Rezension von: Forel, Auguste ›Der Hypnotismus‹ 1889-203/1889
  • S.

    Referate und literarische Anzeigen. )    
    Forel: Der Hypnotismus, seine Bedeutung und seine Hand-    
    habung. Stuttgart, F. Enke, 1889.    
    I.    
    Diese nur 88 Seiten starke Sehrift des rühmlich bekannten    
    Ziüricher Psychiaters ist eine Erweiterung eines Aufsatzes über die    
    strafrechtliche Bedeutung des Hypnotismus, welcher 1888 in der    
    Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissenschaft, Bd. IX, ver-    
    öffentlicht wurde.    
    Dieselbe wird wohl für lange Zeit eine hervorragende Stelle    
    in der deutschen Literatur iüber Hypnotismus behaupten. Knapp,    
    fast katechismusartig gehalten, von grosser Klarheit der Darstel-    
    lung und Entschiedenheit des Ausdrucks, verbreitet sie sich über    
    den gesammten Kreis von Erscheinungen und Problemen, die man    
    als ,Lehre vom Hypnotismus" zusammenfasst, sondert in glück-    
    licher Weise Thatsachen und Theorien, lässt nirgends den Ernst    
    des gründlich priüfenden Arztes vermissen, und vermeidet aller Orten    
    jenen Ton von Ueberschwänglichkeit, der einer wissenschaftlichen    
    Erörterung so übel ansteht,    Nur einmal erwärmt sich die Dar-    
    stellung Forel's zu dem Ausspruche:Die Entdeckung der psycho-    
    logischen Bedeutung der Suggestion durch Braid und Jiébault    
    ist nach meiner Ansicht so grossartig, dass sie mit den grössten    
    Entdeckungen, respektive Erkenntnissen des menschlichen Geistes    
    verglichen werden kann."    Wer in dieser Aeusserung eine arge    
    Ueberschätzung der Hypnose sieht, wolle sein endgiltiges Urtheil    
    aufschieben, bis die nächsten Jahre zur Klarheit gebracht haben,    
    wie viele von den grossen theoretischen und praktischen Umwälzungen,    
    welche die Hypnose zu leisten verspricht, thatsächlich dureh die-    
    selbe zu Stande kommen können. Bei der Erwähnung jener dunkeln,    
    an den Hypnotismus angelehnton Probleme (Gedankeniibertragung eto.)    
    mit denen sich gegenwärtig der ,Spiritismus" beschäftigt, zeigt Forel    
    eine echt wissenschaftliche Zurückhaltung. Man versteht es nicht,    
    *) Die unter dieser Rubrik angezeigten und besprochenon Pablikationen    
    sind zu beziehen durch die Buchhandlung Moritz Perles, I,, Seiler-    
    gasse 4 (Graben), Wien,    

    warum eine Autorität unserer Stadt unseren Autor vor einer ärztlichen    
    Gesellschaft als den ,südliehen Forel" bezeichnet und ihm    
    einen angeblich ,nördlicheren" Gegner der Hypnose als Muster    
    kühlerer Denkweise gegeniübergestelit hat, Selbst wenn es minder    
    unstatthaft wäre, die Urtheile lebender Forscher über wissenschaft    
    liche Probleme durch den Hinweis auf deren Nationalität oder    
    Vaterland erledigen zu wollen, und selbst wenn Prof. Forel nicht    
    das Glick hütte, unter dem 46. Grad nördl. Breite geboren und    
    erzogen worden zu sein "), wiäre man nicht berechtigt, aus der Lek-    
    tiüre des vorliegenden Biüchleins zu sehliessen, dass dem Autor    
    dessel ben das Temperament mit der Logik durehzugehen piegt    
    Die kleine Schrift ist vielmehr das Werk cines ernsthaften    
    Arztes, der den Werth und die Tragweite der Hypnose als thera-    
    peutisches Hilfsmittel durch eigene reiche Erfahrung kennon gelernt    
    hat, und der ein Reclht dazu hat, ,den Spöttern und Ungläubigen«    
    zuzurufen :Prüfet nach, bevor Ihr urtheilt", Man wird ihm auch    
    beipfichten müssen, wenn er hinzufügt: ,Um über Hypnotismus    
    urtheilen zu können, muss man selbst eine Zoit lang hypno-    
    tisirt haben".    
