Nachwort zur Frage der Laienanalyse 1926-002/1928.2
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    NACHWORT
    ZUR „FRAGE DER LAIENANALYSE“

    Der unmittelbare Anlaß zur Ahfassu.ng meiner kleinen Schrift,
    an welche die hier vorstehenden Diskussionen' anknüpfen, war
    die Anklage unseres nichtärztlichen Kollegen Dr. Th. Keil; wegen
    Kurpfuscherei bei der Wiener Behörde. Es dürfte allgemein bekannt
    geworden sein, daß diese Klage fallen gelassen wurde, nachdem
    alle Vorerhebungen durchgeführt und verschiedene Gutachten ein-
    geholt worden waren. Ich glaube nicht1 daß dies ein Erfolg meines
    Buches war; der Fall lag wohl zu ungünstig für die Klagefilhrung
    und die Person, die sich als geschädigt beschwert hatte, erwies
    sich als wenig vertrauenswürdig. Die Einstellung des Verfahrens
    gegen Dr. Keil; hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung einer
    prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der
    Laienanalyse. Als ich die Figur des „unparteiischen“ Partners in
    meiner Tendenzschrift schuf, schwebte mir die Person eines unserer
    hohen Funktionäre vor, eines Mannes von wohlwolleuder Gelnnung
    und nicht gewöhnlicher Integrität, mit dem ich selbst ein Gespräch
    über die Cause Reik geführt und dem ich dann, wie er gewünscht,
    ein privates Gutachten darüber überreicht hatte. Ich wußte, daß

    ‚) [Dina Nm„ in um Schluß „„ Dixluuxion mäfi'mliclu war-dm, an mm .1„
    „Internationalen Zzl'uchn]: fü: stdwazwlyn‘ im Snmmtr 1917 {in H.}; : und , du
    xm. Jahrgang:: ) über di. bag: der Lime,“ main Wurde]

    Freud XI. 25

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    586 Schriften aus den lahm: 1926—1918

    es mir nicht gelungen war, ihn zu meiner Ansicht zu hekehren,
    und darum ließ ich auch meinen Dialog mit dem Unparteiischen
    nicht in eine Einigung ausgehen.

    Ich habe auch nicht erwartet, daß es mir gelingen werde, eine
    einheitliche Stellungnahme zum Problem der Laienanalyse bei den
    Analytikern selbst herbeizu.führen. Wer in dieser Sammlung die
    Äußerung der Ungarischen Gesellschaft mit der der New Yorker
    Gruppe zusammenhält‚ wird vielleicht annehmen, meine Schrift
    habe gar nichts ausgerichtet, jedermann halte den Standpunkt fest,
    den er auch vorher vertreten. Allein auch dies glaube ich nicht.
    Ich meine, viele Kollegen werden ihre extreme Parteinahme er—
    mäßigt haben, die meisten haben meine Auffassung angenommen,
    daß das Problem der Laienanalyse nicht nach hergebrachten Ge-
    pflogenheiten entschieden werden darf, sondern einer neuartigen
    Situation entspringt und darum eine neue Urteilsfä'llung fordert.

    Auch die Wendung, die ich der ganzen Frage gegeben, scheint
    Beifall gefunden zu haben. Ich hatte ja den Satz in den Vorder-
    grund gerückt, es käme nicht darauf an, ob der Analytiker ein
    ärztliches Diplom bea'tzt, sondern ob er die besondere Ausbildung
    erworben hat, deren es zur Ausübung der Analyse bedarf. Daran
    konnte die Frage anknüpfen, über die die Kollegen so eifrig
    diskutiert haben, welche die für den Analytiker geeignetste Aus«
    bildung sei. Ich meinte und vertrete es auch jetzt, es sei nicht
    die, welche die Universität dem künftigen Arzt vorschreibt. Die
    sogenannte ärztliche Ausbildung erscheint mir als ein heschwerlicher
    Umweg zum analytischen Beruf, sie gibt dem Analytiker zwar
    vieles, was ihm unentbehrlich ist, lädt ihm aber außerdem zuviel
    auf, was er nie verwerten kann, und bringt die Gefahr mit sich,
    daß sein Interesse wie seine Denkweise von der Erfassung der
    psychischen Phänomene abgelenkt wird. Der Unterrichtsth für
    den Analytiker ist erst zu schaffen, er muß geisteswissenschaftlichen
    Stoß", psychologischen, kulturhistorischen, soziologischen ebenso um-
    fassen vvie anatomischen, biologischen und entwicklungsgeschicht-

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    Nachwort zur „Frage der Laimanalyrz" 587

    lichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, daß man gerechtfertigt ist,
    aus dem Unterricht weg-zulassen, was keine direkte Bezieth zur
    analytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium
    zur Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung bei-
    tragen kann. Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden,
    solche analytische Hochschulen gebe es nicht, das sei eine Ideal-
    forderung. Jawohl, ein Ideal, aber eines, das realisiert werden kann
    und realisiert werden muß. Unsere Lehri.nstitute sind bei all ihrer
    jugendlichen Unzulänglichkeit doch bereim der Beginn einer solchen
    Realisierung.

    Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß ich im vor-
    stehenden etwas wie selbstverständlich vorausgesetzt habe, was in
    den Diskussionen noch hefiig umstritten wird. Nämlich, daß die
    Psychoanalyse kein Spezialfach der Medizin ist. Ich sehe nicht,
    wie man sich sträuben kann, das zu erkennen. Die Psychoanalyse
    ist ein Stück Psychologie, auch nicht medizinische Psychologie im
    alten Sinne oder Psychologie der krankhaften Vorgänge, sondern
    Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der Psychologie,
    sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament. Man
    lasse sich durch die Möglichkeit ihrer Anwendung zu medizinischen
    Zwecken nicht irreführen, auch die Elektrizität und die Röntgen-
    strahlen haben Verwendung in der Medizin gefunden, aber die
    Wissenschaft von beiden ist doch die Physik. Auch historische
    Argumente können an dieser Zugehörigkeit nichts ändern. Die
    ganze Lehre von der Elektrizität hat ihren Ausgang von einer
    Beobachtung am Nervmuskelpräparat genommen, darum fällt es
    heute doch niemand ein zu behaupten, sie sei ein Stück der
    Physiologie. Für die Psychoanalyse bringt man vor, sie sei doch
    von einem Arzt erfunden werden bei seinen Bemühungen Kranken
    zu helfen. Aber das ist für ihre Beurteilung offenbar gleichgütig.
    Auch ist dies historische Argument recht gefährlich. In seiner
    Fortsetzung könnte man daran erinnern, wie unfreundlich, ja, wie
    gehässig abweisend sich die Ärzteschaft von Anfang an gegen die

    nr

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    533 Schriften aus den Jahren 1926—1953

    Analyse benomrnen hat; daraus würde folgen], daß sie auch heute
    kein Anrecht auf die Analyse hat. Und wirklich — obwohl ich
    eine solche Folgerung zurückweise * ich bin noch heute miß»
    trauisch, ob die Werbung der Ärzte um die Psychoanalyse vom
    Standpunkt der Libidotheorie auf die erste oder die zweite der
    Abrahamschen Unterstu.fen zurückzuführen ist, ob es sich dabei
    um eine Besitzergreifung mit der Absicht der Zerstörung oder der
    Erhaltung des Objekts handelt.

    Um beim historischen Argument noch einen Augenblick zu
    verweilen: da es sich um meine Person handelt, kann ich dem, der
    sich dafür interessiert, einigen Einblick in meine eigenen Motive
    geben. Nach 4.1jähriger ärztlicher Tätigkeit sagt mir meine Selbsv
    erkenntnis, ich sei eigentlich kein richtiger Arzt gewesen. Ich bin
    Arzt geworden durch eine mir aufgedrängte Ablenkung meiner
    ursprünglichen Absicht und mein Lebenstriumph liegt darin, daß
    ich nach großem Umweg die anfängliche Richtung wieder gefunden
    habe. Aus frühen.lahren ist mir nichts von einem Bedürfnis, leidenden
    Menschen zu helfen, bekannt, meine sadistische Veranlagung war
    nicht sehr groß, so brauchte sich dieser ihrer Abkömmlinge nicht
    zu entwickeln. Ich habe auch niemals „Doktor" gespielt, meine
    infantile Neugierde ging offenbar andere Wege. In den Jugend-
    jahren wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt
    zu verstehen und vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen,
    über-mächtig. Die Inskription an der medizinischen Fakultät schien
    der beste Weg dazu, aber dann versuchte ich’s * erfolglos —— mit
    der Zoologie und der Chemie, bis ich unter dem Einfluß v, Brückes,
    der größten Autorität, die je auf mich gewirkt hat, an der Physiologie
    haften blieb, die sich damals freilich zu sehr auf Histologie ein-
    schränkte. Ich hatte dann bereits alle medizinischen Prüfungen
    abgelegt, ohne mich für etwas Ärztliches zu interessieren, bis ein
    Mahnwort des verehrten Lehrers mir sagte, daß ich in meiner
    armseligen materiellen Situation eine theoretische Laufbahn ver-
    meiden müßte. So kam ich von der Histologie des Nervensystems

  • S.

