S.
Originalarbeiten.
Is
Ratsehlüge für den Arzt bei der psychoanalytischen
Behandlung.Von Sigm. Freud.
Die technischen Regeln, die ich hier in Vorschlag bringe, haben sich
mir aus der langjährigen eigenen Erfahrung ergeben, nachdem ich durch
eigenen Schaden von der Verfolgung anderer Wege zurückgekommen
war. Man wird leicht bemerken, dass sie sich, wenigstens viele von
ihnen, zu einer einzigen Vorschrift zusammensetzen. Ich hoffe, dass
ihre Berücksichtigung den analytisch tätigen Arzten viel unnützen Auf-
wand ersparen und sie vor manchem Übersehen behüten wird; aber
ich muss ausdrücklich sagen, diese Technik hat sich als die einzig zweck-
måssige für meine Individualität ergeben; ich wage es nicht in Abrede
zu stellen, dass eine ganz anders konstituierte ärztliche Persönlichkeit
dazu gedrüngt werden kann, eine andere Einstellung gegen den Kranken
und gegen die zu lósende Aufgabe zu bevorzugen.a) Die nüchste Aufgabe, vor die sich der Analytiker gestellt sieht,
der mehr als einen Kranken im Tage so behandelt, wird ihm auch als
die schwierigste erscheinen. Sie besteht ja darin, alle die unzähligen
Namen, Daten, Einzelheiten der Erinnerung, Einfälle und Krankheits-
produktionen wührend der Kur, die ein Patient im Laufe von Monaten
und Jahren vorbringt, im Gedächtnis zu behalten und sie nicht mit ähn-
lichem Material zu verwechseln, das von anderen gleichzeitig oder früher
analysierten Patienten herrührt. Ist man gar genötigt, täglich sechs,
acht Kranke oder selbst mehr zu analysieren, so wird eine Gedächtnis-
leistung, der solches gelingt, bei Aussenstehenden Unglauben, Bewunde-
rung oder selbst Bedauern wecken. In jedem Falle wird man auf
die Technik neugierig sein, welche die Bewältigung einer solchen Fülle
gestattet, und wird erwarten, dass dieselbe sich besonderer Hilfsmittel
bediene.Indes ist diese Technik eine sehr einfache. Sie lehnt alle Hilfsmittel,
wie wir hóren werden, selbst das Niederschreiben ab und besteht ein-
fach darin, sich nichts besonders merken zu wollen und allem, was man
zu hören bekommt, die nämliche ,gleichschwebende Aufmerksamkeit‘,
wie ich es schon einmal genannt habe, entgegen zu bringen. Man erspart
sich auf diese Weise eine Anstrengung der Aufmerksamkeit, die man dochZentralblatt für Psychoanalyse. II". 34
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nicht durch viele Stunden täglich festhalten könnte, und vermeidet
eine Gefahr, die von dem absichtlichen Aufmerken unzertrennlich ist.
Sowie man nämlich seine Aufmerksamkeit absichtlich bis zu einer ge-
wissen Höhe anspannt, beginnt man auch unter dem dargebotenen Ma-
terial auszuwihlen; man fixiert das eine Stiick besonders scharf, elimi-
niert dafür ein anderes, und folgt bei dieser Auswahl seinen Erwar-
tungen oder seinen Neigungen. Gerade dies darf man aber nicht; folgt
man bei der Auswahl seinen Erwartungen, so ist man in Gefahr, nie-
mals etwas anderes zu finden, als was man bereits weiss; folgt man
seinen Neigungen, so wird man sicherlich die mögliche Wahrnehmung
filschen. Man darf nicht daran vergessen, dass man ja zumeist Dinge
zu hören bekommt, deren Bedeutung erst nachträglich erkannt wird.Wie man sieht, ist die Vorschrift, sich alles gleichmässig zu merken,
das notwendige Gegenstück zu der Anforderung an den Analysierten,
ohne Kritik und Auswahl alles zu erzählen, was ihm einfällt. Benimmt
sich der Arzt anders, so macht er zum grossen Teil den Gewinn zu-
nichte, der aus der Befolgung der ,psychoanalytischen Grundregel“ von
seiten des Patienten resultiert. Die Regel fir den Arzt lässt sich so
