Trauer und Melancholie 1918-002/1931
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    TRAUER UND MELANCHOLIE

    (1917)

    Nachdem uns der Traum als Normalvorbild der narziß-
    tischen Seelenstörungen gedient hat, wollen wir den Versuch 
    machen, das Wesen der Melancholie durch ihre Vergleichung 
    mit dem Normalaffekt der Trauer zu erhellen. Wir müssen 
    aber diesmal ein Bekenntnis vorausschicken, welches vor Über-
    schätzung des Ergebnisses warnen soll. Die Melancholie, deren 
    Begriffsbestimmung auch in der deskriptiven Psychiatrie schwan-
    kend ist, tritt in verschiedenartigen klinischen Formen auf, 
    deren Zusammenfassung zur Einheit nicht gesichert scheint, 
    von denen einige eher an somatische als an psychogene Affek-
    tionen mahnen. Unser Material beschränkt sich, abgesehen von 
    den Eindrücken, die jedem Beobachter zu Gebote stehen, auf 
    eine kleine Anzahl von Fällen, deren psychogene Natur keinem 
    Zweifel unterlag. So werden wir den Anspruch auf allgemeine 
    Gültigkeit unserer Ergebnisse von vornherein fallen lassen und 
    uns mit der Erwägung trösten, daß wir mit unseren gegen-
    wärtigen Forschungsmitteln kaum etwas finden können, was 
    nicht typisch wäre, wenn nicht für eine ganze Klasse von 
    Affektionen, so doch für eine kleinere Gruppe.

    Die Zusammenstellung von Melancholie und Trauer er-
    scheint durch das Gesamtbild der beiden Zustände 

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    gerechtfertigt1. Auch die Anlässe zu beiden aus den Lebenseinwir-
    kungen fallen dort, wo sie überhaupt durchsichtig sind, zu-
    sammen. Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust 
    einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten 
    Abstraktion, wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw. Unter 
    den nämlichen Einwirkungen zeigt sich bei manchen Personen, 
    die wir darum unter den Verdacht einer krankhaften Dis-
    position setzen, an Stelle der Trauer eine Melancholie. Es ist 
    auch sehr bemerkenswert, daß es uns niemals einfällt, die 
    Trauer als einen krankhaften Zustand zu betrachten und dem 
    Arzt zur Behandlung zu übergeben, obwohl sie schwere Ab-
    weichungen vom normalen Lebensverhalten mit sich bringt. 
    Wir vertrauen darauf, daß sie nach einem gewissen Zeitraum 
    überwunden sein wird, und halten eine Störung derselben für 
    unzweckmäßig, selbst für schädlich.

    Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief 
    schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für 
    die Außenwelt, durch den Verlust derLiebesfähigkeit, durch 
    die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbst-
    gefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen 
    äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert. 
    Dies Bild wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir 
    erwägen, daß die Trauer dieselben Züge aufweist bis auf 
    einen einzigen; die Störung des Selbstgefühls fällt bei ihr 
    weg. Sonst aber ist es dasselbe. Die schwere Trauer, die 
    Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person, enthält die 
    nämliche schmerzliche Stimmung, den Verlust des Interesses 
    für die Außenwelt – soweit sie nicht an den Verstorbenen 
    mahnt, – den Verlust der Fähigkeit, irgend ein neues Liebesobjekt

    1)Auch Abraham, dem wir die bedeutsamste unter den 
    wenigen analytischen Studien über den Gegenstand verdanken, ist 
    von dieser Vergleichung ausgegangen (Zentralblatt für Psycho-
    analyse, II, 6, 1912.)

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    zu wählen – was den Betrauerten ersetzen hieße, – die 
    Abwendung von jeder Leistung, die nicht mit dem An-
    denken des Verlorenen in Beziehung steht. Wir fassen es 
    leicht, daß diese Hemmung und Einschränkung des Ichs 
    der Ausdruck der ausschließlichen Hingabe an die Trauer ist, 
    wobei für andere Absichten und Interessen nichts übrig bleibt. 
    Eigentlich erscheint uns dieses Verhalten nur darum nicht 
    pathologisch, weil wir es so gut zu erklären wissen.

    Wir werden auch den Vergleich gutheißen, der die Stim-
    mung der Trauer eine „schmerzliche“ nennt. Seine Berech-
    tigung wird uns wahrscheinlich einleuchten, wenn wir im 
    stande sind, den Schmerz ökonomisch zu charakterisieren.

    Worin besteht nun die Arbeit, welche die Trauer leistet? 
    Ich glaube, daß es nichts Gezwungenes enthalten wird, sie 
    in folgender Art darzustellen: Die Realitätsprüfung hat ge-
    zeigt, daß das geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erläßt 
    nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen 
    mit diesem Objekt abzuziehen. Dagegen erhebt sich ein be-
    greifliches Sträuben, – es ist allgemein zu beobachten, daß 
    der Mensch eine Libidoposition nicht gerne verläßt, selbst dann 
    nicht, wenn ihm Ersatz bereits winkt. Dies Sträuben kann 
    so intensiv sein, daß eine Abwendung von der Realität und 
    ein Festhalten des Objekts durch eine halluzinatorische 
    Wunschpsychose (siehe die vorige Abhandlung) zustande 
    kommt. Das Normale ist, daß der Respekt vor der Realität 
    den Sieg behält. Doch kann ihr Auftrag nicht sofort erfüllt 
    werden. Er wird nun im einzelnen unter großem Aufwand 
    von Zeit und Besetzungsenergie durchgeführt und unterdes die 
    Existenz des verlorenen Objekts psychisch fortgesetzt. Jede 
    einzelne der Erinnerungen und Erwartungen, in denen die 
    Libido an das Objekt geknüpft war, wird eingestellt, über-
    besetzt und an ihr die Lösung der Libido vollzogen. Warum 
    diese Kompromißleistung der Einzeldurchführung des Realitätsgebotes

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    so außerordentlich schmerzhaft ist, läßt sich in 
    ökonomischer Begründung gar nicht leicht angeben. Es ist 
    merkwürdig, daß uns diese Schmerzunlust selbstverständlich 
    erscheint. Tatsächlich wird aber das Ich nach der Voll-
    endung der Trauerarbeit wieder frei und ungehemmt.

