S.
339
XIX.
METAPSYCHOLOGISCHE ERGÄNZUNG
ZUR TRAUMLEHRE.*)Wir werden bei verschiedenen Anlässen die Erfahrung
machen können, wie vorteilhaft es für unsere Forschung ist,
wenn wir gewisse Zustände und Phänomene zur Vergleichung
heranziehen, die man als Normalvorbilder krankhafter
Affektionen auffassen kann. Dahin gehören Affektzustände
wie Trauer und Verliebtheit, aber auch der Zustand des
Schlafes und das Phänomen des Träumens.Wir sind nicht gewöhnt, viele Gedanken daran zu
knüpfen, daß der Mensch allnächtlich die Hüllen ablegt, die
er über seine Haut gezogen hat, und etwa noch die Er-
gänzungsstücke seiner Körperorgane, soweit es ihm gelungen
ist, deren Mängel durch Ersatz zu decken, also die Brille,
falschen Haare, Zähne usw. Man darf hinzufügen, daß er
beim Schlafengehen eine ganz analoge Entkleidung seinesx)Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, IV, 1916/8. – Die beiden
nachstehenden Abhandlungen stammen aus einer Sammlung, die ich ur-
sprünglich unter dem Titel „Zur Vorbereitung einer Metapsychologie“ in
Buchform veröffentlichen wollte. Sie schließen an Arbeiten an, welche
im III. Jahrgang dieser Zeitschrift (Heft 1‑5) abgedruckt worden sind.
(„Triebe und Triebschicksale “ – „Die Verdrängung “ – „Das Unbewußte".)
Absicht dieser Reihe ist die Klärung und Vertiefung der theoretischen
Annahmen, die man einem psychoanalytischen System zu Grunde legen
könnte.S.
340
Psychischen vornimmt, auf die meisten seiner psychischen
Erwerbungen verzichtet und so von beiden Seiten her eine
außerordentliche Annäherung an die Situation herstellt, welche
der Ausgang seiner Lebensentwicklung war. Das Schlafen
ist somatisch eine Reaktivierung des Aufenthalts im Mutter-
leibe mit der Erfüllung der Bedingungen von Ruhelage,
Wärme und Reizabhaltung; ja viele Menschen nehmen im
Schlafe die fötale Körperhaltung wieder ein. Der psychische
Zustand der Schlafenden charakterisiert sich durch nahezu
völlige Zurückziehung aus der Welt der Umgebung und Ein-
stellung alles Interesses für sie.Wenn man die psychoneurotischen Zustände untersucht,
wird man veranlaßt, in jedem derselben die sogenannten
zeitlichen Regressionen hervorzuheben, den Betrag des
ihm eigentümlichen Rückgreifens in der Entwicklung. Man
unterscheidet zwei solcher Regressionen, die der Ich‑ und
die der Libidoentwicklung. Die letztere reicht beim Schlaf-
zustand bis zur Herstellung des primitiven Narzißmus,
die erstere bis zur Stufe der halluzinatorischen
Wunschbefriedigung.Was man von den psychischen Charakteren des Schlaf-
zustandes weiß, hat man natürlich durch das Studium des
Traumes erfahren. Zwar zeigt uns der Traum den Menschen,
insofern er nicht schläft, aber er kann doch nicht umhin,
uns dabei auch Charaktere des Schlafes selbst zu verraten.
Wir haben aus der Beobachtung einige Eigentümlichkeiten
des Traumes kennen gelernt, die wir zunächst nicht ver-
stehen konnten und nun mit leichter Mühe einreihen können.
So wissen wir, der Traum sei absolut egoistisch, und die
Person, die in seinen Szenen die Hauptrolle spiele, sei immer
als die eigene zu agnoszieren. Das leitet sich nun leicht begreiflicherweiseS.
341
von dem Narzißmus des Schlafzustandes ab.