aussprechen: Man halte alle bewussten Einwirkungen von seiner Merk-
fähigkeit ferne und iiberlasse sich völlig seinem ,unbewussten Gedächt-
nis“, oder rein technisch ausgedriickt: Man hore zu und kiimmere sich
nicht darum, ob man sich etwas merke.Was man auf diese Weise bei sich erreicht, geniigt allen An-
forderungen während der Behandlung. Jene Bestandteile des Materials,
die sich bereits zu einem Zusammenhange fiigen, werden fiir den Arzt
auch bewusst verfügbar; das andere, noch zusammenhangslose, chaotisch
ungeordnete, scheint zunächst versunken, taucht aber bereitwillig im
Gedächtnis auf, sobald der Analysierte etwas Neues vorbringt, womit es
sich in Beziehung bringen und wodurch es sich fortsetzen kann. Man
nimmt dann lichelnd das unverdiente Kompliment des Analysierten
wegen eines „besonders guten Gedüchtnisses^ entgegen, wenn man
nach Jahr und Tag eine Einzelheit reproduziert, die der bewussten Ab-
sicht, sie im Gedächtnis zu fixieren, wahrscheinlich entgangen wire.Irrtümer in diesem Erinnern ereignen sich nur zu Zeiten und an
Stellen, wo man durch die Eigenbeziehung gestört wird (s. unten), hinter
dem Ideal des Analytikers also in arger Weise zurückbleibt. Ver-
wechslungen mit dem Material anderer Patienten kommen recht selten
zustande. In einem Streit mit dem Analysierten, ob und wie er etwas
einzelnes gesagt habe, bleibt der Arzt zumeist im Rechte 7).b) Ich kann es nicht empfehlen, während der Sitzungen mit dem
Analysierten Notizen in grüsserem Umfange zu machen, Protokolle an-
zulegen und dgl. Abgesehen von dem ungünstigen Eindruck, den dies
bei manchen Patienten hervorruft, gelten dagegen die nämlichen Ge-
sichtspunkte, die wir beim Merken gewürdigt haben. Man trifft not-1) Der Analysierte behauptet oft, eine gewisse Mitteilung bereits früher ge-
macht zu haben, während man ihm mit ruhiger Überlegenheit versichern kann, sie
erfolge jetzt zum ersten Male. Es stellt sich dann heraus, dass der Analysierte
früher einmal die Intention zu dieser Mitteilung gehabt hat, an ihrer Ausführung
aber durch einen noch bestehenden Widerstand gehindert wurde. Die Erinnerung
an diese Intention ist für ihn ununterscheidbar von der Erinnerung an deren Aus-
führung. /S.
Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. 485
gedrungen eine schädliche Auswahl aus dem Stoff, während man nach-
schreibt oder stenographiert, und man bindet ein Stück seiner eigenen
Geisteståtigkeit, das in der Deutung des Angehärten eine bessere Ver-
wendung finden soll. Man kann ohne Vorwurf Ausnahmen von dieser
Regel zulassen fiir Daten, Traumtexte oder einzelne bemerkenswerte
Ergebnisse, die sich leicht aus dem Zusammenhange låsen lassen und
fiir eine selbståndige Verwendung als Beispiele geeignet sind. Aber ich
pflege auch dies nicht zu tun. Beispiele schreibe ich am Abend nach
Abschluss der Arbeit aus dem Gedächtnis nieder; Traumtexte, an denen
mir gelegen ist, lasse ich von den Patienten nach der Erzåhlung des
Traumes fixieren.c) Die Niederschrift während der Sitzung mit dem Patienten
konnte durch den Vorsatz gerechtfertigt werden, den behandelten Fall
zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Publikation zu machen. Das
kann man ja prinzipiell kaum versagen. Aber man muss doch im
Auge behalten, dass genaue Protokolle in einer analytischen Kranken-
geschichte weniger leisten, als man von ihnen erwarten sollte. Sie ge-
hören, streng genommen, jener Scheinexaktheit an, fiir welche uns die
„moderne“ Psychiatrie manche auffällige Beispiele zur Verfügung stellt.
