Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung 1912-003/1922
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    Ë

    XXIII.

    RATSCHLAGE FUR DEN ARZT
    BEI DER PSYCHOANALYTISCHEN BEHANDLUNG.*

    Die technischen Regeln, die ich hier in Vorschlag bringe,
    haben sich mir aus der langjührigen eigenen Erfahrung er-

    + geben, nachdem ich durch eigenen Schaden von der Verfol-

    gung anderer Wege zurückgekommen war. Man wird leicht
    bemerken, daß sie sich, wenigstens vicle von ihnen, zu einer
    einzigen Vorschrift zusammensetzen. Ich hoffe, daß ihre Be-
    rücksichtigung den analytisch tátigen Arzten viel unnützen
    vor manchem Ubersehen behüten

    Aufwand ersparen und s

    "wird; aber ich muß ausdrücklich sagen, diese Technik hat

    sich als die einzig zweckmäBige für meine Individualität er-
    geben; ich wage es nicht in Abrede zu stellen, daB eine ganz
    anders konstituierte ärztliche Persönlichkeit dazu gedrängt
    werden kann, eine andere Einstellung gegen den Kranken und
    gegen die zu lósende Aufgabe zu bevorzugen.

    a) Die nächste Aufgabe, vor die sich der Analytiker
    gestellt sieht, der mehr als einen Kranken im Tage so be-
    handelt, wird ihm auch als die schwierigste erscheinen. Sie
    besteht ja darin, alle die unzühligen Namen, Daten, Einzel-
    heiten der Erinnerung, Einfälle und Krankheitsproduktionen

    *) Zentralblatt für Psychoanalyse. II, 1912.

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    400 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    während der Kur, die ein Patient im Laufc von Monaten
    und Jahren vorbringt, im Gedächtnis zu behalten und sie
    nicht mit ähnlichem Material zu verwechseln, das von anderen
    gleichzeitig oder früher analysierten Patienten herrührt. Ist
    man gar genötigt, täglich sechs, acht Kranke oder selbst
    mehr zu analysieren, so wird eine Gedåchtnisleistung, der
    solches gelingt, bei AuDenstehenden Unglauben, Bewunderung
    oder selbst Bedauern wecken. In jedem Falle wird man auf
    die Technik neugierig sein, welche die Bewiltigung einer
    solchen Fülle gestattet, und wir erwarten, daß dieselbe sich
    besonderer Hilfsmittel bediene.

    Indes ist diese Technik eine sehr einfache. Sie lehnt
    alle Hilfsmittel wie wir hóren werden, sclbst das Nieder-
    schreiben ab und besteht einfach darin, sich nichts beson-
    ders merken zu wollen und allem, was man zu hóren bekommt,
    die nåmliche ,gleichschwebende Aufmerksamkeit“, wie ich es

    Schon einmal genannt habe, entgegen zu bringen. Man er-
    spart sich auf diese Weise eine Anstrengung der Aufmerk-
    samkeit, die man doch nicht durch viele Stunden täglich fest-
    halten kónnte, und vermeidet eine Gefahr, die von dem ab-
    sichtlichen Aufmerken unzertrennlich ist. Sowie man nåm-
    lich seine Aufmerksamkeit absichtlich bis zu ciner gewissen
    Höhe anspannt, beginnt man auch unter dem dargebotenen
    Materiale auszuwählen; inan fixiert das eine Stück besonders
    Scharf, eliminiert dafür ein anderes, und folgt bei dieser
    Auswahl seinen Erwartungen oder seinen Neigungen, Gerade
    dies darf man aber nicht; folgt man bei der Auswahl seinen

    Erwartungen, so ist man in Gefahr, niemals etwas anderes
    zu finden, als was man bereits weiB; folet man seinen Nei-
    gungen, so wird man sicherlich die mógliche Wahrnehmung
    fålschen. Man darf nicht darauf vergessen, daß man ja zu-

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    XXIII. RATSCHLAGE FUR DEN ARZT.