Narzißmus und Egoismus fallen ja zusammen; das Wort
„Narzißmus“ will nur betonen, daß der Egoismus auch ein
libidinöses Phänomen sei, oder, um es anders auszudrücken,
der Narzißmus kann als die libidinöse Ergänzung des Egois-
mus bezeichnet werden. Ebenso verständlich wird auch die
allgemein anerkannte und für rätselhaft gehaltene „diagno-
stische“ Fähigkeit des Traumes, in welchem beginnende Kör-
perleiden oft früher und deutlicher als im Wachen verspürt
werden, und alle gerade aktuellen Körperempfindungen ins
Riesenhafte vergrößert auftreten. Diese Vergrößerung ist
hypochondrischer Natur, sie hat zur Voraussetzung, daß alle
psychische Besetzung von der Außenwelt auf das eigene Ich
zurückgezogen wurde, und sie ermöglicht nun die frühzeitige
Erkennung von körperlichen Veränderungen, die im Wach-
leben noch eine Weile unbemerkt geblieben wären.Ein Traum zeigt uns an, daß etwas vorging, was den
Schlaf stören wollte, und gestattet uns Einsicht in die Art,
wie diese Störung abgewehrt werden konnte. Am Ende hat
der Schlafende geträumt und kann seinen Schlaf fortsetzen;
an Stelle des inneren Anspruches, der ihn beschäftigen wollte,
ist ein äußeres Erlebnis getreten, dessen Anspruch erledigt
worden ist. Ein Traum ist also auch eine Projektion, eine
Veräußerlichung eines inneren Vorganges. Wir erinnern uns,
daß wir die Projektion bereits an anderer Stelle unter den
Mitteln der Abwehr begegnet haben. Auch der Mechanismus
der hysterischen Phobie gipfelte darin, daß das Individuum
sich durch Fluchtversuche vor einer äußeren Gefahr schützen
durfte, welche an die Stelle eines inneren Triebanspruches
getreten war. Eine gründliche Erörterung der Projektion
sparen wir uns aber auf, bis wir zur Zergliederung jener narzißtischenS.
342
Affektion gekommen sind, bei welcher dieser Me-
chanismus die auffälligste Rolle spielt.Auf welche Weise kann aber der Fall herbeigeführt wer-
den, daß die Absicht zu schlafen eine Störung erfährt? Die
Störung kann von innerer Erregung oder von äußerem Reiz
ausgehen. Wir wollen den minder durchsichtigen und interes-
santeren Fall der Störung von innen zuerst in Betracht ziehen;
die Erfahrung zeigt uns als Erreger des Traumes Tagesreste,
Denkbesetzungen, welche sich der allgemeinen Abziehung
der Besetzungen nicht gefügt und ihr zum Trotz ein gewisses
Maß von libidinösem oder anderem Interesse behalten haben.
Der Narzißmus des Schlafes hat also hier von vornherein
eine Ausnahme zulassen müssen, und mit dieser hebt die
Traumbildung an. Diese Tagesreste lernen wir in der Analyse
als latente Traumgedanken kennen und müssen sie nach ihrer
Natur wie zufolge der ganzen Situation als vorbewußte Vor-
stellungen, als Angehörige des Systems Vbw. gelten lassen.Die weitere Aufklärung der Traumbildung gelingt nicht
ohne Überwindung gewisser Schwierigkeiten. Der Narzißmus
des Schlafzustandes bedeutet ja die Abziehung der Besetzung
von allen Objektvorstellungen, sowohl der unbewußten, wie
der vorbewußten Anteile derselben. Wenn also gewisse
„Tagesreste“ besetzt geblieben sind, so hat es Bedenken an-
zunehmen, daß diese zur Nachtzeit soviel Energie erwerben,
um sich die Beachtung des Bewußtseins zu erzwingen; man
ist eher geneigt anzunehmen, daß die ihnen verbliebene Be-
setzung um vieles schwächer ist, als die ihnen tagsüber eigen
war. Die Analyse überhebt uns hier weiterer Spekulationen,
indem sie uns nachweist, daß diese Tagesreste eine Verstär-
kung aus den Quellen unbewußter Triebregungen bekommen
müssen, wenn sie als Traumbildner auftreten sollen. DieseS.
343
Annahme hat zunächst keine Schwierigkeiten, denn wir
müssen glauben, daß die Zensur zwischen Vbw. und Ubw. im
Schlafe sehr herabgesetzt, der Verkehr zwischen beiden Syste-
men also eher erleichtert ist.Aber ein anderes Bedenken darf nicht verschwiegen wer-
den. Wenn der narzißtische Schlafzustand die Einziehung
aller Besetzungen der Systeme Ubw. und Vbw. zur Folge
gehabt hat, so entfällt ja auch die Möglichkeit, daß die vor-
bewußten Tagesreste eine Verstärkung aus den unbewußten
Triebregungen beziehen, die selbst ihre Besetzungen an das
Ich abgegeben haben. Die Theorie der Traumbildung läuft
hier in einen Widerspruch aus, oder sie muß durch eine Modi-
fikation der Annahme über den Schlafnarzißmus gerettet
werden.Eine solche einschränkende Annahme wird, wie sich
später ergeben soll, auch in der Theorie der Dementia prae-
cox unabweisbar. Sie kann nur lauten, daß der verdrängte
Anteil des Systems Ubw. dem vom Ich ausgehenden Schlaf-
wunsche nicht gehorcht, seine Besetzung ganz oder teilweise
behält und sich überhaupt infolge der Verdrängung ein ge-
wisses Maß von Unabhängigkeit vom Ich geschaffen hat.