    Es gibt freilich ahlreiche Gegner der Hypnose, die ihr    
    Urtheil auf einem bequemeren Wege gewonnen haben. Diese    
    haben die nene therapeutische Methode nicht geprift, unparteiisrh    
    und sorgfältig in Anwendung gezogen, wie man etwa mit einem    
    neu empfohlenen Medikament verfahren würde, sondern haben die    
    Hypnose von vorneherein verworfen, und nun hindert sie keinerlei    
    Kenntniss von den unschätzbaren Heilwirkungen dieser Methode    
    daran, ihrer Abneigung gegen dieselbe, worauf immer diese beruhen    
    mag, den schärfsten und ungerechtesten Ausdruck zu geben.    Sie    
    tibertreiben die Gefahren der Hypnose in's Maasslose, verleihen ihr    
    einen Ckelnamen um den anderen, und setzen der kaum mehr zu    
    iübersehenden Fülle von Berichten über Heilerfolge durch Hypnose    
    Orakelspriüche entgegen wie diesen: Heilerfolge beweisen nichts,    
    sie sind sel ber erst des Beweises bedilrftig *). Bei der Heftigkeit    
    ihrer Gegnerschaft ist es daan nicht zu verwundern, wenn sie den    
    Aerzten, welche sich verpflichtet glauben, die Hypnose zum Wohle    
    ihrer Kranken auszuüben, Uulauterkeit der Absichten und unwissen-    
    schaftliche Denkweise vorwerfen; Ansehuldigungen, die von einer    
    wissenschaftlichen Diskussion ausgeschlossen sein sollten, seien sie    
    nun offen oder in mehr oder minder verhillten Anspielungen    
    vorgebracht. Wenn sich unter diesen Gegnern Männer befinden, wie    
    Herr Hofrath Mey nert, Männer, die duroh ihre Arbeiten eine    
    Srosse Auto    erworben haben, welche das rztliche wie das    
    Laienpublikum nun olhne weitere Prüfung auf alle ihre Aeusserungen    
    überträgt, so ist eine gewisse Sehädigung der Sache des Hypno-    
    tismus allerdings unvermeidlich. Es fällt den meisten Menschen    
    schwer anzunehmen, dass ein Forscher, der für einige Kapitel der    
    Neuropathologie grosse Erfahrung erworben und viel Scharfblick    
    bewiesen hat, fiür andere Probleme jeder Eignung, als Autorität    
    angerufen zu werden, entbehren sollte; und der Respekt vor    
    der Grösse, besonders vor der intellektuellen Grösse, gehört gewiss    
    zu den besten Eigenschaften der menschlichen Natur. Aber er    
    soll gegen den Respekt vor den Thatsachen zurücktreten. Man    
    braueht sich nicht zu scheuen, es anszusprechen, wenn man die    
    Anlehnung an eine Autorität gegen das eigene, durch Studium    
    der Thatsachen erworbene Urtheil, zurtcksetat.    
    Wer, wie Roferent, in Sachen der Hypnose ein selbstständiges    
    Urtheil erworben hat, wird sich damit trösten, dass eine so herbei-    
    geführte Schëdigung des Ansehens der Hypnose nur eine zeitlich    
    und örtlich abgegrenzte sein kann. Die Bewegung, welche die    
    Suggestivtherapie in den Heilschatz der Medizin einführen will,    
    hat an anderen Orten bereits triumphirt und wird endlich auch in    
    Deutschland, respektive in Wien, zum Ziele gelangen. Wer von den    
    Aerzten sachlichen Erwägungen zugänglich ist, wird sich milder    
    stimmen lassen, wenn er merkt, dass die angeblichen Opfer der    
    hypnotischen Therapie nach der Behandlung weniger leiden und    
    ihre Piichten besser erfüllen als vorhin, wie ich dies von meinen    
    Patienten aussagen dars. Eigene Versuche werden ihm zeigen, dass    
    eine ganze Reihe von Vorwürfen, díe man gegen die Hypnose    
    ) Wie ich einer brieflichen Aeusserung Forel's entnehme.    
    ) Hofrath Meynert in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte    
    vom 7. Juni d. J.    

     

  • S.

    gerichtet hat, nicht diese besonders, sondern ebenso unsere gesammte    
    Therapie treffen, ja gegen einzelne Verfahren, die wir alle üben,    
    mit mehr Berechtigung als gegen die Hypnose gerichtet werden    
    können. Er wird als Arzt die Unmöglichkeit erfahren, die Hypnose    
    nicht zu üben, seine Kranken leiden zu lassen, während er sie    
    duroh eine unschuldige psychische Beeinfussung erlösen kann.    Er    
    wird sich sagen müssen, dass die Hypnose nichts an ihrer Harm-    
    losigkeit und an ihrem Heilwerthe einbüsst, wenn man sie einen    
    ,kiünstlichen Wahnsinn oder eine ,künstliche Hysterie# heisst,    
    ebenso wenig wie z. B. das Fleisch an seinem Wohlgeschmack und    
    an seinem Nälrwerth verliert, wenn die Wuth der Vegetarianer es    
    als ,Aas" beschimpft.    