    inge zu hören bekommt, deren Bedeutung erst nach-
    erkannt wird. ⑧

    EX

    ic man sieht, ist die Vorschrift, sich alles gleichmäßig
    ken, das notwendige Gegenstiick zu der Anforderung
    n Analysierten, ohne Kritik und Auswahl alles zu er-
    as ihm einfállt. Benimmt sich der Arzt anders, so
    zum großen Teile den Gewinn zu nichte, der aus
    olgung der „psychoanalytischen Grundregel“ von seiten
    jenten resultiert. Die Regel für den Arzt läßt sich
    prechen: Man halte alle bewuften Einwirkungen von
    Merkfähigkeit ferne und überlasse sich vóllig seinem
    Bten Gedächtnisse“, oder rein technisch ausgedrückt:
    re zu und kümmere sich nicht-darum, ob man sich etwas

    man auf diese Weise bei sich erreicht, genügt allen
    derungen während der Behandlung. Jene Bestandteile
    laterials, die sich bereits zu einem Zusammenhange fiigen,
    für den Arzt auch bewußt verfügbar; das andere, noch
    menhanglose, chaotisch ungeordnete, scheint zunächst
    n, taucht aber bereitwillig im Gedåchtnisse auf, so-
    der Analysierte etwas Neues vorbringt, womit es sich
    iehung bringen und wodurch es sich fortsetzen kann.
    mmt dann lächelnd das unverdiente Kompliment des
    ten wegen eines „besonders guten Gedächtnisses“

    , wenn man nach Jahr und Tag eine Einzclheit
    luziert, die der bewußten Absicht, sie im Gedächtnisse
    ieren ‚wahrscheinlich proze ware.

    ud, Nees ore IV. ⑥ f ⑧ 26

  • S.

    402 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    anderer Patienten kommen recht selten zu stande. In einem
    Streite mit dem Analysierten, ob und wie er etwas einzelnes
    gesagt habe, bleibt der Arzt zumeist im Rechte.*)

    b) Ich kann es nicht, empfehlen, wåhrend der Sitzungen
    mit dem Analysierten Notizen in größerem Umfange zu ma-
    chen, Protokolle anzulegen u. dgl. Abgesehen von dem un-
    günstigen Eindruck, den dies bei manchen Patienten hervor-
    ruft, gelten‘ dagegen die nämlichen Gesichtspunkte, die wir
    beim Merken gewürdigt haben. Man trifft notgedrungen eine
    schädliche Auswahl aus dem Stoffe, während man nachschreibt
    oder stenographiert, und man bindet ein Stück seiner eigenen
    Geistestätigkeit, das in der Deutung des Angehörten eine
    bessere ‚Verwendung finden soll. Man kann ohne Vorwurf
    Ausnahmen von dieser Regel zulassen für Daten, Traumtexte
    oder einzelne bemerkenswerte Ergebnisse, die sich leicht aus
    dem Zusammenhange lösen lassen und für eine selbständige
    Verwendung als Beispiele geeignet sind. Aber ich pflege auch
    dies nicht zu tun. Beispiele schreibe ich am Abend nach Ab-
    schluß der Arbeit aus dem Gedächtnis nieder; 'Traumtexte,
    an denen mir gelegen ist, lasse ich von den Patienten nach
    der Erzählung des Traumes fixieren,

    ¢) Die Niederschrift während der Sitzung mit dem Pa-
    tienten könnte durch den Vorsatz gerechtfertigt werden, den
    behandelten Fall zum Gegenstande einer wissenschaftlichen
    Publikation zu machen. Das kann man ja prinzipiell kaum

    *) Der Analysierte behauptet oft, eine gewisse Mitteilung bereits
    früher gemacht zu haben, während man ihm mit ruhiger Überlegenheit
    versichern kann, sie erfolge jetzt zum erstenmal. Es stellt sich dann
    heraus, daß der Analysierte früher einmal die Intention zu dieser Mit-
    teilung gehabt hat, an ihrer Ausführung aber durch einen noch bestehen-
    den Widerstand gehindert wurde, Die Erinnerung an diese Intention ist
    für ihn ununterscheidbar von der Erinnerung an deren Ausführung.

  • S.