    Nachwart zur „Frage dzr Lm'nzanalysz“ 589

    zur Neuropatholog-ie und auf Grund neuer Anregungen zur Be-
    mühung um die Neurosen. Ich meine aber, mein Mangel an der
    richtigen ärztlichen Disposition hat meinen Patienten nicht sehr
    geschadet. Denn der Kranke hat nicht viel davon, wenn das
    therapeutische Interesse beim Arzt aflektiv überbetont ist. Für ihn
    ist es am besten, wenn der Arzt kühl und möglichst korrekt arbeitet.

    Der vorstehende Bericht hat gewiß wenig zur Klärung des
    Problems der Laienanalyse beigetragen. Er sollte bloß meine per-
    sönliche Legitimation hekräftigen, wenn gerade ich für den Eigen—
    wert der Psychoanalyse und ihre Unabhängigkeit von ihrer medi-
    zinischen Anwendung eintrete. Man wird mir aber hier entgegen-
    halten, ob die Psychoanalyse als Wissenschaft ein Teilgebiet der
    Medizin oder der Psychologie ist, sei eine Daktorfrage, praktisch
    ganz uninteressant. Was in Rede stehe, sei etwas anderes, eben
    die Verwendung der Analyse zur Behandlung von Kranken, und
    insofern sie dies beanspruche, müsse sie sich’s gefallen lassen, als
    Spezialfach in die Medizin aufgenommen zu werden, wie z. E. die
    Röntgenologie, und sich den für alle therapeutischen Methoden
    geltenden Vorschriften unterwerfen. Ich anerkenne das, gestehe es
    zu, ich Will nur verhiltet wissen, daß die Therapie die Wissenschaft
    erschlägt. Leider reichen alle Vergleiche nur ein Stück weit7 es
    kommt dann ein Punkt, von dem an die beiden Verglichenen
    auseinandergehen. Der Fall der Analyse liegt anders als der der
    Röntgenologie; die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht,
    um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse
    aber hat kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des
    Menschen, kann nur am Menschen studiert werden; infolge be—
    sonderer leicht begreiflicher Verhältnisse ist der neurotische Mensch
    weit lehneicheres und zugänglicheres Material als der Normale,
    und wenn man einem, der die Analyse erlernen und anwenden
    will, dies Material entzieht, hat man ihn um die gute Hälfte seiner
    Bildungsmöglichkeiten verkürzt. Es liegt mir natürlich ferne, zu
    fordern, daß das Interesse des neurotisch Kranken dem des Unter—

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    590 Schriften au: dan Jahren 1926—1328

    richts und der wissenschaftlichen Forschung zum Opfer gebracht
    werde. Meine kleine Schrift zur Frage der Laienanalyse bemüht
    sich eben zu zeigen, daß unter Beobachtung gewisser Kautelen
    beiderlei Interessen sehr wohl in Einklang gebracht werden können,
    und daß eine solche Lösung nicht zuletzt auch dem richtig ver-
    standenen ärztlichen Interesse dient

    Diese Kautelen habe ich alle selbst angeführt; ich darf sagen,
    die Diskussion hat hier nichts Neues hinzugefügt; ich möchte noch
    aufmerksam machen, sie hat oft die Akzente in einer Weise ver-
    teilt, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Es ist alles richtig,
    was über die Schwierigkeit der Differentialdiagnose, die Unsicher-
    heit in der Beurteilung körperlicher Symptome in vielen Fällen
    gesagt wurde, was also ärztliches Wissen oder ärztliche Einmengung
    notwendig macht, aber die Anzahl der Fälle, in denen solche
    Zweifel überhaupt nicht auftauchen, der Arzt nicht gebraucht wird7
    ist doch noch ungleich größer. Diese Fälle mögen wissenschaftlich
    recht uninteressant sein, im Leben spielen sie eine genug wichtige
    Rolle, um die Tätigkeit des Laienanalytikers, der ihnen vollauf
    gewachsen ist, zu rechtfertigen. Ich habe vor einiger Zeit einen
    Kollegen analysiert, der eine besonders scharfe Ablehnung dagegen
    entwickelte, daß jemand sich eine ärztliche Tätigkeit gestatte, der
    nicht selbst Arzt ist. Ich konnte ihm sagen: Wir arbeiten jetzt
    länger als drei Monate. An welcher Stelle unserer Analyse war
    ich veranlaßt, mein ärztliches Wissen in Anspruch zu nehmen?
    Er gestand zu, daß sich kein Anlaß dafür gefunden hatte.