    Vergessen wir für einen Moment, dass wir die Wirkungen der    
    Hypnose aus der Erfahrung kennen, und fragen wir uns, welehe schäd-    
    liche Wirkungen wir von der Hypnose a priori zu erwarten haben.    
    Das hypnotische Heilverfahren besteht erstens in der Hervorrufung    
    des hypnotischen Zustandes und zweitens in der Ertheilung einer    
    Suggestion an den Hypnotisirten. Welcher der beiden Akte soll der    
    schädliche sein? Die Hervorrafung der Hypnose ? Aber die Hypnose    
    ist, wenn sie am voilkommensten gelingt, nicbts Anderes als der    
    gewöhnliche, uns Allen so vertraute, freilich in so vielen Stiüeken    
    noch so unverstandene Schlat, und, wenn sie minder gut ausge-    
    bildet ist, entspricht sie versehiedenen Stadien des Einschiafens.    
    Es ist richtig, dass wir im Schlafe das psychische Gleichgewicht    
    verloren haben, dass die Thätigkeit unseres Gehirns während des    
    Schlafes eine gestörte ist, vielfach an den Wahusinn erinnert, aber    
    diese Analogie verhindert nicht, dass wir vom Schlafe auch    
    geistig neu gestärkt erwachen.    Nach Meynert's Erörterungen    
    über die schädlichen Wirkungen einer Herabsetzung der korti    
    kalen Thätigkeit und nach seiner Herleitung der hypnotischen    
    Euphorie hätten wir Aerzte eigentlich allen Grund, die Menschen    
    schlaflos zu erhalten. Sie ziehen es aber bis jetzt noch vor, zu    
    schlafen, und wir wollen nicht besorgen, dass die Gefahren der    
    hypnotischen Therapie im Akte des Hypnotisirens liegen. Also    
    ist die Ertheilung der Suggestion das schädliche Moment?    Un-    
    möglich, denn die Angriffe der Geguer richten sich bemerkens8-    
    wertherweise gar nicht gegen die Suggestion. Der Gebranch der    
    Suggestion ist ja angeblich etwas dem Arzte seit jeher Vertrautes,    
    ,wir suggeriren ja Alle beständig, sagen sie, und in der That ist    
    der Arzt - auch der Nicht-Hypnotiseur - nie befiriedigter, als    
    wenn er dureh die Macht seiner Persönlichkeit, den Einduss seiner    
    Rede und seiner    Autorität eine Krankheitserscheinung aus der    
    Aufmerksamkeit des Kranken verdrängt hat. Warum soll der    
    Arzt also nicht ene Beeinflussung planmässig anstreben dürfen,    
    die ihm immer so erwünscht war, wenn sie ihm unversehens ein-    
    mal gelang? Es ist aber doch vielleicht die Suggestion das Ver    
    werfliche, die Unterdrückung der freien Persönlichkeit durch den    
    Arzt, der ja anch im künstlichen Schlafe die Macht der Leitung    
    über das schlafende Gehirn behält. Es ist ganz interessant, die    
    entsehiedensten Deterministen plötzlich als Vertheidiger der gefähr-    
    deten persönlichen Willensfreiheit" zu sehen, den Psychiater,    
    der gewohnt ist, die ,frei aufstrebende Geistesthätigkeit" seiner    
    Kranken durch grosse Dosen von Brom, Morphin und Chloral zu    
    erstioken, die suggestive Beeintlussung als etwas Entwiürdigendes    
    für beide Theile anklagen zu hören. Kann man denn wirklich ver-    
    gessen, dass die Unterdrickung der Selbstständigkeit des Kranken    
    durch die hypnotische Suggestion stets nur eine partielle ist, dass    
    sie sich gegen Krankheitserscheinungen richtet, dass, wie wohl    
    hundert Mal ausgeführt worden, die ganze soziale Erziehung des    
    Menschen auf einer Unterdrdckung unbrauchbarer Vorstelungen    
    und Motive und deren Ersetzung durch bessere beruht, dass das    
    Leben alNtäglich jedem Menschen psychische Einwirkungen bringt,    
    die, obwohl sie im Wachen eingreifen, ihn weit intensiver verän-    
    dern, als die Suggestion des Arztes, der eine Schmerz. oder Angst    