    Wenden wir nun auf die Melancholie an, was wir von 
    der Trauer erfahren haben. In einer Reihe von Fällen ist 
    es offenbar, daß auch sie Reaktion auf den Verlust eines 
    geliebten Objekts sein kann; bei anderen Veranlassungen 
    kann man erkennen, daß der Verlust von mehr ideeller 
    Naist. Das Objekt ist nicht etwa real gestorben, aber 
    es ist als Liebesobjekt verloren gegangen (z. B. der 
    Fall einer verlassenen Braut.) In noch anderen Fällen glaubt 
    man an der Annahme eines solchen Verlustes festhalten zu 
    sollen, aber man kann nicht deutlich erkennen, was ver-
    loren wurde, und darf um so eher annehmen, daß auch der 
    Kranke nicht bewußt erfassen kann, was er verloren hat. 
    Ja, dieser Fall könnte auch dann noch vorliegen, wenn 
    der die Melancholie veranlassende Verlust dem Kranken 
    bekannt ist, indem er zwar weiß wen, aber nicht, was
     er an ihm verloren hat. So würde uns nahe gelegt, die 
    Melancholie irgendwie auf einen dem Bewußtsein ent-
    zogenen Objektverlust zu beziehen zum Unterschied 
    von der Trauer, bei welcher nichts an dem Verluste 
    unbewußt ist.

    Bei der Trauer fanden wir Hemmung und Interesselosig-
    keit durch die das Ich absorbierende Trauerarbeit restlos 
    aufgeklärt. Eine ähnliche innere Arbeit wird auch der un-
    bekannte Verlust bei der Melancholie zur Folge haben und 
    darum für die Hemmung der Melancholie verantwortlich 
    werden. Nur daß uns die melancholische Hemmung einen 
    rätselhaften Eindruck macht, weil wir nicht sehen können, 
    was die Kranken so vollständig absorbiert. Der Melancholiker

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    zeigt uns nun noch eines, was bei der Trauer entfällt, eine außer-
    ordentliche Herabsetzung seines Ichgefühls, eine großartige 
    Ichverarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer 
    geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst. Der 
    Kranke schildert uns sein Ich als nichtswürdig, leistungs-
    unfähig und moralisch verwerflich, er macht sich Vorwürfe, 
    beschimpft sich und erwartet Ausstoßung und Strafe. Er 
    erniedrigt sich vor jedem anderen, bedauert jeden der Sei-
    nigen, daß er an eine so unwürdige Person gebunden sei. 
    Er hat nicht das Urteil einer Veränderung, die an ihm 
    vorgefallen ist, sondern streckt seine Selbstkritik über die 
    Vergangenheit aus; er behauptet, niemals besser gewesen zu
    sein. Das Bild dieses – vorwiegend moralischen – Klein-
    heitswahnes vervollständigt sich durch Schlaflosigkeit, Ab-
    lehnung der Nahrung und eine psychologisch höchst merk-
    würdige Überwindung des Triebes, der alles Lebende am 
    Leben festzuhalten zwingt.

    Es wäre wissenschaftlich wie therapeutisch gleich un-
    fruchtbar, dem Kranken zu widersprechen, der solche An-
    klagen gegen sein Ich vorbringt. Er muß wohl irgendwie 
    recht haben und etwas schildern, was sich so verhält, wie 
    es ihm erscheint. Einige seiner Angaben müssen wir ja ohne 
    Einschränkung sofort bestätigen. Er ist wirklich so interesse-
    los, so unfähig zur Liebe und zur Leistung, wie er sagt. 
    Aber das ist, wie wir wissen, sekundär, ist die Folge der 
    inneren, uns unbekannten, der Trauer vergleichbaren Arbeit, 
    welche sein Ich aufzehrt. In einigen anderen Selbstanklagen 
    scheint er uns gleichfalls recht zu haben und die Wahrheit 
    nur schärfer zu erfassen als andere, die nicht melancholisch 
    sind. Wenn er sich in gesteigerter Selbstkritik als klein-
    lichen, egoistischen, unaufrichtigen, unselbständigen Men-
    schen schildert, der nur immer bestrebt war, die Schwächen 
    seines Wesens zu verbergen, so mag er sich unseres Wissens

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    der Selbsterkenntnis ziemlich angenähert haben, und wir 
    fragen uns nur, warum man erst krank werden muß, um 
    solcher Wahrheit zugänglich zu sein. Denn es leidet keinen 
    Zweifel, wer eine solche Selbsteinschätzung gefunden hat 
    und sie vor anderen äußert – eine Schätzung, wie sie Prinz 
    Hamlet für sich und alle anderen bereit hat2, –der ist 
    krank, ob er nun die Wahrheit sagt oder sich mehr oder 
    weniger Unrecht tut. Es ist auch nicht schwer zu bemerken, 
    daß zwischen dem Ausmaß der Selbsterniedrigung und ihrer 
    realen Berechtigung nach unserem Urteil keine Entsprechung 
    besteht. Die früher brave, tüchtige und pflichttreue Frau 
    wird in der Melancholie nicht besser von sich sprechen, als 
    die in Wahrheit nichtsnutzige, ja vielleicht hat die erstere mehr 
    Aussicht, an Melancholie zu erkranken, als die andere, von 
    der auch wir nichts Gutes zu sagen wüßten. Endlich muß 
    uns auffallen, daß der Melancholiker sich doch nicht ganz 
    so benimmt wie ein normalerweise von Reue und Selbst-
    vorwurf Zerknirschter. Es fehlt das Schämen vor anderen, 
    welches diesen letzteren Zustand vor allem charakterisieren 
    würde, oder es tritt wenigstens nicht auffällig hervor. Man 
    könnte am Melancholiker beinahe den gegenteiligen Zug 
    einer aufdringlichen Mitteilsamkeit hervorheben, die an der 
    eigenen Bloßstellung eine Befriedigung findet.

