S.
NACHWORT
ZUR „FRAGE DER LAIENANALYSE“Der unmittelbare Anlaß zur Ahfassu.ng meiner kleinen Schrift,
an welche die hier vorstehenden Diskussionen' anknüpfen, war
die Anklage unseres nichtärztlichen Kollegen Dr. Th. Keil; wegen
Kurpfuscherei bei der Wiener Behörde. Es dürfte allgemein bekannt
geworden sein, daß diese Klage fallen gelassen wurde, nachdem
alle Vorerhebungen durchgeführt und verschiedene Gutachten ein-
geholt worden waren. Ich glaube nicht1 daß dies ein Erfolg meines
Buches war; der Fall lag wohl zu ungünstig für die Klagefilhrung
und die Person, die sich als geschädigt beschwert hatte, erwies
sich als wenig vertrauenswürdig. Die Einstellung des Verfahrens
gegen Dr. Keil; hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung einer
prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der
Laienanalyse. Als ich die Figur des „unparteiischen“ Partners in
meiner Tendenzschrift schuf, schwebte mir die Person eines unserer
hohen Funktionäre vor, eines Mannes von wohlwolleuder Gelnnung
und nicht gewöhnlicher Integrität, mit dem ich selbst ein Gespräch
über die Cause Reik geführt und dem ich dann, wie er gewünscht,
ein privates Gutachten darüber überreicht hatte. Ich wußte, daß‚) [Dina Nm„ in um Schluß „„ Dixluuxion mäfi'mliclu war-dm, an mm .1„
„Internationalen Zzl'uchn]: fü: stdwazwlyn‘ im Snmmtr 1917 {in H.}; : und , du
xm. Jahrgang:: ) über di. bag: der Lime,“ main Wurde]Freud XI. 25
S.
586 Schriften aus den lahm: 1926—1918
es mir nicht gelungen war, ihn zu meiner Ansicht zu hekehren,
und darum ließ ich auch meinen Dialog mit dem Unparteiischen
nicht in eine Einigung ausgehen.Ich habe auch nicht erwartet, daß es mir gelingen werde, eine
einheitliche Stellungnahme zum Problem der Laienanalyse bei den
Analytikern selbst herbeizu.führen. Wer in dieser Sammlung die
Äußerung der Ungarischen Gesellschaft mit der der New Yorker
Gruppe zusammenhält‚ wird vielleicht annehmen, meine Schrift
habe gar nichts ausgerichtet, jedermann halte den Standpunkt fest,
den er auch vorher vertreten. Allein auch dies glaube ich nicht.
Ich meine, viele Kollegen werden ihre extreme Parteinahme er—
mäßigt haben, die meisten haben meine Auffassung angenommen,
daß das Problem der Laienanalyse nicht nach hergebrachten Ge-
pflogenheiten entschieden werden darf, sondern einer neuartigen
Situation entspringt und darum eine neue Urteilsfä'llung fordert.Auch die Wendung, die ich der ganzen Frage gegeben, scheint
Beifall gefunden zu haben. Ich hatte ja den Satz in den Vorder-
grund gerückt, es käme nicht darauf an, ob der Analytiker ein
ärztliches Diplom bea'tzt, sondern ob er die besondere Ausbildung
erworben hat, deren es zur Ausübung der Analyse bedarf. Daran
konnte die Frage anknüpfen, über die die Kollegen so eifrig
diskutiert haben, welche die für den Analytiker geeignetste Aus«
bildung sei. Ich meinte und vertrete es auch jetzt, es sei nicht
die, welche die Universität dem künftigen Arzt vorschreibt. Die
sogenannte ärztliche Ausbildung erscheint mir als ein heschwerlicher
Umweg zum analytischen Beruf, sie gibt dem Analytiker zwar
vieles, was ihm unentbehrlich ist, lädt ihm aber außerdem zuviel
auf, was er nie verwerten kann, und bringt die Gefahr mit sich,
daß sein Interesse wie seine Denkweise von der Erfassung der
psychischen Phänomene abgelenkt wird. Der Unterrichtsth für
den Analytiker ist erst zu schaffen, er muß geisteswissenschaftlichen
Stoß", psychologischen, kulturhistorischen, soziologischen ebenso um-
fassen vvie anatomischen, biologischen und entwicklungsgeschicht-S.
