S.
257
TRAUER UND MELANCHOLIE
Nachdem uns der Traum als Normalvorbild der narzißtischen
Seelenstörungen gedient hat, wollen wir den Versuch machen,
das Wesen der Melancholie durch ihre Vergleichung mit dem
Normalaffekt der Trauer zu erhellen. Wir müssen aber diesmal
ein Bekenntnis vorausschicken, welches vor Überschätzung des
Ergebnisses warnen soll. Die Melancholie, deren Begriffsbe-
stimmung auch in der deskriptiven Psychiatrie schwankend ist,
tritt in verschiedenartigen klinischen Formen auf, deren Zusammen-
fassung zur Einheit nicht gesichert scheint, von denen einige
eher an somatische als an psychogene Affektionen mahnen. Unser
Material beschränkt sich, abgesehen von den Eindrücken, die
jedem Beobachter zu Gebote stehen, auf eine kleine Anzahl von
Fällen, deren psychogene Natur keinem Zweifel unterlag. So
werden wir den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit unserer Er-
gebnisse von vornherein fallen lassen und uns mit der Erwägung
trösten, daß wir mit unseren gegenwärtigen Forschungsmitteln
kaum etwas finden können, was nicht typisch wäre, wenn
nicht für eine ganze Klasse von Affektionen, so doch für eine
kleinere Gruppe.Die Zusammenstellung von Melancholie und Trauer erscheint
durch das Gesamtbild der beiden Zustände gerechtfertigt.1 Auch
die Anlässe zu beiden aus den Lebenseinwirkungen fallen dort,
wo sie überhaupt durchsichtig sind, zusammen. Trauer ist regelmäßig1)Auch Abraham, dem wir die bedeutsamste unter den wenigen analytischen
Studien über den Gegenstand verdanken, ist von dieser Vergleichung ausgegangen
(Zentralblatt für Psychoanalyse, II, 6, 1912.)S.
258
die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder
einer an ihre Stelle gerückten Abstraktion, wie Vaterland, Frei-
heit, ein Ideal usw. Unter den nämlichen Einwirkungen zeigt
sich bei manchen Personen, die wir darum unter den Verdacht
einer krankhaften Disposition setzen, an Stelle der Trauer eine
Melancholie. Es ist auch sehr bemerkenswert, daß es uns niemals
einfällt, die Trauer als einen krankhaften Zustand zu betrachten
und dem Arzt zur Behandlung zu übergeben, obwohl sie schwere
Abweichungen vom normalen Lebensverhalten mit sich bringt.
Wir vertrauen darauf, daß sie nach einem gewissen Zeitraum
überwunden sein wird, und halten eine Störung derselben für
unzweckmäßig, selbst für schädlich.Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief
schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für
die Außenwelt, durch den Verlust derLiebesfähigkeit, durch die
Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbst-
gefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen
äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert.
Dies Bild wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir
erwägen, daß die Trauer dieselben Züge aufweist bis auf einen
einzigen; die Störung des Selbstgefühls fällt bei ihr weg. Sonst
aber ist es dasselbe. Die schwere Trauer, die Reaktion auf den
Verlust einer geliebten Person, enthält die nämliche schmerz-
liche Stimmung, den Verlust des Interesses für die Außenwelt –
soweit sie nicht an den Verstorbenen mahnt, – den Verlust der
Fähigkeit, irgend ein neues Liebesobjekt zu wählen – was den
Betrauerten ersetzen hieße, – die Abwendung von jeder Leistung,
die nicht mit dem Andenken des Verlorenen in Beziehung steht.
Wir fassen es leicht, daß diese Hemmung und Einschränkung
des Ichs der Ausdruck der ausschließlichen Hingabe an die Trauer
ist, wobei für andere Absichten und Interessen nichts übrig bleibt.
Eigentlich erscheint uns dieses Verhalten nur darum nicht patho-
logisch, weil wir es so gut zu erklären wissen.S.
259
Wir werden auch den Vergleich gutheißen, der die Stimmung
der Trauer eine „schmerzliche“ nennt. Seine Berechtigung wird
uns wahrscheinlich einleuchten, wenn wir im stande sind, den
Schmerz ökonomisch zu charakterisieren.Worin besteht nun die Arbeit, welche die Trauer leistet? Ich
glaube, daß es nichts Gezwungenes enthalten wird, sie in folgender
Art darzustellen: Die Realitätsprüfung hat gezeigt, daß das ge-
liebte Objekt nicht mehr besteht, und erläßt nun die Aufforderung,
alle Libido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzu-
ziehen. Dagegen erhebt sich ein begreifliches Sträuben, – es
ist allgemein zu beobachten, daß der Mensch eine Libidoposition
nicht gerne verläßt, selbst dann nicht, wenn ihm Ersatz bereits
winkt. Dies Sträuben kann so intensiv sein, daß eine Abwendung
von der Realität und ein Festhalten des Objekts durch eine
halluzinatorische Wunschpsychose (siehe die vorige Abhandlung)
zu stande kommt. Das Normale ist, daß der Respekt vor der
Realität den Sieg behält. Doch kann ihr Auftrag nicht sofort er-
füllt werden. Er wird nun im einzelnen unter großem Aufwand
von Zeit und Besetzungsenergie durchgeführt und unterdes die
Existenz des verlorenen Objekts psychisch fortgesetzt. Jede ein-
zelne der Erinnerungen und Erwartungen, in denen die Libido
an das Objekt geknüpft war, wird eingestellt, überbesetzt und an
ihr die Lösung der Libido vollzogen. Warum diese Kompromiß-
leistung der Einzeldurchführung des Realitätsgebotes so außer-
ordentlich schmerzhaft ist, läßt sich in ökonomischer Begründung
gar nicht leicht angeben. Es ist merkwürdig, daß uns diese
Schmerzunlust selbstverständlich erscheint. Tatsächlich wird aber
das Ich nach der Vollendung der Trauerarbeit wieder frei und
ungehemmt.Wenden wir nun auf die Melancholie an, was wir von der
Trauer erfahren haben. In einer Reihe von Fällen ist es offen-
bar, daß auch sie Reaktion auf den Verlust eines geliebten Objekts
sein kann; bei anderen Veranlassungen kann man erkennen, daßS.