In weiterer Entsprechung müßte auch ein gewisser Betrag
des Verdrängungsaufwandes (der Gegenbesetzung)die
Nacht über aufrechterhalten werden, um der Triebgefahr
zu begegnen, obwohl die Unzugänglichkeit aller Wege zur
Affektentbindung und zur Motilität die Höhe der notwen-
digen Gegenbesetzung erheblich herabsetzen mag. Wir wür-
den uns also die zur Traumbildung führende Situation fol-
genderart ausmalen: Der Schlafwunsch versucht alle vom
Ich ausgeschickten Besetzungen einzuziehen und einen ab-
soluten Narzißmus herzustellen. Das kann nur teilweise gelingen,S.
344
denn das Verdrängte des Systems Ubw. folgt dem
Schlafwunsche nicht. Es muß also auch ein Teil der Gegen-
besetzungen aufrecht erhalten werden und die Zensur zwi-
schen Ubw. und Vbw., wenngleich nicht in voller Stärke,
verbleiben. Soweit die Herrschaft des Ichs reicht, sind alle
Systeme von Besetzungen entleert. Je stärker die ubw. Trieb-
besetzungen sind, desto labiler ist der Schlaf. Wir kennen
auch den extremen Fall, daß das Ich den Schlafwunsch auf-
gibt, weil es sich unfähig fühlt, die während des Schlafes
frei gewordenen verdrängten Regungen zu hemmen, mit an-
deren Worten, daß es auf den Schlaf verzichtet, weil es sich
vor seinen Träumen fürchtet.Wir werden später die Annahme von der Widersetzlich-
keit der verdrängten Regungen als eine folgenschwere schätzen
lernen. Verfolgen wir nun die Situation der Traumbildung
weiter.Als zweiten Einbruch in den Narzißmus müssen wir die
vorhin erwähnte Möglichkeit würdigen, daß auch einige der
vorbewußten Tagesgedanken sich resistent erweisen und einen
Teil ihrer Besetzung festhalten. Die beiden Fälle können im
Grunde identisch sein; die Resistenz der Tagesreste mag sich
auf die bereits im Wachleben bestehende Verknüpfung mit
unbewußten Regungen zurückführen, oder es geht etwas we-
niger einfach zu, und die nicht ganz entleerten Tagesreste
setzen sich erst im Schlafzustand, dank der erleichterten
Kommunikation zwischen Vbw. und Ubw., mit dem Der-
drängten in Beziehung. In beiden Fällen erfolgt nun der
nämliche entscheidende Fortschritt der Traumbildung: Es
wird der vorbewußte Traumwunsch geformt, welcher der
unbewußten Regung Ausdruck gibt in dem Material
der vorbewußten Tagesreste. Diesen TraumwunschS.
345
sollte man von den Tagesresten scharf unterscheiden;
er muß im Wachleben nicht bestanden haben, er kann be-
reits den irrationalen Charakter zeigen, den alles Unbewußte
an sich trägt, wenn man es ins Bewußte übersetzt. Der Traum-
wunsch darf auch nicht mit den Wunschregungen verwech-
selt werden, die sich möglicherweise, aber gewiß nicht not-
wendigerweise, unter den vorbewußten (latenten) Traum-
gedanken befunden haben. Hat es aber solche vorbewußte
Wünsche gegeben, so gesellt sich ihnen der Traumwunsch
als wirksamste Verstärkung hinzu.Es handelt sich nun um die weiteren Schicksale dieser
in ihrem Wesen einen unbewußten Triebanspruch vertreten-
den Wunschregung, die sich im Vbw. als Traumwunsch
(wunscherfüllende Phantasie) gebildet hat. Sie könnte ihre
Erledigung auf drei verschiedenen Wegen finden, sagt uns
die Überlegung. Entweder auf dem Wege, der im Wachleben
der normale wäre, aus dem Vbw. zum Bewußtsein drängen,
oder sich mit Umgehung des Bw. direkte motorische Abfuhr
schaffen, oder den unvermuteten Weg nehmen, den uns die
Beobachtung wirklich verfolgen läßt. Im ersteren Falle würde
sie zu einer Wahnidee mit dem Inhalt der Wunscherfüllung,
aber das geschieht im Schlafzustande nie. (Mit den meta-
psychologischen Bedingungen der seelischen Prozesse so
wenig vertraut, können wir aus dieser Tatsache vielleicht
den Wink entnehmen, daß die völlige Entleerung eines Systems
es für Anregungen wenig ansprechbar macht.) Der zweite
Fall, die direkte motorische Abfuhr, sollte durch das näm-
liche Prinzip ausgeschlossen sein, denn der Zugang zur Moti-
lität liegt normalerweise noch ein Stück weiter weg von der
Bewußtseinszensur, aber er kommt ausnahmsweise als
Somnambulismus zur Beobachtung. Wir wissen nicht, welcheS.