    Es ist also nicht wesentlich, ob der Melancholiker mit 
    seiner peinlichen Selbstherabsetzung insoferne recht hat, als 
    diese Kritik mit dem Urteil der anderen zusammentrifft. 
    Es muß sich vielmehr darum handeln, daß er seine psycho-
    logische Situation richtig beschreibt. Er hat seine Selbst-
    achtung verloren und muß guten Grund dazu haben. Wir 
    stehen dann allerdings vor einem Widerspruch, der uns ein 
    schwer lösbares Rätsel aufgibt. Nach der Analogie mit der

    2)Use every men after his desert, and who should scape whipping.
    Hamlet, II, 2.

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    Trauer mußten wir schließen, daß er einen Verlust am 
    Objekt erlitten hat; aus seinen Aussagen geht ein Verlust 
    an seinem Ich hervor.

    Ehe wir uns mit diesem Widerspruch beschäftigen, ver-
    weilen wir einen Moment lang bei dem Einblick, den uns 
    die Affektion des Melancholikers in die Konstitution des 
    menschlichen Ichs gewährt. Wir sehen bei ihm, wie sich ein 
    Teil des Ichs dem anderen gegenüberstellt, es kritisch wertet, 
    es gleichsam zum Objekt nimmt. Unser Verdacht, daß die 
    hier vom Ich abgespaltene kritische Instanz auch unter 
    anderen Verhältnissen ihre Selbständigkeit erweisen könne, 
    wird durch alle weiteren Beobachtungen bestätigt werden. 
    Wir werden wirklich Grund finden, diese Instanz vom übrigen 
    Ich zu sondern. Was wir hier kennen lernen, ist die ge-
    wöhnlich Gewissen genannte Instanz; wir werden sie 
    mit der Bewußtseinszensur und der Realitätsprüfung zu den 
    großen Ich‑Institutionen rechnen und irgendwo auch die 
    Beweise dafür finden, daß sie für sich allein erkranken kann. 
    Das Krankheitsbild der Melancholie läßt das moralische Miß-
    fallen am eigenen Ich vor anderen Ausstellungen hervor-
    treten: körperliche Gebrechen, Häßlichkeit, Schwäche, soziale 
    Minderwertigkeit sind weit seltener Gegenstand der Selbst-
    einschätzung; nur die Verarmung nimmt unter den Befürch-
    tungen oder Behauptungen des Kranken eine bevorzugte 
    Stelle ein.

    Zur Aufklärung des vorhin aufgestellten Widerspruches 
    führt dann eine Beobachtung, die nicht einmal schwer an-
    zustellen ist. Hört man die mannigfachen Selbstanklagen des 
    Melancholikers geduldig an, so kann man sich endlich des 
    Eindrucks nicht erwehren, daß die stärksten unter ihnen 
    zur eigenen Person oft sehr wenig passen, aber mit gering-
    fügigen Modifikationen einer anderen Person anzupassen 
    sind, die der Kranke liebt, geliebt hat oder lieben sollte.

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    So oft man den Sachverhalt untersucht, bestätigt er diese 
    Vermutung. So hat man denn den Schlüssel des Krankheits-
    bildes in der Hand, indem man die Selbstvorwürfe als Vor-
    würfe gegen ein Liebesobjekt erkennt, die von diesem weg 
    auf das eigene Ich gewälzt sind.

    Die Frau, die laut ihren Mann bedauert, daß er an eine 
    so untüchtige Frau gebunden ist, will eigentlich die Untüch-
    tigkeit des Mannes anklagen, in welchem Sinne diese auch 
    gemeint sein mag. Man braucht sich nicht zu sehr zu ver-
    wundern, daß einige echte Selbstvorwürfe unter die rück-
    gewendeten eingestreut sind; sie dürfen sich vordrängen, weil 
    sie dazu verhelfen, die anderen zu verdecken und die Er-
    kenntnis des Sachverhaltes unmöglich zu machen, sie stam-
    men ja auch aus dem Für und Wider des Liebesstreits, 
    der zum Liebesverlust geführt hat. Auch das Benehmen der 
    Kranken wird jetzt um vieles verständlicher. Ihre Klagen 
    sind Anklagen, gemäß dem alten Sinne des Wortes; sie 
    schämen und verbergen sich nicht, weil alles Herabsetzende, 
    was sie von sich aussagen, im Grunde von einem anderen 
    gesagt wird; und sie sind weit davon entfernt, gegen ihre 
    Umgebung die Demut und Unterwürfigkeit zu bezeugen, die 
    allein so unwürdigen Personen geziemen würde, sie sind 
    vielmehr im höchsten Grade quälerisch, immer wie gekränkt 
    und als ob ihnen ein großes Unrecht widerfahren wäre. Dies 
    ist alles nur möglich, weil die Reaktionen ihres Benehmens 
    noch von der seelischen Konstellation der Auflehnung aus-
    gehen, welche dann durch einen gewissen Vorgang in die 
    melancholische Zerknirschung übergeführt worden ist.

