konflikt nicht
    bestand, nicht verdrängt zu werden brauchte, kannten die Träume
    audt nidtt fremdartig und unsinnig werden. In dem Mann, der nicht

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    anders träumte als er im Wachen dachte, hatte Pupper jene innere
    Harmonie walten lassen, die in einem Smaßkörper herzustellen sein
    Ziel als Sozialrefcrmer war. Und wenn die Wissenschaft uns sagt. daß
    ein solcher Mensch, ganz ohne Arg und Falsch und ohne alle Ver-
    drängungen, nicht vorkommr oder nicht lebensfähig ist, so ließ sich
    doch erraten, daß, soweit eine Annäherung af) diesen Idealzustand
    möglich ist, sie in Peppers eigener Person ihre Verwirklichung ge—
    funden hatte.

    Von dem Zusammentreffen mit seiner Weisheit überwältigt, begann
    ich nun alle seine Schriften zu lesen, die über Voltaire, über Reli-
    gion, Krieg, Allgemeine Nährpllicht u. a., bis sich das Bild des schlich-
    ten großen Mannes, der ein Denker und Kritiker, zugleich ein gütiger
    Menschenl'reund und Reformer war, klar vor meinem Blick aufbaute,
    Ich sann viel über die Rechte des Individuums, für die er eintrat und die
    ich so gerne mit: vertreten hätte, störte mich nicht die Erwägung, daß
    weder das Verhalten der Natur noch die Zielsetzungen der menschli-
    chen Gesellschaft ihren Ansprudi voll rechtfertigen Eine besondere
    Sympathie zog mich zu ihm hin, da offenbar auch er die Bitterkeit
    des jüdischen Lebens und die Hohlbeit der gegenwänjgen Kulturideale
    schmerzlich empfunden. Doch habe ich ihn selbst nie gesehen. Er
    wußte von mir durch gemeinsame Bekannte, und einmal hatte id1
    einen Brief von ihm zu Beantworten, der eine Auskunft verlangte.
    Aber ich habe ihn nicht aufgesud1t. Meine Neuerungen in der Psyche-
    logie hatten mich den Zeitgenossen, besonders den älteren unter ihnen,
    entfremdet; oft genug, wenn id1 mich einem Manne näherte, den ich
    aus der Entfernung geehrt hatte, fand ich mich wie abgewiesen durch
    seine Verständnislosigkeit für das, was mir zum Lehensinhalt geworden
    war. Josef Pepper kam doch von der Physik, er war ein Freund von
    Emst Mach gewesen; ich wollte mir den erfreulichen Eindruck unserer
    Übereinstimmung über das Problem der Traumentstellung nid-rt stören
    lassen. Sa kam es, daß ich den Besuch bei ihm aufsehob, bis es zu
    spät wurde und ich nur noch in unserem Rathauspark seine Büste
    grüßen konnte.

    INIllulllUl”Illl|HIl|UIIIllWillU|Hll|IllllllllllllnlllllHIUlnUIUIIllIllHlllHlllUWilllillIllHIHlllH|HlllliUIHUIllll|HUIHHII'Illllfllllfllflllllllfllllnilnulnlnlllnlflllfllllllllllllllflllllllll
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