260
der Verlust von mehr ideeller Natur ist. Das Objekt ist nicht
etwa real gestorben, aber es ist als Liebesobjekt verloren gegangen
(z. B. der Fall einer verlassenen Braut.) In noch anderen Fällen
glaubt man an der Annahme eines solchen Verlustes festhalten
zu sollen, aber man kann nicht deutlich erkennen, was verloren
wurde, und darf um so eher annehmen, daß auch der Kranke
nicht bewußt erfassen kann, was er verloren hat. Ja, dieser Fall
könnte auch dann noch vorliegen, wenn der die Melancholie
veranlassende Verlust dem Kranken bekannt ist, indem er zwar
weiß wen, aber nicht, was er an ihm verloren hat. So würde
uns nahe gelegt, die Melancholie irgendwie auf einen dem Be-
wußtsein entzogenen Objektverlust zu beziehen zum Unterschied
von der Trauer, bei welcher nichts an dem Verluste unbewußt ist.Bei der Trauer fanden wir Hemmung und Interesselosigkeit
durch die das Ich absorbierende Trauerarbeit restlos aufgeklärt.
Eine ähnliche innere Arbeit wird auch der unbekannte Verlust
bei der Melancholie zur Folge haben und darum für die Hemmung
der Melancholie verantwortlich werden. Nur daß uns die melan-
cholische Hemmung einen rätselhaften Eindruck macht, weil wir
nicht sehen können, was die Kranken so vollständig absorbiert.
Der Melancholiker zeigt uns nun noch eines, was bei der Trauer ent-
fällt, eine außerordentliche Herabsetzung seines Ichgefühls, eine
großartige Ichverarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer
geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst. Der Kranke
schildert uns sein Ich als nichtswürdig, leistungsunfähig und mora-
lisch verwerflich, er macht sich Vorwürfe, beschimpft sich und er-
wartet Ausstoßung und Strafe. Er erniedrigt sich vor jedem an-
deren, bedauert jeden der Seinigen, daß er an eine so unwür-
dige Person gebunden sei. Er hat nicht das Urteil einer Ver-
änderung, die an ihm vorgefallen ist, sondern streckt seine Selbst-
kritik über die Vergangenheit aus; er behauptet, niemals besser
gewesen zu sein. Das Bild dieses – vorwiegend moralischen –
Kleinheitswahnes vervollständigt sich durch Schlaflosigkeit, AblehnungS.
261
der Nahrung und eine psychologisch höchst merkwür-
dige Überwindung des Triebes, der alles Lebende am Leben
festzuhalten zwingt.Es wäre wissenschaftlich wie therapeutisch gleich unfruchtbar,
dem Kranken zu widersprechen, der solche Anklagen gegen sein
Ich vorbringt. Er muß wohl irgendwie recht haben und etwas
schildern, was sich so verhält, wie es ihm erscheint. Einige seiner
Angaben müssen wir ja ohne Einschränkung sofort bestätigen.
Er ist wirklich so interesselos, so unfähig zur Liebe und zur
Leistung, wie er sagt. Aber das ist, wie wir wissen, sekundär,
ist die Folge der inneren, uns unbekannten, der Trauer ver-
gleichbaren Arbeit, welche sein Ich aufzehrt. In einigen anderen
Selbstanklagen scheint er uns gleichfalls recht zu haben und die
Wahrheit nur schärfer zu erfassen als andere, die nicht melan-
cholisch sind. Wenn er sich in gesteigerter Selbstkritik als klein-
lichen, egoistischen, unaufrichtigen, unselbständigen Menschen
schildert, der nur immer bestrebt war, die Schwächen seines
Wesens zu verbergen, so mag er sich unseres Wissens der Selbst-
erkenntnis ziemlich angenähert haben, und wir fragen uns nur,
warum man erst krank werden muß, um solcher Wahrheit zu-
gänglich zu sein. Denn es leidet keinen Zweifel, wer eine solche
Selbsteinschätzung gefunden hat und sie vor anderen äußert –
eine Schätzung, wie sie Prinz Hamlet für sich und alle anderen
bereit hat,1 – der ist krank, ob er nun die Wahrheit sagt oder
sich mehr oder weniger Unrecht tut. Es ist auch nicht schwer
zu bemerken, daß zwischen dem Ausmaß der Selbsterniedrigung
und ihrer realen Berechtigung nach unserem Urteil keine Ent-
sprechung besteht. Die früher brave, tüchtige und pflichttreue
Frau wird in der Melancholie nicht besser von sich sprechen als
die in Wahrheit nichtsnutzige, ja vielleicht hat die erstere mehr
Aussicht, an Melancholie zu erkranken, als die andere, von der
auch wir nichts Gutes zu sagen wüßten. Endlich muß uns auffallen,1)Use every men after his desert, and who should scape whipping. Hamlet, II, 2.