    XXIII, RATSCHLÄGE FUR DEN ARZT,

    en. Aber man muß doch im Auge behalten, daß genaue |
    lle in einer analytischen Krankengeschichte weniger
    als man von ihnen erwarten sollte. Sie gehören, streng
    mmen, jener Scheinexaktheit an, für welche uns die „mo-
    Psychiatrie manche auffällige Beispiele zur Verfügung .
    ie sind in der Regel ermüdend für den Leser und
    n^ es .doch nicht dazu, ihm die Anwesenheit bei der
    se zu. ersetzen. Wir haben überhaupt die. Erfahrung ge-

    Es ist zwar einer der Ruhmestitel der analytischen
    dab Forschung und Behandlung bei ihr zusammen-
    ber die Technik, die der einen dient, widersetzt sich
    m gewissen Punkte an doch der anderen. Es ist nicht
    jen Fall wissenschaftlich zu bearbeiten, solange seine
    dlung noch nicht abgeschlossen ist, seinen Aufbau
    enzusetzen, seinen Fortgang erraten zu wollen, von
    Zeit Aufnahmen des gegenwirtigen Status zu machen,
    s wissenschaftliche Interesse es fordern würde. Der
    leidet in solchen Fällen, die man von vornherein der
    schaftlichen Verwertung bestimmt und nach deren Be-
    behandelt; dagegen gelingen jene Fille am besten, (M
    man wie absichtslos verfáhrt, sich von jeder Wen-

  • S.

    404 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    halten für den Analytiker wird darin bestehen, sich aus der
    einen psychischen Einstellung nach Bedarf in dic andere zu
    schwingen, nicht zu spekulieren und zu grübeln, solange er
    analysiert, und erst dann das gewonnene Material der syn-
    thetischen Denkarbeit zu unterziehen, nachdem die Analyse

    abgeschlossen ist. Die Unterscheidung der beiden Einstel-

    lungen würde bedeutungslos, wenn wir bereits im Besitze aller
    oder doch der wesentlichen Erkenntnisse über die Psychologie
    des UnbewuBten und über die Struktur der Neurosen wären,
    die wir aus der psychoanalytischen Arbeit gewinnen kónnen.
    Gegenwärtig sind wir von diesem Ziele noch weit entfernt,
    und dürfen uns die Wege nicht verschliefen, um das bisher
    Erkannte nachzuprüfen und Neues dazu zu finden.

    e) Ich kann den Kollegen nicht dringend genug emp-
    fehlen, sich während der psychoanalytischen Behandlung den
    Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte
    und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und
    seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt, die Operation
    so kunstgerecht als möglich zu vollziehen, Für den Psycho-

    analytiker wird unter den heute waltenden Umständen eine
    Affektstrebung am gefährlichsten, der therapeutische Ehrgeiz,
    mit seinem neuen und viel angefochtenen Mittel etwas zu
    leisten, was überzeugend auf andere wirken kann. Damit
    bringt er nicht nur sich selbst in cine für dic Arbeit un-
    günstige Verfassung, er setzt sich auch wehrlos gewissen
    Widerstánden des Patienten aus, von dessen Kråftespiel ‚ja
    die Genesung in erster Linie abhingt. Die Reehtfertigung
    dieser vom Analytiker zu fordernden Gefühlskälte liegt darin,
    daß sie für beide Teile die vorteilhaftesten Bedingungen
    schafft, für den Arzt die wünschenswerte Schonung seines
    eigenen Affektlebens, für den Kranken das größte Ausmaß

  • S.

    XXIII. RATSCHLÄGE FUR DEN ARZT,

    lfeleistung, das uns heute möglich ist. Ein alter Chi-
    tte zu seinem Wahlspruch die Worte genommen: Je
    nsai, Dieu le guérit. Mit etwas Ähnlichem sollte sich
    lytiker zufrieden geben. - ⑧