    Es hat dann keine Schwierigkeit, diesen Vorgang zu 
    rekonstruieren. Es hatte eine Objektwahl, eine Bindung der 
    Libido an eine bestimmte Person bestanden; durch den Ein-
    fluß einer realen Kränkung oder Enttäuschung 
    von seiten der geliebten Person trat eine Erschütterung

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    dieser Objektbeziehung ein. Der Erfolg war nicht 
    der normale einer Abziehung der Libido von diesem Objekt 
    und Verschiebung derselben auf ein neues, sondern ein 
    anderer, der mehrere Bedingungen für sein Zustandekommen 
    zu erfordern scheint. Die Objektbesetzung erwies sich als 
    wenig resistent, sie wurde aufgehoben, aber die freie Libido 
    nicht auf ein anderes Objekt verschoben, sondern ins Ich 
    zurückgezogen. Dort fand sie aber nicht eine beliebige Ver-
    wendung, sondern diente dazu, eine Identifizierung 
    des Ichs mit dem aufgegebenen Objekt herzustellen. Der 
    Schatten des Objekts fiel so auf das Ich, welches nun von 
    einer besonderen Instanz wie ein Objekt, wie das verlassene 
    Objekt, beurteilt werden konnte. Auf diese Weise hatte sich 
    der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt, der Kon-
    flikt zwischen dem Ich und der geliebten Person in einen 
    Zwiespalt zwischen der Ichkritik und dem durch Identifi-
    zierung veränderten Ich.

    Von den Voraussetzungen und Ergebnissen eines solchen 
    Vorganges läßt sich einiges unmittelbar erraten. Es muß 
    einerseits eine starke Fixierung an das Liebesobjekt vor-
    handen sein, anderseits aber im Widerspruch dazu eine ge-
    ringe Resistenz der Objektbesetzung. Dieser Widerspruch 
    scheint nach einer treffenden Bemerkung von O. Rank zu 
    fordern, daß die Objektwahl auf narzißtischer Grundlage 
    erfolgt sei, so daß die Objektbesetzung, wenn sich Schwierig-
    keiten gegen sie erheben, auf den Narzißmus regredieren 
    kann. Die narzißtische Identifizierung mit dem Objekt wird 
    dann zum Ersatz der Liebesbesetzung, was den Erfolg hat, 
    daß die Liebesbeziehung trotz des Konflikts mit der ge-
    liebten Person nicht aufgegeben werden muß. Ein solcher 
    Ersatz der Objektliebe durch Identifizierung ist ein für die 
    narzißtischen Affektionen bedeutsamer Mechanismus; 
    K. Landauer hat ihn kürzlich in dem Heilungsvorgang

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    einer Schizophrenie aufdecken können3. Er entspricht natür-
    lich der Regression von einem Typus der Objektwahl 
    auf den ursprünglichen Narzißmus. Wir haben an anderer 
    Stelle ausgeführt, daß die Identifizierung die Vorstufe der 
    Objektwahl ist und die erste, in ihrem Ausdruck ambivalente, 
    Art, wie das Ich ein Objekt auszeichnet. Es möchte sich 
    dieses Objekt einverleiben, und zwar der oralen oder kanni-
    balischen Phase der Libidoentwicklung entsprechend auf dem 
    Wege des Fressens. Auf diesen Zusammenhang führt Abraham 
    wohl mit Recht die Ablehnung der Nahrungsaufnahme 
    zurück, welche sich bei schwerer Ausbildung des melan-
    cholischen Zustandes kundgibt.

    Der von der Theorie geforderte Schluß, welcher die Dis-
    position zur melancholischen Erkrankung oder eines Stückes 
    von ihr in die Vorherrschaft des narzißtischen Typus der 
    Objektwahl verlegt, entbehrt leider noch der Bestätigung 
    durch die Untersuchung. Ich habe in den einleitenden Sätzen 
    dieser Abhandlung bekannt, daß das empirische Material, 
    auf welches die Studie gebaut ist, für unsere Ansprüche 
    nicht zureicht. Dürften wir eine Übereinstimmung der 
    Beobachtung mit unseren Ableitungen annehmen, so würden 
    wir nicht zögern, die Regression von der Objektbesetzung 
    auf die noch dem Narzißmus angehörige orale Libidophase 
    in die Charakteristik der Melancholie aufzunehmen. Identifi-
    zierungen mit dem Objekt sind auch bei den Übertragungs-
    neurosen keineswegs selten, vielmehr ein bekannter Mechanis-
    mus der Symptombildung, zumal bei der Hysterie. Wir 
    dürfen aber den Unterschied der narzißtischen Identifizierung 
    von der hysterischen darin erblicken, daß bei ersterer die 
    Objektbesetzung aufgelassen wird, während sie bei letzterer 
    bestehen bleibt und eine Wirkung äußert, die sich gewöhnlich

    3)Internat. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, II, 1914.

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    auf gewisse einzelne Aktionen und Innervationen be-
    schränkt. Immerhin ist die Identifizierung auch bei den 
    Übertragungsneurosen der Ausdruck einer Gemeinschaft, 
    welche Liebe bedeuten kann. Die narzißtische Identifizierung 
    ist die ursprünglichere und eröffnet uns den Zugang zum 
    Verständnis der weniger gut studierten hysterischen.

