Metapsychologische Ergänzungen zur Traumlehre 1918-001/1931
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    METAPSYCHOLOGISCHE ER-
    GÄNZUNG ZUR TRAUMLEHRE1)

    (1917)

    Wir werden bei verschiedenen Anlässen die Erfahrung 
    machen können, wie vorteilhaft es für unsere Forschung ist, 
    wenn wir gewisse Zustände und Phänomene zur Vergleichung 
    heranziehen, die man als Normalvorbilder krank-
    hafter Affektionen auffassen kann. Dahin gehören Affekt-
    zustände wie Trauer und Verliebtheit, aber auch der Zustand 
    des Schlafes und das Phänomen des Träumens.

    Wir sind nicht gewöhnt, viele Gedanken daran zu knüpfen, 
    daß der Mensch allnächtlich die Hüllen ablegt, die er über 
    seine Haut gezogen hat, und etwa noch die Ergänzungsstücke 
    seiner Körperorgane, soweit es ihm gelungen ist, deren Män-
    gel durch Ersatz zu decken, also die Brille, falschen Haare, 
    Zähne usw. Man darf hinzufügen, daß er beim Schlafen-
    gehen eine ganz analoge Entkleidung seines Psychischen vor-
    nimmt, auf die meisten seiner psychischen Erwerbungen

    1)Die beiden nachstehenden Abhandlungen schließen an die 
    vorangehenden an und stammen aus einer Sammlung, die ich ur-
    sprünglich unter dem Titel „Zur Vorbereitung einer Metapsycho-
    logie“ veröffentlichen wollte. Absicht dieser Reihe ist die Klärung 
    und Vertiefung der theoretischen Annahmen, die man einem 
    psychoanalytischen System zu Grunde legen könnte.

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    verzichtet und so von beiden Seiten her eine außerordentliche 
    Annäherung an die Situation herstellt, welche der Ausgang 
    seiner Lebensentwicklung war. Das Schlafen ist somatisch 
    eine Reaktivierung des Aufenthalts im Mutterleibe mit der 
    Erfüllung der Bedingungen von Ruhelage, Wärme und Reiz-
    abhaltung; ja viele Menschen nehmen im Schlafe die fötale 
    Körperhaltung wieder ein. Der psychische Zustand der 
    Schlafenden charakterisiert sich durch nahezu völlige Zurück-
    ziehung aus der Welt der Umgebung und Einstellung alles 
    Interesses für sie.

    Wenn man die psychoneurotischen Zustände untersucht, 
    wird man veranlaßt, in jedem derselben die sogenannten 
    zeitlichen Regressionen hervorzuheben, den Be-
    trag des ihm eigentümlichen Rückgreifens in der Entwick-
    lung. Man unterscheidet zwei solcher Regressionen, die der 
    Ich‑ und die der Libidoentwicklung. Die letztere reicht beim 
    Schlafzustand bis zur Herstellung des primitiven Narzißmus
    die erstere bis zur Stufe der halluzinatorischen 
    Wunschbefriedigung.

    Was man von den psychischen Charakteren des Schlaf-
    zustandes weiß, hat man natürlich durch das Studium des 
    Traumes erfahren. Zwar zeigt uns der Traum den Menschen, 
    insofern er nicht schläft, aber er kann doch nicht umhin, 
    uns dabei auch Charaktere des Schlafes selbst zu verraten. 
    Wir haben aus der Beobachtung einige Eigentümlichkeiten 
    des Traumes kennen gelernt, die wir zunächst nicht ver-
    stehen konnten und nun mit leichter Mühe einreihen können. 
    So wissen wir, der Traum sei absolut egoistisch, und die 
    Person, die in seinen Szenen die Hauptrolle spiele, sei immer 
    als die eigene zu agnoszieren. Das leitet sich nun leicht be-
    greiflicherweise von dem Narzißmus des Schlafzustandes ab. 
    Narzißmus und Egoismus fallen ja zusammen; das Wort 
    „Narzißmus“ will nur betonen, daß der Egoismus auch ein

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    libidinöses Phänomen sei, oder, um es anders auszudrücken, 
    der Narzißmus kann als die libidinöse Ergänzung des Egois-
    mus bezeichnet werden. Ebenso verständlich wird auch die 
    allgemein anerkannte und für rätselhaft gehaltene „dia-
    gnostische“ Fähigkeit des Traumes, in welchem beginnende 
    Körperleiden oft früher und deutlicher als im Wachen ver-
    spürt werden, und alle gerade aktuellen Körperempfindungen 
    ins Riesenhafte vergrößert auftreten. Diese Vergrößerung ist 
    hypochondrischer Natur, sie hat zur Voraussetzung, daß alle 
    psychische Besetzung von der Außenwelt auf das eigene Ich 
    zurückgezogen wurde, und sie ermöglicht nun die frühzeitige 
    Erkennung von körperlichen Veränderungen, die im Wach-
    leben noch eine Weile unbemerkt geblieben wären.

