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Journal - Revue
Medizin.
19. Impfung tuberkulöser Massen auf den Menschen.
Von E. A. T s c h e r n i n g (Hospitals-Tidende, 17. Dezember 1884).
Folgender Fall scheint geeignet, eine Lücke in dem experimentellen Beweisverfahren
über die Uebertragbarkeit der Tuberkulose durch Impfung auszufüllen.
Ein 24jähriges Mädchen von ausgezeichneter Gesundheit, deren
Familiengeschichte nichts von Tuberkulose oder Skrophulose nachwies, war
als Köchin bei einem Professor H. bedienstet, der nach fünfmonatlicher
Krankheit an Phthise starb. Das Sputum dieses Kranken soll in der letzten
Zeit derselben so reich an Tuberkelbacillen gewesen sein, dass man es „als
eine Reinkultur dieser Organismen in Eiter“ ansehen konnte. Wenige Tage
vor dem Tode des Kranken zerbrach das Mädchen ein Glas, in welches der
Kranke zu expektoriren pflegte, und brachte sich einen kleinen Glassplitter
in die linke Hand ein, sie zeigte eine kleine Wunde an der Palmarfläche
der ersten Phalanx des Mittelfingers, welche, ohne zu eitern, nicht spontan
heilte. Nach einigen Wochen war ein kleiner, halberbsengrosser Knoten
im subkutanen Gewebe daselbst zu fühlen, welcher durch Exzision entfernt
wurde. Derselbe war aus Rundzellen zusammengesetzt. Nach seiner Entfernung
heilte die Wunde per primam.
Monate später begann das Mädchen über Schmerzen bei der Beugung des
Fingers zu klagen, eine Verdickung der Sehnenscheide und Vergrösserung
der Kubital- und Axillardrüsen war nachweisbar. Der Finger wurde nun im
Metakarpo-phalangealgelenke exartikulirt, das verdickte Stück der Sehne
sowie die verhärteten Drüsen entfernt. Bei Untersuchung zeigte sich die
Verdickung der Sehnenscheide aus bleichen Granulationen bestehend, welche
zahlreiche Tuberkel, stellenweise im Zentrum käsig zerfallen, reichliche
Riesenzellen und in diesen, sowie an der Grenze des zerfallenen Gewebes
Tuberkelbacillen enthielten. Einzelne Tuberkel und Bacillen fanden sich
auch in den exstirpirten Lymphdrüsen.
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