346
Bedingungen dies ermöglichen und warum er sich nicht
häufiger ereignet. Was bei der Traumbildung wirklich ge-
schieht, ist eine sehr merkwürdige und ganz unvorhergesehene
Entscheidung. Der im Vbw. angesponnene und durch das
Ubw. verstärkte Vorgang nimmt einen rückläufigen Weg
durch das Ubw. zu der dem Bewußtsein sich aufdrängenden
Wahrnehmung. Diese Regression ist die dritte Phase
der Traumbildung. Wir wiederholen hier zur Übersicht die
früheren: Verstärkung der vbw. Tagesreste durch das Ubw.
– Herstellung des Traumwunsches.Wir heißen eine solche Regression eine topische zum
Unterschied von der vorhin erwähnten zeitlichen oder
entwicklungsgeschichtlichen. Die beiden müssen nicht immer
zusammenfallen, tun es aber gerade in dem uns vorliegenden
Beispiele. Die Rückwendung des Ablaufs der Erregung vom
Vbw. durch das Ubw. zur Wahrnehmung, ist gleichzeitig die
Rückkehr zu der frühen Stufe der halluzinatorischen Wunsch-
erfüllung.Es ist aus der „Traumdeutung“ bekannt, in welcher
Weise die Regression der vorbewußten Tagesreste bei der
Traumbildung vor sich geht. Gedanken werden dabei in –
vorwiegend visuelle – Bilder umgesetzt, also Wortvorstel-
lungen auf die ihnen entsprechenden Sachvorstellungen zu-
rückgeführt, im ganzen so, als ob eine Rücksicht auf
Darstellbarkeit den Prozeß beherrschen würde. Nach voll-
zogener Regression erübrigt eine Reihe von Besetzungen im
System Ubw., Besetzungen von Sacherinnerungen, auf welche
der psychische Primärvorgang einwirkt, bis er durch deren
Verdichtung und Verschiebung der Besetzungen zwischen
ihnen den manifesten Trauminhalt gestaltet hat. Nur wo
die Wortvorstellungen in den Tagesresten frische, aktuelleS.
347
Reste von Wahrnehmungen sind, nicht Gedankenausdruck,
werden sie wie Sachvorstellungen behandelt und unterliegen
an sich den Einflüssen der Verdichtung und Verschiebung.
Daher die in der Traumdeutung gegebene, seither zur Evidenz
bestätigte Regel, daß Worte und Reden im Trauminhalt nicht
neugebildet, sondern Reden des Traumtages (oder sonstigen
frischen Eindrücken, auch aus Gelesenem) nachgebildet wer-
den. Es ist sehr bemerkenswert, wie wenig die Traumarbeit
an den Wortvorstellungen festhält; sie ist jederzeit bereit,
die Worte miteinander zu vertauschen, bis sie jenen Aus-
druck findet, welcher der plastischen Darstellung die gün-
stigste Handhabe bietet.*)In diesem Punkte zeigt sich nun der entscheidende Un-
terschied zwischen der Traumarbeit und der Schizophrenie.