    s ist leicht zu erraten, in welchem Ziele diese einzeln
    rachten Regeln zusammentreffen. Sie wollen alle beim
    as Gegenstiick zu der fiir den Analysierten aufgestell-
    sychoanalytischen Grundregel“ schaffen. Wie der Ana-
    alles mitteilen soll, was er in seiner Selbstbeobach-
    ascht, mit Hintanhaltung aller logischen und affek-
    nwendungen, die ihn bewegen wollen, eine Auswahl
    ‘en, so soll sich der Arzt in den Stand setzen, alles
    itgeteilte für die Zwecke der Deutung, der Erkennung
    borgenon Unbewuften zu verwerten, ohne die vom
    aufgegebene Auswahl durch eine eigene Zensur zu
    in. eine Formel gefaßt: Er soll dem gebenden Un-
    uBten des Kranken sein eigenes UnbewuDtes als emp-
    ndes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten ein-
    en wie der Recciver des Telephons zum Teller eingestellt
    der Receiver dic von Schallwellen angeregten elek-
    n Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen
    delt, so ist das Unbewufite des Arztes befähigt, aus
    ihm mitgeteilten Abk⑥mmlingen des Unbewufiten dies
    te, welches die Einfälle des Kranken determiniert

    fenn der Arzt aber im stande sein soll, sich seines Un-
    en in solcher Weise als Instrument bei der Analyse.
    jenen, so muß er selbst eine psychologische Bedingung

  • S.

    406 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    neue: Art von Auswahl und Entstellung in die Analyse ein-
    führen, welche weit schädlicher wäre als die durch Anspan-

    nung seiner bewußten Aufmerksamkeit hervorgerufene. Es

    genügt nicht hiefür, daß er selbst ein annähernd normaler
    Mensch sei, man darf vielmehr die Forderung aufstellen, daß
    er sich einer psychoanalytischen Purifizierung unterzogen und
    von jenen Eigenkomplexen Kenntnis genommen habe, die ge-
    eignet wären, ihn in der Erfassung des vom Analysierten
    Dargebotenen zu stören. An der disqualifizierenden Wirkung
    solcher eigener Defekte kann billigerweise nicht gezweifelt
    werden; jede ungelóste Verdrüngung beim Arzte entspricht
    nach. einem trefferiden Worte von W. Stekel einem ,blin-
    den Fleck“ in seiner analytischen Wahrnehmung.

    Vor Jahren erwiderte ich auf die Frage, wie man ein
    Analytiker werden kónne: Durch die Analyse seiner eigenen
    Traume. Gewif reicht diese Vorbereitung für viele Personen
    aus, aber nicht für alle, die die Analyse erlernen möchten,
    Auch gelingt es nicht allen, die eigenen Träume ohne fremde
    Hilfe zu deuten. Ich rechne es zu den vielen Verdiensten der
    Züricher analytischen Schule, daß sie die Bedingung ver-
    schårft und in der Forderung niedergelegt. hat, es solle sich
    jeder, der Analysen an anderen ausführen will, vorher s
    einer Analyse bei einem Sachkundigen unterzichen. Wer es
    mit der Aufgabe ernst meint, sollte diesen Weg wählen, der
    mehr als einen Vorteil verspricht; das Opfer, sich ohne Krank-
    heitszwang einer fremden Person eröffnet zu haben, wird
    ‚ reichlich gelohnt. Man wird nicht nur seine Absicht, das
    Verborgene der eigenen Person kennen zu lernen, in weit
    kürzerer Zeit und mit geringem affektiven Aufwand verwirk-
    lichen, sondern auch Eindrücke und Überzeugungen am eigenen
    Leibe gewinnen, die man durch das Studium von Düchern

  • S.