    Ein Traum zeigt uns an, daß etwas vorging, was den 
    Schlaf stören wollte, und gestattet uns Einsicht in die Art, 
    wie diese Störung abgewehrt werden konnte. Am Ende hat 
    der Schlafende geträumt und kann seinen Schlaf fortsetzen; 
    an Stelle des inneren Anspruches, der ihn beschäftigen wollte, 
    ist ein äußeres Erlebnis getreten, dessen Anspruch erledigt 
    worden ist. Ein Traum ist also auch eine Projektion
    eine Veräußerlichung eines inneren Vorganges. Wir erinnern 
    uns, daß wir die Projektion bereits an anderer Stelle unter 
    den Mitteln der Abwehr begegnet haben. Auch der Mechanis-
    mus der hysterischen Phobie gipfelte darin, daß das Indi-
    viduum sich durch Fluchtversuche vor einer äußeren Gefahr 
    schützen durfte, welche an die Stelle eines inneren Trieb-
    anspruches getreten war. Eine gründliche Erörterung der 
    Projektion sparen wir uns aber auf, bis wir zur Zerglied-
    erung jener narzißtischen Affektion gekommen sind, bei 
    welcher dieser Mechanismus die auffälligste Rolle spielt.

    Auf welche Weise kann aber der Fall herbeigeführt wer-
    den, daß die Absicht zu schlafen eine Störung erfährt? Die 
    Störung kann von innerer Erregung oder von äußerem Reiz 

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    ausgehen. Wir wollen den minder durchsichtigen und inter-
    essanteren Fall der Störung von innen zuerst in Betracht 
    ziehen; die Erfahrung zeigt uns als Erreger des Traumes 
    Tagesreste, Denkbesetzungen, welche sich der allgemeinen 
    Abziehung der Besetzungen nicht gefügt und ihr zum Trotz 
    ein gewisses Maß von libidinösem oder anderem Interesse be-
    halten haben. Der Narzißmus des Schlafes hat also hier von 
    vornherein eine Ausnahme zulassen müssen, und mit dieser 
    hebt die Traumbildung an. Diese Tagesreste lernen wir in 
    der Analyse als latente Traumgedanken kennen und müssen 
    sie nach ihrer Natur wie zufolge der ganzen Situation als 
    vorbewußte Vorstellungen, als Angehörige des Systems Vbw 
    gelten lassen.

    Die weitere Aufklärung der Traumbildung gelingt nicht 
    ohne Überwindung gewisser Schwierigkeiten. Der Narzißmus 
    des Schlafzustandes bedeutet ja die Abziehung der Besetzung 
    von allen Objektvorstellungen, sowohl der unbewußten wie 
    der vorbewußten Anteile derselben. Wenn also gewisse 
    „Tagesreste“ besetzt geblieben sind, so hat es Bedenken an-
    zunehmen, daß diese zur Nachtzeit soviel Energie erwerben, 
    um sich die Beachtung des Bewußtseins zu erzwingen; man 
    ist eher geneigt anzunehmen, daß die ihnen verbliebene Be-
    setzung um vieles schwächer ist, als die ihnen tagsüber eigen 
    war. Die Analyse überhebt uns hier weiterer Spekulationen, 
    indem sie uns nachweist, daß diese Tagesreste eine Verstär-
    kung aus den Quellen unbewußter Triebregungen bekommen 
    müssen, wenn sie als Traumbildner auftreten sollen. Diese 
    Annahme hat zunächst keine Schwierigkeiten, denn wir 
    müssen glauben, daß die Zensur zwischen Vbw und Ubw 
    im Schlafe sehr herabgesetzt, der Verkehr zwischen beiden 
    Systemen also eher erleichtert ist.

    Aber ein anderes Bedenken darf nicht verschwiegen wer-
    den. Wenn der narzißtische Schlafzustand die Einziehung 

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    aller Besetzungen der Systeme Ubw und Vbw zur Folge 
    gehabt hat, so entfällt ja auch die Möglichkeit, daß die vor-
    bewußten Tagesreste eine Verstärkung aus den unbewußten 
    Triebregungen beziehen, die selbst ihre Besetzungen an das 
    Ich abgegeben haben. Die Theorie der Traumbildung läuft 
    hier in einen Widerspruch aus, oder sie muß durch eine Modi-
    fikation der Annahme über den Schlafnarzißmus gerettet 
    werden.