Bei letzterer werden die Worte selbst, in denen der vorbe-
wußte Gedanke ausgedrückt war, Gegenstand der Bearbeitung
durch den Primärvorgang; im Traume sind es nicht die*)Der Rücksicht auf Darstellbarkeit schreibe ich auch die von
Silbererbetonte und vielleicht von ihm überschätzte Tatsache zu,
daß manche Träume zwei gleichzeitig zutreffende und doch wesensver-
schiedene Deutungen gestatten, von denen Silberer die eine die analytische,
die andere die anagogische heißt. Es handelt sich dann
immer um Gedanken von sehr abstrakter Natur, die der Darstellung im
Traume große Schwierigkeiten bereiten mußten. Man halte sich zum Ver-
gleiche etwa die Aufgabe vor, den Leitartikel einer politischen Zeitung
durch Illustrationen zu ersetzen! In solchen Fällen muß die Traumarbeit
den abstrakten Gedankentext erst durch einen konkreteren ersetzen, wel-
cher mit ihm irgendwie durch Vergleich, Symbolik, allegorische Anspie-
lung, am besten aber genetisch verknüpft ist, und der nun an seiner
Stelle Material der Traumarbeit wird. Die abstrakten Gedanken ergeben
die sogen. anagogische Deutung, die wir bei der Deutungsarbeit leichter
erraten als die eigentlich analytische. Nach einer richtigen Bemerkung
von O. Rank sind gewisse Kurträume von analytisch behandelten Pa-
tienten die besten Vorbilder für die Auffassung solcher Träume mit
mehrfacher Deutung.S.
348
Worte, sondern die Sachvorstellungen, auf welche die Worte
zurückgeführt wurden. Der Traum kennt eine topische Re-
gression, die Schizophrenie nicht; beim Traume ist der Ver-
kehr zwischen (vbw.) Wortbesetzungen und (ubw.) Sach-
besetzungen frei; für die Schizophrenie bleibt charakteristisch,
daß er abgesperrt ist. Der Eindruck dieser Verschiedenheit
wird gerade durch die Traumdeutungen, die wir in der psycho-
analytischen Praxis vornehmen, abgeschwächt. Indem die
Traumdeutung den Verlauf der Traumarbeit aufspürt, die
Wege verfolgt, die von den latenten Gedanken zu den Traum-
elementen führen, die Ausbeutung der Wortzweideutigkeiten
aufdeckt und die Wortbrücken zwischen verschiedenen Ma-
terialkreisen nachweist, macht sie einen bald witzigen, bald
schizophrenen Eindruck und läßt uns daran vergessen, daß
alle Operationen an Worten für den Traum nur Vorbereitung
zur Sachregression sind.Die Vollendung des Traumvorganges liegt darin, daß der
regressiv verwandelte, zu einer Wunschphantasie umgear-
beitete Gedankeninhalt als sinnliche Wahrnehmung bewußt
wird, wobei er die sekundäre Bearbeitung erfährt, welcher
jeder Wahrnehmungsinhalt unterliegt. Wir sagen, der Traum-
wunsch wird halluziniert und findet als Halluzination
den Glauben an die Realität seiner Erfüllung. Gerade an
dieses abschließende Stück der Traumbildung knüpfen sich
die stärksten Unsicherheiten, zu deren Klärung wir den Traum
in Vergleich mit ihm verwandten pathologischen Zuständen
bringen wollen.Die Bildung der Wunschphantasie und deren Regression
zur Halluzination sind die wesentlichsten Stücke der Traum-
arbeit, doch kommen sie ihm nicht ausschließend zu. Viel-
mehr finden sie sich ebenso bei zwei krankhaften Zuständen,S.
349
bei der akuten halluzinatorischen Verworrenheit, der
Amentia (Meynerts), und in der halluzinatorischen Phase
der Schizophrenie. Das halluzinatorische Delir der Amentia
ist eine deutlich kennbare Wunschphantasie, oft völlig ge-
ordnet wie ein schöner Tagtraum. Man könnte ganz allge-
mein von einer halluzinatorischen Wunschpsychose
sprechen und sie dem Traume wie der Amentia in gleicher
Weise zuerkennen. Es kommen auch Träume vor, welche aus
nichts anderem als aus sehr reichhaltigen, unentstellten
Wunschphantasien bestehen. Die halluzinatorische Phase der
Schizophrenie ist minder gut studiert; sie scheint in der
Regel zusammengesetzter Natur zu sein, dürfte aber im we-
sentlichen einem neuen Restitutionsversuch entsprechen, der
die libidinöse Besetzung zu den Objektvorstellungen zurück-
bringen will.*) Die anderen halluzinatorischen Zustände bei
mannigfaltigen pathologischen Affektionen kann ich nicht
zum Vergleich heranziehen, weil ich hier weder über eigene
Erfahrung verfüge noch die Anderer verwerten kann.Machen wir uns klar, daß die halluzinatorische Wunsch-
psychose – im Traume oder anderwärts – zwei keineswegs
ineinander fallende Leistungen vollzieht. Sie bringt nicht
nur verborgene oder verdrängte Wünsche zum Bewußtsein,
sondern stellt sie auch unter vollem Glauben als erfüllt dar.