    XXIII. RATSCHLÅGE FÜR DEN ARZT. . 407

    Anhören von Vorträgen vergeblich anstrebt. Endlich ist
    h der Gewinn aus der dauernden seelischen Beziehung
    t gering. anzuschlagen, die sich zwischen. dem Analysier-
    und seinem Einfihrenden herzustellen pflegt,
    Eine solche Analyse eines praktisch Gesunden wird be-
    icherweise unabgeschlossen bleiben, Wer den hohen Wert
    durch sie erworbenen Selbsterkenntnis und Steigerung
    elbstbeherrschung zu würdigen weiß, wird die analytische
    forschung seiner eigenen Person nachher als Sclbstanalyse
    zen und sich gerne damit bescheiden, daß er in sich
    außerhalb seiner immer Neues zu finden erwarten muß,
    aber als Analytiker die Vorsicht der Eigenanalyse ver-
    t hat, der wird nicht nur durch die Unfähigkeit be-
    „ über ein gewisses Maß an seinen Kranken zu lernen,
    ‘uhterliegt auch einer ernsthafteren Gefahr, die zur Ge-
    für andere werden kann. Er wird leicht in die Ver-
    hung geraten, was er in dumpfer Selbstwahrnehmung von
    igentümlichkeiten seiner eigenen Person erkennt, als _
    emeingiiltige Theorie in die Wissenschaft hinauszuproji-
    m, er wird die psychoanalytische Methode in MiBkredit

    en und Uncrfahrene irre leiten.
    ) Ich füge noch einige andere Regeln an, in welchen
    Übergang gemacht wird von der Einstellung des Arztes
    Behandlung des Analysierten.

    Es ist gewiß verlockend für den jungen und eifrigen
    choanalytiker, daß er viel von der eigenen Individualität”
    186126, um den Patienten mit sich fortzureiBen und ihn im
    hwung über die Schranken seiner engen Persönlichkeit zu
    ben. Man sollte meinen, es sei durchaus zulässig, ja

  • S.

    408 . - BOHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    seelischen Defekte und Konflikte gestattet, ihm durch ver-
    trauliche Mitteilungen aus seinem Leben die Gleichstellung

    ermóglicht. Ein Vertrauen ist doch das andere wert, und ⑤

    wer Intimitåt vom anderen fordert, muß ihm doch auch ‚solche
    bezeugen,

    Allein im psychoanalytischen Verkehre läuft manches
    anders ab, als wir es nach den Voraussetzungen der Bewußt-
    seinspsychologie erwarten dürfen, Die Erfahrung spricht nicht
    für die Vorzüglichkeit einer solchen affektiven Technik. Es
    ist auch nicht schwer einzusehen, daß man mit ihr den psy-
    choanalytischen Boden verläßt und sich den Suggestions-
    behandlungen annähert. Man erreicht so etwa, daß der Patient
    cher und leichter mitteilt, was ihm selbst bekannt ist, und
    was er aus konventionellen Widerständen noch eine Weile
    zurückgehalten hätte. Für die Aufdeckung des dem Kranken
    Unbewußten leistet diese Technik nichts, sie macht ihn nur
    noch unfähiger, tiefere Widerstände zu überwinden, und sie
    versagt in schwereren Fällen regelmäßig an der rege gemach-
    ten, Unersåttlichkeit des Kranken, der dann gerne das Ver-
    håltnis umkehren möchte und die Analyse des Arztes inter-
    essanter findet als die eigene. Auch die Lösung der Uber-

    tragung, eine der Hauptaufgaben der Kur, wird durch die |

    intime Einstellung des Arztes erschwert, so daß der etwaige
    Gewinn zu Anfang schließlich mehr als wett gemacht wird.
    Ich stehe darum nicht an, diese Art der Technik als eine
    fehlerhafte zu verwerfen. Der Arzt soll undurchsichtig für
    den Analysierten sein und wie eine Spiegelplatte nichts am
    deres zeigen, als was ihm gezeigt wird. Es ist allerdings

    ‘praktisch nichts dagegen zu sagen, wenn cin Psychothera-

    peut ein Stück Analyse mit einer Portion Suggestivbeein- |

    flussung vermengt, um in kiirzerer Zeit sichtbare Erfolge zu

  • S.

    tigkeit, die dem Arzte bei der psychoanalytischen
    inne ohne besonderen Vorsatz zufållt. Bei der Lösung