Nachwort zur „Frage der Laimanalyrz" 587
lichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, daß man gerechtfertigt ist,
aus dem Unterricht weg-zulassen, was keine direkte Bezieth zur
analytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium
zur Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung bei-
tragen kann. Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden,
solche analytische Hochschulen gebe es nicht, das sei eine Ideal-
forderung. Jawohl, ein Ideal, aber eines, das realisiert werden kann
und realisiert werden muß. Unsere Lehri.nstitute sind bei all ihrer
jugendlichen Unzulänglichkeit doch bereim der Beginn einer solchen
Realisierung.Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß ich im vor-
stehenden etwas wie selbstverständlich vorausgesetzt habe, was in
den Diskussionen noch hefiig umstritten wird. Nämlich, daß die
Psychoanalyse kein Spezialfach der Medizin ist. Ich sehe nicht,
wie man sich sträuben kann, das zu erkennen. Die Psychoanalyse
ist ein Stück Psychologie, auch nicht medizinische Psychologie im
alten Sinne oder Psychologie der krankhaften Vorgänge, sondern
Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der Psychologie,
sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament. Man
lasse sich durch die Möglichkeit ihrer Anwendung zu medizinischen
Zwecken nicht irreführen, auch die Elektrizität und die Röntgen-
strahlen haben Verwendung in der Medizin gefunden, aber die
Wissenschaft von beiden ist doch die Physik. Auch historische
Argumente können an dieser Zugehörigkeit nichts ändern. Die
ganze Lehre von der Elektrizität hat ihren Ausgang von einer
Beobachtung am Nervmuskelpräparat genommen, darum fällt es
heute doch niemand ein zu behaupten, sie sei ein Stück der
Physiologie. Für die Psychoanalyse bringt man vor, sie sei doch
von einem Arzt erfunden werden bei seinen Bemühungen Kranken
zu helfen. Aber das ist für ihre Beurteilung offenbar gleichgütig.
Auch ist dies historische Argument recht gefährlich. In seiner
Fortsetzung könnte man daran erinnern, wie unfreundlich, ja, wie
gehässig abweisend sich die Ärzteschaft von Anfang an gegen dienr
S.
533 Schriften aus den Jahren 1926—1953
Analyse benomrnen hat; daraus würde folgen], daß sie auch heute
kein Anrecht auf die Analyse hat. Und wirklich — obwohl ich
eine solche Folgerung zurückweise * ich bin noch heute miß»
trauisch, ob die Werbung der Ärzte um die Psychoanalyse vom
Standpunkt der Libidotheorie auf die erste oder die zweite der
Abrahamschen Unterstu.fen zurückzuführen ist, ob es sich dabei
um eine Besitzergreifung mit der Absicht der Zerstörung oder der
Erhaltung des Objekts handelt.Um beim historischen Argument noch einen Augenblick zu
verweilen: da es sich um meine Person handelt, kann ich dem, der
sich dafür interessiert, einigen Einblick in meine eigenen Motive
geben. Nach 4.1jähriger ärztlicher Tätigkeit sagt mir meine Selbsv
erkenntnis, ich sei eigentlich kein richtiger Arzt gewesen. Ich bin
Arzt geworden durch eine mir aufgedrängte Ablenkung meiner
ursprünglichen Absicht und mein Lebenstriumph liegt darin, daß
ich nach großem Umweg die anfängliche Richtung wieder gefunden
habe. Aus frühen.lahren ist mir nichts von einem Bedürfnis, leidenden
Menschen zu helfen, bekannt, meine sadistische Veranlagung war
nicht sehr groß, so brauchte sich dieser ihrer Abkömmlinge nicht
zu entwickeln. Ich habe auch niemals „Doktor" gespielt, meine
infantile Neugierde ging offenbar andere Wege. In den Jugend-
jahren wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt
zu verstehen und vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen,
über-mächtig. Die Inskription an der medizinischen Fakultät schien
der beste Weg dazu, aber dann versuchte ich’s * erfolglos —— mit
der Zoologie und der Chemie, bis ich unter dem Einfluß v, Brückes,
der größten Autorität, die je auf mich gewirkt hat, an der Physiologie
haften blieb, die sich damals freilich zu sehr auf Histologie ein-
schränkte. Ich hatte dann bereits alle medizinischen Prüfungen
abgelegt, ohne mich für etwas Ärztliches zu interessieren, bis ein
Mahnwort des verehrten Lehrers mir sagte, daß ich in meiner
armseligen materiellen Situation eine theoretische Laufbahn ver-
meiden müßte. So kam ich von der Histologie des NervensystemsS.
