S.
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TRAUER UND MELANCHOLIE
(1917)
Nachdem uns der Traum als Normalvorbild der narziß-
tischen Seelenstörungen gedient hat, wollen wir den Versuch
machen, das Wesen der Melancholie durch ihre Vergleichung
mit dem Normalaffekt der Trauer zu erhellen. Wir müssen
aber diesmal ein Bekenntnis vorausschicken, welches vor Über-
schätzung des Ergebnisses warnen soll. Die Melancholie, deren
Begriffsbestimmung auch in der deskriptiven Psychiatrie schwan-
kend ist, tritt in verschiedenartigen klinischen Formen auf,
deren Zusammenfassung zur Einheit nicht gesichert scheint,
von denen einige eher an somatische als an psychogene Affek-
tionen mahnen. Unser Material beschränkt sich, abgesehen von
den Eindrücken, die jedem Beobachter zu Gebote stehen, auf
eine kleine Anzahl von Fällen, deren psychogene Natur keinem
Zweifel unterlag. So werden wir den Anspruch auf allgemeine
Gültigkeit unserer Ergebnisse von vornherein fallen lassen und
uns mit der Erwägung trösten, daß wir mit unseren gegen-
wärtigen Forschungsmitteln kaum etwas finden können, was
nicht typisch wäre, wenn nicht für eine ganze Klasse von
Affektionen, so doch für eine kleinere Gruppe.Die Zusammenstellung von Melancholie und Trauer er-
scheint durch das Gesamtbild der beiden ZuständeS.
158
gerechtfertigt1. Auch die Anlässe zu beiden aus den Lebenseinwir-
kungen fallen dort, wo sie überhaupt durchsichtig sind, zu-
sammen. Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust
einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten
Abstraktion, wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw. Unter
den nämlichen Einwirkungen zeigt sich bei manchen Personen,
die wir darum unter den Verdacht einer krankhaften Dis-
position setzen, an Stelle der Trauer eine Melancholie. Es ist
auch sehr bemerkenswert, daß es uns niemals einfällt, die
Trauer als einen krankhaften Zustand zu betrachten und dem
Arzt zur Behandlung zu übergeben, obwohl sie schwere Ab-
weichungen vom normalen Lebensverhalten mit sich bringt.
Wir vertrauen darauf, daß sie nach einem gewissen Zeitraum
überwunden sein wird, und halten eine Störung derselben für
unzweckmäßig, selbst für schädlich.Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief
schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für
die Außenwelt, durch den Verlust derLiebesfähigkeit, durch
die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbst-
gefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen
äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert.
Dies Bild wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir
erwägen, daß die Trauer dieselben Züge aufweist bis auf
einen einzigen; die Störung des Selbstgefühls fällt bei ihr
weg. Sonst aber ist es dasselbe. Die schwere Trauer, die
Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person, enthält die
nämliche schmerzliche Stimmung, den Verlust des Interesses
für die Außenwelt – soweit sie nicht an den Verstorbenen
mahnt, – den Verlust der Fähigkeit, irgend ein neues Liebesobjekt1)Auch Abraham, dem wir die bedeutsamste unter den
wenigen analytischen Studien über den Gegenstand verdanken, ist
von dieser Vergleichung ausgegangen (Zentralblatt für Psycho-
analyse, II, 6, 1912.)S.
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zu wählen – was den Betrauerten ersetzen hieße, – die
Abwendung von jeder Leistung, die nicht mit dem An-
denken des Verlorenen in Beziehung steht. Wir fassen es
leicht, daß diese Hemmung und Einschränkung des Ichs
der Ausdruck der ausschließlichen Hingabe an die Trauer ist,
wobei für andere Absichten und Interessen nichts übrig bleibt.
Eigentlich erscheint uns dieses Verhalten nur darum nicht
pathologisch, weil wir es so gut zu erklären wissen.Wir werden auch den Vergleich gutheißen, der die Stim-
mung der Trauer eine „schmerzliche“ nennt. Seine Berech-
tigung wird uns wahrscheinlich einleuchten, wenn wir im
stande sind, den Schmerz ökonomisch zu charakterisieren.
Worin besteht nun die Arbeit, welche die Trauer leistet?
Ich glaube, daß es nichts Gezwungenes enthalten wird, sie
in folgender Art darzustellen: Die Realitätsprüfung hat ge-
zeigt, daß das geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erläßt
nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen
mit diesem Objekt abzuziehen. Dagegen erhebt sich ein be-
greifliches Sträuben, – es ist allgemein zu beobachten, daß
der Mensch eine Libidoposition nicht gerne verläßt, selbst dann
nicht, wenn ihm Ersatz bereits winkt. Dies Sträuben kann
so intensiv sein, daß eine Abwendung von der Realität und
ein Festhalten des Objekts durch eine halluzinatorische
Wunschpsychose (siehe die vorige Abhandlung) zustande
kommt. Das Normale ist, daß der Respekt vor der Realität
den Sieg behält. Doch kann ihr Auftrag nicht sofort erfüllt
werden. Er wird nun im einzelnen unter großem Aufwand
von Zeit und Besetzungsenergie durchgeführt und unterdes die
Existenz des verlorenen Objekts psychisch fortgesetzt. Jede
einzelne der Erinnerungen und Erwartungen, in denen die
Libido an das Objekt geknüpft war, wird eingestellt, über-
besetzt und an ihr die Lösung der Libido vollzogen. Warum
diese Kompromißleistung der Einzeldurchführung des RealitätsgebotesS.