    Eine solche einschränkende Annahme wird, wie sich später 
    ergeben soll, auch in der Theorie der Dementia praecox un-
    abweisbar. Sie kann nur lauten, daß der verdrängte Anteil 
    des Systems Ubw dem vom Ich ausgehenden Schlafwunsche 
    nicht gehorcht, seine Besetzung ganz oder teilweise behält 
    und sich überhaupt infolge der Verdrängung ein gewisses 
    Maß von Unabhängigkeit vom Ich geschaffen hat. In weiterer 
    Entsprechung müßte auch ein gewisser Betrag des Verdrän-
    gungsaufwandes (der Gegenbesetzung) die Nacht über 
    aufrechterhalten werden, um der Triebgefahr zu begegnen, 
    obwohl die Unzugänglichkeit aller Wege zur Affektentbindung 
    und zur Motilität die Höhe der notwendigen Gegenbesetzung 
    erheblich herabsetzen mag. Wir würden uns also die zur 
    Traumbildung führende Situation folgenderart ausmalen: 
    Der Schlafwunsch versucht alle vom Ich ausgeschickten 
    Besetzungen einzuziehen und einen absoluten Narzißmus her-
    zustellen. Das kann nur teilweise gelingen, denn das Ver-
    drängte des Systems Ubw folgt dem Schlafwunsche nicht. 
    Es muß also auch ein Teil der Gegenbesetzungen aufrecht 
    erhalten werden und die Zensur zwischen Ubw und Vbw
    wenngleich nicht in voller Stärke, verbleiben. Soweit die 
    Herrschaft des Ichs reicht, sind alle Systeme von Besetzungen 
    entleert. Je stärker die ubw Triebbesetzungen sind, desto 
    labiler ist der Schlaf. Wir kennen auch den extremen Fall, 
    daß das Ich den Schlafwunsch aufgibt, weil es sich unfähig 

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    fühlt, die während des Schlafes frei gewordenen verdrängten 
    Regungen zu hemmen, mit anderen Worten, daß es auf den 
    Schlaf verzichtet, weil es sich vor seinen Träumen fürchtet.

    Wir werden später die Annahme von der Widersetzlichkeit 
    der verdrängten Regungen als eine folgenschwere schätzen ler-
    nen. Verfolgen wir nun die Situation der Traumbildung weiter.

    Als zweiten Einbruch in den Narzißmus müssen wir die 
    vorhin erwähnte Möglichkeit würdigen, daß auch einige der 
    vorbewußten Tagesgedanken sich resistent erweisen und einen 
    Teil ihrer Besetzung festhalten. Die beiden Fälle können im 
    Grunde identisch sein; die Resistenz der Tagesreste mag sich 
    auf die bereits im Wachleben bestehende Verknüpfung mit 
    unbewußten Regungen zurückführen, oder es geht etwas 
    weniger einfach zu, und die nicht ganz entleerten Tagesreste 
    setzen sich erst im Schlafzustand, dank der erleichterten 
    Kommunikation zwischen Vbw und Ubw, mit dem Ver-
    drängten in Beziehung. In beiden Fällen erfolgt nun der 
    nämliche entscheidende Fortschritt der Traumbildung: Es 
    wird der vorbewußte Traumwunsch geformt, welcher der 
    unbewußten Regung Ausdruck gibt in dem 
    Material der vorbewußten Tagesreste
    Diesen Traumwunsch sollte man von den Tagesresten scharf 
    unterscheiden; er muß im Wachleben nicht bestanden haben, 
    er kann bereits den irrationalen Charakter zeigen, den alles 
    Unbewußte an sich trägt, wenn man es ins Bewußte über-
    setzt. Der Traumwunsch darf auch nicht mit den Wunsch-
    regungen verwechselt werden, die sich möglicherweise, aber 
    gewiß nicht notwendigerweise, unter den vorbewußten 
    (latenten) Traumgedanken befunden haben. Hat es aber 
    solche vorbewußte Wünsche gegeben, so gesellt sich ihnen 
    der Traumwunsch als wirksamste Verstärkung hinzu.

