Rezension von: Adamkiewicz, [Albert] ›Monoplegia anästhetica‹ 1887-207/1887
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    10) Monoplegis ansesthetica, von Adamkiewicz. (Wiener med. Blätter. 1887.    
    Nr. 4 5.)    
    Ein 19jahriges Midchen aus einer nicht belasteten Familie erkrankte im Sep-    
    tember 1885 an Schmerzen im rechten Arnm, welche besonders zur Nachtzeit heftig    
    wurden and der Kranken den Bchlaf raubten. Gleichzeitig stallten sich trophische    
    Störmgen an diesem Arme, Oedeme, Schweissabsonderung etc. ein. Einige Wochen    
    später Nachlass der Schmerzen, die noch eine Zeit lang bei Witterungswechsal wieder-    
    kehrten. Im October Bildung von Blasen auf dem Rücken und an den Fingern der    
    erkrankten Hand, welche sich in schlecht heilende Geschwåre unmwandelten. Es    
    ergab sioh, dass die60 Blasen die Folgen von.Yerbrennungen Waren, welche sich die    

     

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    Kranke, ohne es zu morken, zugezogem hatte, und dass der rechto Arm jeder E    
    pfindung beraubt war.    
    A. untersuchte das Midchen im April 1886 und constatirte, bei gänzlicher    
    Abwesenheit anderer nervöser Symptome, eine totale und absolute Anāsthesie des    
    rechten Armes mit Verlust des Muskelsinns. Nur an den Fingerspitzen und in der    
    Achselhohle liess sich ein Rest von Schmerzempfindlichkeit auffnden. Die Anāsthesie    
    reichte hinten bis zur Wirbelsäule und über das Schulterblatt, dessen Winkel frei    
    blieb; vorne über das Acromion und fast bis zur rechten Brust. Der anāsthetische    
    Arm    war leicht ödematôs, kühl und feucht; dessen Hant deutlich livid verfirbt.    
    Die Gebrauchsfāhigkeit des Armes war in keiner Weise beeintrāchtigt, so lange die    
    Kranke die Augen offen hatte; bei geschlossenen Augen bestand absolute Unfähigkeit,    
    den anāsthetischen Arm zu bewegen.    
    A. verwarf die naheliegende Deutung dieser Gefühlalābmung als eine hysterische,    
    weil 1. kein anderes Zeichen von Hystorie zu finden war, und 2. weil er durch    
    Anlegung von Senfteigen keinen Transfert erzielen konnte. Andererseits nöthigte    
    ihn die Anwesenheit von trophischen Symptomen wie gesteigerte Schweissabeonderung,    
    Oedem, zur Annahme eines materiellen Process8, der die beobachtete Anästhesie    
    erklären sollte. Es hat nun grosse Schwierigkeiten,    einen solehen matariellen Pro    
    cess zu localisiren.    Weder eine Läsion im Grosshirn, noch im Bückenmark, noch    
    in den peripherischen Nerven, kann, wie A. in einer Charcot nachgebildeten Aus»    
    øinandersetzung richtig angiebt, eine derartige Anāsthesie hervorrafen.    A. verlegt    
    also die Läsion in eine andere, bisher nicht besonders aufgeführte Strecke der Lei    
    tungsbahn, nämich in die Gtegend der hinteren Wurzan bis zum Spinalganglion,    
    woselbst die sensibeln, Schweisssecretions- und trophischen Norven des Armes ent    
    stammen und ohne Beimengung motorischer Bahnen getroffen werden können. Aller    
    dings,verlässt das Gros der Gefāss- und trophischen Nerven, sowie die Schweiss-    
    nerven, das Rückenmark mit den vorderen Wurzaln", -- aber das stört ofienbar    
    nicht.    Der vermuthete, in diesar Gegend localisirte Process bestehs nach A. in eimer    
    leichten rheumatischen Affecetion der Wurzeln.    Auf dieee Diagnose gründete der    
    Autor seine zum Erfolg führende Therapie.    Er setzte den einen Pol auf die Fora    
    mina intervertebralia der Ealegegend, den anderen auf die Nervenstämme des Armes    
    an und sah, dass nach jeder elektrischen Sitzung die Sensibilität gleichsam schattan    
    haft daa anāsthetieche Gebiet überfog, um zuerst für kürzere, dann für lšngere    
    Zeit zu verbleiben. Nach 3monatdicher Behandlung war die Sensibilitit vollkommen    
    hergeetalt und batte sich auch Monate nachher erhalten.    
    Ref. halt sich nicht zu einer eingebenden Kritik der vom Áutor vorgebrachten    
    Deutung varpfichtet.    Er will nur auf zwei Unmoglichkeiten aufmerksam machena,    
    welche ftr den Autor nicht zu bestehen scheinen. Ein ,leichter" materieller Procesa,    
    in den peripherischen Nerven kann nie zu einer abeoluten Anásthesie von solcher    
    Ansdehnung führen; dasu gehört vielmehr eine materielle Veränderung schwerster    
    Art, die gleichbedeutend    mit einer völligen Deeorganisation oder Unterbrechung der    
    sensibeln Fasern ist. Man denke nar &an die Unvollständigkeit und geringe Aus    
    dehnung der Anāsthesie bei schwerer Pachymeningitis cervicalis 1 Ferner wird eine    
    materiell begründote Anästhesie von solcher Intensitas niemals einer ensigen alek    
    trischen Sitzung, wenn auch nur auf Minuten, weichen.    
    Diese von A. beechriebene Anãsthesio entspricht ofenbar einer Neurose, wahr    
    8cheinlich der Hysterie.    Es ist durchaus nicht unerhört,    dass eine hysterische    
    Anãsthesie oder Contractur oder Amauro8e sich als alleiniges Symptom der hysterischen    
    Neurose vorfindet (Hystérie locale der Franzosen).    Die beobachteten trophischen    
    Störungen sprechen nicht dagegen. Bei Hysterie kommen mannigfache und schware    
    sog. trophische Störungen der afficirten Körpertheile vor.    Als Extrem darsolben sei    
    nur die neuordings von der Salpåtrière aus beschriebene hysterische Atrophie an-    
    gefthrt, von der sich Rer. zu überzeugem Gelegenheit hatte, Endlich goht es nicht    