160
so außerordentlich schmerzhaft ist, läßt sich in
ökonomischer Begründung gar nicht leicht angeben. Es ist
merkwürdig, daß uns diese Schmerzunlust selbstverständlich
erscheint. Tatsächlich wird aber das Ich nach der Voll-
endung der Trauerarbeit wieder frei und ungehemmt.Wenden wir nun auf die Melancholie an, was wir von
der Trauer erfahren haben. In einer Reihe von Fällen ist
es offenbar, daß auch sie Reaktion auf den Verlust eines
geliebten Objekts sein kann; bei anderen Veranlassungen
kann man erkennen, daß der Verlust von mehr ideeller
Naist. Das Objekt ist nicht etwa real gestorben, aber
es ist als Liebesobjekt verloren gegangen (z. B. der
Fall einer verlassenen Braut.) In noch anderen Fällen glaubt
man an der Annahme eines solchen Verlustes festhalten zu
sollen, aber man kann nicht deutlich erkennen, was ver-
loren wurde, und darf um so eher annehmen, daß auch der
Kranke nicht bewußt erfassen kann, was er verloren hat.
Ja, dieser Fall könnte auch dann noch vorliegen, wenn
der die Melancholie veranlassende Verlust dem Kranken
bekannt ist, indem er zwar weiß wen, aber nicht, was
er an ihm verloren hat. So würde uns nahe gelegt, die
Melancholie irgendwie auf einen dem Bewußtsein ent-
zogenen Objektverlust zu beziehen zum Unterschied
von der Trauer, bei welcher nichts an dem Verluste
unbewußt ist.Bei der Trauer fanden wir Hemmung und Interesselosig-
keit durch die das Ich absorbierende Trauerarbeit restlos
aufgeklärt. Eine ähnliche innere Arbeit wird auch der un-
bekannte Verlust bei der Melancholie zur Folge haben und
darum für die Hemmung der Melancholie verantwortlich
werden. Nur daß uns die melancholische Hemmung einen
rätselhaften Eindruck macht, weil wir nicht sehen können,
was die Kranken so vollständig absorbiert. Der MelancholikerS.
161
zeigt uns nun noch eines, was bei der Trauer entfällt, eine außer-
ordentliche Herabsetzung seines Ichgefühls, eine großartige
Ichverarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer
geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst. Der
Kranke schildert uns sein Ich als nichtswürdig, leistungs-
unfähig und moralisch verwerflich, er macht sich Vorwürfe,
beschimpft sich und erwartet Ausstoßung und Strafe. Er
erniedrigt sich vor jedem anderen, bedauert jeden der Sei-
nigen, daß er an eine so unwürdige Person gebunden sei.
Er hat nicht das Urteil einer Veränderung, die an ihm
vorgefallen ist, sondern streckt seine Selbstkritik über die
Vergangenheit aus; er behauptet, niemals besser gewesen zu
sein. Das Bild dieses – vorwiegend moralischen – Klein-
heitswahnes vervollständigt sich durch Schlaflosigkeit, Ab-
lehnung der Nahrung und eine psychologisch höchst merk-
würdige Überwindung des Triebes, der alles Lebende am
Leben festzuhalten zwingt.Es wäre wissenschaftlich wie therapeutisch gleich un-
fruchtbar, dem Kranken zu widersprechen, der solche An-
klagen gegen sein Ich vorbringt. Er muß wohl irgendwie
recht haben und etwas schildern, was sich so verhält, wie
es ihm erscheint. Einige seiner Angaben müssen wir ja ohne
Einschränkung sofort bestätigen. Er ist wirklich so interesse-
los, so unfähig zur Liebe und zur Leistung, wie er sagt.
Aber das ist, wie wir wissen, sekundär, ist die Folge der
inneren, uns unbekannten, der Trauer vergleichbaren Arbeit,
welche sein Ich aufzehrt. In einigen anderen Selbstanklagen
scheint er uns gleichfalls recht zu haben und die Wahrheit
nur schärfer zu erfassen als andere, die nicht melancholisch
sind. Wenn er sich in gesteigerter Selbstkritik als klein-
lichen, egoistischen, unaufrichtigen, unselbständigen Men-
schen schildert, der nur immer bestrebt war, die Schwächen
seines Wesens zu verbergen, so mag er sich unseres WissensS.
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der Selbsterkenntnis ziemlich angenähert haben, und wir
fragen uns nur, warum man erst krank werden muß, um
solcher Wahrheit zugänglich zu sein. Denn es leidet keinen
Zweifel, wer eine solche Selbsteinschätzung gefunden hat
und sie vor anderen äußert – eine Schätzung, wie sie Prinz
Hamlet für sich und alle anderen bereit hat2, –der ist
krank, ob er nun die Wahrheit sagt oder sich mehr oder
weniger Unrecht tut. Es ist auch nicht schwer zu bemerken,
daß zwischen dem Ausmaß der Selbsterniedrigung und ihrer
realen Berechtigung nach unserem Urteil keine Entsprechung
besteht. Die früher brave, tüchtige und pflichttreue Frau
wird in der Melancholie nicht besser von sich sprechen, als
die in Wahrheit nichtsnutzige, ja vielleicht hat die erstere mehr
Aussicht, an Melancholie zu erkranken, als die andere, von
der auch wir nichts Gutes zu sagen wüßten. Endlich muß
uns auffallen, daß der Melancholiker sich doch nicht ganz
so benimmt wie ein normalerweise von Reue und Selbst-
vorwurf Zerknirschter. Es fehlt das Schämen vor anderen,
welches diesen letzteren Zustand vor allem charakterisieren
würde, oder es tritt wenigstens nicht auffällig hervor. Man
könnte am Melancholiker beinahe den gegenteiligen Zug
einer aufdringlichen Mitteilsamkeit hervorheben, die an der
eigenen Bloßstellung eine Befriedigung findet.Es ist also nicht wesentlich, ob der Melancholiker mit
seiner peinlichen Selbstherabsetzung insoferne recht hat, als
diese Kritik mit dem Urteil der anderen zusammentrifft.
