Rezension von: Freyer, M[oritz] ›Zur Tabes im jugendlichen Alter‹ 1887-210/1887
S.

88    Centralblatt für Kinderheilkunde.    Nr. 2.    
M. Freyer. Zur Tabes im jugendlichen Alter (Berliner klin. Wochenschr.    
Nr. 6, 1887, S. 91).    
Es handelt sich um Beobachtungen von Tabes bei drei Brüdern    
(im Alter von 19, 16 und 9 Jahren), deren Familiengeschichte be-    
merkenswerth ist. Der Vater leugnet aufs entschiedenste eine syphi-    
litische Infection, 1st gesund; die Muter sehwachlieh, leidet an einem    
Herzfehler. Von den dreizehn Kindern dieses Paares scheinen nur die    
beiden ältesten gesund geboren und geblieben zu sein. Dann folgt ein    
Bruder, der einem Herzleiden erliegt,    dann eine Schwester,    die an    
Krämpfen stirbt, und von nun an zeigt sich bei den der Reihe nach    
aufzuführenden Geschwistern eine bemerkenswerthe Neigung, an Haut-    
ausschlügen zu erkranken. Das fünfte Kind leidet vom 6. bis 12. Lebens-    
jahre an angeblich scrophulösen Ausschlāgen, die es überwindet; das    
Sechste Kind, das alteste der drei Tabiker, leidet vom 10. bis 14. Lebens-    
jahre an Ausschlägen, dann folgt ein Kind mit Ausschlägen und früh-    
zeitigem Tode; dann der jüngere der Tabiker (ohne Ausschläge),    
darauf eine Fehlgeburt, W1eder ein Kind mit Ausschlägen und früh-    
zeitigem Tode, und endlich das jüngste Kind, das zwar von Ausschligen    
frei aber gleichfalls mit den Initialsymptomen der 'Tabes behaftet ist.    
Alle drei an Tabes erkrankten Geschwister sind Knaben. Der    
alteste, 19 Jahre alt, bekam im 11. Lebensjahre eine in Eiterung über-    
geende Geschwulst am linken Oberschenkel. Nach seiner Wieder-    
herstellung wurde bemerkt, dass er schlecht gieng". Er zeigt gegen-    
wartig: Nystagmus, der besonders beim Beginn des Fixirens hervor-    
tritt, später schwindet, langsame, etwas anstossende Sprache, auftällige    
Coordinationsstörungen an Armen und BeineD. Die Bewegungen der    
Arme sind unsicher, ausfahrend, verfehlen beim Zugreifen meist das    
Siel; feinere Leistungen, wie Auf- und Zuknöpfen, sind sehr erschwert.    
Die Schrift ist schlecht, ungleich; es gelingt häufig nichl, die Buch-    
staben mniteinander zu verbinden. Der Gang ist hochgradig schleudernd,    
unsicher bis zum Hinstürzen. Bei geschlossenen Augen tritt Hinstürzen    
ein. Das Kniephänomen fehlt beiderseits absolut; die motorische Kraft    
ist in den Armen wie in den Beinen erhalten. In Betreff der Sensibilität:    
zeitweilig Kribbeln und Taubsein_in den Fusssohlen, keine blitzartigen    
Sehmerzen, dagegen hâufig das Gefühl eines um den Körper gelegten    
Reifens. Die Tastempfindung ist an einzelnen Stellen aufgehoben, an    
anderen Stellen unsicher, doch meist erhalten; Sehmerzempfindung normal.    
Muskelsinn nicht gestört. Ausserdem eine Herzaffection, die der Autor nicht    
hinreichend beschreibt, an einer Stelle als Aorteninsufficienz bezeichnet.    
Der jüngere der Knaben (16 Jahre alt) gleicht dem Bruder in    
allen Stücken; nur der Nystagmus, die Parästhesien fehlen, die Tast-    
empfindung ist bei ihm blos herabgesetzt. Der jüngste Knabe (9 Jahre    
alt) war durch eine gewisse Unruhe des Körpers auffüllig und wurde    
deshalb ebenfalls untersucht. Es ergab sich, dass die Kniephänomene    
bei ihm nur nach wiederholten Reizungen und auch dann nur unvoll-    
kommen ausgelöst werden konnten. Drei Monate später waren diese    
Reflexe völlig erloschen, und beim Stehen mit geschlossenen Augen    
ein auffalliges Schwanken zu bemerken.    
Die hier mitgetheilten Beobachtungen gehören in den Rahmen    
der Friedreich'schen Kraukheit.    Freud (Wien).