    Die Melancholie entlehnt also einen Teil ihrer Charaktere 
    der Trauer, den anderen Teil dem Vorgang der Regression 
    von der narzißtischen Objektwahl zum Narzißmus. Sie ist 
    einerseits wie die Trauer Reaktion auf den realen Verlust 
    des Liebesobjektes, aber sie ist überdies mit einer Bedingung 
    behaftet, welche der normalen Trauer abgeht oder dieselbe, 
    wo sie hinzutritt, in eine pathologische verwandelt. Der 
    Verlust des Liebesobjekts ist ein ausgezeichneter Anlaß, um 
    die Ambivalenz der Liebesbeziehungen zur Geltung und zum 
    Vorschein zu bringen. Wo die Disposition zur Zwangs-
    neurose vorhanden ist, verleiht darum der Ambivalenzkon-
    flikt der Trauer eine pathologische Gestaltung und zwingt 
    sie, sich in der Form von Selbstvorwürfen, daß man den 
    Verlust des Liebesobjekts selbst verschuldet, d. h. ge-
    wollt habe, zu äußern. In solchen zwangsneurotischen De-
    pressionen nach dem Tode geliebter Personen wird uns vor-
    geführt, was der Ambivalenzkonflikt für sich allein leistet, 
    wenn die regressive Einziehung der Libido nicht mit dabei 
    ist. Die Anlässe der Melancholie gehen meist über den klaren 
    Fall des Verlustes durch den Tod hinaus und umfassen alle 
    die Situationen von Kränkung, Zurücksetzung und Ent-
    täuschung, durch welche ein Gegensatz von Lieben und 
    Hassen in die Beziehung eingetragen oder eine vorhandene 
    Ambivalenz verstärkt werden kann. Dieser Ambivalenzkon-
    flikt, bald mehr realer, bald mehr konstitutiver Herkunft, 
    ist unter den Voraussetzungen de Melancholie nicht zu ver-
    nachlässigen. Hat sich die Liebe zum Objekt, die nicht aufgegeben

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    werden kann, während das Objekt selbst aufgegeben 
    wird, in die narzißtische Identifizierung geflüchtet, so be-
    tätigt sich an diesem Ersatzobjekt der Haß, indem er es 
    beschimpft, erniedrigt, leiden macht und an diesem Leiden 
    eine sadistische Befriedigung gewinnt. Die unzweifelhaft ge-
    nußreiche Selbstquälerei der Melancholie bedeutet ganz wie 
    das entsprechende Phänomen der Zwangsneurose die Befrie-
    digung von sadistischen und Haßtendenzen4, die einem 
    Objekt gelten und auf diesem Wege eine Wendung gegen 
    die eigene Person erfahren haben. Bei beiden Affektionen 
    pflegt es den Kranken noch zu gelingen, auf dem Umwege 
    über die Selbstbestrafung Rache an den ursprünglichen 
    Objekten zu nehmen und ihre Lieben durch Vermittlung 
    des Krankseins zu quälen, nachdem sie sich in die Krankheit 
    begeben haben, um ihnen ihre Feindseligkeit nicht direkt 
    zeigen zu müssen. Die Person, welche die Gefühlstörung 
    des Kranken hervorgerufen, nach welcher sein Kranksein 
    orientiert ist, ist doch gewöhnlich in der nächsten Umgebung 
    des Kranken zu finden. So hat die Liebesbesetzung des 
    Melancholischen für sein Objekt ein zweifaches Schicksal 
    erfahren; sie ist zum Teil auf die Identifizierung regrediert, 
    zum anderen Teil aber unter dem Einfluß des Ambivalenz-
    konflikts auf die ihm nähere Stufe des Sadismus zurück-
    versetzt worden.

    Erst dieser Sadismus löst uns das Rätsel der Selbstmord-
    neigung, durch welche die Melancholie so interessant und so 
    – gefährlich wird. Wir haben als den Urzustand, von dem 
    das Triebleben ausgeht, eine so großartige Selbstliebe des 
    Ichs erkannt, wir sehen in der Angst, die bei Lebensbedrohung 
    auftritt, einen so riesigen Betrag der narzißtischen Libido 
    frei werden, daß wir es nicht erfassen, wie dies Ich seiner

    4)Über deren Unterscheidung siehe den Aufsatz über „Triebe
    und Triebschicksale“ (in diesem Bande).

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    Selbstzerstörung zustimmen könne. Wir wußten zwar längst, 
    daß kein Neurotiker Selbstmordabsichten verspürt, der 
    solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich 
    zurückwendet, aber es blieb unverständlich, durch welches 
    Kräftespiel eine solche Absicht sich zur Tat durchsetzen 
    kann. Nun lehrt uns die Analyse der Melancholie, daß das 
    Ich sich nur dann töten kann, wenn es durch die Rückkehr 
    der Objektbesetzung sich selbst wie ein Objekt behandeln 
    kann, wenn es die Feindseligkeit gegen sich richten darf, 
    die einem Objekt gilt, und die die ursprüngliche Reaktion 
    des Ichs gegen Objekte der Außenwelt vertritt. (Siehe 
    „Triebe und Triebschicksale“.) So ist bei der Regression 
    von der narzißtischen Objektwahl das Objekt zwar auf-
    gehoben worden, aber es hat sich doch mächtiger erwiesen 
    als das Ich selbst. In den zwei entgegengesetzten Situationen 
    der äußersten Verliebtheit und des Selbstmordes wird das 
    Ich, wenn auch auf gänzlich verschiedenen Wegen, vom 
    Objekt überwältigt.

    Es liegt dann noch nahe, für den einen auffälligen 
    Charakter der Melancholie, das Hervortreten der Ver-
    armungsangst, die Ableitung der aus ihren Verbindungen ge-
    rissenen und regressiv verwandelten Analerotik zuzulassen.

    Die Melancholie stellt uns noch vor andere Fragen, deren 
    Beantwortung uns zum Teil entgeht. Daß sie nach einem 
    gewissen Zeitraum abgelaufen ist, ohne nachweisbare grobe 
    Veränderungen zu hinterlassen, diesen Charakter teilt sie mit 
    der Trauer. Dort fanden wir die Auskunft, die Zeit werde 
    für die Detaildurchführung des Gebotes der Realitätsprüfung 
    benötigt, nach welcher Arbeit das Ich seine Libido vom 
    verlorenen Objekt frei bekommen habe. Mit einer analogen 
    Arbeit können wir das Ich während der Melancholie be-
    schäftigt denken; das ökonomische Verständnis des Her-
    ganges bleibt hier wie dort aus. Die Schlaflosigkeit der