Es muß sich vielmehr darum handeln, daß er seine psycho-
logische Situation richtig beschreibt. Er hat seine Selbst-
achtung verloren und muß guten Grund dazu haben. Wir
stehen dann allerdings vor einem Widerspruch, der uns ein
schwer lösbares Rätsel aufgibt. Nach der Analogie mit der2)Use every men after his desert, and who should scape whipping.
Hamlet, II, 2.S.
163
Trauer mußten wir schließen, daß er einen Verlust am
Objekt erlitten hat; aus seinen Aussagen geht ein Verlust
an seinem Ich hervor.Ehe wir uns mit diesem Widerspruch beschäftigen, ver-
weilen wir einen Moment lang bei dem Einblick, den uns
die Affektion des Melancholikers in die Konstitution des
menschlichen Ichs gewährt. Wir sehen bei ihm, wie sich ein
Teil des Ichs dem anderen gegenüberstellt, es kritisch wertet,
es gleichsam zum Objekt nimmt. Unser Verdacht, daß die
hier vom Ich abgespaltene kritische Instanz auch unter
anderen Verhältnissen ihre Selbständigkeit erweisen könne,
wird durch alle weiteren Beobachtungen bestätigt werden.
Wir werden wirklich Grund finden, diese Instanz vom übrigen
Ich zu sondern. Was wir hier kennen lernen, ist die ge-
wöhnlich Gewissen genannte Instanz; wir werden sie
mit der Bewußtseinszensur und der Realitätsprüfung zu den
großen Ich‑Institutionen rechnen und irgendwo auch die
Beweise dafür finden, daß sie für sich allein erkranken kann.
Das Krankheitsbild der Melancholie läßt das moralische Miß-
fallen am eigenen Ich vor anderen Ausstellungen hervor-
treten: körperliche Gebrechen, Häßlichkeit, Schwäche, soziale
Minderwertigkeit sind weit seltener Gegenstand der Selbst-
einschätzung; nur die Verarmung nimmt unter den Befürch-
tungen oder Behauptungen des Kranken eine bevorzugte
Stelle ein.Zur Aufklärung des vorhin aufgestellten Widerspruches
führt dann eine Beobachtung, die nicht einmal schwer an-
zustellen ist. Hört man die mannigfachen Selbstanklagen des
Melancholikers geduldig an, so kann man sich endlich des
Eindrucks nicht erwehren, daß die stärksten unter ihnen
zur eigenen Person oft sehr wenig passen, aber mit gering-
fügigen Modifikationen einer anderen Person anzupassen
sind, die der Kranke liebt, geliebt hat oder lieben sollte.S.
164
So oft man den Sachverhalt untersucht, bestätigt er diese
Vermutung. So hat man denn den Schlüssel des Krankheits-
bildes in der Hand, indem man die Selbstvorwürfe als Vor-
würfe gegen ein Liebesobjekt erkennt, die von diesem weg
auf das eigene Ich gewälzt sind.
Die Frau, die laut ihren Mann bedauert, daß er an eine
so untüchtige Frau gebunden ist, will eigentlich die Untüch-
tigkeit des Mannes anklagen, in welchem Sinne diese auch
gemeint sein mag. Man braucht sich nicht zu sehr zu ver-
wundern, daß einige echte Selbstvorwürfe unter die rück-
gewendeten eingestreut sind; sie dürfen sich vordrängen, weil
sie dazu verhelfen, die anderen zu verdecken und die Er-
kenntnis des Sachverhaltes unmöglich zu machen, sie stam-
men ja auch aus dem Für und Wider des Liebesstreits,
der zum Liebesverlust geführt hat. Auch das Benehmen der
Kranken wird jetzt um vieles verständlicher. Ihre Klagen
sind Anklagen, gemäß dem alten Sinne des Wortes; sie
schämen und verbergen sich nicht, weil alles Herabsetzende,
was sie von sich aussagen, im Grunde von einem anderen
gesagt wird; und sie sind weit davon entfernt, gegen ihre
Umgebung die Demut und Unterwürfigkeit zu bezeugen, die
allein so unwürdigen Personen geziemen würde, sie sind
vielmehr im höchsten Grade quälerisch, immer wie gekränkt
und als ob ihnen ein großes Unrecht widerfahren wäre. Dies
ist alles nur möglich, weil die Reaktionen ihres Benehmens
noch von der seelischen Konstellation der Auflehnung aus-
gehen, welche dann durch einen gewissen Vorgang in die
melancholische Zerknirschung übergeführt worden ist.Es hat dann keine Schwierigkeit, diesen Vorgang zu
rekonstruieren. Es hatte eine Objektwahl, eine Bindung der
Libido an eine bestimmte Person bestanden; durch den Ein-
fluß einer realen Kränkung oder Enttäuschung
von seiten der geliebten Person trat eine ErschütterungS.