S.
262
daß der Melancholiker sich doch nicht ganz so benimmt
wie ein normalerweise von Reue und Selbstvorwurf Zerknirschter.
Es fehlt das Schämen vor anderen, welches diesen letzteren Zu-
stand vor allem charakterisieren würde, oder es tritt wenigstens
nicht auffällig hervor. Man könnte am Melancholiker beinahe
den gegenteiligen Zug einer aufdringlichen Mitteilsamkeit her-
vorheben, die an der eigenen Bloßstellung eine Befriedigung
findet.Es ist also nicht wesentlich, ob der Melancholiker mit seiner
peinlichen Selbstherabsetzung insoferne recht hat, als diese Kritik
mit dem Urteil der anderen zusammentrifft. Es muß sich viel-
mehr darum handeln, daß er seine psychologische Situation
richtig beschreibt. Er hat seine Selbstachtung verloren und muß
guten Grund dazu haben. Wir stehen dann allerdings vor einem
Widerspruch, der uns ein schwer lösbares Rätsel aufgibt. Nach
der Analogie mit der Trauer mußten wir schließen, daß er
einen Verlust am Objekt erlitten hat; aus seinen Aussagen geht
ein Verlust an seinem Ich hervor.Ehe wir uns mit diesem Widerspruch beschäftigen, verweilen
wir einen Moment lang bei dem Einblick, den uns die Affektion
des Melancholikers in die Konstitution des menschlichen Ichs
gewährt. Wir sehen bei ihm, wie sich ein Teil des Ichs dem
anderen gegenüberstellt, es kritisch wertet, es gleichsam zum
Objekt nimmt. Unser Verdacht, daß die hier vom Ich abgespal-
tene kritische Instanz auch unter anderen Verhältnissen ihre
Selbständigkeit erweisen könne, wird durch alle weiteren Beob-
achtungen bestätigt werden. Wir werden wirklich Grund finden,
diese Instanz vom übrigen Ich zu sondern. Was wir hier kennen
lernen, ist die gewöhnlich Gewissen genannte Instanz; wir
werden sie mit der Bewußtseinszensur und der Realitätsprüfung
zu den großen Ichinstitutionen rechnen und irgendwo auch die
Beweise dafür finden, daß sie für sich allein erkranken kann.
Das Krankheitsbild der Melancholie läßt das moralische MißfallenS.
263
am eigenen Ich vor anderen Ausstellungen hervortreten: körperliche
Gebrechen, Häßlichkeit, Schwäche, soziale Minderwertigkeit
sind weit seltener Gegenstand der Selbsteinschätzung; nur die
Verarmung nimmt unter den Befürchtungen oder Behauptungen
des Kranken eine bevorzugte Stelle ein.Zur Aufklärung des vorhin aufgestellten Widerspruches führt
dann eine Beobachtung, die nicht einmal schwer anzustellen ist.
Hört man die mannigfachen Selbstanklagen des Melancholikers
geduldig an, so kann man sich endlich des Eindrucks nicht er-
wehren, daß die stärksten unter ihnen zur eigenen Person oft
sehr wenig passen, aber mit geringfügigen Modifikationen einer
anderen Person anzupassen sind, die der Kranke liebt, geliebt
hat oder lieben sollte. So oft man den Sachverhalt untersucht,
bestätigt er diese Vermutung. So hat man denn den Schlüssel
des Krankheitsbildes in der Hand, indem man die Selbstvorwürfe
als Vorwürfe gegen ein Liebesobjekt erkennt, die von diesem
weg auf das eigene Ich gewälzt sind.Die Frau, die laut ihren Mann bedauert, daß er an eine so
untüchtige Frau gebunden ist, will eigentlich die Untüchtigkeit
des Mannes anklagen, in welchem Sinne diese auch gemeint sein
mag. Man braucht sich nicht zu sehr zu verwundern, daß einige
echte Selbstvorwürfe unter die rückgewendeten eingestreut sind;
sie dürfen sich vordrängen, weil sie dazu verhelfen, die anderen
zu verdecken und die Erkenntnis des Sachverhaltes unmöglich
zu machen, sie stammen ja auch aus dem Für und Wider des
Liebesstreits, der zum Liebesverlust geführt hat. Auch das Be-
nehmen der Kranken wird jetzt um vieles verständlicher. Ihre
Klagen sind Anklagen, gemäß dem alten Sinne des Wortes;
sie schämen und verbergen sich nicht, weil alles Herabsetzende,
was sie von sich aussagen, im Grunde von einem anderen ge-
sagt wird; und sie sind weit davon entfernt, gegen ihre Um-
gebung die Demut und Unterwürfigkeit zu bezeugen, die allein
so unwürdigen Personen geziemen würde, sie sind vielmehr imS.
264
höchsten Grade quälerisch, immer wie gekränkt und als ob ihnen
ein großes Unrecht widerfahren wäre. Dies ist alles nur mög-
lich, weil die Reaktionen ihres Benehmens noch von der seelischen
Konstellation der Auflehnung ausgehen, welche dann durch einen
gewissen Vorgang in die melancholische Zerknirschung überge-
führt worden ist.Es hat dann keine Schwierigkeit, diesen Vorgang zu rekon-
struieren. Es hatte eine Objektwahl, eine Bindung der Libido
an eine bestimmte Person bestanden; durch den Einfluß einer
realen Kränkung oder Enttäuschung von seiten der geliebten
Person trat eine Erschütterung dieser Objektbeziehung ein. Der
Erfolg war nicht der normale einer Abziehung der Libido von
diesem Objekt und Verschiebung derselben auf ein neues, sondern
ein anderer, der mehrere Bedingungen für sein Zustandekommen
zu erfordern scheint. Die Objektbesetzung erwies sich als wenig
resistent, sie wurde aufgehoben, aber die freie Libido nicht auf
ein anderes Objekt verschoben, sondern ins Ich zurückgezogen.