Sie sind in der Regel ermüdend für den Leser und bringen es doch
nicht dazu, ihm die Anwesenheit bei der Analyse zu ersetzen. Wir
haben überhaupt die Erfahrung gemacht, dass der Leser, wenn er dem
Analytiker glauben will, ihm auch Kredit für das bischen Bearbeitung
einräumt, das er an seinem Material vorgenommen hat; wenn er die
Analyse und den Analytiker aber nicht ernst nehmen will, so setzt er
sich auch über getreue Behandlungsprotokolle hinweg. Dies scheint
nicht der Weg, um dem Mangel an Evidenz abzuhelfen, der an den
psychoanalytischen Darstellungen gefunden wird.d) Es ist zwar einer der Ruhmestitel der analytischen Arbeit, dass
Forschung und Behandlung bei ihr zusammenfallen, aber die Technik,
die der einen dient, widersetzt sich von einem gewissen Punkte an
doch der andern. Es ist nicht gut, einen Fall wissenschaftlich zu be-
arbeiten, solange seine Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, seinen
Aufbau zusammenzusetzen, seinen Fortgang erraten zu wollen, von Zeit
zu Zeit Aufnahmen des gegenwärtigen Status zu machen, wie das
wissenschaftliche Interesse es fordern würde. Der Erfolg leidet in solchen
Fällen, die man von vorneherein der wissenschaftlichen Verwertung
bestimmt und nach deren Bedürfnissen behandelt; dagegen gelingen
jene Fälle am besten, bei denen man wie absichtslos verfährt, sich von
jeder Wendung überraschen lässt, und denen man immer wieder unbe-
fangen und voraussetzungslos entgegentritt. Das richtige Verhalten für
den Analytiker wird darin bestehen, sich aus der einen psychischen
Einstellung nach Bedarf in die andere zu schwingen, nicht zu spekulieren
und zu grübeln, solange er analysiert, und erst dann das gewonnene
Material der synthetischen Denkarbeit zu unterziehen, nachdem die
Analyse abgeschlossen ist. Die Unterscheidung der beiden Einstellungen
würde bedeutungslos, wenn wir bereits im Besitze aller oder doch der
wesentlichen Erkenntnisse über die Psychologie des Unbewussten und
über die Struktur der Neurosen wären, die wir aus der psychoana-
Iytischen Arbeit gewinnen können. Gegenwärtig sind wir von diesem34*
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Ziele noch weit entfernt, und dürfen uns die Wege nicht verschliessen,
um das bisher Erkannte nachzupriifen und Neues dazu zu finden.e) Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich
wihrend der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild
zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid
beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt, die
Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen. Für den Psycho-
analytiker wird unter den heute waltenden Umständen eine Affekt-
strebung am gefährlichsten, der therapeutische Ehrgeiz, mit seinem neuen
und viel angefochtenen Mittel etwas zu leisten, was überzeugend auf
andere wirken kann. Damit bringt er nicht nur sich selbst in eine für
die Arbeit ungünstige Verfassung, er setzt sich auch wehrlos gewissen
Widerständen des Patienten aus, von dessen Kräftespiel ja die Genesung
in erster Linie abhängt. Die Rechtfertigung dieser vom Analytiker zu
fordernden Gefühlskälte liegt darin, dass sie für beide Teile die vorteil-
haftesten Bedingungen schafft, für den Arzt die wünschenswerte Scho-
nung seines eigenen Affektlebens, für den Kranken das grösste Ausmass
von Hilfeleistung, das uns heute möglich ist. Ein alter Chirurg hatte
zu seinem Wahlspruch die Worte genommen: Je le pansai, Dieu le
guérit. Mit etwas ähnlichem sollte sich der Analytiker zufrieden geben.f) Es ist leicht zu erraten, in welchem Ziel diese einzeln vorge-
brachten Regeln zusammentreffen. Sie wollen alle beim Arzt das Gegen-
stück zu der für den Analysierten aufgestellten „psychoanalytischen
Grundregel“ schaffen. Wie der Analysierte alles mitteilen soll, was er
in seiner Selbstbeobachtung erhascht, mit Hintanhaltung aller logischen
und affektiven Einwendungen, die ihn bewegen wollen, eine Auswahl zu
treffen, so soll sich der Arzt in den Stand setzen, alles ihm Mitgeteilte
für die Zwecke der Deutung, der Erkennung des verborgenen Unbe-
wussten zu verwerten, ohne die vom Kranken aufgegebene Auswahl
durch eine eigene Zensur zu ersetzen, in eine Formel gefasst: Er soll
dem gebenden Unbewussten des Kranken sein eigenes Unbewusstes als
empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen, wie
der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver
die von Schallwellen angeregten elektrischen Schwankungen der Leitung
wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das Unbewusste des Arztes be-
fähigt, aus den ihm mitgeteilten Abkömmlingen des Unbewussten dies
Unbewusste, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wieder-
herzustellen.Wenn der Arzt aber imstande sein soll, sich seines Unbewussten
in solcher Weise als Instrument bei der Analyse zu bedienen, so muss
er selbst eine psychologische Bedingung in weitem Ausmasse erfüllen.