165
dieser Objektbeziehung ein. Der Erfolg war nicht
der normale einer Abziehung der Libido von diesem Objekt
und Verschiebung derselben auf ein neues, sondern ein
anderer, der mehrere Bedingungen für sein Zustandekommen
zu erfordern scheint. Die Objektbesetzung erwies sich als
wenig resistent, sie wurde aufgehoben, aber die freie Libido
nicht auf ein anderes Objekt verschoben, sondern ins Ich
zurückgezogen. Dort fand sie aber nicht eine beliebige Ver-
wendung, sondern diente dazu, eine Identifizierung
des Ichs mit dem aufgegebenen Objekt herzustellen. Der
Schatten des Objekts fiel so auf das Ich, welches nun von
einer besonderen Instanz wie ein Objekt, wie das verlassene
Objekt, beurteilt werden konnte. Auf diese Weise hatte sich
der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt, der Kon-
flikt zwischen dem Ich und der geliebten Person in einen
Zwiespalt zwischen der Ichkritik und dem durch Identifi-
zierung veränderten Ich.Von den Voraussetzungen und Ergebnissen eines solchen
Vorganges läßt sich einiges unmittelbar erraten. Es muß
einerseits eine starke Fixierung an das Liebesobjekt vor-
handen sein, anderseits aber im Widerspruch dazu eine ge-
ringe Resistenz der Objektbesetzung. Dieser Widerspruch
scheint nach einer treffenden Bemerkung von O. Rank zu
fordern, daß die Objektwahl auf narzißtischer Grundlage
erfolgt sei, so daß die Objektbesetzung, wenn sich Schwierig-
keiten gegen sie erheben, auf den Narzißmus regredieren
kann. Die narzißtische Identifizierung mit dem Objekt wird
dann zum Ersatz der Liebesbesetzung, was den Erfolg hat,
daß die Liebesbeziehung trotz des Konflikts mit der ge-
liebten Person nicht aufgegeben werden muß. Ein solcher
Ersatz der Objektliebe durch Identifizierung ist ein für die
narzißtischen Affektionen bedeutsamer Mechanismus;
K. Landauer hat ihn kürzlich in dem HeilungsvorgangS.
166
einer Schizophrenie aufdecken können3. Er entspricht natür-
lich der Regression von einem Typus der Objektwahl
auf den ursprünglichen Narzißmus. Wir haben an anderer
Stelle ausgeführt, daß die Identifizierung die Vorstufe der
Objektwahl ist und die erste, in ihrem Ausdruck ambivalente,
Art, wie das Ich ein Objekt auszeichnet. Es möchte sich
dieses Objekt einverleiben, und zwar der oralen oder kanni-
balischen Phase der Libidoentwicklung entsprechend auf dem
Wege des Fressens. Auf diesen Zusammenhang führt Abraham
wohl mit Recht die Ablehnung der Nahrungsaufnahme
zurück, welche sich bei schwerer Ausbildung des melan-
cholischen Zustandes kundgibt.Der von der Theorie geforderte Schluß, welcher die Dis-
position zur melancholischen Erkrankung oder eines Stückes
von ihr in die Vorherrschaft des narzißtischen Typus der
Objektwahl verlegt, entbehrt leider noch der Bestätigung
durch die Untersuchung. Ich habe in den einleitenden Sätzen
dieser Abhandlung bekannt, daß das empirische Material,
auf welches die Studie gebaut ist, für unsere Ansprüche
nicht zureicht. Dürften wir eine Übereinstimmung der
Beobachtung mit unseren Ableitungen annehmen, so würden
wir nicht zögern, die Regression von der Objektbesetzung
auf die noch dem Narzißmus angehörige orale Libidophase
in die Charakteristik der Melancholie aufzunehmen. Identifi-
zierungen mit dem Objekt sind auch bei den Übertragungs-
neurosen keineswegs selten, vielmehr ein bekannter Mechanis-
mus der Symptombildung, zumal bei der Hysterie. Wir
dürfen aber den Unterschied der narzißtischen Identifizierung
von der hysterischen darin erblicken, daß bei ersterer die
Objektbesetzung aufgelassen wird, während sie bei letzterer
bestehen bleibt und eine Wirkung äußert, die sich gewöhnlich3)Internat. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, II, 1914.
S.
167
auf gewisse einzelne Aktionen und Innervationen be-
schränkt. Immerhin ist die Identifizierung auch bei den
Übertragungsneurosen der Ausdruck einer Gemeinschaft,
welche Liebe bedeuten kann. Die narzißtische Identifizierung
ist die ursprünglichere und eröffnet uns den Zugang zum
Verständnis der weniger gut studierten hysterischen.Die Melancholie entlehnt also einen Teil ihrer Charaktere
der Trauer, den anderen Teil dem Vorgang der Regression
von der narzißtischen Objektwahl zum Narzißmus. Sie ist
einerseits wie die Trauer Reaktion auf den realen Verlust
des Liebesobjektes, aber sie ist überdies mit einer Bedingung
behaftet, welche der normalen Trauer abgeht oder dieselbe,
wo sie hinzutritt, in eine pathologische verwandelt. Der
Verlust des Liebesobjekts ist ein ausgezeichneter Anlaß, um
die Ambivalenz der Liebesbeziehungen zur Geltung und zum
Vorschein zu bringen. Wo die Disposition zur Zwangs-
neurose vorhanden ist, verleiht darum der Ambivalenzkon-
flikt der Trauer eine pathologische Gestaltung und zwingt
sie, sich in der Form von Selbstvorwürfen, daß man den
Verlust des Liebesobjekts selbst verschuldet, d. h. ge-
wollt habe, zu äußern. In solchen zwangsneurotischen De-
pressionen nach dem Tode geliebter Personen wird uns vor-
geführt, was der Ambivalenzkonflikt für sich allein leistet,
wenn die regressive Einziehung der Libido nicht mit dabei
ist. Die Anlässe der Melancholie gehen meist über den klaren
Fall des Verlustes durch den Tod hinaus und umfassen alle
die Situationen von Kränkung, Zurücksetzung und Ent-
täuschung, durch welche ein Gegensatz von Lieben und
Hassen in die Beziehung eingetragen oder eine vorhandene
Ambivalenz verstärkt werden kann. Dieser Ambivalenzkon-
flikt, bald mehr realer, bald mehr konstitutiver Herkunft,
ist unter den Voraussetzungen de Melancholie nicht zu ver-
nachlässigen. Hat sich die Liebe zum Objekt, die nicht aufgegebenS.