    Auch das Argument, daß der Laienanalytiker, weil er bereit
    sein muß, den Arzt zu konsultieren, beim Kranken keine Autorität
    erwerben und kein höheres Ansehen als das eines Heilgehilfen,
    Masseurs u. dgl. erreichen kann, schätze ich nicht hoch ein. Die
    Analogie dürfte wiederum nicht zutrelifen7 abgesehen davon, daß
    der Kranke die Autorität nach seiner Gefiiblsübertragung zu ver-
    leihen pflegt, und daß der Besitz eines ärztlichen Diploms ihm
    lange nicht so imponiert, wie der Arzt glaubt. Der herufsmäßige

  • S.

    Nachwort zur „Fruge der Laiznanalyrz‘ . 591

    Laienanalytiker wird es nicht schwer haben, sich das Ansehen zu
    verschaifen, das ihm als einem weltlichen Seelsorger gebührt. Mit
    der Formel „Weltliche Seelsorge“ könnte man überhaupt die Funk—
    tion beschreiben, die der Analytiker, sei er nun Arzt oder Laie,
    dem Publikum gegenüber zu erfüllen hat. Unsere Freunde unter
    den protestantischen und neuerlich auch katholischen Geistlichen
    befreien oft ihre Pfarrkinder von ihren Lebenshemmungen, indem
    sie ihre Gläubigkeit herstellen, nachdem sie ihnen ein Stück ana-
    lytischer Aufklärung über ihre Konflikte gebeten haben. Unsere
    Gegner, die Adlerschen Individualpsycholegen, erstreben dieselbe
    Änderung bei den haltlos und untüchtig Gewordenen, indem sie
    ihr Interesse für soziale Gemeinschaft wecken, nachdem sie ihnen
    einen einzigen Winkel ihres Seelenlebens beleuchtet und ihnen
    gezeigt haben, welchen Anteil ihre egoistischen und mißtrauischen
    Regungen an ihrem Kranksein haben. Beide Verfahren, die ihre
    Kraft der Anlehnung an die Analyse verdanken, haben ihren Platz
    in der Psychotherapie. Wir Analytiker setzen uns eine möglichst
    vollständige und tiefreichende Analyse des Patienten zum Ziel, wir
    wollen ihn nicht durch die Aufnahme in die katholische, protestan—
    tische oder sonialistische Gemeinschaft entlasten, sondern ihn aus
    seinem eigenen Inneren bereichern, indem wir seinem Ich die
    Energien zuführen, die durch Verdrängung unzugänglich in seinem
    Unhewußten gebunden sind, und jene anderen, die das Ich in
    unfruchtbarer Weise zur Aufrechterhaltung der Verdrängungen
    verschwenden muß. Was wir so treiben, ist Seelsorge im besten
    Sinne. Ob wir uns damit ein zu hohes Ziel gesteckt haben? Ob
    auch nur die Mehrzahl unserer Patienten der Mühe wert ist, die
    wir für diese Arbeit verbrauchen? Ob es nicht ökonomischer ist,
    das Defekte von außen zu stützen, als von innen zu reformieren?
    Ich kann es nicht sagen, aber etwas anderes weiß ich. In der
    Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen
    und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht
    behandeln, ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine

  • S.

    599 Schriften aus dzn Jahren 1926—1928

    Aufklärung, ohne ihre wohlt'a'tige Wirkung zu erleben. Unser
    analytisches Verfahren ist das einzige, bei dem dies kostbare Zu-
    sammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge
    treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde Einsicht in das
    menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaftlichen
    Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen
    Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum
    Opfer bringen?