Er darf in sich selbst keine Widerstände dulden, welche das von seinem
Unbewussten Erkannte von seinem Bewusstsein abhalten, sonst würde
er eine neue Art von Auswahl und Entstellung in die Analyse ein-
führen, welche weit schädlicher wäre als die durch Anspannung seiner
bewussten Aufmerksamkeit hervorgerufene. Es genügt nicht hierfür, dass
er selbst ein annähernd normaler Mensch sei, man darf vielmehr die
Forderung aufstellen, dass er sich einer psychoanalytischen Purifizierung
unterzogen und von jenen Eigenkomplexen Kenntnis genommen habe,
die geeignet wären, ihn in der Erfassung des vom Analysierten Darge-
botenen zu stören. An der disqualifizierenden Wirkung solcher eigenenS.
Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. 487
Defekte kann billigerweise nicht gezweifelt werden; jede ungelóste Ver-
drångung beim Arzt entspricht nach einem treffenden Wort von W. Stekel
einem „blinden Fleck“ in seiner analytischen Wahrnehmung.Vor Jahren erwiderte ich auf die Frage, wie man ein Analytiker
werden könne: Durch die Analyse seiner eigenen Träume. Gewiss reicht
diese Vorbereitung fiir viele Personen aus, aber nicht fiir alle, die die
Analyse erlernen möchten. Auch gelingt es nicht allen, die eigenen
Träume ohne fremde Hilfe zu deuten. Ich rechne es zu den vielen Ver-
diensten der Ziiricher analytischen Schule, dass sie die Bedingung ver-
schårft und in der Forderung niedergelegt hat, es solle sich jeder, der
Analysen an anderen ausführen will, vorher selbst einer Analyse bei
einem Sachkundigen unterziehen. Wer es mit der Aufgabe ernst meint,
sollte diesen Weg wiihlen, der mehr als einen Vorteil verspricht; das
Opfer sich ohne Krankheitszwang einer fremden Person eröffnet zu haben,
wird reichlich gelohnt. Man wird nicht nur seine Absicht, das Ver-
borgene der eigenen Person kennen zu lernen, in weit kürzerer Zeit und
mit geringerem affektiven Aufwand verwirklichen, sondern auch Ein-
driicke und Uberzeugungen am eigenen Leib gewinnen, die man durch
das Studium von Büchern und Anhören von Vorträgen vergeblich an-
strebt. Endlich ist auch der Gewinn aus der dauernden seelischen Be-
ziehung nicht gering anzuschlagen, die sich zwischen dem Analysierten
und seinem Einführenden herzustellen pflegt.Eine solche Analyse eines praktisch Gesunden wird begreiflicher-
weise unabgeschlossen bleiben. Wer den hohen Wert der durch sie er-
worbenen Selbsterkenntnis und Steigerung der Selbstbeherrschung zu
würdigen weiss, wird die analytische Erforschung seiner eigenen Person
nachher als Selbstanalyse fortsetzen und sich gerne damit bescheiden,
dass er in sich wie ausserhalb seiner immer Neues zu finden erwarten
muss. Wer aber als Analytiker die Vorsicht der Eigenanalyse ver-
schmåht hat, der wird nicht nur durch die Unfähigkeit bestraft, über
ein gewisses Mass an seinen Kranken zu lernen, er unterliegt auch
einer ernsthafteren Gefahr, die zur Gefahr fiir andere werden kann. Er
wird leicht in die Versuchung geraten, was er in dumpfer Selbstwahr-
nehmung von den Eigentiimlichkeiten seiner eigenen Person erkennt, als
allgemeingiiltige Theorie in die Wissenschaft hinauszuprojizieren, er wird
die psychoanalytische Methode in Misskredit bringen und Unerfahrene
irre leiten.g) Ich fiige noch einige andere Regeln an, in welchen der Uber-
gang gemacht wird von der Einstellung des Arztes zur Behandlung des
Analysierten.Es ist gewiss verlockend fiir den jungen und eifrigen Psycho-
analytiker, dass er viel von der eigenen Individualität einsetze, um den
Patienten mit sich fortzureissen und ihn im Schwung über die
Schranken seiner engen Personlichkeit zu erheben, Man sollte meinen,
es sei durchaus zulässig, ja zweckmissig fiir die Überwindung der beim
Kranken bestehenden Widerstände, wenn der Arzt ihm Einblick in die
eigenen seelischen Defekte und Konflikte gestattet, ihm durch ver-
trauliche Mitteilungen aus seinem Leben die Gleichstellung ermöglicht.