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    Melancholie bezeugt wohl die Starrheit des Zustandes, die 
    Unmöglichkeit, die für den Schlaf erforderliche allgemeine 
    Einziehung der Besetzungen durchzuführen. Der melancho-
    lische Komplex verhält sich wie eine offene Wunde, zieht 
    von allen Seiten Besetzungsenergien an sich (die wir bei den 
    Übertragungsneurosen „Gegenbesetzungen“ geheissen haben) 
    und entleert das Ich bis zur völligen Verarmung; er kann 
    sich leicht resistent gegen den Schlafwunsch des Ichs er-
    weisen. – Ein wahrscheinlich somatisches, psychogen nicht 
    aufzuklärendes Moment kommt in der regelmäßigen Linde-
    rung des Zustandes zur Abendzeit zum Vorschein. An diese 
    Erörterungen schließt die Frage an, ob nicht Ichverlust ohne 
    Rücksicht auf das Objekt (rein narzißtische Ichkränkung) 
    hinreicht, das Bild der Melancholie zu erzeugen, und ob 
    nicht direkt toxische Verarmung an Ichlibido gewisse Formen 
    der Affektion ergeben kann.

    Die merkwürdigste und aufklärungsbedürftigste Eigentüm-
    lichkeit der Melancholie ist durch ihre Neigung gegeben, 
    in den symptomatisch gegensätzlichen Zustand der Manie 
    umzuschlagen. Bekanntlich hat nicht jede Melancholie dieses 
    Schicksal. Manche Fälle verlaufen in periodischen Rezidiven, 
    deren Intervalle entweder keine oder eine nur sehr gering-
    fügige Tönung von Manie erkennen lassen. Andere zeigen 
    jene regelmäßige Abwechslung von melancholischen und 
    manischen Phasen, die in der Aufstellung des zyklischen 
    Irreseins Ausdruck gefunden hat. Man wäre versucht, diese 
    Fälle von der psychogenen Auffassung auszuschließen, wenn 
    nicht die psychoanalytische Arbeit gerade für mehrere dieser 
    Erkrankungen Auflösung wie therapeutische Beeinflussung 
    zustande gebracht hätte. Es ist also nicht nur gestattet, son-
    dern sogar geboten, eine analytische Aufklärung der Melan-
    cholie auch auf die Manie auszudehnen.

    Ich kann nicht versprechen, daß dieser Versuch voll befriedigend

  • S.

    171

    ausfallen wird. Er reicht vielmehr nicht weit über 
    die Möglichkeit einer ersten Orientierung hinaus. Es stehen 
    uns hier zwei Anhaltspunkte zu Gebote, der erste ein psycho-
    analytischer Eindruck, der andere eine, man darf wohl sagen, 
    allgemeine ökonomische Erfahrung. Der Eindruck, dem be-
    reits mehrere psychoanalytische Forscher Worte geliehen 
    haben, geht dahin, daß die Manie keinen anderen Inhalt 
    hat als die Melancholie, daß beide Affektionen mit dem-
    selben „Komplex“ ringen, dem das Ich wahrscheinlich in 
    der Melancholie erlegen ist, während es ihn in der Manie 
    bewältigt oder beiseite geschoben hat. Den anderen Anhalt 
    gibt die Erfahrung, daß alle Zustände von Freude, Jubel, 
    Triumph, die uns das Normalvorbild der Manie zeigen, die 
    nämliche ökonomische Bedingtheit erkennen lassen. Es han-
    delt sich bei ihnen um eine Einwirkung, durch welche ein 
    großer, lange unterhaltener, oder gewohnheitsmäßig her-
    gestellter psychischer Aufwand endlich überflüssig wird, so 
    daß er für mannigfache Verwendungen und Abfuhrmöglich-
    keiten bereit steht. Also zum Beispiel: Wenn ein armer Teufel 
    durch einen großen Geldgewinn plötzlich der chronischen 
    Sorge um das tägliche Brot enthoben wird, wenn ein langes 
    und mühseliges Ringen sich am Ende durch den Erfolg ge-
    krönt sieht, wenn man in die Lage kommt, einen drückenden 
    Zwang, eine lange fortgesetzte Verstellung mit einem Schlag 
    aufzugeben u. dgl. Alle solche Situationen zeichnen sich durch
    die gehobene Stimmung, die Abfuhrzeichen des freudigen 
    Affekts, und durch die gesteigerte Bereitwilligkeit zu allerlei 
    Aktionen aus, ganz wie die Manie und im vollen Gegensatz 
    zur Depression und Hemmung der Melancholie. Man kann 
    wagen es auszusprechen, daß die Manie nichts anderes ist 
    als ein solcher Triumph, nur daß es wiederum dem Ich 
    verdeckt bleibt, was es überwunden hat und worüber es 
    triumphiert. Den in dieselbe Reihe von Zuständen gehörigen

  • S.

    172

    Alkoholrausch wird man – insofern er ein heiterer ist – 
    ebenso zurechtlegen dürfen; es handelt sich bei ihm wahr-
    scheinlich um die toxisch erzielte Aufhebung von Verdrän-
    gungsaufwänden. Die Laienmeinung nimmt gerne an, daß 
    man in solcher maniakalischer Verfassung darum so be-
    wegungs‑ und unternehmungslustig ist, weil man so „gut 
    aufgelegt“ ist. Diese falsche Verknüpfung wird man natür-
    lich auflösen müssen. Es ist jene erwähnte ökonomische Be-
    dingung im Seelenleben erfüllt worden, und darum ist man 
    einerseits in so heiterer Stimmung und anderseits so unge-
    hemmt im Tun.