168
werden kann, während das Objekt selbst aufgegeben
wird, in die narzißtische Identifizierung geflüchtet, so be-
tätigt sich an diesem Ersatzobjekt der Haß, indem er es
beschimpft, erniedrigt, leiden macht und an diesem Leiden
eine sadistische Befriedigung gewinnt. Die unzweifelhaft ge-
nußreiche Selbstquälerei der Melancholie bedeutet ganz wie
das entsprechende Phänomen der Zwangsneurose die Befrie-
digung von sadistischen und Haßtendenzen4, die einem
Objekt gelten und auf diesem Wege eine Wendung gegen
die eigene Person erfahren haben. Bei beiden Affektionen
pflegt es den Kranken noch zu gelingen, auf dem Umwege
über die Selbstbestrafung Rache an den ursprünglichen
Objekten zu nehmen und ihre Lieben durch Vermittlung
des Krankseins zu quälen, nachdem sie sich in die Krankheit
begeben haben, um ihnen ihre Feindseligkeit nicht direkt
zeigen zu müssen. Die Person, welche die Gefühlstörung
des Kranken hervorgerufen, nach welcher sein Kranksein
orientiert ist, ist doch gewöhnlich in der nächsten Umgebung
des Kranken zu finden. So hat die Liebesbesetzung des
Melancholischen für sein Objekt ein zweifaches Schicksal
erfahren; sie ist zum Teil auf die Identifizierung regrediert,
zum anderen Teil aber unter dem Einfluß des Ambivalenz-
konflikts auf die ihm nähere Stufe des Sadismus zurück-
versetzt worden.Erst dieser Sadismus löst uns das Rätsel der Selbstmord-
neigung, durch welche die Melancholie so interessant und so
– gefährlich wird. Wir haben als den Urzustand, von dem
das Triebleben ausgeht, eine so großartige Selbstliebe des
Ichs erkannt, wir sehen in der Angst, die bei Lebensbedrohung
auftritt, einen so riesigen Betrag der narzißtischen Libido
frei werden, daß wir es nicht erfassen, wie dies Ich seiner4)Über deren Unterscheidung siehe den Aufsatz über „Triebe
und Triebschicksale“ (in diesem Bande).S.
169
Selbstzerstörung zustimmen könne. Wir wußten zwar längst,
daß kein Neurotiker Selbstmordabsichten verspürt, der
solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich
zurückwendet, aber es blieb unverständlich, durch welches
Kräftespiel eine solche Absicht sich zur Tat durchsetzen
kann. Nun lehrt uns die Analyse der Melancholie, daß das
Ich sich nur dann töten kann, wenn es durch die Rückkehr
der Objektbesetzung sich selbst wie ein Objekt behandeln
kann, wenn es die Feindseligkeit gegen sich richten darf,
die einem Objekt gilt, und die die ursprüngliche Reaktion
des Ichs gegen Objekte der Außenwelt vertritt. (Siehe
„Triebe und Triebschicksale“.) So ist bei der Regression
von der narzißtischen Objektwahl das Objekt zwar auf-
gehoben worden, aber es hat sich doch mächtiger erwiesen
als das Ich selbst. In den zwei entgegengesetzten Situationen
der äußersten Verliebtheit und des Selbstmordes wird das
Ich, wenn auch auf gänzlich verschiedenen Wegen, vom
Objekt überwältigt.Es liegt dann noch nahe, für den einen auffälligen
Charakter der Melancholie, das Hervortreten der Ver-
armungsangst, die Ableitung der aus ihren Verbindungen ge-
rissenen und regressiv verwandelten Analerotik zuzulassen.Die Melancholie stellt uns noch vor andere Fragen, deren
Beantwortung uns zum Teil entgeht. Daß sie nach einem
gewissen Zeitraum abgelaufen ist, ohne nachweisbare grobe
Veränderungen zu hinterlassen, diesen Charakter teilt sie mit
der Trauer. Dort fanden wir die Auskunft, die Zeit werde
für die Detaildurchführung des Gebotes der Realitätsprüfung
benötigt, nach welcher Arbeit das Ich seine Libido vom
verlorenen Objekt frei bekommen habe. Mit einer analogen
Arbeit können wir das Ich während der Melancholie be-
schäftigt denken; das ökonomische Verständnis des Her-
ganges bleibt hier wie dort aus. Die Schlaflosigkeit derS.