    Es handelt sich nun um die weiteren Schicksale dieser in 
    ihrem Wesen einen unbewußten Triebanspruch vertretenden

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    Wunschregung, die sich im Vbw als Traumwunsch (wunsch-
    erfüllende Phantasie) gebildet hat. Sie könnte ihre Erledigung 
    auf drei verschiedenen Wegen finden, sagt uns die Über-
    legung. Entweder auf dem Wege, der im Wachleben der 
    normale wäre, aus dem Vbw zum Bewußtsein drängen, oder 
    sich mit Umgehung des Bw direkte motorische Abfuhr 
    schaffen, oder den unvermuteten Weg nehmen, den uns die 
    Beobachtung wirklich verfolgen läßt. Im ersteren Falle 
    würde sie zu einer Wahnideemit dem Inhalt der Wunsch-
    erfüllung, aber das geschieht im Schlafzustande nie. (Mit 
    den metapsychologischen Bedingungen der seelischen Prozesse 
    so wenig vertraut, können wir aus dieser Tatsache vielleicht 
    den Wink entnehmen, daß die völlige Entleerung eines 
    Systems es für Anregungen wenig ansprechbar macht.) Der 
    zweite Fall, die direkte motorische Abfuhr, sollte durch das 
    nämliche Prinzip ausgeschlossen sein, denn der Zugang zur 
    Motilität liegt normalerweise noch ein Stück weiter weg von 
    der Bewußtseinszensur, aber er kommt ausnahmsweise als 
    Somnambulismus zur Beobachtung. Wir wissen nicht, 
    welche Bedingungen dies ermöglichen und warum er sich 
    nicht häufiger ereignet. Was bei der Traumbildung wirklich 
    geschieht, ist eine sehr merkwürdige und ganz unvorher-
    gesehene Entscheidung. Der im Vbw angesponnene und durch 
    das Ubw verstärkte Vorgang nimmt einen rückläufigen Weg 
    durch das Ubw zu der dem Bewußtsein sich aufdrängenden 
    Wahrnehmung. Diese Regression ist die dritte Phase 
    der Traumbildung. Wir wiederholen hier zur Übersicht die 
    früheren: Verstärkung der vbw Tagesreste durch das Ubw 
    – Herstellung des Traumwunsches.

    Wir heißen eine solche Regression eine topische zum 
    Unterschied von der vorhin erwähnten zeitlichen oder 
    entwicklungsgeschichtlichen. Die beiden müssen nicht immer 
    zusammenfallen, tun es aber gerade in dem uns vorliegenden

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    Beispiele. Die Rückwendung des Ablaufes der Erregung vom 
    Vbw durch das Ubw zur Wahrnehmung ist gleichzeitig die 
    Rückkehr zu der frühen Stufe der halluzinatorischen Wunsch-
    erfüllung.

    Es ist aus der „Traumdeutung“ bekannt, in welcher Weise 
    die Regression der vorbewußten Tagesreste bei der Traum-
    bildung vor sich geht. Gedanken werden dabei in – vor-
    wiegend visuelle – Bilder umgesetzt, also Wortvorstellungen 
    auf die ihnen entsprechenden Sachvorstellungen zurück-
    geführt, im ganzen so, als ob eine Rücksicht auf Darstellbarkeit 
    den Prozeß beherrschen würde. Nach vollzogener 
    Regression erübrigt eine Reihe von Besetzungen im System 
    Ubw, Besetzungen von Sacherinnerungen, auf welche der psy-
    chische Primärvorgang einwirkt, bis er durch deren Verdich-
    tung und Verschiebung der Besetzungen zwischen ihnen den 
    manifesten Trauminhalt gestaltet hat. Nur wo die Wort-
    vorstellungen in den Tagesresten frische, aktuelle Reste von 
    Wahrnehmungen sind, nicht Gedankenausdruck, werden sie 
    wie Sachvorstellungen behandelt und unterliegen an sich den 
    Einflüssen der Verdichtung und Verschiebung. Daher die in 
    der Traumdeutung gegebene, seither zur Evidenz bestätigte 
    Regel, daß Worte und Reden im Trauminhalt nicht neu-
    gebildet, sondern Reden des Traumtages (oder sonstigen 
    frischen Eindrücken, auch aus Gelesenem) nachgebildet wer-
    den. Es ist sehr bemerkenswert, wie wenig die Traumarbeit 
    an den Wortvorstellungen festhält; sie ist jederzeit bereit, 
    die Worte miteinander zu vertauschen, bis sie jenen Ausdruck 
    findet, welcher der plastischen Darstellung die günstigste 
    Handhabe bietet.2