Nachwart zur „Frage dzr Lm'nzanalysz“ 589
zur Neuropatholog-ie und auf Grund neuer Anregungen zur Be-
mühung um die Neurosen. Ich meine aber, mein Mangel an der
richtigen ärztlichen Disposition hat meinen Patienten nicht sehr
geschadet. Denn der Kranke hat nicht viel davon, wenn das
therapeutische Interesse beim Arzt aflektiv überbetont ist. Für ihn
ist es am besten, wenn der Arzt kühl und möglichst korrekt arbeitet.Der vorstehende Bericht hat gewiß wenig zur Klärung des
Problems der Laienanalyse beigetragen. Er sollte bloß meine per-
sönliche Legitimation hekräftigen, wenn gerade ich für den Eigen—
wert der Psychoanalyse und ihre Unabhängigkeit von ihrer medi-
zinischen Anwendung eintrete. Man wird mir aber hier entgegen-
halten, ob die Psychoanalyse als Wissenschaft ein Teilgebiet der
Medizin oder der Psychologie ist, sei eine Daktorfrage, praktisch
ganz uninteressant. Was in Rede stehe, sei etwas anderes, eben
die Verwendung der Analyse zur Behandlung von Kranken, und
insofern sie dies beanspruche, müsse sie sich’s gefallen lassen, als
Spezialfach in die Medizin aufgenommen zu werden, wie z. E. die
Röntgenologie, und sich den für alle therapeutischen Methoden
geltenden Vorschriften unterwerfen. Ich anerkenne das, gestehe es
zu, ich Will nur verhiltet wissen, daß die Therapie die Wissenschaft
erschlägt. Leider reichen alle Vergleiche nur ein Stück weit7 es
kommt dann ein Punkt, von dem an die beiden Verglichenen
auseinandergehen. Der Fall der Analyse liegt anders als der der
Röntgenologie; die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht,
um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse
aber hat kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des
Menschen, kann nur am Menschen studiert werden; infolge be—
sonderer leicht begreiflicher Verhältnisse ist der neurotische Mensch
weit lehneicheres und zugänglicheres Material als der Normale,
und wenn man einem, der die Analyse erlernen und anwenden
will, dies Material entzieht, hat man ihn um die gute Hälfte seiner
Bildungsmöglichkeiten verkürzt. Es liegt mir natürlich ferne, zu
fordern, daß das Interesse des neurotisch Kranken dem des Unter—S.
590 Schriften au: dan Jahren 1926—1328
richts und der wissenschaftlichen Forschung zum Opfer gebracht
werde. Meine kleine Schrift zur Frage der Laienanalyse bemüht
sich eben zu zeigen, daß unter Beobachtung gewisser Kautelen
beiderlei Interessen sehr wohl in Einklang gebracht werden können,
und daß eine solche Lösung nicht zuletzt auch dem richtig ver-
standenen ärztlichen Interesse dientDiese Kautelen habe ich alle selbst angeführt; ich darf sagen,
die Diskussion hat hier nichts Neues hinzugefügt; ich möchte noch
aufmerksam machen, sie hat oft die Akzente in einer Weise ver-
teilt, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Es ist alles richtig,
was über die Schwierigkeit der Differentialdiagnose, die Unsicher-
heit in der Beurteilung körperlicher Symptome in vielen Fällen
gesagt wurde, was also ärztliches Wissen oder ärztliche Einmengung
notwendig macht, aber die Anzahl der Fälle, in denen solche
Zweifel überhaupt nicht auftauchen, der Arzt nicht gebraucht wird7
ist doch noch ungleich größer. Diese Fälle mögen wissenschaftlich
recht uninteressant sein, im Leben spielen sie eine genug wichtige
Rolle, um die Tätigkeit des Laienanalytikers, der ihnen vollauf
gewachsen ist, zu rechtfertigen. Ich habe vor einiger Zeit einen
Kollegen analysiert, der eine besonders scharfe Ablehnung dagegen
entwickelte, daß jemand sich eine ärztliche Tätigkeit gestatte, der
nicht selbst Arzt ist. Ich konnte ihm sagen: Wir arbeiten jetzt
länger als drei Monate. An welcher Stelle unserer Analyse war
ich veranlaßt, mein ärztliches Wissen in Anspruch zu nehmen?
