Protokoll der (XVIII. / 2.) Sitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 30. November 1919. Generalversammlung 1919-515/1995
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    ten. Fordert zur Mitarbeiterschaft für Referate auf. Kündigt Herausgabe einer
    englischen Zeitschrift an International Journal of Psychoanalysis." Engli-
    sche Filiale des Verlags existiert. 102
     

    Generalversammlung in 4 Wochen. Vortrag.
     

    Dr. Reik hält einen Vortrag: „Ödipus und die Sphinx".
     

    Diskussion:
     

    Dr. Ferenczi: Sadistisch-masochistische Element ist nicht nur in Familien.
     

    Dr. Bernfeld glaubt griechischer Charakter in Sphinxfigur. Ägyptische
    Kunstwerke. Vergriechlichung der Sage = Deutung der Griechen. 103
     

    Dr. Fokschaner: Sexualforschung des Kindes.
     

    Dr. Rank: Mehr zu suchen. Zur Arbeit: Vielleicht war Sphinx ursprüng-
    lich doch ein Mutteridol. Chrysippossage104 ist sekundär. Zu Sexualneu-
    gierde: Rätsel ist sehr spät. Zorn des Kindes, daß es mit Sexualforschung erin-
    nert zerschlägt.
     

    Dr. Hitschmann: Umkehrung des Ödipus in Knabenzeitaltern. Identifi-
    ziert sich mit Vater, kommt zum Vater zurück. Weist auf Literatur.
     

    Dr. Ferenczi: Vagina dentata, 105 Darstellung der Vagina mit Angriffswaf-
    fen oft vorkommend. Geht auf biologische Tatsache. Feindliche Elemente
    wirklich im Sexualverkehr.
     

    Dr. Hitschmann erzählt von Homosexuellen, der phantasiert, der Mann
    erleide Schmerz bei Defloration.
     

    Dr. Nunberg erzählt einen ähnlichen Fall.
     

    Prof. Freud mahnt zur Vorsicht. Eindruck: Verschiebung des Akzents.
    Kern hängt als Schale daran. Vorwurf: Monotonie. Im Neuen das Banale.
     

    16) Sitzung am 30. November 1919:106
     

    Generalversammlung: Der Rechenschaftsbericht wird zur Kenntnis genom-
    men. Dr. Steiner, der seine seit zehn Jahren bekleidete Funktion des Kassiers
    niederlegt, wird der Dank der Vereinigung ausgesprochen. An seiner Stelle
    wird Dr. Nepallek gewählt, sonst bleibt der alte Ausschuß unverändert. Der
    Mitgliedsbeitrag wird auf 100 K pro Semester erhöht.
     

    Dr. S. Bernfeld: Psychoanalytische Probleme aus der Geschichte der
    Pädagogik. (IZP 1920, S. 112)
     

    Anwesend: Prof. Freud, Dr. Sadger, Dr. Nepallek, Dr. Steiner, Dr. Fokscha-
    ner, Dr. Nunberg, Dr. Bernfeld, Dr. Jokl (als Gast) 107, Dr. Hug-Hellmuth, R.
    Schmideberg (als Gast) 108, Frl. Freud (als Gast), Frl. Schott (als Gast) 109, Dr.
    Hitschmann, Dr. Reik, Doz.Dr. Schilder.
     

    Dr. Schilder wird einstimmig gewählt, Dr. Hattingberg angemeldet (näch-
    stes Mal abgestimmt) R. Schmideberg.
     

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    Dr. Steiner hält Rechenschaftsbericht. Wird zur Kenntnis genommen.
    Neuwahlen: Dr. Steiner will zurücktreten. Der alte Ausschuß wird wie-
    dergewählt, Dr. Steiner statt Dr. Nepallek als Kassier gewählt (sic!). Mit-
    gliedsbeitrag wird diskutiert. Erhöhung des Mitgliedsbeitrages wird näch
    stens entschieden. Dr. Steiner schlägt vor zu erhöhen. Unterdessen soll 100
    K. für das II. Semester eingezahlt werden. 21. Dezember nächste Sitzung,
     

    Dr. Nunberg fragt, ob Ermäßigung der Bibliothek für Mitglieder möglich
     

    ist.
     

    Dr. Reik gibt Antwort.
     

    Dr. Bernfeld fragt wegen Modus der Einführung der Psychoanalyse.
     

    Dr. Hug gegen Einführung der Gäste aus Laienkreisen.
     

    Dr. Nunberg ebenso.
     

    Dr. Sadger teilt mit, daß sich auf Universität ein Verein für Sexuologie
    gebildet, in dem er Vorträge hält.110 Vorschlag der Komitébildung. Dr.
    Hitschmann soll Komité bilden, Dr. Bernfeld, Dr. Hug, Dr. Reik soll zu
    Komité zusammentreten.
     