Dort fand sie aber nicht eine beliebige Verwendung, sondern
diente dazu, eine Identifizierung des Ichs mit dem aufge-
gebenen Objekt herzustellen. Der Schatten des Objekts fiel so auf
das Ich, welches nun von einer besonderen Instanz wie ein Ob-
jekt, wie das verlassene Objekt, beurteilt werden konnte. Auf
diese Weise hatte sich der Objektverlust in einen Ichverlust
verwandelt, der Konflikt zwischen dem Ich und der geliebten
Person in einen Zwiespalt zwischen der Ichkritik und dem durch
Identifizierung veränderten Ich.Von den Voraussetzungen und Ergebnissen eines solchen Vor-
ganges läßt sich einiges unmittelbar erraten. Es muß einerseits
eine starke Fixierung an das Liebesobjekt vorhanden sein, ander-
seits aber im Widerspruch dazu eine geringe Resistenz der Ob-
jektbesetzung. Dieser Widerspruch scheint nach einer treffenden
Bemerkung von O. Rank zu fordern, daß die Objektwahl auf
narzißtischer Grundlage erfolgt sei, so daß die Objektbesetzung,S.
265
wenn sich Schwierigkeiten gegen sie erheben, auf den Narzißmus
regredieren kann. Die narzißtische Identifizierung mit dem Objekt
wird dann zum Ersatz der Liebesbesetzung, was den Erfolg hat,
daß die Liebesbeziehung trotz des Konflikts mit der geliebten
Person nicht aufgegeben werden muß. Ein solcher Ersatz der
Objektliebe durch Identifizierung ist ein für die narzißtischen
Affektionen bedeutsamer Mechanismus; K. Landauer hat ihn
kürzlich in dem Heilungsvorgang einer Schizophrenie aufdecken
können.1 Er entspricht natürlich der Regression von einem
Typus der Objektwahl auf den ursprünglichen Narzißmus. Wir
haben an anderer Stelle ausgeführt, daß die Identifizierung die
Vorstufe der Objektwahl ist und die erste, in ihrem Ausdruck
ambivalente, Art, wie das Ich ein Objekt auszeichnet. Es möchte
sich dieses Objekt einverleiben, und zwar der oralen oder kanni-
balischen Phase der Libidoentwicklung entsprechend auf dem
Wege des Fressens. Auf diesen Zusammenhang führt Abraham
wohl mit Recht die Ablehnung der Nahrungsaufnahme zurück,
welche sich bei schwerer Ausbildung des melancholischen Zu-
standes kundgibt.Der von der Theorie geforderte Schluß, welcher die Disposition
zur melancholischen Erkrankung oder eines Stückes von ihr in
die Vorherrschaft des narzißtischen Typus der Objektwahl ver-
legt, entbehrt leider noch der Bestätigung durch die Untersuchung.
Ich habe in den einleitenden Sätzen dieser Abhandlung bekannt,
daß das empirische Material, auf welches die Studie gebaut ist,
für unsere Ansprüche nicht zureicht. Dürften wir eine Überein-
stimmung der Beobachtung mit unseren Ableitungen annehmen,
so würden wir nicht zögern, die Regression von der Objekt-
besetzung auf die noch dem Narzißmus angehörige orale Libido-
phase in die Charakteristik der Melancholie aufzunehmen. Iden-
tifizierungen mit dem Objekt sind auch bei den Übertragungs-
neurosen keineswegs selten, vielmehr ein bekannter Mechanismus1)Intern. Zeitschr. für ärztl.. Psychoanalyse, II, 1914.
S.
266
der Symptombildung, zumal bei der Hysterie. Wir dürfen aber
den Unterschied der narzißtischen Identifizierung von der hyste-
rischen darin erblicken, daß bei ersterer die Objektbesetzung auf-
gelassen wird, während sie bei letzterer bestehen bleibt und eine
Wirkung äußert, die sich gewöhnlich auf gewisse einzelne Aktionen
und Innervationen beschränkt. Immerhin ist die Identifizierung
auch bei den Übertragungsneurosen der Ausdruck einer Gemein-
schaft, welche Liebe bedeuten kann. Die narzißtische Identifi-
zierung ist die ursprünglichere und eröffnet uns den Zugang
zum Verständnis der weniger gut studierten hysterischen.Die Melancholie entlehnt also einen Teil ihrer Charaktere der
Trauer, den anderen Teil dem Vorgang der Regression von der
narzißtischen Objektwahl zum Narzißmus. Sie ist einerseits wie
die Trauer Reaktion auf den realen Verlust des Liebesobjektes,
aber sie ist überdies mit einer Bedingung behaftet, welche der
normalen Trauer abgeht oder dieselbe, wo sie hinzutritt, in eine
pathologische verwandelt. Der Verlust des Liebesobjekts ist ein
ausgezeichneter Anlaß, um die Ambivalenz der Liebesbeziehungen
zur Geltung und zum Vorschein zu bringen. Wo die Disposition
zur Zwangsneurose vorhanden ist, verleiht darum der Ambivalenz-
konflikt der Trauer eine pathologische Gestaltung und zwingt
sie, sich in der Form von Selbstvorwürfen, daß man den Verlust
des Liebesobjekts selbst verschuldet, d. h. gewollt habe, zu äußern.