Er gestand zu, daß sich kein Anlaß dafür gefunden hatte.Auch das Argument, daß der Laienanalytiker, weil er bereit
sein muß, den Arzt zu konsultieren, beim Kranken keine Autorität
erwerben und kein höheres Ansehen als das eines Heilgehilfen,
Masseurs u. dgl. erreichen kann, schätze ich nicht hoch ein. Die
Analogie dürfte wiederum nicht zutrelifen7 abgesehen davon, daß
der Kranke die Autorität nach seiner Gefiiblsübertragung zu ver-
leihen pflegt, und daß der Besitz eines ärztlichen Diploms ihm
lange nicht so imponiert, wie der Arzt glaubt. Der herufsmäßigeS.
Nachwort zur „Fruge der Laiznanalyrz‘ . 591
Laienanalytiker wird es nicht schwer haben, sich das Ansehen zu
verschaifen, das ihm als einem weltlichen Seelsorger gebührt. Mit
der Formel „Weltliche Seelsorge“ könnte man überhaupt die Funk—
tion beschreiben, die der Analytiker, sei er nun Arzt oder Laie,
dem Publikum gegenüber zu erfüllen hat. Unsere Freunde unter
den protestantischen und neuerlich auch katholischen Geistlichen
befreien oft ihre Pfarrkinder von ihren Lebenshemmungen, indem
sie ihre Gläubigkeit herstellen, nachdem sie ihnen ein Stück ana-
lytischer Aufklärung über ihre Konflikte gebeten haben. Unsere
Gegner, die Adlerschen Individualpsycholegen, erstreben dieselbe
Änderung bei den haltlos und untüchtig Gewordenen, indem sie
ihr Interesse für soziale Gemeinschaft wecken, nachdem sie ihnen
einen einzigen Winkel ihres Seelenlebens beleuchtet und ihnen
gezeigt haben, welchen Anteil ihre egoistischen und mißtrauischen
Regungen an ihrem Kranksein haben. Beide Verfahren, die ihre
Kraft der Anlehnung an die Analyse verdanken, haben ihren Platz
in der Psychotherapie. Wir Analytiker setzen uns eine möglichst
vollständige und tiefreichende Analyse des Patienten zum Ziel, wir
wollen ihn nicht durch die Aufnahme in die katholische, protestan—
tische oder sonialistische Gemeinschaft entlasten, sondern ihn aus
seinem eigenen Inneren bereichern, indem wir seinem Ich die
Energien zuführen, die durch Verdrängung unzugänglich in seinem
Unhewußten gebunden sind, und jene anderen, die das Ich in
unfruchtbarer Weise zur Aufrechterhaltung der Verdrängungen
verschwenden muß. Was wir so treiben, ist Seelsorge im besten
Sinne. Ob wir uns damit ein zu hohes Ziel gesteckt haben? Ob
auch nur die Mehrzahl unserer Patienten der Mühe wert ist, die
wir für diese Arbeit verbrauchen? Ob es nicht ökonomischer ist,
das Defekte von außen zu stützen, als von innen zu reformieren?
Ich kann es nicht sagen, aber etwas anderes weiß ich. In der
Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen
und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht
behandeln, ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keineS.