Es gilt dieses Zusammentreffen zu verstehen. Man kann
keineswegs behaupten, die unbewußten Wünsche müßten für
Realitäten gehalten werden, nachdem sie einmal bewußt ge-
worden sind, denn unser Urteil ist bekanntermaßen sehr wohl
im stande, Wirklichkeiten von noch so intensiven Vorstel-
lungen und Wünschen zu unterscheiden. Dagegen scheint es*)Als ersten solchen Versuch haben wir in der Abhandlung über das
„Unbewußte“ die Überbesetzung der Wortvorstellungen kennen gelernt.S.
350
gerechtfertigt anzunehmen, daß der Realitätsglaube an die
Wahrnehmung durch die Sinne geknüpft ist. Wenn einmal
ein Gedanke den Weg zur Regression bis zu den unbewußten
Objekterinnerungsspuren und von da bis zur Wahrnehmung
gefunden hat, so anerkennen wir seine Wahrnehmung als
real. Die Halluzination bringt also den Realitätsglauben mit
sich. Es fragt sich nun, welches die Bedingung für das Zu-
standekommen einer Halluzination ist. Die erste Antwort
würde lauten: Die Regression, und somit die Frage nach der
Entstehung der Halluzination durch die nach dem Mecha-
nismus der Regression ersetzen. Die Antwort darauf brauchten
wir für den Traum nicht lange schuldig zu bleiben. Die Re-
gression der vbw. Traumgedanken zu den Sacherinnerungs-
bildern ist offenbar die Folge der Anziehung, welche diese
ubw. Triebrepräsentanzen – z. B. verdrängte Erlebnis-
erinnerungen – auf die in Worte gefaßten Gedanken aus-
üben. Allein wir merken bald, daß wir auf falsche Fährte
geraten sind. Wäre das Geheimnis der Halluzination kein
anderes als das der Regression, so müßte jede genug inten-
sive Regression eine Halluzination mit Realitätsglauben er-
geben. Wir kennen aber sehr wohl die Fälle, in denen ein
regressives Nachdenken sehr deutliche visuelle Erinnerungs-
bilder zum Bewußtsein bringt, die wir darum keinen Augen-
blick für reale Wahrnehmung halten. Wir könnten uns auch
sehr wohl vorstellen, daß die Traumarbeit bis zu solchen
Erinnerungsbildern vordringt, uns die bisher unbewußten be-
wußt macht und uns eine Wunschphantasie vorspiegelt, die
wir sehnsüchtig empfinden, aber nicht als die reale Erfüllung
des Wunsches anerkennen würden. Die Halluzination muß
also mehr sein als die regressive Belebung der an sich ubw.
Erinnerungsbilder.S.
351
Halten wir uns noch vor, daß es von großer praktischer
Bedeutung ist, Wahrnehmungen von noch so intensiv erin-
nerten Vorstellungen zu unterscheiden. Unser ganzes Ver-
hältnis zur Außenwelt, zur Realität, hängt von dieser Fähig-
keit ab. Wir haben die Fiktion aufgestellt, daß wir diese
Fähigkeit nicht immer besaßen, und daß wir zu Anfang un-
seres Seelenlebens wirklich das befriedigende Objekt hallu-
zinierten, wenn wir das Bedürfnis nach ihm verspürten. Aber
die Befriedigung blieb in solchem Falle aus, und der Miß-
erfolg muß uns sehr bald bewogen haben, eine Einrichtung
zu schaffen, mit deren Hilfe eine solche Wunschwahrnehmung
von einer realen Erfüllung unterschieden und im weiteren
vermieden werden konnte. Wir haben mit anderen Worten
sehr frühzeitig die halluzinatorische Wunschbefriedigung auf-
gegeben und eine Art der Realitätsprüfung eingerichtet.