    Einige Äußerungen in dieser Diskussion erwecken in mir den
    Verdacht, als wäre meine Schrift zur Laienfrage doch in einem
    Punkte mißverstanden werden. Die Ärzte werden gegen mich in
    Schutz genommen, wie wenn ich sie allgemein als unteuglich fiir
    die Ausübung der Analyse erklärt und die Parole ausgegeben hätte,
    ärztlicher Zuzug sei fernzuhalten. Nun7 das liegt nicht in meiner
    Absicht. Der Anschein entstand wahrscheinlich daraus, daß ich in
    meiner polemisch angelegten Darstellung die unausgebildeten ärzt-
    lichen Analytiker für noch gefährlicher erklären mußte als die
    Laien. Meine wirkliche Meinung in dieser Frage könnte ich klar
    machen, indem ich einen Zynismus kopiere, der einst im Simpliv
    cissimus über die Frauen vorgebracht wurde. Dort beklagte sich
    einer der Partner über die Schwächen und Schwierigkeiten des
    schöneren Geschlechts, worauf der andere bemerkte: Die Frau ist
    aber doch das Beste, was wir in der Art haben. Ich gestehe es
    zu, solange die Schulen nicht bestehen, die wir uns für die Heran-
    bildung von Analytikern wünschen, sind die ärztlich vorgebildeten
    Personen das beste Material für den künftigen Analytiker. Nur
    darf man fordern, daß sie ihre Vorbildung nicht an Stelle der
    Ausbildung setzen, daß sie die Einseitigkeit überwinden, die durch
    den Unterricht an der medizinischen Schule begünstigt wird, und
    daß sie der Versuchung widerstehen, mit. der Endokrinologie und
    dem autonomen Nervensystem zu liehäugeln, wo es darauf ankommt,
    psychologische Tatsachen durch psychologische Hilfsvoxstellungen
    zu erfassen. Ebenso teile ich die Erwartung, daß alle die Probleme,

  • S.

    Nuhmort zur „Frage dar Laa'zna7uly'se' 595

    die sich auf die Zusammenhänge zwischen psychischen Phäno-
    menen und ihren organischen, anatomischen und chemischen Grund—
    lagen beziehen, nur von Personen, die beides studiert haben, also
    von ärztlichen Analytikem, in Angriff genommen werden können.
    Doch sollte man nicht vergessen, daß dies nicht alles an der Psycho-
    analyse ist, und daß wir für deren andere Seite die Mitarbeit von
    Personen, die in den Geisteswissenschaften vorgebildet sind, nie
    entbehren können. Aus praktischen Gründen haben wir, auch für
    unsere Publikationen, die Gewohnheit angenommen, eine ärztliche
    Analyse von den Anwendungen der Analyse zu scheiden. Das ist.
    nicht korrekt. In Wirklichkeit verläuft die Scheidungsgrenze zwi-
    schen der wissenschaftlicheu Psychoanalyse und ihren Anwendungen
    auf medizinischem und nichtmedizinischem Gebiet.

    Die schroffste Ablehnung der Laienanalyse wird in diesen Dis—
    kussionen von unseren amerikanischen Kollegen vertreten. Ich halte
    es nicht für überflüssig, ihnen durch einige Bemerkungen zu er-
    widern. Es ist kaum ein Mißbrauch der Analyse zu polemischen
    Zwecken, wenn ich die Meinung ausdrücke, daß ihr Widerstand
    sich ausschließlich auf praktische Momente zurlickführt. Sie sehen
    in ihrem Lande, daß die Laienanalytiker viel Unfug und Mißbrauch
    mit. der Analyse treiben und infolgedessen die Patienten, wie den
    Ruf der Analyse schädigen. Es ist. dann begreiflich, daß sie in ihrer
    Empörung weit von diesen gewissenlosen Schädlingen abrücken
    und die Laien von jedem Anteil an der Analyse ausschließen wollen.
    Aber dieser Sachverhalt reicht bereits aus, um die Bedeutung ihrer
    Stellungnahme herahzudrücken. Denn die Frage der Laienanalyse
    darf nicht allein nach praktischen Erwägungen entschieden werden
    und die lokalen Verhältnisse Amerikas können für uns nicht allein
    maßgebend sein.

    Die wesentlich von praktischen Motiven geleitete Resolution
    unserer amerikanischen Kollegen gegen die Laienanalytiker er-
    scheint mir unpraktisch, denn sie kann nicht eines der Momente
    verändern, welche die Sachlage beherrschen. Sie hat etwa den Wert

  • S.

    594 Schnftm am dm Inhrm 1925—1928

    eines Versuches zur Verdrängung. Wenn man die Iaienanulytika
    in ihrer Tätigkeit nicht behindern tun, im Kmpf gegen sie nicht
    vom Publikum untérsttnzt wird, wäre es dann nicht mechnäßiger,
    der Tatsache ihrer Existenz Rechnung zu tragen, indem man ihnen
    Gelegenheiten zur Ausbildung bietet, Einfluß auf sie gewinnt und
    ihnen die Möglichkeit der Approbation durch den Ärztestnnd und
    der Herann'ehung zu: Mimrbeiuenchnfi als Ansporn verhält, so daß
    sie ein Interesse daran finden, ihr .nliches und intellektuelle;
    Niveau zu erhöhen?