In solchen zwangsneurotischen Depressionen nach dem Tode ge-
liebter Personen wird uns vorgeführt, was der Ambivalenzkon-
flikt für sich allein leistet, wenn die regressive Einziehung der
Libido nicht mit dabei ist. Die Anlässe der Melancholie gehen
meist über den klaren Fall des Verlustes durch den Tod hinaus
und umfassen alle die Situationen von Kränkung, Zurücksetzung
und Enttäuschung, durch welche ein Gegensatz von Lieben und
Hassen in die Beziehung eingetragen oder eine vorhandene
Ambivalenz verstärkt werden kann. Dieser Ambivalenzkonflikt,
bald mehr realer, bald mehr konstitutiver Herkunft, ist unterS.
267
den Voraussetzungen di Melancholie nicht zu vernachlässigen.
Hat sich die Liebe zum Objekt, die nicht aufgegeben werden
kann, während das Objekt selbst aufgegeben wird, in die narziß-
tische Identifizierung geflüchtet, so betätigt sich an diesem Er-
satzobjekt der Haß, indem er es beschimpft, erniedrigt, leiden
macht und an diesem Leiden eine sadistische Befriedigung ge-
winnt. Die unzweifelhaft genußreiche Selbstquälerei der Melan-
cholie bedeutet ganz wie das entsprechende Phänomen der Zwangs-
neurose die Befriedigung von sadistischen und Haßtendenzen,1
die einem Objekt gelten und auf diesem Wege eine Wendung
gegen die eigene Person erfahren haben. Bei beiden Affektionen
pflegt es den Kranken noch zu gelingen, auf dem Umwege über
die Selbstbestrafung Rache an den ursprünglichen Objekten zu
nehmen und ihre Lieben durch Vermittlung des Krankseins zu
quälen, nachdem sie sich in die Krankheit begeben haben, um
ihnen ihre Feindseligkeit nicht direkt zeigen zu müssen. Die
Person, welche die Gefühlstörung des Kranken hervorgerufen,
nach welcher sein Kranksein orientiert ist, ist doch gewöhnlich
in der nächsten Umgebung des Kranken zu finden. So hat die
Liebesbesetzung des Melancholischen für sein Objekt ein zwei-
faches Schicksal erfahren; sie ist zum Teil auf die Identifizierung
regrediert, zum anderen Teil aber unter dem Einfluß des Ambi-
valenzkonflikts auf die ihm nähere Stufe des Sadismus zurück-
versetzt worden.Erst dieser Sadismus löst uns das Rätsel der Selbstmordneigung,
durch welche die Melancholie so interessant und so – gefähr-
lich wird. Wir haben als den Urzustand, von dem das Trieb-
leben ausgeht, eine so großartige Selbstliebe des Ichs erkannt,
wir sehen in der Angst, die bei Lebensbedrohung auftritt, einen
so riesigen Betrag der narzißtischen Libido frei werden, daß wir
es nicht erfassen, wie dies Ich seiner Selbstzerstörung zustimmen
könne. Wir wußten zwar längst, daß kein Neurotiker Selbstmordabsichten1)Über deren Unterscheidung s. den Aufsatz über „Triebe und Triebschicksale.“
S.
268
verspürt, der solche nicht von einem Mordimpuls
gegen andere auf sich zurückwendet, aber es blieb unverständ-
lich, durch welches Kräftespiel eine solche Absicht sich zur Tat
durchsetzen kann. Nun lehrt uns die Analyse der Melancholie,
daß das Ich sich nur dann töten kann, wenn es durch die
Rückkehr der Objektbesetzung sich selbst wie ein Objekt be-
handeln kann, wenn es die Feindseligkeit gegen sich richten
darf, die einem Objekt gilt, und die die ursprüngliche Reaktion
des Ichs gegen Objekte der Außenwelt vertritt. (Siehe „Triebe
und Triebschicksale“.) So ist bei der Regression von der narziß-
tischen Objektwahl das Objekt zwar aufgehoben worden, aber es
hat sich doch mächtiger erwiesen als das Ich selbst. In den zwei
entgegengesetzten Situationen der äußersten Verliebtheit und des
Selbstmordes wird das Ich, wenn auch auf gänzlich verschiedenen
Wegen, vom Objekt überwältigt.Es liegt dann noch nahe, für den einen auffälligen Charakter
der Melancholie, das Hervortreten der Verarmungsangst, die Ab-
leitung der aus ihren Verbindungen gerissenen und regressiv
verwandelten Analerotik zuzulassen.Die Melancholie stellt uns noch vor andere Fragen, deren
Beantwortung uns zum Teil entgeht. Daß sie nach einem ge-
wissen Zeitraum abgelaufen ist, ohne nachweisbare grobe Ver-
änderungen zu hinterlassen, diesen Charakter teilt sie mit der
Trauer. Dort fanden wir die Auskunft, die Zeit werde für die
Detaildurchführung des Gebotes der Realitätsprüfung benötigt,
nach welcher Arbeit das Ich seine Libido vom verlorenen Objekt
frei bekommen habe. Mit einer analogen Arbeit können wir das
Ich während der Melancholie beschäftigt denken; das ökonomische
Verständnis des Herganges bleibt hier wie dort aus. Die Schlaf-
losigkeit der Melancholie bezeugt wohl die Starrheit des Zustandes,
die Unmöglichkeit, die für den Schlaf erforderliche allgemeine
Einziehung der Besetzungen durchzuführen. Der melancholische
Komplex verhält sich wie eine offene Wunde, zieht von allenS.