    E. anzuwcisen, Es ist dann nur ein begreiflicher

    wenn er sich bemüht, die Ferson, auf deren Be-
    von der Neurose er soviel Mühe aufgewendet hat,
    etwas besonders vortrefflichem zu machen, und ihren
    en hohe Ziele vorschreibt, Aber auch hiebei sollte
    Zt sich in der Gewalt haben und weniger die eigenen

    che als die Eignung des Analysierten zur Richtschnur
    n. Nicht alle Neurotiker bringen viel Talent zur Subli-

    mit; von vielen unter ihnen kann man annehmen,

    überhaupt nicht erkrankt wáren, wenn sie die Kunst,
    iebe zu sublimieren, besessen hätten, Dringt man sie

    g zur Sublimierung und schneidet ihnen die näch- ju
    d bequemsten Triebbefriedigungen ab, so macht man

    das Leben meist noch schwieriger, als sie cs ohnedies |
    Als Arzt muB man vor allem’ tolerant sein gegen

    ergewonnen zu haben. Der erzieherische Ehrgeiz ist so
    ES wie ‚der therapeutische, Es kommt pe

  • S.

    410 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. 1V.

    zur Sublimierung Befähigten dieser Prozeß von selbst zu voll-

    ziehen pflegt, sobald ihre Hemmungen durch die Analyse
    überwunden sind. Ich meine also, das Bestreben, die ana-
    lytische Behandlung regelmäßig zur Triebsublimierung zu
    verwenden, ist zwar immer lobenswert, aber keineswegs in
    allen Fallen empfehlenswert. ⑥

    i) In welchen Grenzen soll man die intellektuelle Mit-
    arbeit des Analysierten bei der Behandlung in Anspruch
    nehmen? Es ist schwer, hierüber etwas allgemein Gültiges
    auszusagen, Die Persönlichkeit des Patienten entscheidet in
    erster Linie, Aber Vorsicht und Zurückhaltung sind hiebei
    jedenfalls zu beobachten, Es ist unrichtig, dem Analysierten
    Aufgaben zu stellen, er solle seine Erinnerung sammeln, über
    eine gewisse Zeit seines Lebens nachdenken u.dgl. Er hat

    vielmehr vor allem zu lernen, was keinem leicht fällt anzu-
    nehmen, daß durch geistige Tätigkeit von der Art des Nach-
    denkens, daß durch. Willens- und Aufmerksamkeitsanstrengung
    keines der Råtsel der Neurose gelöst wird, sondern nur durch
    die geduldige Befolgung der psychoanalytischen Regel, welche
    die Kritik gegen das Unbewufte und dessen Abkómmlinge
    auszuschalten gebietet. Besonders unerbittlich sollte man auf
    der Befolgung dieser Regel bei jenen Kranken bestehen, die
    die Kunst üben, bei der Behandlung ins Intellektuelle auszu-
    weichen, dann viel und oft sehr weise über ihren Zustand
    reflektieren, und es sich so ersparen, etwas zu seiner Be-
    wiltigung zu tun, Ich nehme darum bei meinen Patienten
    auch die Lektüre analytischer Schriften nicht gerne zu Ililfe;
    ich verlange, daß sie an der eigenen Person lernen sollen,
    und versichere ihnen, daß sie dadurch mehr und Wertvol-
    leres erfahren werden, als ihnen die gesamte psychoanalytische
    Literatur sagen könnte. Ich sehe aber ein, daß es unter den

  • S.

    zur Herstellung einer ‚Atmosphäre von Beeinflussung
    nen.

    dringendsten möchte ich davor warnen, um die Zu- _
    i und Unterstützung von Eltern oder Angehörigen | ・ 7
    ben, indem man ihnen cin — einführendes oder tiefer SA
    s — Werk unserer Literatur zu lesen gibt: Meist
    dieser wohlgemeinte Schritt hin, um die naturgemáfe, |
    inmal unvermeidliche, Gegnerschaft der Angehörigen
    die psychoanalytische Behandlung der Ihrigen vor-
    osbrechen zu lassen, so daß es überhaupt nicht zum
    ne der Behandlung kommt.

    gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die fortschreitende
    rung der Psychoanalytiker bald zu einer Einigung über
    en der Technik führen wird, wic man am zweck-
    ten die Neurotiker behandeln solle, Was die Behand-

    r „Angehörigen“ betrifft, so gestehe ich meine völlige
    keit ein und setze auf deren individuelle Behandlung
    pt wenig Zutrauen, é