Die Frage erhebt sich nun, worin bestand diese Realitäts-
prüfung, und wie bringt es die halluzinatorische Wunsch-
psychose des Traumes und der Amentia u. dgl. zu stande,
sie aufzuheben und den alten Modus der Befriedigung wieder-
herzustellen.Die Antwort läßt sich geben, wenn wir nun daran gehen,
das dritte unserer psychischen Systeme, das System Bw.,
welches wir bisher vom Vbw. nicht scharf gesondert haben,
näher zu bestimmen. Wir haben uns schon in der Traum-
deutung entschließen müssen, die bewußte Wahrnehmung als
die Leistung eines besonderen Systems in Anspruch zu neh-
men, dem wir gewisse merkwürdige Eigenschaften zuge-
schrieben haben und mit guten Gründen noch weitere Cha-
raktere beilegen werden. Dieses dort W. genannte System
bringen wir zur Deckung mit dem System Bw., an dessen
Arbeit in der Regel das Bewußtwerden hängt. Noch immerS.
352
aber deckt sich die Tatsache des Bewußtwerdens nicht völlig
mit der Systemzugehörigkeit, denn wir haben ja erfahren,
daß sinnliche Erinnerungsbilder bemerkt werden können, denen
wir unmöglich einen psychischen Ort im System Bw. oder
W. zugestehen können.Allein die Behandlung dieser Schwierigkeit darf wie-
derum aufgeschoben werden, bis wir das System Bw. selbst
als Mittelpunkt unseres Interesses einstellen können. Für
unseren gegenwärtigen Zusammenhang darf uns die Annahme
gestattet werden, daß die Halluzination in einer Besetzung
des Systems Bw. (W.) besteht, die aber nicht wie normal
von außen, sondern von innen her erfolgt, und daß sie zur
Bedingung hat, die Regression müsse so weit gehen, daß sie
dies System selbst erreicht und sich dabei über die Realitäts-
prüfung hinaussetzen kann.*)Wir haben in einem früheren Zusammenhange (Triebe und
Triebschicksale) für den noch hilflosen Organismus die Fähig-
keit in Anspruch genommen, mittels seiner Wahrnehmungen
eine erste Orientierung in der Welt zu schaffen, indem er
„außen“ und „innen“ nach der Beziehung zu einer Muskel-
aktion unterscheidet. Eine Wahrnehmung, die durch eine
Aktion zum Verschwinden gebracht wird, ist als eine äußere,
als Realität erkannt; wo solche Aktion nichts ändert, kommt
die Wahrnehmung aus dem eigenen Körperinnern, sie ist
nicht real. Es ist dem Individuum wertvoll, daß es ein sol-
ches Kennzeichen der Realität besitzt, welches gleichzeitig
eine Abhilfe gegen sie bedeutet, und es wollte gern mit ähn-
licher Macht gegen seine oft unerbittlichen Triebansprüche*)Ich füge ergänzend hinzu, daß ein Erklärungsversuch der Hallu-
zination nicht an der positiven, sondern vielmehr an der negativen
Halluzination angreifen müßte.S.
353
ausgestattet sein. Darum wendet es solche Mühe daran, was
ihm von innen her beschwerlich wird, nach außen zu ver-
setzen, zu projizieren.Diese Leistung der Orientierung in der Welt durch Un-
terscheidung von innen und außen müssen wir nun nach
einer eingehenden Zergliederung des seelischen Apparates dem
System Bw. (W.) allein zuschreiben. Bw. muß über eine
motorische Innervation verfügen, durch welche festgestellt
wird, ob die Wahrnehmung zum Verschwinden zu bringen
ist oder sich resistent verhält. Nichts anderes als diese Ein-
richtung braucht die Realitätsprüfung zu sein*). Nä-
heres darüber können wir nicht aussagen, da Natur und
Arbeitsweise des Systems Bw. noch zu wenig bekannt sind.
Die Realitätsprüfung werden wir als eine der großen
Institutionen des Ichs neben die uns bekannt gewordenen
Zensuren zwischen den psychischen Systemen hinstellen
und erwarten, daß uns die Analyse der narzißtischen Affek-
tionen andere solcher Institutionen aufzudecken verhilft.Hingegen können wir schon jetzt aus der Pathologie er-
fahren, auf welche Weise die Realitätsprüfung aufgehoben
oder außer Tätigkeit gesetzt werden kann, und zwar werden
wir es in der Wunschpsychose, der Amentia, unzweideutiger
erkennen als am Traum: Die Amentia ist die Reaktion auf
einen Verlust, den die Realität behauptet, der aber vom Ich
als unerträglich verleugnet werden soll. Darauf bricht das
Ich die Beziehung zur Realität ab, es entzieht dem System
der Wahrnehmungen Bw. die Besetzung oder vielleicht besser
eine Besetzung, deren besondere Natur noch Gegenstand einer
Untersuchung werden kann. Mit dieser Abwendung von der*)Über die Unterscheidung einer Aktualitäts‑ von einer Realitäts-
prüfung siehe an späterer Stelle.S.