269
Seiten Besetzungsenergien an sich (die wir bei den Übertragungs-
neurosen „Gegenbesetzungen“ geheissen haben) und entleert das
Ich bis zur völligen Verarmung; er kann sich leicht resistent
gegen den Schlafwunsch des Ichs erweisen. – Ein wahrschein-
lich somatisches, psychogen nicht aufzuklärendes Moment kommt
in der regelmäßigen Linderung des Zustandes zur Abendzeit
zum Vorschein. An diese Erörterungen schließt die Frage an, ob
nicht Ichverlust ohne Rücksicht auf das Objekt (rein narzißtische
Ichkränkung) hinreicht, das Bild der Melancholie zu erzeugen,
und ob nicht direkt toxische Verarmung an Ichlibido gewisse
Formen der Affektion ergeben kann.Die merkwürdigste und aufklärungsbedürftigste Eigentümlich-
keit der Melancholie ist durch ihre Neigung gegeben, in den
symptomatisch gegensätzlichen Zustand der Manie umzuschlagen.
Bekanntlich hat nicht jede Melancholie dieses Schicksal. Manche
Fälle verlaufen in periodischen Rezidiven, deren Intervalle ent-
weder keine oder eine nur sehr geringfügige Tönung von
Manie erkennen lassen. Andere zeigen jene regelmäßige Ab-
wechslung von melancholischen und manischen Phasen, die in
der Aufstellung des zyklischen Irreseins Ausdruck gefunden hat.
Man wäre versucht, diese Fälle von der psychogenen Auffassung
auszuschließen, wenn nicht die psychoanalytische Arbeit gerade
für mehrere dieser Erkrankungen Auflösung wie therapeutische
Beeinflussung zu stande gebracht hätte. Es ist also nicht nur
gestattet, sondern sogar geboten, eine analytische Aufklärung der
Melancholie auch auf die Manie auszudehnen.Ich kann nicht versprechen, daß dieser Versuch voll befrie-
digend ausfallen wird. Er reicht vielmehr nicht weit über die
Möglichkeit einer ersten Orientierung hinaus. Es stehen uns hier
zwei Anhaltspunkte zu Gebote, der erste ein psychoanalytischer
Eindruck, der andere eine, man darf wohl sagen, allgemeine
ökonomische Erfahrung. Der Eindruck, dem bereits mehrere
psychoanalytische Forscher Worte geliehen haben, geht dahin,S.
270
daß die Manie keinen anderen Inhalt hat als die Melancholie, daß
beide Affektionen mit demselben „Komplex“ ringen, dem das
Ich wahrscheinlich in der Melancholie erlegen ist, während es
ihn in der Manie bewältigt oder beiseite geschoben hat. Den
anderen Anhalt gibt die Erfahrung, daß alle Zustände von Freude,
Jubel, Triumph, die uns das Normalvorbild der Manie zeigen,
die nämliche ökonomische Bedingtheit erkennen lassen. Es handelt
sich bei ihnen um eine Einwirkung, durch welche ein großer,
lange unterhaltener, oder gewohnheitsmäßig hergestellter psychischer
Aufwand endlich überflüssig wird, so daß er für mannigfache
Verwendungen und Abfuhrmöglichkeiten bereit steht. Also zum
Beispiel: Wenn ein armer Teufel durch einen großen Geldge-
winn plötzlich der chronischen Sorge um das tägliche Brot ent-
hoben wird, wenn ein langes und mühseliges Ringen sich am
Ende durch den Erfolg gekrönt sieht, wenn man in die Lage
kommt, einen drückenden Zwang, eine lange fortgesetzte Ver-
stellung mit einem Schlage aufzugeben u. dgl. Alle solche
Situationen zeichnen sich durch die gehobene Stimmung, die
Abfuhrzeichen des freudigen Affekts, und durch die gesteigerte
Bereitwilligkeit zu allerlei Aktionen aus, ganz wie die Manie und
im vollen Gegensatz zur Depression und Hemmung der Melan-
cholie. Man kann wagen es auszusprechen, daß die Manie nichts
anderes ist als ein solcher Triumph, nur daß es wiederum dem
Ich verdeckt bleibt, was es überwunden hat und worüber es
triumphiert. Den in dieselbe Reihe von Zuständen gehörigen
Alkoholrausch wird man – insofern er ein heiterer ist –
ebenso zurechtlegen dürfen; es handelt sich bei ihm wahrschein-
lich um die toxisch erzielte Aufhebung von Verdrängungsauf-
wänden. Die Laienmeinung nimmt gerne an, daß man in solcher
maniakalischer Verfassung darum so bewegungs‑ und unterneh-
mungslustig ist, weil man so „gut aufgelegt“ ist. Diese falsche
Verknüpfung wird man natürlich auflösen müssen. Es ist jene
erwähnte ökonomische Bedingung im Seelenleben erfüllt worden,S.
271
und darum ist man einerseits in so heiterer Stimmung und
anderseits so ungehemmt im Tun.Setzen wir die beiden Andeutungen zusammen, so ergibt sich:
In der Manie muß das Ich den Verlust des Objekts (oder die
Trauer über den Verlust oder vielleicht das Objekt selbst) über-
wunden haben, und nun ist der ganze Betrag von Gegen-
besetzung, den das schmerzhafte Leiden der Melancholie aus dem
Ich an sich gezogen und gebunden hatte, verfügbar geworden.