    vorstellung durch eine wirksame Gegenvorstellung zu beseitigen    
    sucht? Nein, an der bypnotischen Therapie ist nichts Anderes ge    
    fährlich, als der Missbrauch, und wer sich als Arzt nieht die    
    Sorgfalt oder die Reinheit der Intention zutraut, diesen Missbrauch    
    zu vermeiden, der thut gut, der neuen Heilmethode ferne zu    
    bleiben    
    Was die persönliche Wiürdigung jener Aerzte betrifft, die    
    den Muth haben, die Hypnose als therapeutisches ittel anzuwen-    

    den, noch ehe sie die Hochiluth der Mode dazu genö thigt hat, so    
    ist Referent der Meinung, es geziome sich, der s0 häufigen Un-    
    duldsamkeit grosser Männer bis zu einem gewissen Maasse Rech-    
    nung zu tragen.    Es erscheint Referenten daher noch nicht ange    
    zeigt und iüberhaupt nicht geniigend interessant für einen weiteren    
    Kreis, hier darauf einzugehen, aus welchen Gründen Herr Hofrath    
    Meynert den Lesern seines Aufsatzes über die traumatischen    
    Neurosen ihn (Ref.) und einen Theil seiner ILebensgeschichte vor    
    geführt hat.    
    Es erscheint dem Referenten wichtiger, die Sache der Hyp    
    nose bei Denjenigen zu vertreten, welche sich gewöhnt haben, ihre    
    Urtheile über wissenschaftliche Fragen von einer grossen Autorität    
    prägen zu lassen, und die vielleicht hiebei durch die richtige Ein-    
    sicht in die Unzulänglichkeit ihres eigenen Unterscheidungsvermö-    
    gens geleitet werden. Er gedenkt dies zu thun, indem er der    
    gegnerischen Antorität Meynert's andere Autoritäten entgegen-    
    stellt, die sich der Hypnose freundlicher erwiesen haben. Er er-    
    innert daran, dass die Anregung zum wissenschaftlichen Studium    
    der Hypnose bei uns von Prof. H. Oberst einer ausgegangen ist,    
    und dass ein so ausgezeichneter lrren- und Nervenarzt wie der    
    erst jetzt für unsere Universität gewonnene Prof. v. Krafft    
    Ebing sich rückhaltslos zur Schätzung der Hypnose bekennt, und    
    dieselbe in seiner ärztlichen Thätigkeit mit dem glücklichsten Er-    
    folge ausübt.    Wie man sieht, können diese Namen auch solche    
    Urtheilsbediürftige befriedigen, deren Vertrauen fordert, dass eine    
    wissenschaftliche Autorität gewisse Bedingungen der Nationalität,    
    der Race und der geographischen Breite erfülle, und deren Gläu-    
    bigkeit an den Grenzpfählen des Vaterlandes Halt macht.    
    Jeder Andere, der auch für wissenschaftliche Bedeutung    
    ausserhalb des Vaterlandes empfänglich ist, wird auch Prof. Forel    
    zu den Männern zählen, deren Parteinahme für die Hypnose ihn    
    über die vorgebliche Niedrigkeit und Unwürdigkeit dieser thera-    
    peutischen Methode beruhigen darf. Speziell Referent hat bei den    
    Angriffen Meynert's die Empfindung gehabt, dass er sich    
    mit seiner Befirwortung der Hypnose in guter Gesellschaft betinde.    
    Prof. Forel ist ein Beweis dafür, dass man ein sehr be    
    achtenswerther Gehirnanatom sein, und dennoch in der Eypnose    
    etwas Anderes sehen kann, als eine Abgeschmacktheit. Man kann    
    anch ihm die Qualifikation eines ,physiologisch exakt geschulten    
    Arztes", die Herr Hofrath Meynert der Vergangenheit des Re    
    ferenten gnädigst ertheilt 3), nicht vorenthalten, und wie Referent    
    aus dem bösen Paris verdorben zurückgekehrt ist, so war für    
    Prof. Forel eine Reise nach Nancy zu Bernheim der Aus-    
    gangspunkt jener neuen Thätigkeit, der wir das vorliegende aus    
    gezeichnete Buch verdanken.    
    Ein zweiter Artikel tolgt.)    
    Dr. Sigm. Freud.