Rezension von: Averbeck, [J. Heinrich] ›Die akute Neurasthenie‹ 1887-202/1887
S.

Literarisehae Anzeige».    
Die akute Neurasibenie. Ein ärztliches Kulturbild von Dr. med.    
Averbeck. (Sonderabdruck aus ,Deutsche Medizinal-Zeitung".)    
Wie wenig die sogenannte klinische Ausbildung, welche in    
unseren Spitälern erworben wird, den Bedürfnissen des praktischen    
Arztes genügt, ergibt sich vielieicht am schlagendsten an dem    
Beispiele der ,Neurasthenie*, jenes krankhaften ustandes des    
Nervensystems, den man getrost als die allerhäutigste Erkrankung    
in unserer Gesellschaft bezeichnen darf, der bei Kranken besserer    
Stände die meisten anderen Krankheitsbilder komplizirt und folgen-    
schwerer macht, und der vielen wissenschaftlich gebildeten Aerzten    
noch gar nicht bekannt ist oder von ihnen tür einen eben nur    
modernen Namen mit willkürlich zusammengefügtem Inhalte an-    
gesehen wird. Die Neurasthenie    nicht ein Krankheitsbild im    
Sinne der allzu ausschliesslich auf die pathologische Anatomie auf.    
gebanten Lehrbücher, sondern eher als eine Reaktionsform des    
Nervensystems zu bezeiclnen- verdiente die allgemeinste Auf-    
merksamkeit der wissenschaftlich thätigen Aerzte in nicht gerin-    
gerem Maasse, wie sie dieselbe bei den als Therapeuten thätigen    
Aerzten, Leitern von Heilanstalten ete. gefunden hat. Darumn ist    
die vorliegende kleine Schrift mit ihren treffenden, obwohl absicht-    
lich extrem gehaltenen Schilderungen, ihren vielfache soziale Ver    
hältnisse berührenden Vorschlägen und Bemerkungen, einer Empfeh-    
lung an weitere Kreise würdig. Dieselbe wird, wie der Autor selbst    
vermuthet, nicht immer die Zustimmung, wenn auch an allen    
Stellen das Interesse der Kollegen erregen. Die Bemerkungen iüber    
die allgemeine Wehrpficht als Heilmittel gegen die Schäligungen    
des Kulturlebens, der Vorschlag, dem arbeitenden Nittelstande    
durch staatliche Fürsorge eine periodische Erholung in ge    
sunden Zeiten zu ermöglichen, lassen mannigfache Einwendungen    
zu; man wird aber zugeben müssen, dass in der kleinen Sehrift    
hochwichtige Themata der ärztlichen Sorge in geistreicher Weise    
behandelt sind.    Dr. Sigm. Freud.