Notiz über eine Methode zur anatomischen Präparation des Nervensystems 1879-001/1879
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    Notiz über eine Methode zur anatomischen Präparation

    des Nervensystems.
     

    Von Drd. med. Sigm. Freud in Wien.

    In einer Abhandlung über „Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon“
    (Wiener acad. Sitzungsber. 1878, Juli) habe ich bereits erwähnt, dass
    ich eine Modification des R e i c h e r t ’schen Isolirungsverfahrens mit Salpetersäure
    gefunden habe, welche für gewisse anatomische und histologische
    Zwecks ausgezeichnete Dienste leistet. Ich habe das Verfahren dort weiter
    nicht auseinandergesetzt; ich ziehe vor, dies hier zu tun.
    Bekanntlich hat R e i c h e r t die 20procentige Salpetersäure ursprünglich
    zur Isolirung von Muskelfasern empfohlen. O w s j a n n i k o w und
    L a n g e r h a n s haben dieselbe später mit Erfolg zum Studium des Nervensystems
    der niedrigsten Wirbeltiere verwendet. Ich bediene mich der von
    mir modificirten R e i c h e r t ’schen Mischung zur sicheren und mühelosen
    Präparation des centralen und peripheren Nervensystems höherer Wirbeltiere
    (Maus, Kaninchen, Rind) auf folgende Weise:

     

    Das Object wird in eine Flüssigkeit eingelegt, welche aus 1 Teil concentrirter
    Salpetersäure, die je nach Bedürfniss mehr oder weniger Untersalpetersäure
    enthalten muss, 3 Teilen Wasser und 1 Teil concentrirtem Glycerin
    besteht. Nach 2–4 Tagen wird es in destillirtes Wasser übertragen, 1–2 Tage
    darin ausgewaschen und ist darauf zur Präparation unter Wasser geeignet.
    Dann ist das fibrilläre Bindegewebe zerstört, die Knochen sind weich und
    bröcklig, die Muskeln im Primitivcylinder zerfallen und alle nicht nervösen
    Bestandteile lassen sich leicht durch Herumschwenken des Objects in
    Wasser oder mit Pincetten entfernen. Die Nerven, welche sich durch schwefelgelbe
    Färbung und besondere Resistenz auszeichnen, werden bis in die
    feinsten makroskopisch sichtbaren Verästlungen isolirt erhalten. Von kleine-
    ren Tieren (Maus, jungen Kaninchen u. s. w.) habe ich so das ganze, centrale
    und periphere, Nervensystem (mit Ausnahme der an den Baucheingeweiden
    liegenden Ganglien) im Zusammenhange auslösen und auch conserviren
    können; Präparate, welche sich an Schönheit den Corrosionspräparaten der
    Blutgefässe vergleichen lassen. An den Hirnnerven des Kindes habe ich das
    in Rede stehende Verfahren unter der freundlichen Teilnahme des Herrn
    Prosectors Dr. E. Z u c k e r k a n d l versucht, und wir haben gefunden,
    dass es insbesondere die Präparation von in Knochenkanälen verlaufenden
    Nerven und die Darstellung und Auflösung von Anastomosen und Geflechten
    wesentlich erleichtert.

     

    Je nachdem das Object von einem älteren oder jüngeren Tier stammte und
    mehr oder weniger harte Knochen enthielt, habe ich eine an Untersalpetersäure
    reichere oder ärmere Säure zur Mischung wählen müssen; wenn ich die
    Flüssigkeit nur kürzere Zeit auf das Object einwirken liess, konnte ich die zu
    weitgehende Auflockerung der Gewebe vermeiden und Präparate herstellen,
    an denen die Nerven in ihrer Lagerung inmitten der anderen Gebilde erhalten

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    waren; die Verfolgung feiner Nervenfäden war an solchen Präparaten
    durch ihre Färbung und ihre Resistenz in hohem Grade er-
    leichtert.

     

    Ich erwähne endlich noch, dass ich die modificirte R e i c h e r t ’sche Mischung
    auch zur Darstellung solcher Gebilde (wie Schleimdrüsen, Schweissdrüsen,
    P a c i n i ’schen Körperchen, Haare mit ihren Wurzelscheiden und
    Zwiebeln u. s. w.), welche B u d g e mit Salpetersäure und chlorsaurem Kali
    zu isoliren gelehrt hat, mit Erfolg angewendet habe. Die histologischen Elemente
    dieser, wie der meisten nicht rein bindegewebigen Organe werden
    durch die Salpetersäure-Glycerin-Mischung anscheinend sehr wenig verändert.

     

    Wien, 27. Mai 1879.