Der Manische demonstriert uns auch unverkennbar seine Be-
freiung von dem Objekt, an dem er gelitten hatte, indem er
wie ein Heißhungriger auf neue Objektbesetzungen ausgeht.Diese Aufklärung klingt ja plausibel, aber sie ist erstens noch
zu wenig bestimmt und läßt zweitens mehr neue Fragen und
Zweifel auftauchen, als wir beantworten können. Wir wollen uns
der Diskussion derselben nicht entziehen, wenn wir auch nicht
erwarten können, durch sie hindurch den Weg der Klarheit zu
finden.Zunächst: Die normale Trauer überwindet ja auch den Ver-
lust des Objekts und absorbiert gleichfalls während ihres Be-
standes alle Energien des Ichs. Warum stellt sich bei ihr die
ökonomische Bedingung für eine Phase des Triumphes nach
ihrem Ablaufe auch nicht andeutungsweise her? Ich finde es
unmöglich, auf diesen Einwand kurzerhand zu antworten. Er
macht uns auch darauf aufmerksam, daß wir nicht einmal sagen
können, durch welche ökonomischen Mittel die Trauer ihre
Aufgabe löst; aber vielleicht kann hier eine Vermutung aus-
helfen. An jede einzelne der Erinnerungen und Erwartungs-
situationen, welche die Libido an das verlorene Objekt geknüpft
zeigen, bringt die Realität ihr Verdikt heran, daß das Objekt
nicht mehr existiere, und das Ich, gleichsam vor die Frage ge-
stellt, ob es dieses Schicksal teilen will, läßt sich durch die
Summe der narzißtischen Befriedigungen, am Leben zu sein, be-
stimmen, seine Bindung an das vernichtete Objekt zu lösen.S.
272
Man kann sich etwa vorstellen, diese Lösung gehe so langsam
und schrittweise vor sich, daß mit der Beendigung der Arbeit
auch der für sie erforderliche Aufwand zerstreut ist.1Es ist verlockend, von der Mutmaßung über die Arbeit der
Trauer den Weg zu einer Darstellung der melancholischen
Arbeit zu suchen. Da kommt uns zuerst eine Unsicherheit in
den Weg. Wir haben bisher den topischen Gesichtspunkt bei der
Melancholie noch kaum berücksichtigt und die Frage nicht auf-
geworfen, in und zwischen welchen psychischen Systemen die
Arbeit der Melancholie vor sich geht. Was von den psychischen
Vorgängen der Affektion spielt sich noch an den aufgelassenen
unbewußten Objektbesetzungen, was an deren Identifizierungser-
satz im Ich ab?Es spricht sich nun rasch aus und schreibt sich leicht nieder,
daß die „unbewußte (Ding‑) Vorstellung des Objekts von der
Libido verlassen wird“. Aber in Wirklichkeit ist diese Vorstellung
durch ungezählte Einzeleindrücke (unbewußte Spuren derselben)
vertreten, und die Durchführung dieser Libidoabziehung kann
nicht ein momentaner Vorgang sein, sondern gewiß wie bei der
Trauer ein langwieriger, allmählich fortschreitender Prozeß. Ob
er an vielen Stellen gleichzeitig beginnt oder eine irgendwie
bestimmte Reihenfolge enthält, läßt sich ja nicht leicht unter-
scheiden; in den Analysen kann man oft feststellen, daß bald
diese, bald jene Erinnerung aktiviert ist, und daß die gleich-
lautenden, durch ihre Monotonie ermüdenden Klagen doch jedes-
mal von einer anderen unbewußten Begründung herrühren.
Wenn das Objekt keine so große, durch tausendfältige Ver-
knüpfung verstärkte Bedeutung für das Ich hat, so ist sein Ver-
lust auch nicht geeignet, eine Trauer oder eine Melancholie zu1)Der ökonomische Gesichtspunkt ist bisher in psychoanalytischen Arbeiten wenig
berücksichtigt worden. Als Ausnahme sei der Aufsatz von V. Tausk, Entwertung
des Verdrängungsmotives durch Rekompense (Intern. Zeitschrift für ärztl. Psychoana-
lyse, I, 1913) hervorgehoben.S.
273
verursachen. Der Charakter der Einzeldurchführung der Libido-
ablösung ist also der Melancholie wie der Trauer in gleicher
Weise zuzuschreiben, stützt sich wahrscheinlich auf die gleichen
ökonomischen Verhältnisse und dient denselben Tendenzen.Die Melancholie hat aber, wie wir gehört haben, etwas mehr
zum Inhalt als die normale Trauer. Das Verhältnis zum Objekt
ist bei ihr kein einfaches, es wird durch den Ambivalenzkonflikt
kompliziert. Die Ambivalenz ist entweder konstitutionell, d. h.
sie hängt jeder Liebesbeziehung dieses Ichs an, oder sie geht
gerade aus den Erlebnissen hervor, welche die Drohung des
Objektverlustes mit sich bringen. Die Melancholie kann darum
in ihren Veranlassungen weit über die Trauer hinausgehen, welche
in der Regel nur durch den Realverlust, den Tod des Objekts,
ausgelöst wird. Es spinnt sich also bei der Melancholie eine Un-
zahl von Einzelkämpfen um das Objekt an, in denen Haß und
Liebe miteinander ringen, die eine, um die Libido vom Objekt
zu lösen, die andere, um diese Libidoposition gegen den Ansturm
zu behaupten. Diese Einzelkämpfe können wir in kein anderes
System verlegen, als in das Ubw, in das Reich der sachlichen
Erinnerungsspuren (im Gegensatz zu den Wortbesetzungen).