    Dr. Bernfeld hält einen Vortrag, Psychoanalytische Probleme aus der
    Geschichte der Pädagogik. Geschichte der Pädagogik ist eine Abwechslung,
    weniger Einstellungen und Erwägungen. Die Pädagogen stehen in einer Dis-
    krepanz von Realität und Blindheit der Theorie gegen Tatsachen. Das Ziel ist
    Erzeugung des Idealmenschen. Es kehrt eine merkwürdige Typik bei
    pädagogischen Theoretikern: die eine sieht das Heil in der Erziehung der
    Mutter (Pestalozzi), der 2. Typus (Rousseau) will Mann als Mentor. Seine
    Aufgabe wäre, die Entwicklung zu beobachten. Der dritte Typus (Plato,
    Fichte) hat Ideal Loslösung von Familie und Kindererziehung in pädagogi
    scher Provinz. Männliche Erzieher an der Spitze. Charaktereigenschaften
    der Schulmeister in Verzerrung; ist anal-sadistischer Typus. Bei allen
    Pädagogen Unzahl solcher Züge (Fichte). Nach Verheiratung Theorien.
    Pädagogen anderen Typus narzißtisch, oppositionell, freiheitsliebend. Ent-
    wicklung der Pädagogik ist fortschreitender Versuch, anal-sadistischen
    Typus durch narziẞtische Fixierung zu ersetzen. Die Maßnahmen gegen
    Kinder sind konstant. Diese Maßregeln sind in ein System eingeordnet.
    Sicherheit des Erfolges subjektiv merkwürdig. Nachwirkung der narziẞti-
    schen und Selbstbestrafungstendenzen. Der Wunsch: Mein Kind soll werden
    wie ich bin und mein Kind soll besser werden als ich bin. Der naive Begriff
    der Jugend, das Kind unterscheidet sich nicht wesentlich von Erwachsenen.
    Wichtig (Trachtenkunde), wann sich sexuelle Differenzen in Tracht und
    Literatur, Kunst und wirtschaftlicher Bewertung des Kindes kennzeichnen.
    In Kulturgeschichte Gesetzmäßigkeit: Nötig und wichtig psychoanalytische
    Auffassung anderer Wissenschaften.
     

    Dr. Hitschmann macht auf das homosexuelle Moment aufmerksam.
     

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    Dr. Nunberg macht aufmerksam auf die beiden Grundtypen.
     

    Dr. Reik: Geschichte der Pädagogik. Homosexuelle Pädagogen sind im
    narziẞtischen Typ schr häufig.
     

    Prof. Freud macht auf Männerbünde aufmerksam.
     

    Dr. Schilder: Der Erwachsene faßt seinen Zorn als Erziehungsmaßregel
     

    auf.
     

    Prof. Freud: Störung in der Erfüllung der pädagogischen Aufgabe durch
    eigene Komplexe. Kindermißhandlungen als pädagogische Maßnahmen.
    Schlußwort Dr. Bernfeld: Geschichte der Erziehungsziele.
     

    17) Sitzung am 21. Dezember 1919:111
     

    Dr. W. Fokschaner: Über einen Fall von Paranoia. (IZP 1920, S. 112).
     

    Anwesend: 112 Prof. /Freud/, Sadger, Nepallek, Deutsch, Bernfeld, Schmide-
    berg, Fokschaner, Dr. Storfer, Winterstein, Erwin Kohn113, Dr. Jokl, Frl.
    Schott, (Hug-Hellmuth).
     

    Wahlen: Schmideberg, Hattingberg. (Einstimmig aufgenommen).
    Dr. Bernfeld: Referat über den Ergänzungs-Verein (liegt bei).
     

    Prof. Freud: Eigener Laien-Verein oder nicht? etc. Schlägt eigenen Dis-
    kussionsabend darüber vor. In ca. 14 Tagen.
     

    Prof. Freud konstatiert ein minderes Interesse der so oft abwesenden ärzt-
    lichen Mitglieder. Man sollte ihnen die Kabinettsfrage stellen und ihr diese
    Mahnung ihnen auszurichten, ferner wünscht er freies Vortragen, nicht
    Lesen.
     

    Vortrag Dr. Fokschaner: Über Paranoia. Zu kurzem Referat nicht geeignet.
     

    Diskussion:
     

    Dr. Schmideberg.
     

    Prof. Freud ist gegen die Überdehnung von Begriffen, Terminus auf
    Gebiete, auf die sie ab origine nicht anwendbar sind. Findet das Aufwer-
    fen der Frage, woher das Verfolgtsichfühlen bei der Paranoia kommt, wert-
    voll.
     

    Dr. Hug: Oft kommt der Vater für das Kind erst in Betracht, wenn er
    Eifersucht erregt etc.
     

    Prof. Freud sicht im Vortrag eine Überschätzung des Weibes, den Traum
    auf das Schema des Inzests vereinfacht. Der Vortragende habe vergessen, daß
    es auch weibliche Paranoiker gibt. Ferner überschätze Dr. Fokschaner das
    Mutterleibsthema. Nicht jeder Traum sei sexuell. Dr. Fokschaner gehe zu
    weit, ziehe nur letzte Schlüsse.
     

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