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    an, aus dem Widerstande der Anästhesie gegen die Sinapiskopie von A. einen Schluss    
    gegen die hysterische Natur derselben zu ziehen. Jeder, der mit den Charcot'schen    
    Vorleeungen vertraut ist, weiss, dass bysterische Anãsthesion vorkommen, welche    
    Btárkeren isthesiogenen Einwirkungen als dem Senfteig widerstehen. n dem Falle    
    vOn A. arwies soh dbrigens die Eloktricitat als ein kraftiges asthesioganes Mittel.    
    Nach jeder elektrischen Durchskrömung trat ja die Empfindung in dem anāsthetischen    
    Gebiet wieder auí, um zuerst nach kirzeren, später nach längeren Zeitrāumen zu    
    schwinden.    Es war dabei offenbar ganz gleichgültig, ob der eine Pol auf die    Von    
    A. auagezeichnete Gegend aufgesetzt wurde. Der Efect lag nur an der Durchstr0-    
    mung des anãsthetischen Gliedes. Genau in derselben Weise wird eine hysterische    
    Gefnhlsiähmung von der Elektricität beeinflusst. - Ref. möchte sagen, dass die von    
    A. beschriebene Anāsthesie s0 8ohr für Hysterie charakteristisch ist, dass es keines    
    weiteren 8ymptomes zur Stellung der Diagnose bedarf. Aber auch, wer nicht den    
    Charcot'schen Forschungen dber Eysterie gefolgt ist, und eine solche Kennzeichnung    
    aicht anerkennt, wird keinen Zweifel daran haben, da8s A. eine Anāsthesie auf    
    Grnd einer Neurose besahreibt, und wird die vom Autor auf seine neue Namen    
    gebung gesetzten Hofinungen ihm zum ungetheilten Besitze überlassen.    
    Frend (Wien).