    Setzen wir die beiden Andeutungen zusammen, so ergibt 
    sich: In der Manie muß das Ich den Verlust des Objekts 
    (oder die Trauer über den Verlust oder vielleicht das Objekt 
    selbst) überwunden haben, und nun ist der ganze Betrag 
    von Gegenbesetzung, den das schmerzhafte Leiden der 
    Melancholie aus dem Ich an sich gezogen und gebunden 
    hatte, verfügbar geworden. Der Manische demonstriert uns 
    auch unverkennbar seine Befreiung von dem Objekt, an dem 
    er gelitten hatte, indem er wie ein Heißhungriger auf neue 
    Objektbesetzungen ausgeht.

    Diese Aufklärung klingt ja plausibel, aber sie ist erstens 
    noch zu wenig bestimmt und läßt zweitens mehr neue 
    Fragen und Zweifel auftauchen, als wir beantworten können. 
    Wir wollen uns der Diskussion derselben nicht entziehen, 
    wenn wir auch nicht erwarten können, durch sie hindurch 
    den Weg der Klarheit zu finden.

    Zunächst: Die normale Trauer überwindet ja auch den 
    Verlust des Objekts und absorbiert gleichfalls während ihres 
    Bestandes alle Energien des Ichs. Warum stellt sich bei ihr 
    die ökonomische Bedingung für eine Phase des Triumphes 
    nach ihrem Ablauf auch nicht andeutungsweise her? Ich 
    finde es unmöglich, auf diesen Einwand kurzerhand zu

  • S.

    173

    antworten. Er macht uns auch darauf aufmerksam, daß wir 
    nicht einmal sagen können, durch welche ökonomischen 
    Mittel die Trauer ihre Aufgabe löst; aber vielleicht kann 
    hier eine Vermutung aushelfen. An jede einzelne der Er-
    innerungen und Erwartungssituationen, welche die Libido an 
    das verlorene Objekt geknüpft zeigen, bringt die Realität 
    ihr Verdikt heran, daß das Objekt nicht mehr existiere, und 
    das Ich, gleichsam vor die Frage gestellt, ob es dieses 
    Schicksal teilen will, läßt sich durch die Summe der narziß-
    tischen Befriedigungen, am Leben zu sein, bestimmen, seine 
    Bindung an das vernichtete Objekt zu lösen. Man kann 
    sich etwa vorstellen, diese Lösung gehe so langsam und 
    schrittweise vor sich, daß mit der Beendigung der Arbeit 
    auch der für sie erforderliche Aufwand zerstreut ist5.

    Es ist verlockend, von der Mutmaßung über die Arbeit 
    der Trauer den Weg zu einer Darstellung der melancholischen 
    Arbeit zu suchen. Da kommt uns zuerst eine Unsicherheit 
    in den Weg. Wir haben bisher den topischen Gesichtspunkt 
    bei der Melancholie noch kaum berücksichtigt und die Frage 
    nicht aufgeworfen, in und zwischen welchen psychischen 
    Systemen die Arbeit der Melancholie vor sich geht. Was von 
    den psychischen Vorgängen der Affektion spielt sich noch 
    an den aufgelassenen unbewußten Objektbesetzungen, was an 
    deren Identifizierungsersatz im Ich ab?

    Es spricht sich nun rasch aus und schreibt sich leicht 
    nieder, daß die „unbewußte (Ding‑) Vorstellung des Objekts 
    von der Libido verlassen wird“. Aber in Wirklichkeit ist 
    diese Vorstellung durch ungezählte Einzeleindrücke (unbewußte

    5)Der ökonomische Gesichtspunkt ist bisher in psychoanalytischen
    Arbeiten wenig berücksichtigt worden. Als Ausnahme sei der Auf-
    satz von V. Tausk, Entwertung des Verdrängungsmotives durch
    Rekompense (Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, I, 1913)
    hervorgehoben.

  • S.

    174

    Spuren derselben) vertreten, und die Durchführung 
    dieser Libidoabziehung kann nicht ein momentaner Vorgang 
    sein, sondern gewiß wie bei der Trauer ein langwieriger, 
    allmählich fortschreitender Prozeß. Ob er an vielen Stellen 
    gleichzeitig beginnt oder eine irgendwie bestimmte Reihen-
    folge enthält, läßt sich ja nicht leicht unterscheiden; in den 
    Analysen kann man oft feststellen, daß bald diese, bald jene 
    Erinnerung aktiviert ist, und daß die gleichlautenden, durch 
    ihre Monotonie ermüdenden Klagen doch jedesmal von einer 
    anderen unbewußten Begründung herrühren. Wenn das Objekt 
    keine so große, durch tausendfältige Verknüpfung verstärkte 
    Bedeutung für das Ich hat, so ist sein Verlust auch nicht 
    geeignet, eine Trauer oder eine Melancholie zu verursachen. 
    Der Charakter der Einzeldurchführung der Libidoablösung 
    ist also der Melancholie wie der Trauer in gleicher Weise 
    zuzuschreiben, stützt sich wahrscheinlich auf die gleichen 
    ökonomischen Verhältnisse und dient denselben Tendenzen.

    Die Melancholie hat aber, wie wir gehört haben, etwas 
    mehr zum Inhalt als die normale Trauer. Das Verhältnis 
    zum Objekt ist bei ihr kein einfaches, es wird durch den 
    Ambivalenzkonflikt kompliziert. Die Ambivalenz ist ent-
    weder konstitutionell, d. h. sie hängt jeder Liebesbezie-
    hung dieses Ichs an, oder sie geht gerade aus den Erlebnissen 
    hervor, welche die Drohung des Objektverlustes mit sich 
    bringen. Die Melancholie kann darum in ihren Veranlas-
    sungen weit über die Trauer hinausgehen, welche in der 
    Regel nur durch den Realverlust, den Tod des Objekts, aus-
    gelöst wird. Es spinnt sich also bei der Melancholie eine 
    Unzahl von Einzelkämpfen um das Objekt an, in denen 
    Haß und Liebe miteinander ringen, die eine, um die Libido 
    vom Objekt zu lösen, die andere, um diese Libidoposition 
    gegen den Ansturm zu behaupten. Diese Einzelkämpfe können 
    wir in kein anderes System verlegen, als in das Ubw, in

  • S.