    2)Der Rücksicht auf Darstellbarkeit schreibe ich auch die von 
    Silberer betonte und vielleicht von ihm überschätzte Tatsache 
    zu, daß manche Träume zwei gleichzeitig zutreffende und doch 
    wesensverschiedene Deutungen gestatten, von denen Silberer die 
    eine die analytische, die andere die anagogische heißt. 
    Es handelt sich dann immer um Gedanken von sehr abstrakter 
    Natur, die der Darstellung im Traume große Schwierigkeiten be-
    reiten mußten. Man halte sich zum Vergleiche etwa die Aufgabe 
    vor, den Leitartikel einer politischen Zeitung durch Illustrationen 
    zu ersetzen! In solchen Fällen muß die Traumarbeit den abstrakten 
    Gedankentext erst durch einen konkreteren ersetzen, welcher mit 
    ihm irgendwie durch Vergleich, Symbolik, allegorische Anspielung, 
    am besten aber genetisch verknüpft ist, und der nun an seiner 
    Stelle Material der Traumarbeit wird. Die abstrakten Gedanken 
    ergeben die sogenannte anagogische Deutung, die wir bei der 
    Deutungsarbeit leichter erraten als die eigentlich analytische. Nach 
    einer richtigen Bemerkung von O. Rank sind gewisse Kurträume 
    von analytisch behandelten Patienten die besten Vorbilder für die 
    Auffassung solcher Träume mit mehrfacher Deutung.

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    In diesem Punkte zeigt sich nun der entscheidende Unter-
    schied zwischen der Traumarbeit und der Schizophrenie. Bei 
    letzterer werden die Worte selbst, in denen der vorbewußte 
    Gedanke ausgedrückt war, Gegenstand der Bearbeitung durch 
    den Primärvorgang; im Traume sind es nicht die Worte, 
    sondern die Sachvorstellungen, auf welche die Worte zurück-
    geführt wurden. Der Traum kennt eine topische Regression, 
    die Schizophrenie nicht; beim Traume ist der Verkehr 
    zwischen (vbw) Wortbesetzungen und (ubw) Sachbesetzungen 
    frei; für die Schizophrenie bleibt charakteristisch, daß er 
    abgesperrt ist. Der Eindruck dieser Verschiedenheit wird 
    gerade durch die Traumdeutungen, die wir in der psycho-
    analytischen Praxis vornehmen, abgeschwächt. Indem die 
    Traumdeutung den Verlauf der Traumarbeit aufspürt, die 
    Wege verfolgt, die von den latenten Gedanken zu den Traum-
    elementen führen, die Ausbeutung der Wortzweideutigkeiten 
    aufdeckt und die Wortbrücken zwischen verschiedenen 
    Materialkreisen nachweist, macht sie einen bald witzigen, 
    bald schizophrenen Eindruck und läßt uns daran vergessen, 
    daß alle Operationen an Worten für den Traum nur Vor-
    bereitung zur Sachregression sind.

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    Die Vollendung des Traumvorganges liegt darin, daß der 
    regressiv verwandelte, zu einer Wunschphantasie umge-
    arbeitete Gedankeninhalt als sinnliche Wahrnehmung bewußt 
    wird, wobei er die sekundäre Bearbeitung erfährt, welcher 
    jeder Wahrnehmungsinhalt unterliegt. Wir sagen, der Traum-
    wunsch wird halluziniert und findet als Halluzination 
    den Glauben an die Realität seiner Erfüllung. Gerade an 
    dieses abschließende Stück der Traumbildung knüpfen sich 
    die stärksten Unsicherheiten, zu deren Klärung wir den 
    Traum in Vergleich mit ihm verwandten pathologischen 
    Zuständen bringen wollen.

    Die Bildung der Wunschphantasie und deren Regression 
    zur Halluzination sind die wesentlichsten Stücke der Traum-
    arbeit, doch kommen sie ihm nicht ausschließend zu. Viel-
    mehr finden sie sich ebenso bei zwei krankhaften Zuständen, 
    bei der akuten halluzinatorischen Verworrenheit, der 
    Amentia (Meynerts), und in der halluzinatorischen 
    Phase der Schizophrenie. Das halluzinatorische Delir der 
    Amentia ist eine deutlich kennbare Wunschphantasie, oft 
    völlig geordnet wie ein schöner Tagtraum. Man könnte ganz 
    allgemein von einer halluzinatorischen Wunschpsychose 
    sprechen und sie dem Traume wie der Amentia 
    in gleicher Weise zuerkennen. Es kommen auch Träume vor, 
    welche aus nichts anderem als aus sehr reichhaltigen, unent-
    stellten Wunschphantasien bestehen. Die halluzinatorische 
    Phase der Schizophrenie ist minder gut studiert; sie scheint 
    in der Regel zusammengesetzter Natur zu sein, dürfte aber 
    im wesentlichen einem neuen Restitutionsversuch entsprechen, 
    der die libidinöse Besetzung zu den Objektvorstellungen zu-
    rückbringen will.3 Die anderen halluzinatorischen Zustände

    3)Als ersten solchen Versuch haben wir in der Abhandlung über 
    das „Unbewußte“ die Überbesetzung der Wortvorstellungen 
    kennen gelernt.