599 Schriften aus dzn Jahren 1926—1928
Aufklärung, ohne ihre wohlt'a'tige Wirkung zu erleben. Unser
analytisches Verfahren ist das einzige, bei dem dies kostbare Zu-
sammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge
treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde Einsicht in das
menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaftlichen
Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen
Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum
Opfer bringen?Einige Äußerungen in dieser Diskussion erwecken in mir den
Verdacht, als wäre meine Schrift zur Laienfrage doch in einem
Punkte mißverstanden werden. Die Ärzte werden gegen mich in
Schutz genommen, wie wenn ich sie allgemein als unteuglich fiir
die Ausübung der Analyse erklärt und die Parole ausgegeben hätte,
ärztlicher Zuzug sei fernzuhalten. Nun7 das liegt nicht in meiner
Absicht. Der Anschein entstand wahrscheinlich daraus, daß ich in
meiner polemisch angelegten Darstellung die unausgebildeten ärzt-
lichen Analytiker für noch gefährlicher erklären mußte als die
Laien. Meine wirkliche Meinung in dieser Frage könnte ich klar
machen, indem ich einen Zynismus kopiere, der einst im Simpliv
cissimus über die Frauen vorgebracht wurde. Dort beklagte sich
einer der Partner über die Schwächen und Schwierigkeiten des
schöneren Geschlechts, worauf der andere bemerkte: Die Frau ist
aber doch das Beste, was wir in der Art haben. Ich gestehe es
zu, solange die Schulen nicht bestehen, die wir uns für die Heran-
bildung von Analytikern wünschen, sind die ärztlich vorgebildeten
Personen das beste Material für den künftigen Analytiker. Nur
darf man fordern, daß sie ihre Vorbildung nicht an Stelle der
Ausbildung setzen, daß sie die Einseitigkeit überwinden, die durch
den Unterricht an der medizinischen Schule begünstigt wird, und
daß sie der Versuchung widerstehen, mit. der Endokrinologie und
dem autonomen Nervensystem zu liehäugeln, wo es darauf ankommt,
psychologische Tatsachen durch psychologische Hilfsvoxstellungen
zu erfassen. Ebenso teile ich die Erwartung, daß alle die Probleme,S.
Nuhmort zur „Frage dar Laa'zna7uly'se' 595
die sich auf die Zusammenhänge zwischen psychischen Phäno-
menen und ihren organischen, anatomischen und chemischen Grund—
lagen beziehen, nur von Personen, die beides studiert haben, also
von ärztlichen Analytikem, in Angriff genommen werden können.
Doch sollte man nicht vergessen, daß dies nicht alles an der Psycho-
analyse ist, und daß wir für deren andere Seite die Mitarbeit von
Personen, die in den Geisteswissenschaften vorgebildet sind, nie
entbehren können. Aus praktischen Gründen haben wir, auch für
unsere Publikationen, die Gewohnheit angenommen, eine ärztliche
Analyse von den Anwendungen der Analyse zu scheiden. Das ist.
nicht korrekt. In Wirklichkeit verläuft die Scheidungsgrenze zwi-
schen der wissenschaftlicheu Psychoanalyse und ihren Anwendungen
auf medizinischem und nichtmedizinischem Gebiet.Die schroffste Ablehnung der Laienanalyse wird in diesen Dis—
kussionen von unseren amerikanischen Kollegen vertreten. Ich halte
es nicht für überflüssig, ihnen durch einige Bemerkungen zu er-
widern. Es ist kaum ein Mißbrauch der Analyse zu polemischen
Zwecken, wenn ich die Meinung ausdrücke, daß ihr Widerstand
sich ausschließlich auf praktische Momente zurlickführt. Sie sehen
in ihrem Lande, daß die Laienanalytiker viel Unfug und Mißbrauch
mit. der Analyse treiben und infolgedessen die Patienten, wie den
Ruf der Analyse schädigen. Es ist. dann begreiflich, daß sie in ihrer
Empörung weit von diesen gewissenlosen Schädlingen abrücken
und die Laien von jedem Anteil an der Analyse ausschließen wollen.
Aber dieser Sachverhalt reicht bereits aus, um die Bedeutung ihrer
Stellungnahme herahzudrücken. Denn die Frage der Laienanalyse
darf nicht allein nach praktischen Erwägungen entschieden werden
und die lokalen Verhältnisse Amerikas können für uns nicht allein
maßgebend sein.Die wesentlich von praktischen Motiven geleitete Resolution
unserer amerikanischen Kollegen gegen die Laienanalytiker er-
scheint mir unpraktisch, denn sie kann nicht eines der Momente
verändern, welche die Sachlage beherrschen. Sie hat etwa den WertS.
594 Schnftm am dm Inhrm 1925—1928
eines Versuches zur Verdrängung. Wenn man die Iaienanulytika
in ihrer Tätigkeit nicht behindern tun, im Kmpf gegen sie nicht
vom Publikum untérsttnzt wird, wäre es dann nicht mechnäßiger,
der Tatsache ihrer Existenz Rechnung zu tragen, indem man ihnen
Gelegenheiten zur Ausbildung bietet, Einfluß auf sie gewinnt und
ihnen die Möglichkeit der Approbation durch den Ärztestnnd und
der Herann'ehung zu: Mimrbeiuenchnfi als Ansporn verhält, so daß
sie ein Interesse daran finden, ihr .nliches und intellektuelle;
Niveau zu erhöhen?
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