Ebendort spielen sich auch die Lösungsversuche bei der Trauer
ab, aber bei dieser letzteren besteht kein Hindernis dagegen, daß
sich diese Vorgänge auf dem normalen Wege durch das Vbw
zum Bewußtsein fortsetzen. Dieser Weg ist für die melancholische
Arbeit gesperrt, vielleicht infolge einer Mehrzahl von Ursachen
oder des Zusammenwirkens derselben. Die konstitutive Ambiva-
lenz gehört an und für sich dem Verdrängten an, die trauma-
tischen Erlebnisse mit dem Objekt mögen anderes Verdrängte
aktiviert haben. So bleibt alles an diesen Ambivalenzkämpfen
dem Bewußtsein entzogen, bis nicht der für die Melancholie
charakteristische Ausgang eingetreten ist. Er besteht, wie wir
wissen, darin, daß die bedrohte Libidobesetzung endlich das Objekt
verläßt, aber nur, um sich auf die Stelle des Ichs, von der sieS.
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ausgegangen war, zurückzuziehen. Die Liebe hat sich so durch
ihre Flucht ins Ich der Aufhebung entzogen. Nach dieser Regression
der Libido kann der Vorgang bewußt werden und repräsentiert
sich dem Bewußtsein als ein Konflikt zwischen einem Teil des
Ichs und der kritischen Instanz.Was das Bewußtsein von der melancholischen Arbeit erfährt,
ist also nicht das wesentliche Stück derselben, auch nicht jenes,
dem wir einen Einfluß auf die Lösung des Leidens zutrauen
können. Wir sehen, daß das Ich sich herabwürdigt und gegen
sich wütet, und verstehen so wenig wie der Kranke, wozu das
führen und wie sich das ändern kann. Dem unbewußten Stück
der Arbeit können wir eine solche Leistung eher zuschreiben,
weil es nicht schwer fällt, eine wesentliche Analogie zwischen
der Arbeit der Melancholie und jener der Trauer herauszufinden.
Wie die Trauer das Ich dazu bewegt, auf das Objekt zu ver-
zichten, indem es das Objekt für tot erklärtund dem Ich die
Prämie des am Leben Bleibens bietet, so lockert auch jeder einzelne
Ambivalenzkampf die Fixierung der Libido an das Objekt, indem
er dieses entwertet, herabsetzt, gleichsam auch erschlägt. Es ist
die Möglichkeit gegeben, daß der Prozeß im Ubw zu Ende
komme, sei es nachdem die Wut sich ausgetobt hat, sei es
nachdem das Objekt als wertlos aufgegeben wurde. Es fehlt uns
der Einblick, welche dieser beiden Möglichkeiten regelmäßig oder
vorwiegend häufig der Melancholie ein Ende bereitet, und wie
diese Beendigung den weiteren Verlauf des Falles beeinflußt.
Das Ich mag dabei die Befriedigung genießen, daß es sich als
das Bessere, als dem Objekt überlegen anerkennen darf.Mögen wir diese Auffassung der melancholischen Arbeit auch
annehmen, sie kann uns doch das eine nicht leisten, auf dessen
Erklärung wir ausgegangen sind. Unsere Erwartung, die ökono-
mische Bedingung für das Zustandekommen der Manie nach ab-
gelaufener Melancholie aus der Ambivalenz abzuleiten, welche
diese Affektion beherrscht, könnte sich auf Analogien aus verschiedenenS.
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anderen Gebieten stützen; aber es gibt eine Tatsache,
vor welcher sie sich beugen muß. Von den drei Voraussetzungen
der Melancholie: Verlust des Objekts, Ambivalenz und Regression
der Libido ins Ich, finden wir die beiden ersten bei den Zwangs-
vorwürfen nach Todesfällen wieder. Dort ist es die Ambivalenz,
die unzweifelhaft die Triebfeder des Konflikts darstellt, und die
Beobachtung zeigt, daß nach Ablauf desselben nichts von einem
Triumph einer manischen Verfassung erübrigt. Wir werden so
auf das dritte Moment als das einzig wirksame hingewiesen.
Jene Anhäufung von zunächst gebundener Besetzung, welche
nach Beendigung der melancholischen Arbeit frei wird und die
Manie ermöglicht, muß mit der Regression der Libido auf den
Narzißmus zusammenhängen. Der Konflikt im Ich, den die
Melancholie für den Kampf um das Objekt eintauscht, muß
ähnlich wie eine schmerzhafte Wunde wirken, die eine außer-
ordentlich hohe Gegenbesetzung in Anspruch nimmt. Aber hier
wird es wiederum zweckmäßig sein, Halt zu machen und die
weitere Aufklärung der Manie zu verschieben, bis wir Einsicht
in die ökonomische Natur zunächst des körperlichen und dann
des ihm analogen seelischen Schmerzes gewonnen haben. Wir
wissen es ja schon, daß der Zusammenhang der verwickelten
seelischen Probleme uns nötigt, jede Untersuchung unvollendet
abzubrechen, bis ihr die Ergebnisse einer anderen zu Hilfe
kommen können.11)Siehe die weitere Fortsetzung des Problems der Manie in „Massenpsychologie
und Ich-Analyse“ [Ges. Schriften, Band VI].
freud-1924-metapsychologie
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