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    bei mannigfaltigen pathologischen Affektionen kann ich nicht 
    zum Vergleich heranziehen, weil ich hier weder über eigene 
    Erfahrung verfüge noch die Anderer verwerten kann.

    Machen wir uns klar, daß die halluzinatorische Wunsch-
    psychose – im Traume oder anderwärts – zwei keineswegs 
    ineinander fallende Leistungen vollzieht. Sie bringt nicht nur 
    verborgene oder verdrängte Wünsche zum Bewußtsein, son-
    dern stellt sie auch unter vollem Glauben als erfüllt dar. 
    Es gilt dieses Zusammentreffen zu verstehen. Man kann 
    keineswegs behaupten, die unbewußten Wünsche müßten für 
    Realitäten gehalten werden, nachdem sie einmal bewußt ge-
    worden sind, denn unser Urteil ist bekanntermaßen sehr wohl 
    imstande, Wirklichkeiten von noch so intensiven Vorstel-
    lungen und Wünschen zu unterscheiden. Dagegen scheint es 
    gerechtfertigt anzunehmen, daß der Realitätsglaube an die 
    Wahrnehmung durch die Sinne geknüpft ist. Wenn einmal 
    ein Gedanke den Weg zur Regression bis zu den unbewußten 
    Objekterinnerungsspuren und von da bis zur Wahrnehmung 
    gefunden hat, so anerkennen wir seine Wahrnehmung als real. 
    Die Halluzination bringt also den Realitätsglauben mit sich. 
    Es fragt sich nun, welches die Bedingung für das Zustande-
    kommen einer Halluzination ist. Die erste Antwort würde 
    lauten: Die Regression, und somit die Frage nach der Ent-
    stehung der Halluzination durch die nach dem Mechanismus 
    der Regression ersetzen. Die Antwort darauf brauchten wir 
    für den Traum nicht lange schuldig zu bleiben. Die Re-
    gression der vbw Traumgedanken zu den Sacherinnerungs-
    bildern ist offenbar die Folge der Anziehung, welche diese 
    ubw Triebrepräsentanzen – zum Beispiel verdrängte Er-
    lebniserinnerungen – auf die in Worte gefaßten Gedanken 
    ausüben. Allein wir merken bald, daß wir auf falsche Fährte 
    geraten sind. Wäre das Geheimnis der Halluzination kein 
    anderes als das der Regression, so müßte jede genug intensive

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    Regression eine Halluzination mit Realitätsglauben ergeben. 
    Wir kennen aber sehr wohl die Fälle, in denen ein regressives 
    Nachdenken sehr deutliche visuelle Erinnerungsbilder zum 
    Bewußtsein bringt, die wir darum keinen Augenblick für reale 
    Wahrnehmung halten. Wir könnten uns auch sehr wohl vor-
    stellen, daß die Traumarbeit bis zu solchen Erinnerungs-
    bildern vordringt, uns die bisher unbewußten bewußt macht 
    und uns eine Wunschphantasie vorspiegelt, die wir sehnsüch-
    tig empfinden, aber nicht als die reale Erfüllung des Wunsches 
    anerkennen würden. Die Halluzination muß also mehr sein 
    als die regressive Belebung der an sich ubw Erinnerungsbilder.

    Halten wir uns noch vor, daß es von großer praktischer 
    Bedeutung ist, Wahrnehmungen von noch so intensiv er-
    innerten Vorstellungen zu unterscheiden. Unser ganzes Ver-
    hältnis zur Außenwelt, zur Realität, hängt von dieser Fähig-
    keit ab. Wir haben die Fiktion aufgestellt, daß wir diese 
    Fähigkeit nicht immer besaßen, und daß wir zu Anfang 
    unseres Seelenlebens wirklich das befriedigende Objekt hal-
    luzinierten, wenn wir das Bedürfnis nach ihm verspürten. Aber 
    die Befriedigung blieb in solchem Falle aus, und der Miß-
    erfolg muß uns sehr bald bewogen haben, eine Einrichtung 
    zu schaffen, mit deren Hilfe eine solche Wunschwahrnehmung 
    von einer realen Erfüllung unterschieden und im weiteren 
    vermieden werden konnte. Wir haben mit anderen Worten 
    sehr frühzeitig die halluzinatorische Wunschbefriedigung auf-
    gegeben und eine Art der Realitätsprüfung ein-
    gerichtet. Die Frage erhebt sich nun, worin bestand diese 
    Realitätsprüfung, und wie bringt es die halluzinatorische 
    Wunschpsychose des Traumes und der Amentia u. dgl. zu 
    stande, sie aufzuheben und den alten Modus der Befriedigung 
    wieder herzustellen.