170
Melancholie bezeugt wohl die Starrheit des Zustandes, die
Unmöglichkeit, die für den Schlaf erforderliche allgemeine
Einziehung der Besetzungen durchzuführen. Der melancho-
lische Komplex verhält sich wie eine offene Wunde, zieht
von allen Seiten Besetzungsenergien an sich (die wir bei den
Übertragungsneurosen „Gegenbesetzungen“ geheissen haben)
und entleert das Ich bis zur völligen Verarmung; er kann
sich leicht resistent gegen den Schlafwunsch des Ichs er-
weisen. – Ein wahrscheinlich somatisches, psychogen nicht
aufzuklärendes Moment kommt in der regelmäßigen Linde-
rung des Zustandes zur Abendzeit zum Vorschein. An diese
Erörterungen schließt die Frage an, ob nicht Ichverlust ohne
Rücksicht auf das Objekt (rein narzißtische Ichkränkung)
hinreicht, das Bild der Melancholie zu erzeugen, und ob
nicht direkt toxische Verarmung an Ichlibido gewisse Formen
der Affektion ergeben kann.Die merkwürdigste und aufklärungsbedürftigste Eigentüm-
lichkeit der Melancholie ist durch ihre Neigung gegeben,
in den symptomatisch gegensätzlichen Zustand der Manie
umzuschlagen. Bekanntlich hat nicht jede Melancholie dieses
Schicksal. Manche Fälle verlaufen in periodischen Rezidiven,
deren Intervalle entweder keine oder eine nur sehr gering-
fügige Tönung von Manie erkennen lassen. Andere zeigen
jene regelmäßige Abwechslung von melancholischen und
manischen Phasen, die in der Aufstellung des zyklischen
Irreseins Ausdruck gefunden hat. Man wäre versucht, diese
Fälle von der psychogenen Auffassung auszuschließen, wenn
nicht die psychoanalytische Arbeit gerade für mehrere dieser
Erkrankungen Auflösung wie therapeutische Beeinflussung
zustande gebracht hätte. Es ist also nicht nur gestattet, son-
dern sogar geboten, eine analytische Aufklärung der Melan-
cholie auch auf die Manie auszudehnen.
Ich kann nicht versprechen, daß dieser Versuch voll befriedigendS.
171
ausfallen wird. Er reicht vielmehr nicht weit über
die Möglichkeit einer ersten Orientierung hinaus. Es stehen
uns hier zwei Anhaltspunkte zu Gebote, der erste ein psycho-
analytischer Eindruck, der andere eine, man darf wohl sagen,
allgemeine ökonomische Erfahrung. Der Eindruck, dem be-
reits mehrere psychoanalytische Forscher Worte geliehen
haben, geht dahin, daß die Manie keinen anderen Inhalt
hat als die Melancholie, daß beide Affektionen mit dem-
selben „Komplex“ ringen, dem das Ich wahrscheinlich in
der Melancholie erlegen ist, während es ihn in der Manie
bewältigt oder beiseite geschoben hat. Den anderen Anhalt
gibt die Erfahrung, daß alle Zustände von Freude, Jubel,
Triumph, die uns das Normalvorbild der Manie zeigen, die
nämliche ökonomische Bedingtheit erkennen lassen. Es han-
delt sich bei ihnen um eine Einwirkung, durch welche ein
großer, lange unterhaltener, oder gewohnheitsmäßig her-
gestellter psychischer Aufwand endlich überflüssig wird, so
daß er für mannigfache Verwendungen und Abfuhrmöglich-
keiten bereit steht. Also zum Beispiel: Wenn ein armer Teufel
durch einen großen Geldgewinn plötzlich der chronischen
Sorge um das tägliche Brot enthoben wird, wenn ein langes
und mühseliges Ringen sich am Ende durch den Erfolg ge-
krönt sieht, wenn man in die Lage kommt, einen drückenden
Zwang, eine lange fortgesetzte Verstellung mit einem Schlag
aufzugeben u. dgl. Alle solche Situationen zeichnen sich durch
die gehobene Stimmung, die Abfuhrzeichen des freudigen
Affekts, und durch die gesteigerte Bereitwilligkeit zu allerlei
Aktionen aus, ganz wie die Manie und im vollen Gegensatz
zur Depression und Hemmung der Melancholie. Man kann
wagen es auszusprechen, daß die Manie nichts anderes ist
als ein solcher Triumph, nur daß es wiederum dem Ich
verdeckt bleibt, was es überwunden hat und worüber es
triumphiert. Den in dieselbe Reihe von Zuständen gehörigenS.
172
Alkoholrausch wird man – insofern er ein heiterer ist –
ebenso zurechtlegen dürfen; es handelt sich bei ihm wahr-
scheinlich um die toxisch erzielte Aufhebung von Verdrän-
gungsaufwänden. Die Laienmeinung nimmt gerne an, daß
man in solcher maniakalischer Verfassung darum so be-
wegungs‑ und unternehmungslustig ist, weil man so „gut
aufgelegt“ ist. Diese falsche Verknüpfung wird man natür-
lich auflösen müssen. Es ist jene erwähnte ökonomische Be-
dingung im Seelenleben erfüllt worden, und darum ist man
einerseits in so heiterer Stimmung und anderseits so unge-
hemmt im Tun.Setzen wir die beiden Andeutungen zusammen, so ergibt
sich: In der Manie muß das Ich den Verlust des Objekts
(oder die Trauer über den Verlust oder vielleicht das Objekt
selbst) überwunden haben, und nun ist der ganze Betrag
von Gegenbesetzung, den das schmerzhafte Leiden der
Melancholie aus dem Ich an sich gezogen und gebunden
hatte, verfügbar geworden. Der Manische demonstriert uns
auch unverkennbar seine Befreiung von dem Objekt, an dem
er gelitten hatte, indem er wie ein Heißhungriger auf neue
Objektbesetzungen ausgeht.Diese Aufklärung klingt ja plausibel, aber sie ist erstens
noch zu wenig bestimmt und läßt zweitens mehr neue
Fragen und Zweifel auftauchen, als wir beantworten können.
