Rezension [unsigniert] von: Ebstein (Göttingen) ›Über die Behandlung der Fettleibigkeit (Korpulenz)‹ 1885-228/1885
S.

Journal - Revue 

Medizin.    

Vierter Kongress für innere Medizin.    

(Nach den Berichten der , Deutschen Med.-Zeitung".)    

24. Ueber die Behandlung der Fettleibigkeit (Korpulenz).

Von E b s t e i n (Göttingen).

Referent betont in ätiologischer Beziehung die überreiche Umbildung der
Bindegewebs- in Fettzellen, die ihre Ursache in absolut oder relativ zu reichlicher
Nahrungsaufnahme, in hereditärer oder erworbener Disposition, unzweckmässiger
Ernährung und unzweckmässigem Körperverhalten findet,
und fasst seine Ansichten in folgenden Sätzen zusammen:

1. Die Bantingkur ist erfolgreich; da aber der sehr reichhaltige Fleischgenuss,
sowie die zu grosse Einschränkung der normalen stickstofffreien Nahrungsstoffe
erfahrungsgemäss nicht nur nicht gut vertragen werden, sondern
sogar die Gesundheit schädigen, und da die Bantingkur bestenfalls nur eine
zeitweise Anwendung gestattet, so erfüllt sie nicht alle die Bedingungen, die
man an eine rationelle Entfettungskur stellen muss.

2. Die die Beschränkung der Getränkezufuhr in den Vordergrund stellenden
Entfettungskuren (D a n z e l , O e r t e l ) sind zwar wegen des zu
ertragendes Durstes hart, aber rationell. Betreffs der festen Nahrungsmittel
sind die Vorschläge O e r t e l ’s, die sich auf die Lehre der heutigen Ernährungsphysiologie
stützen, denen von D a n z e l weit vorzuziehen.

3. Die Entfettungsmethode des Redners ist ebenfalls rationell; das in das
diätetische Regimen der Fettleibigen eingefügte Fettquantum ist zwar höher,
als die bei den übrigen Entfettungsmethoden gewährte Fettration, steht
aber mit den Lehren der modernen Ernährungsphysiologie in vollem Einklange.
Seine Methode ist der vorigen vorzuziehen, weil die sich ergebende
Herabsetzung des Hunger- und Durstgefühles dem Kranken eine Menge von
Entbehrungen erspart und die Reduktion der festen und flüssigen, vorher im
Uebermasse genossenen Nährstoff- und Nahrungsmittel verhältnissmässig
leicht ermöglicht. Die relativ geringe Fettmenge leistet als kraftgebender
Nahrungsstoff so viel, wie eine 2½ Mal so grosse Menge von Kohlehydraten,
wodurch diese Methode in bequemster Weise die Kombination der
diätetischen Behandlung mit den erforderlichen Muskelübungen gestattet.

4. Forcirte, mit starker Schweissbildung verbundene Muskelbewegungen,
wie sie von S t o k e s , O e r t e l u. A. bei Behandlung der Herzschwäche
vorgeschlagen wurden, kommen neben einem rationellen diätetischen
Regimen in dem Stadium der Fettleibigkeit zur Anwendung, wo das Herz
an der Ernährungsstörung sich zu betheiligen beginnt. Diese Muskelübungen
müssen selbstredend mit grosser Vorsicht und steter Rücksichtnahme
auf die übrigen Organe, den Kräftezustand und die Leistungsfähigkeit des
betreffenden Individuums, insbesondere auf die Beschaffenheit seiner Gefässwandungen
gehandhabt und geregelt werden. Sie sind event. durch Wasserentziehungen
(römisch-irische Bäder) zu ersetzen.

5. Medikamente und Mineralwasserkuren sind bei der Behandlung der
Fettleibigkeit zum mindesten entbehrlich, wirkungslos oder mit Gefahren
für Gesundheit und Leben verbunden.