    Die Antwort läßt sich geben, wenn wir nun daran gehen, 
    das dritte unserer psychischen Systeme, das System Bw,

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    welches wir bisher vom Vbw nicht scharf gesondert haben, 
    näher zu bestimmen. Wir haben uns schon in der Traum-
    deutung entschließen müssen, die bewußte Wahrnehmung als 
    die Leistung eines besonderen Systems in Anspruch zu nehmen, 
    dem wir gewisse merkwürdige Eigenschaften zugeschrieben 
    haben und mit guten Gründen noch weitere Charaktere bei-
    legen werden. Dieses dort W genannte System bringen wir 
    zur Deckung mit dem System Bw, an dessen Arbeit in der 
    Regel das Bewußtwerden hängt. Noch immer aber deckt 
    sich die Tatsache des Bewußtwerdens nicht völlig mit der 
    Systemzugehörigkeit, denn wir haben ja erfahren, daß sinn-
    liche Erinnerungsbilder bemerkt werden können, denen wir 
    unmöglich einen psychischen Ort im System Bw oder W 
    zugestehen können.

    Allein die Behandlung dieser Schwierigkeit darf wiederum 
    aufgeschoben werden, bis wir das System Bw selbst als Mittel-
    punkt unseres Interesses einstellen können. Für unseren gegen-
    wärtigen Zusammenhang darf uns die Annahme gestattet 
    werden, daß die Halluzination in einer Besetzung des Systems 
    Bw (W) besteht, die aber nicht wie normal von außen, son-
    dern von innen her erfolgt, und daß sie zur Bedingung hat, 
    die Regression müsse so weit gehen, daß sie dies System 
    selbst erreicht und sich dabei über die Realitätsprüfung hin-
    aussetzen kann.4

    Wir haben in einem früheren Zusammenhang („Triebe und 
    Triebschicksale“) für den noch hilflosen Organismus die Fähig-
    keit in Anspruch genommen, mittels seiner Wahrnehmungen 
    eine erste Orientierung in der Welt zu schaffen, indem er 
    „außen“ und „innen“ nach der Beziehung zu einer Muskel-
    aktion unterscheidet. Eine Wahrnehmung, die durch eine

    4)Ich füge ergänzend hinzu, daß ein Erklärungsversuch der
    Halluzination nicht an der positiven, sondern vielmehr an der
    negativen Halluzination angreifen müßte.

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    Aktion zum Verschwinden gebracht wird, ist als eine äußere, 
    als Realität erkannt; wo solcheAktion nichts ändert, kommt 
    die Wahrnehmung aus dem eigenen Körperinnern, sie ist 
    nicht real. Es ist dem Individuum wertvoll, daß es ein solches 
    Kennzeichen der Realität besitzt, welches gleichzeitig eine 
    Abhilfe gegen sie bedeutet, und es wollte gern mit ähnlicher 
    Macht gegen seine oft unerbittlichen Triebansprüche aus-
    gestattet sein. Darum wendet es solche Mühe daran, was ihm 
    von innen her beschwerlich wird, nach außen zu versetzen, 
    zu projizieren.

    Diese Leistung der Orientierung in der Welt durch Unter-
    scheidung von innen und außen müssen wir nun nach einer 
    eingehenden Zergliederung des seelischen Apparates dem 
    System Bw (W) allein zuschreiben. Bw muß über eine moto-
    rische Innervation verfügen, durch welche festgestellt wird, 
    ob die Wahrnehmung zum Verschwinden zu bringen ist oder 
    sich resistent verhält. Nichts anderes als diese Einrichtung 
    braucht die Realitätsprüfung zu sein5. Näheres 
    darüber können wir nicht aussagen, da Natur und Arbeits-
    weise des Systems Bw noch zu wenig bekannt sind. Die 
    Realitätsprüfung werden wir als eine der großen Institutionen 
    des Ichs neben die uns bekannt gewordenen 
    Zensuren zwischen den psychischen Systemen hinstellen 
    und erwarten, daß uns die Analyse der narzißtischen Affek-
    tionen andere solcher Institutionen aufzudecken verhilft.

    Hingegen können wir schon jetzt aus der Pathologie er-
    fahren, auf welche Weise die Realitätsprüfung aufgehoben 
    oder außer Tätigkeit gesetzt werden kann, und zwar werden 
    wir es in der Wunschpsychose, der Amentia, unzweideutiger 
    erkennen als am Traum: Die Amentia ist die Reaktion auf 
    einen Verlust, den die Realität behauptet, der aber vom Ich

    5)Über die Unterscheidung einer Aktualitäts‑ von einer Reali-
    tätsprüfung siehe an späterer Stelle.

  • S.