Wir wollen uns der Diskussion derselben nicht entziehen,
wenn wir auch nicht erwarten können, durch sie hindurch
den Weg der Klarheit zu finden.Zunächst: Die normale Trauer überwindet ja auch den
Verlust des Objekts und absorbiert gleichfalls während ihres
Bestandes alle Energien des Ichs. Warum stellt sich bei ihr
die ökonomische Bedingung für eine Phase des Triumphes
nach ihrem Ablauf auch nicht andeutungsweise her? Ich
finde es unmöglich, auf diesen Einwand kurzerhand zuS.
173
antworten. Er macht uns auch darauf aufmerksam, daß wir
nicht einmal sagen können, durch welche ökonomischen
Mittel die Trauer ihre Aufgabe löst; aber vielleicht kann
hier eine Vermutung aushelfen. An jede einzelne der Er-
innerungen und Erwartungssituationen, welche die Libido an
das verlorene Objekt geknüpft zeigen, bringt die Realität
ihr Verdikt heran, daß das Objekt nicht mehr existiere, und
das Ich, gleichsam vor die Frage gestellt, ob es dieses
Schicksal teilen will, läßt sich durch die Summe der narziß-
tischen Befriedigungen, am Leben zu sein, bestimmen, seine
Bindung an das vernichtete Objekt zu lösen. Man kann
sich etwa vorstellen, diese Lösung gehe so langsam und
schrittweise vor sich, daß mit der Beendigung der Arbeit
auch der für sie erforderliche Aufwand zerstreut ist5.Es ist verlockend, von der Mutmaßung über die Arbeit
der Trauer den Weg zu einer Darstellung der melancholischen
Arbeit zu suchen. Da kommt uns zuerst eine Unsicherheit
in den Weg. Wir haben bisher den topischen Gesichtspunkt
bei der Melancholie noch kaum berücksichtigt und die Frage
nicht aufgeworfen, in und zwischen welchen psychischen
Systemen die Arbeit der Melancholie vor sich geht. Was von
den psychischen Vorgängen der Affektion spielt sich noch
an den aufgelassenen unbewußten Objektbesetzungen, was an
deren Identifizierungsersatz im Ich ab?Es spricht sich nun rasch aus und schreibt sich leicht
nieder, daß die „unbewußte (Ding‑) Vorstellung des Objekts
von der Libido verlassen wird“. Aber in Wirklichkeit ist
diese Vorstellung durch ungezählte Einzeleindrücke (unbewußte5)Der ökonomische Gesichtspunkt ist bisher in psychoanalytischen
Arbeiten wenig berücksichtigt worden. Als Ausnahme sei der Auf-
satz von V. Tausk, Entwertung des Verdrängungsmotives durch
Rekompense (Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, I, 1913)
hervorgehoben.S.
174
Spuren derselben) vertreten, und die Durchführung
dieser Libidoabziehung kann nicht ein momentaner Vorgang
sein, sondern gewiß wie bei der Trauer ein langwieriger,
allmählich fortschreitender Prozeß. Ob er an vielen Stellen
gleichzeitig beginnt oder eine irgendwie bestimmte Reihen-
folge enthält, läßt sich ja nicht leicht unterscheiden; in den
Analysen kann man oft feststellen, daß bald diese, bald jene
Erinnerung aktiviert ist, und daß die gleichlautenden, durch
ihre Monotonie ermüdenden Klagen doch jedesmal von einer
anderen unbewußten Begründung herrühren. Wenn das Objekt
keine so große, durch tausendfältige Verknüpfung verstärkte
Bedeutung für das Ich hat, so ist sein Verlust auch nicht
geeignet, eine Trauer oder eine Melancholie zu verursachen.
Der Charakter der Einzeldurchführung der Libidoablösung
ist also der Melancholie wie der Trauer in gleicher Weise
zuzuschreiben, stützt sich wahrscheinlich auf die gleichen
ökonomischen Verhältnisse und dient denselben Tendenzen.Die Melancholie hat aber, wie wir gehört haben, etwas
mehr zum Inhalt als die normale Trauer. Das Verhältnis
zum Objekt ist bei ihr kein einfaches, es wird durch den
Ambivalenzkonflikt kompliziert. Die Ambivalenz ist ent-
weder konstitutionell, d. h. sie hängt jeder Liebesbezie-
hung dieses Ichs an, oder sie geht gerade aus den Erlebnissen
hervor, welche die Drohung des Objektverlustes mit sich
bringen. Die Melancholie kann darum in ihren Veranlas-
sungen weit über die Trauer hinausgehen, welche in der
Regel nur durch den Realverlust, den Tod des Objekts, aus-
gelöst wird. Es spinnt sich also bei der Melancholie eine
Unzahl von Einzelkämpfen um das Objekt an, in denen
Haß und Liebe miteinander ringen, die eine, um die Libido
vom Objekt zu lösen, die andere, um diese Libidoposition
gegen den Ansturm zu behaupten. Diese Einzelkämpfe können
wir in kein anderes System verlegen, als in das Ubw, inS.