    175

    das Reich der sachlichen Erinnerungsspuren (im Gegensatz 
    zu den Wortbesetzungen). Ebendort spielen sich auch die 
    Lösungsversuche bei der Trauer ab, aber bei dieser letzteren 
    besteht kein Hindernis dagegen, daß sich diese Vorgänge 
    auf dem normalen Wege durch das Vbw zum Bewußtsein fort-
    setzen. Dieser Weg ist für die melancholische Arbeit gesperrt, 
    vielleicht infolge einer Mehrzahl von Ursachen oder des 
    Zusammenwirkens derselben. Die konstitutive Ambivalenz 
    gehört an und für sich dem Verdrängten an, die trauma-
    tischen Erlebnisse mit dem Objekt mögen anderes Verdrängte 
    aktiviert haben. So bleibt alles an diesen Ambivalenz-
    kämpfen dem Bewußtsein entzogen, bis nicht der für die 
    Melancholie charakteristische Ausgang eingetreten ist. Er be-
    steht, wie wir wissen, darin, daß die bedrohte Libido-
    besetzung endlich das Objekt verläßt, aber nur, um sich 
    auf die Stelle des Ichs, von der sie ausgegangen war, zurück-
    zuziehen. Die Liebe hat sich so durch ihre Flucht ins Ich 
    der Aufhebung entzogen. Nach dieser Regression der Libido 
    kann der Vorgang bewußt werden und repräsentiert sich 
    dem Bewußtsein als ein Konflikt zwischen einem Teil des 
    Ichs und der kritischen Instanz.

    Was das Bewußtsein von der melancholischen Arbeit er-
    fährt, ist also nicht das wesentliche Stück derselben, auch 
    nicht jenes, dem wir einen Einfluß auf die Lösung des Leidens 
    zutrauen können. Wir sehen, daß das Ich sich herabwürdigt 
    und gegen sich wütet, und verstehen so wenig wie der 
    Kranke, wozu das führen und wie sich das ändern kann. 
    Dem unbewußten Stück der Arbeit können wir eine solche 
    Leistung eher zuschreiben, weil es nicht schwer fällt, eine 
    wesentliche Analogie zwischen der Arbeit der Melancholie 
    und jener der Trauer herauszufinden. Wie die Trauer das 
    Ich dazu bewegt, auf das Objekt zu verzichten, indem es 
    das Objekt für tot erklärt und dem Ich die Prämie des am

  • S.

    176

    Leben Bleibens bietet, so lockert auch jeder einzelne Ambi-
    valenzkampf die Fixierung der Libido an das Objekt, indem 
    er dieses entwertet, herabsetzt, gleichsam auch erschlägt. Es 
    ist die Möglichkeit gegeben, daß der Prozeß im Ubw zu Ende 
    komme, sei es nachdem die Wut sich ausgetobt hat, sei es 
    nachdem das Objekt als wertlos aufgegeben wurde. Es fehlt 
    uns der Einblick, welche dieser beiden Möglichkeiten regel-
    mäßig oder vorwiegend häufig der Melancholie ein Ende 
    bereitet, und wie diese Beendigung den weiteren Verlauf 
    des Falles beeinflußt. Das Ich mag dabei die Befriedigung 
    genießen, daß es sich als das Bessere, als dem Objekt über-
    legen anerkennen darf.

    Mögen wir diese Auffassung der melancholischen Arbeit 
    auch annehmen, sie kann uns doch das eine nicht leisten, 
    auf dessen Erklärung wir ausgegangen sind. Unsere Erwar-
    tung, die ökonomische Bedingung für das Zustandekommen 
    der Manie nach abgelaufener Melancholie aus der Ambivalenz 
    abzuleiten, welche diese Affektion beherrscht, könnte sich 
    auf Analogien aus verschiedenen anderen Gebieten stützen; 
    aber es gibt eine Tatsache, vor welcher sie sich beugen muß. 
    Von den drei Voraussetzungen der Melancholie: Verlust des 
    Objekts, Ambivalenz und Regression der Libido ins Ich, 
    finden wir die beiden ersten bei den Zwangsvorwürfen nach 
    Todesfällen wieder. Dort ist es die Ambivalenz, die unzweifel-
    haft die Triebfeder des Konflikts darstellt, und die Beob-
    achtung zeigt, daß nach Ablauf desselben nichts von einem 
    Triumph einer manischen Verfassung erübrigt. Wir werden 
    so auf das dritte Moment als das einzig wirksame hingewiesen. 
    Jene Anhäufung von zunächst gebundener Besetzung, welche 
    nach Beendigung der melancholischen Arbeit frei wird und die 
    Manie ermöglicht, muß mit der Regression der Libido auf 
    den Narzißmus zusammenhängen. Der Konflikt im Ich, den 
    die Melancholie für den Kampf um das Objekt eintauscht,

  • S.

    177

    muß ähnlich wie eine schmerzhafte Wunde wirken, die eine 
    außerordentlich hohe Gegenbesetzung in Anspruch nimmt. 
    Aber hier wird es wiederum zweckmäßig sein, Halt zu machen 
    und die weitere Aufklärung der Manie zu verschieben, bis wir 
    Einsicht in die ökonomische Natur zunächst des körperlichen 
    und dann des ihm analogen seelischen Schmerzes ge-
    wonnen haben. Wir wissen es ja schon, daß der Zusammen-
    hang der verwickelten seelischen Probleme uns nötigt, jede 
    Untersuchung unvollendet abzubrechen, bis ihr die Ergeb-
    nisse einer anderen zu Hilfe kommen können6.

    6)Siehe die weitere Fortsetzung des Problems der Manie in 
    „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (in diesem Bande).