    155

    als unerträglich verleugnet werden soll. Darauf bricht das 
    Ich die Beziehung zur Realität ab, es entzieht dem System 
    der Wahrnehmungen Bw die Besetzung oder vielleicht besser 
    eine Besetzung, deren besondere Natur noch Gegenstand einer 
    Untersuchung werden kann. Mit dieser Abwendung von der 
    Realität ist die Realitätsprüfung beseitigt, die – unverdräng-
    ten, durchaus bewußten – Wunschphantasien können ins 
    System vordringen und werden von dort aus als bessere 
    Realität anerkannt. Eine solche Entziehung darf den Ver-
    drängungsvorgängen beigeordnet werden; die Amentia bietet 
    uns das interessante Schauspiel einer Entzweiung des Ichs 
    mit einem seiner Organe, welches ihm vielleicht am ge-
    treuesten diente und am innigsten verbunden war.6

    Was bei der Amentia die „Verdrängung“ leistet, das macht 
    beim Traum der freiwillige Verzicht. Der Schlafzustand will 
    nichts von der Außenwelt wissen, interessiert sich nicht für 
    die Realität oder nur insoweit, als das Verlassen des Schlaf-
    zustandes, das Erwachen, in Betracht kommt. Er zieht also 
    auch die Besetzung vom System Bw ab, wie von den anderen 
    Systemen, dem Vbw und dem Ubw, soweit die in ihnen vor-
    handenen Positionen dem Schlafwunsch gehorchen. Mit dieser 
    Unbesetztheit des Systems Bw ist die Möglichkeit einer 
    Realitätsprüfung aufgegeben, und die Erregungen, welche vom 
    Schlafzustand unabhängig den Weg der Regression ein-
    geschlagen haben, werden ihn frei finden bis zum System Bw
    in welchem sie als unbestrittene Realität gelten werden.7 Für

    6)Man kann von hier aus die Vermutung wagen, daß auch die 
    toxischen Halluzinosen, z. B. das Alkoholdelirium, in analoger 
    Weise zu verstehen sind. Der unerträgliche Verlust, der von der 
    Realität auferlegt wird, wäre eben der des Alkohols, Zuführung 
    desselben hebt die Halluzinationen auf.

    7)Das Prinzip der Unerregbarkeit unbesetzter Systeme erscheint 
    hier für das Bw (W) außer Kraft gesetzt. Aber es kann sich um 
    nur teilweise Aufhebung der Besetzung handeln, und gerade für 
    das Wahrnehmungssystem werden wir eine Anzahl von Erregungs-
    bedingungen annehmen müssen, die von denen anderer Systeme weit 
    abweichen. – Der unsicher tastende Charakter dieser metapsycho-
    logischen Erörterungen soll natürlich in keiner Weise verschleiert 
    oder beschönigt werden. Erst weitere Vertiefung kann zu einem 
    gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit führen.

  • S.

    156

    halluzinatorische Psychose der Dementia praecox werden 
    wir aus unseren Erwägungen ableiten, daß sie nicht zu den 
    Eingangssymptomen der Affektion gehören kann. Sie wird 
    erst ermöglicht, wenn das Ich des Kranken so weit zerfallen 
    ist, daß die Realitätsprüfung nicht mehr die Halluzination 
    verhindert.

    Zur Psychologie der Traumvorgänge erhalten wir das 
    Resultat, daß alle wesentlichen Charaktere des Traumes durch 
    die Bedingung des Schlafzustandes determiniert werden. Der 
    alte Aristoteles behält mit seiner unscheinbaren Aussage, 
    der Traum sei die seelische Tätigkeit des Schlafenden, in 
    allen Stücken recht. Wir konnten ausführen: Ein Rest von 
    seelischer Tätigkeit, dadurch ermöglicht, daß sich der narziß-
    tische Schlafzustand nicht ausnahmslos durchsetzen ließ. Das 
    lautet ja nicht viel anders, als was Psychologen und Philo-
    sophen von jeher gesagt haben, ruht aber auf ganz ab-
    weichenden Ansichten über den Bau und die Leistung des 
    seelischen Apparates, die den Vorzug vor den früheren haben, 
    daß sie auch alle Einzelheiten des Traumes unserem Ver-ständnis nahebringen konnten.

    Werfen wir am Ende noch einen Blick auf die Bedeutung, 
    welche eine Topik des Verdrängungsvorganges für unsere 
    Einsicht in den Mechanismus der seelischen Störungen ge-
    winnt. Beim Traum betrifft die Entziehung der Besetzung 
    (Libido, Interesse) alle Systeme gleichmäßig, bei den Über-
    tragungsneurosen wird die Vbw Besetzung zurückgezogen, bei 
    der Schizophrenie die des Ubw, bei der Amentia die des Bw.