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das Reich der sachlichen Erinnerungsspuren (im Gegensatz
zu den Wortbesetzungen). Ebendort spielen sich auch die
Lösungsversuche bei der Trauer ab, aber bei dieser letzteren
besteht kein Hindernis dagegen, daß sich diese Vorgänge
auf dem normalen Wege durch das Vbw zum Bewußtsein fort-
setzen. Dieser Weg ist für die melancholische Arbeit gesperrt,
vielleicht infolge einer Mehrzahl von Ursachen oder des
Zusammenwirkens derselben. Die konstitutive Ambivalenz
gehört an und für sich dem Verdrängten an, die trauma-
tischen Erlebnisse mit dem Objekt mögen anderes Verdrängte
aktiviert haben. So bleibt alles an diesen Ambivalenz-
kämpfen dem Bewußtsein entzogen, bis nicht der für die
Melancholie charakteristische Ausgang eingetreten ist. Er be-
steht, wie wir wissen, darin, daß die bedrohte Libido-
besetzung endlich das Objekt verläßt, aber nur, um sich
auf die Stelle des Ichs, von der sie ausgegangen war, zurück-
zuziehen. Die Liebe hat sich so durch ihre Flucht ins Ich
der Aufhebung entzogen. Nach dieser Regression der Libido
kann der Vorgang bewußt werden und repräsentiert sich
dem Bewußtsein als ein Konflikt zwischen einem Teil des
Ichs und der kritischen Instanz.Was das Bewußtsein von der melancholischen Arbeit er-
fährt, ist also nicht das wesentliche Stück derselben, auch
nicht jenes, dem wir einen Einfluß auf die Lösung des Leidens
zutrauen können. Wir sehen, daß das Ich sich herabwürdigt
und gegen sich wütet, und verstehen so wenig wie der
Kranke, wozu das führen und wie sich das ändern kann.
Dem unbewußten Stück der Arbeit können wir eine solche
Leistung eher zuschreiben, weil es nicht schwer fällt, eine
wesentliche Analogie zwischen der Arbeit der Melancholie
und jener der Trauer herauszufinden. Wie die Trauer das
Ich dazu bewegt, auf das Objekt zu verzichten, indem es
das Objekt für tot erklärt und dem Ich die Prämie des amS.
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Leben Bleibens bietet, so lockert auch jeder einzelne Ambi-
valenzkampf die Fixierung der Libido an das Objekt, indem
er dieses entwertet, herabsetzt, gleichsam auch erschlägt. Es
ist die Möglichkeit gegeben, daß der Prozeß im Ubw zu Ende
komme, sei es nachdem die Wut sich ausgetobt hat, sei es
nachdem das Objekt als wertlos aufgegeben wurde. Es fehlt
uns der Einblick, welche dieser beiden Möglichkeiten regel-
mäßig oder vorwiegend häufig der Melancholie ein Ende
bereitet, und wie diese Beendigung den weiteren Verlauf
des Falles beeinflußt. Das Ich mag dabei die Befriedigung
genießen, daß es sich als das Bessere, als dem Objekt über-
legen anerkennen darf.
Mögen wir diese Auffassung der melancholischen Arbeit
auch annehmen, sie kann uns doch das eine nicht leisten,
auf dessen Erklärung wir ausgegangen sind. Unsere Erwar-
tung, die ökonomische Bedingung für das Zustandekommen
der Manie nach abgelaufener Melancholie aus der Ambivalenz
abzuleiten, welche diese Affektion beherrscht, könnte sich
auf Analogien aus verschiedenen anderen Gebieten stützen;
aber es gibt eine Tatsache, vor welcher sie sich beugen muß.
Von den drei Voraussetzungen der Melancholie: Verlust des
Objekts, Ambivalenz und Regression der Libido ins Ich,
finden wir die beiden ersten bei den Zwangsvorwürfen nach
Todesfällen wieder. Dort ist es die Ambivalenz, die unzweifel-
haft die Triebfeder des Konflikts darstellt, und die Beob-
achtung zeigt, daß nach Ablauf desselben nichts von einem
Triumph einer manischen Verfassung erübrigt. Wir werden
so auf das dritte Moment als das einzig wirksame hingewiesen.
Jene Anhäufung von zunächst gebundener Besetzung, welche
nach Beendigung der melancholischen Arbeit frei wird und die
Manie ermöglicht, muß mit der Regression der Libido auf
den Narzißmus zusammenhängen. Der Konflikt im Ich, den
die Melancholie für den Kampf um das Objekt eintauscht,S.
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muß ähnlich wie eine schmerzhafte Wunde wirken, die eine
außerordentlich hohe Gegenbesetzung in Anspruch nimmt.
Aber hier wird es wiederum zweckmäßig sein, Halt zu machen
und die weitere Aufklärung der Manie zu verschieben, bis wir
Einsicht in die ökonomische Natur zunächst des körperlichen
und dann des ihm analogen seelischen Schmerzes ge-
wonnen haben. Wir wissen es ja schon, daß der Zusammen-
hang der verwickelten seelischen Probleme uns nötigt, jede
Untersuchung unvollendet abzubrechen, bis ihr die Ergeb-
nisse einer anderen zu Hilfe kommen können6.6)Siehe die weitere Fortsetzung des Problems der Manie in
„Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (in diesem Bande).
Freud_1931_Theoretische_Schriften_k
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