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Literarisehae Anzeige».
Die akute Neurasibenie. Ein ärztliches Kulturbild von Dr. med.
Averbeck. (Sonderabdruck aus ,Deutsche Medizinal-Zeitung".)
Wie wenig die sogenannte klinische Ausbildung, welche in
unseren Spitälern erworben wird, den Bedürfnissen des praktischen
Arztes genügt, ergibt sich vielieicht am schlagendsten an dem
Beispiele der ,Neurasthenie*, jenes krankhaften ustandes des
Nervensystems, den man getrost als die allerhäutigste Erkrankung
in unserer Gesellschaft bezeichnen darf, der bei Kranken besserer
Stände die meisten anderen Krankheitsbilder komplizirt und folgen-
schwerer macht, und der vielen wissenschaftlich gebildeten Aerzten
noch gar nicht bekannt ist oder von ihnen tür einen eben nur
modernen Namen mit willkürlich zusammengefügtem Inhalte an-
gesehen wird. Die Neurasthenie nicht ein Krankheitsbild im
Sinne der allzu ausschliesslich auf die pathologische Anatomie auf.
gebanten Lehrbücher, sondern eher als eine Reaktionsform des
Nervensystems zu bezeiclnen- verdiente die allgemeinste Auf-
merksamkeit der wissenschaftlich thätigen Aerzte in nicht gerin-
gerem Maasse, wie sie dieselbe bei den als Therapeuten thätigen
Aerzten, Leitern von Heilanstalten ete. gefunden hat. Darumn ist
die vorliegende kleine Schrift mit ihren treffenden, obwohl absicht-
lich extrem gehaltenen Schilderungen, ihren vielfache soziale Ver
hältnisse berührenden Vorschlägen und Bemerkungen, einer Empfeh-
lung an weitere Kreise würdig. Dieselbe wird, wie der Autor selbst
vermuthet, nicht immer die Zustimmung, wenn auch an allen
Stellen das Interesse der Kollegen erregen. Die Bemerkungen iüber
die allgemeine Wehrpficht als Heilmittel gegen die Schäligungen
des Kulturlebens, der Vorschlag, dem arbeitenden Nittelstande
durch staatliche Fürsorge eine periodische Erholung in ge
sunden Zeiten zu ermöglichen, lassen mannigfache Einwendungen
zu; man wird aber zugeben müssen, dass in der kleinen Sehrift
hochwichtige Themata der ärztlichen Sorge in geistreicher Weise
behandelt sind. Dr. Sigm. Freud.
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