Ein Vertrauen ist doch das andere wert, und wer Intimität vom anderen
fordert, muss ihm doch auch solche bezeugen.S.
488 Sigm. Freud,
Allein im psychoanalytischen Verkehr läuft manches anders ab, als
wir es nach den Voraussetzungen der Bewusstseinspsychologie erwarten
dürfen. Die Erfahrung spricht nicht für die Vorzüglichkeit einer solchen
affektiven Technik. Es ist auch nicht schwer einzusehen, dass man mit ihr
den psychoanalytischen Boden verlässt und sich den Suggestionsbehand-
lungen annähert. Man erreicht so etwa, dass der Patient cher und
leichter mitteilt, was ihm selbst bekannt ist, und was er aus konventionellen
Widerständen noch eine Weile zurückgehalten hätte. Für die Aufdeckung
des dem Kranken Unbewussten leistet diese Technik nichts, sie macht
ihn nur noch unfähiger, tiefere Widerstände zu überwinden, und sie
versagt in schwereren Fällen regelmässig an der rege ‚gemachten
Unersättlichkeit des Kranken, der dann gerne das Verhältnis umkehren
möchte und die Analyse des Arztes interessanter findet als die eigene.
Auch die Lösung der Übertragung, eine der Hauptaufgaben der Kur,
wird durch die intime Einstellung des Arztes erschwert, so dass der
etwaige Gewinn zu Anfang schliesslich mehr als wett gemacht wird.
Ich stehe darum nicht an, diese Art der Technik als eine fehlerhafte
zu verwerfen. Der Arzt soll undurchsichtig für den Analysierten sein
und wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt
wird. Es ist allerdings praktisch nichts dagegen zu sagen, wenn ein
Psychotherapeut ein Stück Analyse mit einer Portion Suggestivbeein-
flussung vermengt, um in kürzerer Zeit sichtbare Erfolge zu erzielen,
wie es z. B. in Anstalten notwendig wird, aber man darf verlangen,
dass er selbst nicht im Zweifel darüber sei, was er vornehme, und dass
er wisse, seine Methode sei nicht die der richtigen Psychoanalyse.h) Eine andere Versuchung ergibt sich aus der erzieherischen Tätigkeit,
die dem Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung ohne besonderen
Vorsatz zufällt. Bei der Lösung von Entwicklungshemmungen macht
es sich von selbst, dass der Arzt in die Lage kommt, den frei ge-
wordenen Strebungen neue Ziele anzuweisen. Es ist dann nur ein
begreiflicher Ehrgeiz, wenn er sich bemüht, die Person, auf deren
Befreiung von der Neurose er soviel Mühe aufgewendet hat, auch zu
etwas besonders vortrefflichem zu machen, und ihren Wünschen hohe
Ziele vorschreibt. Aber auch hiebei sollte der Arzt sich in der Gewalt
haben und weniger die eigenen Wünsche als die Eignung des Analy-
sierten zur Richtschnur nehmen. Nicht alle Neurotiker bringen viel
Talent zur Sublimierung mit; von vielen unter ihnen kann man an-
nehmen, dass sie überhaupt nicht erkrankt wären, wenn sie die Kunst,
ihre Triebe zu sublimieren, besessen hätten. Drängt man sie über-
mässig zur Sublimierung und schneidet ihnen die nächsten und
bequemsten Triebbefriedigungen ab, so macht man ihnen das Leben
meist noch schwieriger, als sie es ohnedies empfinden. Als Arzt muss
man vor allem tolerant sein gegen die Schwäche des Kranken, muss
sich bescheiden, auch einem nicht Vollwertigen ein Stück Leistungs-
und Genussfähigkeit wiedergewonnen zu haben. Der erzieherische Ehrgeiz
ist so wenig zweckmässig wie der therapeutische. Es kommt ausserdem
in Betracht, dass viele Personen gerade an dem Versuch erkrankt sind,
ihre Triebe über das von ihrer Organisation gestattete Mass hinaus zu
sublimieren, und dass sich bei den zur Sublimierung Befähigten dieser
Prozess von selbst zu vollziehen pflegt, sobald ihre Hemmungen durch
die Analyse überwunden sind. Ich meine also, das Bestreben, dieS.
Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. 489
analytische Behandlung regelmässig zur Triebsublimierung zu verwenden,
ist zwar immer lobenswert, aber keineswegs in allen Fällen empfehlenswert.i) In welchen Grenzen soll man die intellektuelle Mitarbeit des
Analysierten bei der Behandlung in Anspruch nehmen? Es ist schwer,
hierüber etwas allgemein Gültiges auszusagen. Die Persönlichkeit des
Patienten entscheidet in erster Linie. Aber Vorsicht und Zurückhaltung
sind hiebei jedenfalls zu beobachten. Es ist unrichtig, dem Analysierten
Aufgaben zu stellen, er solle seine Erinnerungen sammeln, über eine
gewisse Zeit seines Lebens nachdenken u. dgl. Er hat vielmehr vor
allem zu lernen, was keinem leicht fällt anzunehmen, dass durch geistige
Tätigkeit von der Art des Nachdenkens, dass durch Willens- und Auf-
merksamkeitsanstrengung keines der Rätsel der Neurose gelöst wird,
sondern nur durch die geduldige Befolgung der psychoanalytischen
Regel, welche die Kritik gegen das Unbewusste und dessen Abkömm-
linge auszuschalten gebietet. Besonders unerbittlich sollte man auf der
Befolgung dieser Regel bei jenen Kranken bestehen, die die Kunst
üben, bei der Behandlung ins Intellektuelle auszuweichen, dann viel und
oft sehr weise über ihren Zustand reflektieren, und es sich so ersparen,
etwas zu seiner Bewältigung zu tun. Ich nehme darum bei meinen
Patienten auch die Lektüre analytischer Schriften nicht gerne zu Hilfe;
ich verlange, dass sie an der eigenen Person lernen sollen, und ver-
sichere ihnen, dass sie dadurch mehr und wertvolleres erfahren werden,
als ihnen die gesamte psychoanalytische Literatur sagen könnte. Ich
sehe aber ein, dass es unter den Bedingungen eines Anstaltsaufenthaltes
sehr vorteilbaft werden kann, sich der Lektüre zur Vorbereitung der
Analysierten und zur Herstellung einer Atmosphäre von Beeinflussung
zu bedienen.Am dringendsten möchte ich davor warnen, um die Zustimmung
oder Unterstützung von Eltern oder Angehörigen zu werben, indem man
ihnen ein 一 einführendes oder tiefer gehendes 一 Werk unserer
Literatur zu lesen gibt. Meist reicht dieser wohlgemeinte Schritt hin,
um die naturgemässe, irgendeinmal unvermeidliche, Gegnerschaft der
Angehörigen gegen die psychoanalytische Behandlung der ihrigen vor-
zeitig losbrechen zu lassen, so dass es überhaupt nicht zum Beginn der
Behandlung kommt.Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, dass die fortschreitende Erfahrung
der Psychoanalytiker bald zu einer Einigung über die Fragen der
Technik führen wird, wie man am zweckmässigsten die Neurotiker
behandeln solle. Was die Behandlung der „Angehörigen“ betrifft, so
gestehe ich meine völlige Ratlosigkeit ein und setze auf deren individuelle
Behandlung überhaupt wenig Zutrauen.
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