354
Realität ist die Realitätsprüfung beseitigt, die – unver-
drängten, durchaus bewußten – Wunschphantasien können
ins System vordringen und werden von dort aus als bessere
Realität anerkannt. Eine solche Entziehung darf den Ver-
drängungsvorgängen beigeordnet werden; die Amentia bietet
uns das interessante Schauspiel einer Entzweiung des Ichs
mit einem seiner Organe, welches ihm vielleicht am ge-
treuesten diente und am innigsten verbunden war.*)Was bei der Amentia die „Verdrängung“ leistet, das
macht beim Traum der freiwillige Verzicht. Der Schlafzustand
will nichts von der Außenwelt wissen, interessiert sich nicht
für die Realität oder nur insoweit, als das Verlassen des
Schlafzustandes, das Erwachen, in Betracht kommt. Er zieht
also auch die Besetzung vom System Bw. ab, wie von den
anderen Systemen, dem Vbw. und dem Ubw., soweit die in
ihnen vorhandenen Positionen dem Schlafwunsch gehorchen.
Mit dieser Unbesetztheit des Systems Bw. ist die Möglichkeit
einer Realitätsprüfung aufgegeben, und die Erregungen, welche
vom Schlafzustand unabhängig den Weg der Regression ein-
geschlagen haben, werden ihn frei finden bis zum System
Bw., in welchem sie als unbestrittene Realität gelten wer-
den.**) Für die halluzinatorische Psychose der Dementia
praecox werden wir aus unseren Erwägungen ableiten, daß
sie nicht zu den Eingangssymptomen der Affektion gehören*)Man kann von hier aus die Vermutung wagen, daß auch die
toxischen Halluzinosen, z. B. das Alkoholdelirium, in analoger Weise zu
verstehen sind. Der unerträgliche Verlust, der von der Realität auferlegt
wird, wäre eben der des Alkohols. Zuführung desselben hebt die Hallu-
zinationen auf.**)Das Prinzip der Unerregbarkeit unbesetzter Systeme erscheint
hier für das Bw. (W.) außer Kraft gesetzt. Aber es kann sich um nur
teilweise Aufhebung der Besetzung handeln, und gerade für das Wahr-
nehmungssystem werden wir eine Anzahl von Erregungsbedingungen
annehmen müssen, die von denen anderer Systeme weit abweichen. – Der
unsicher tastende Charakter dieser metapsychologischen Erörterungen soll
natürlich in keiner Weise verschleiert oder beschönigt werden. Erst wei-
tere Vertiefung kann zu einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit
führen.S.
355
kann. Sie wird erst ermöglicht, wenn das Ich des Kranken
so weit zerfallen ist, daß die Realitätsprüfung nicht mehr die
Halluzination verhindert.Zur Psychologie der Traumvorgänge erhalten wir das
Resultat, daß alle wesentlichen Charaktere des Traumes durch
die Bedingung des Schlafzustandes determiniert werden. Der
alte Aristoteles behält mit seiner unscheinbaren Aussage,
der Traum sei die seelische Tätigkeit des Schlafenden, in
allen Stücken recht. Wir konnten ausführen: Ein Rest von
seelischer Tätigkeit, dadurch ermöglicht, daß sich der nar-
zißtische Schlafzustand nicht ausnahmslos durchsetzen ließ.
Das lautet ja nicht viel anders, als was Psychologen und
Philosophen von jeher gesagt haben, ruht aber auf ganz ab-
weichenden Ansichten über den Bau und die Leistung des
seelischen Apparates, die den Vorzug vor den früheren haben,
daß sie auch alle Einzelheiten des Traumes unserem Ver-
ständnis nahebringen konnten.Werfen wir am Ende noch einen Blick auf die Bedeu-
tung, welche eine Topik des Verdrängungsvorganges für un-
sere Einsicht in den Mechanismus der seelischen Störungen
gewinnt. Beim Traum betrifft die Entziehung der Besetzung
(Libido, Interesse) alle Systeme gleichmäßig, bei den Über-
tragungsneurosen wird die vbw. Besetzung zurückgezogen, bei
der Schizophrenie die des Ubw., bei der Amentia die des Bw.
sksn42
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