S.
14. Erster Bericht zur Sammelforschung.
Im Auftrage des vom Vereine für innere Medizin gewählten Komité’s erstattet
von Dr. S. G u t t m a n n (Zeitschrift für klinische Medizin, VIII).Dieser Bericht bietet im Einzelnen soviel des Interessanten, dass ein Referat
nicht den Anspruch erheben kann, dessen Lektüre zu ersetzen. Er enthält
die Verwerthung von 200 Krankenbeobachtungen über Tuberkulose zur Beantwortung
von vier Fragen: nach 1. der Heredität, 2. der Kontagiosität,
3. der Heilung der Lungenschwindsucht und 4. nach dem Uebergange der
Pneumonie in Phthise, welche Themata von den Herren O l d e n d o r f f ,
M e y e r h o f f , L e y d e n und F r a e n t z e l , und K a l i s c h e r
der Reihe nach bearbeitet sind. Aus dem – eigentlich geringen – Materiale
von eingesandten Krankengeschichten haben die Bearbeiter, was ihnen zweifelhaft
oder mit einem Irrthum behaftet schien, ausgeschieden.Für die Frage nach der Heredität der Lungentuberkulose wurden von
Herrn O l d e n d o r f f 24 Beobachtungen verwerthet. Es handelte sich
in denselben um Personen, deren günstige äussere Verhältnisse Momente,
welche der Entwicklung der Phthise Vorschub leisten, nicht aufweisen, deren
Erkrankung somit in ursächlichem Zusammenhange mit der nachgewiesenen
Erkrankung der Aszendenten steht. Besonders bemerkenswerth sind einzelne
Fälle von gleichartigem Verlaufe der Phthise bei Vererber und Erben.
Ueber die relative Häufigkeit der ererbten Phthise lässt sich mittelst des bisherigen
Verfahrens der Sammelforschung nichts ermitteln.Für die Kontagiosität der Tuberkulose werden von M e y e r h o f f 40
Beobachtungen als beweisend anerkannt. In denselben ist der geringe Einfluss
äusserer Lebensverhältnisse auffallend. Als das wichtigste Moment der
Kontagion erscheint die Uebertragung unter Ehegatten (in 23 Fällen). Die
infizirten Ehehälften sind fast immer frei von hereditärer Belastung zur
Tuberkulose. Die meisten Ansteckungen sind kurz vor dem Tode der infizirenden
Personen erfolgt, die Krankheit nahm bei allen infizirten Personen
einen rapiden Verlauf. In allen Fällen wurde beobachtet, dass beide Ehehälften
ein gemeinsames Schlafzimmer, häufig auch eine gemeinsame Schlafstelle
benützt haben. In je vier Fällen sind Eltern oder Verwandte durch die
Pflege phthisischer Kinder phthisisch geworden. In den übrigen Fällen ist
Verwandtschaft nicht nachweisbar, und handelt es sich mit grösserer oder geringerer
Wahrscheinlichkeit um die Krankenpflege bei phthisischen Personen
oder um die Benützung von Kleidern und Schlafstellen, welche solchen gehört
hatten. Ueber den Einfluss des Aufenthaltes in Pensionaten, Kasernen,
Spitälern u. dgl. gibt das eingelaufene Material keinen Aufschluss.S.
In Betreff der Heilung der Phthise anerkennen L e y d e n und
F r a e n t z e l 57 Beobachtungen als beweiskräftig, wobei sie natürlich
von dem Fortbestehen physikalischer Veränderungen als Ergebnisse abgelaufener
Prozesse absehen und wohl auch Fälle von längerem Stillstande des
phthisischen Prozesses bei gehobenem Allgemeinbefinden gelten lassen. Das
jugendliche Alter zeigt die grössere Anzahl solcher „Heilungen“, die Dauer
der Erkrankung scheint nicht wesentlich in Betracht zu kommen. In Betreff
der Therapie scheint wiederholter Aufenthalt in südlichen Kurorten
von Einfluss.Am wenigsten befriedigend sind die 8 zur Beurtheilung der letzten Frage
– nach dem direkten Uebergang von Pneumonie in Phthise – verwendeten
Beobachtungen. K a l i s c h e r ’s Analyse derselben schliesst dem entsprechend
mit einem „non liquet“.
bsb11506873
368
–369