Rezension von: Stintzing, [Roderich] ›Über hereditäre Ataxie‹ 1887-225/1887
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    Nr. 12.                                    Centralblatt für Kinderheilkunde.                                    247

     

    Stintzing. Ueber hereditäre Ataxie (Münch. med. Woch. Nr. 21, S.
    389 bis 392, 1887).
        Der Autor beschreibt eine in der Nähe von München lebende
    Familie, deren zwei jüngste Mitglieder er dem ärztlichen Verein in
    München vorstellen konnte. Der Vater, 67 Jahre alt, ist vollkommen
    gesund, soll nie krank gewesen sein und keinerlei neuropathische
    Belastung zeigen. Die Mutter, gleichfalls nach Erscheinung und
    Familiengeschichte gesund, ist 53 Jahre alt, mit ihrem Manne nicht
    verwandt. Von den sieben Kindern des Paares ist eines früh gestorben.
    Die übrigen Kinder sind folgende:
        1. Eine 32jährige Tochter, derzeit so vollkommen gelähmt, dass
    sie sich stetig in keiner Weise bewegen kann, Nystagmus der Augen,
    Schwäche der Stimme, totale motorische und sensible Lähmung der
    Beine, an den Armen die Sensibilität erhalten, die Beweglichkeit sehr
    eingeschränkt. Beinreflexe fehlend. Musculatur nicht atrophisch. Auch
    der Kniephänomen, zum grossen Theil gelähmt. Die Herzthätigkeit
    beschleunigt und unregelmässig, Seh- und Hörvermögen in Abnahme,
    Blase normal. Beginn der Erkrankung im fünften Lebensjahr mit
    „Schwanken“ beim Gehen.
        2. Ein mit 31 Jahren verstorbener Sohn soll dieselben Er-
    scheinungen geboten haben.
        3. Ein 28jähriger blühend aussehender Sohn, der impotent ist.
        4. Ein 19jähriger Sohn, hochgradiger Stotterer.
     

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        5. und 6. leiden an Friedreich'scher Ataxie.
        5 ist ein 15jähriges, wohlgenährtes Mädchen von guter Intelligenz,
    bei dem die Krankheit im neunten Jahre mit zunehmender Schwäche
    und Ungeschicklichkeit der Arme und Beine begann. Sie zeigt jetzt
    Nystagmus der Bulbi, Pulseschleunigung über 100, Spuren von
    locomotorischer Ataxie an den oberen Extremitäten, Schwanken beim
    Sitzen und Stehen mit geschlossenen Augen, ataktischen Gang, Ataxie
    bei Einzelbewegungen der unteren Extremitäten, Verlust der Sehnen-
    reflexe an den Beinen, durchaus normale Sensibilität.
        6 ist 9jähriger Knabe, bietet die nämlichen Erscheinungen wie
    seine Schwester, nur in geringerem Grade.
        St. vermuthet, dass auch die Krankheit bei der beiden ältesten
    Geschwister die Friedreich'sche Ataxie war, bei welcher der
    pathologische Process im Rückenmark eine ungewöhnlich grosse Aus-
    dehnung genommen hatte. Eine eingehende Besprechung der Symptome
    und anatomischen Befunde bei dieser Krankheit geht den Kranken-
    beschreibungen vorher.                                                                       Freud (Wien).