S.
Über die weibliche Sexualität
Von
Sigm. F r e u dI
In der Phase des normalen Ödipuskomplexes finden wir das Kind an
den gegengesehleehtliehen Elternteil zärtlich gebunden, während im
Verhältnis zum gleichgeschlenhtlichen die Feindseligkeit. vorwiegt. Es macht
uns keine Schwierigkeiten, dieses Ergebnis für den Knaben abzuleiteu
Die Mutter war sein erstes Liebesobjekt; sie bleibt es, mit der Verstärkung
reiner verliebten Strebungen und der tieferen Einsicht in die Beziehung
zwischen Vater und Mutter muß der Vater zum Rivalen werden. Anders
für das kleine Mädchen. Ihr erstes Objekt war doch auch die Mutter;
wie findet sie den Weg zum Vater? Wie, wann und warum macht sie
rich von der Mutter los? Wir haben längst verstanden, die Entwicklung
der weiblichen Sexualität werde durch die Aufgabe kompliziert, die
ursprünglich leitende genitale Zone. die Klitoris, gegen eine neue, die
Vagina, aufzugeben. Nun erscheint uns eine zweite solche Wandlung, der
Umtausch des ursprünglichen Mutterobjekts gegen den Vater, nicht weniger
charakteristisch und bedeutungsvoll für die Entwicklung des Weiber. In
welcher Art: die beiden Aufgaben mit einander verknüpft sind, können
wir noch nicht erkennen.Frauen mit starker Vaterhindung sind bekanntlich sehr häufig; sie
brauchen auch keineswegs neurotisch tu sein, An solchen Frauen habe
ich die Beobachtungen gemacht, über die ich hier berichte und die mich
zu einer gewissen Auffassung der weiblichen Sexualität veranlaßt haben
Zwei Tatsachen sind mir da vor allem aufgefallen Die erste war: wo
eine besonders intensive Vaterbindung bestand, da hatte es nach dem
Zeugnis der Analyse vorher eine Phase von ausschließlicher Mutterbindung
gegeben von gleicher Intensität und Leidenschaftlichkeit. Die zweite
Phase hatte bis auf den Wechsel des Objekts dern Liebesleben kaum
einen neuen Zug hinzugefügt. Die primäre Mutterbeziehung war sehr
reich und vielseitig ausgebaut gewesen,S.
318 Sigm. Freud
Die zweite Tatsache lehrte, daß man auch die Zeitdauer dieser Mutter—
bindung stark unterschätzt hatte. Sie reichte in mehreren Fällen bis weit
im vierte, in einem bis ins fünfte Jahr, nahm also den bei weitem
längeren Anteil der sexuellen Frühhlüte ein. Ja, man mußte die Möglich.
keit gelten lassen, daß eine Anzahl von weiblichen Wesen in sie,
ursprünglichen Mutterbindung stecken bleibt und es niemals zu einer
richtigen Wendung zum Manne bringt.Die prüiidipale Phase des Weiher rückt hiemit zu einer Bedeutung auf,
die wir ihr bisher nicht zugeschrieben haben,Da sie für alle Fixierungen und Verdrangungen Kaum hat, auf die wir
_ die Entstehung der Neurosen zurückfiihren, scheint es erforderlich, dieAllgemeinheit des Satzes, der Ödipuskomplex sei der Kern der Neurnse‚
zurückzunehmen. Aber wer ein Sträuben gegen diese Korrektur rerspürt,
ist nicht genütigt, sie zu machen Einerseits kann man dem Ödipm—
komplex den weiteren Inhalt geben, daß er alle Beziehungen des Kindes
zu beiden Eltern umfaßt, anderseits kann man den neuen Erfahrungen
auch Rechnung tragen, indem man sagt, das Weib gelange zur normalen
positiven Ödipussituat'iorl erst. nachdem es eine vom negativen Knmplex
beherrschte Vorzeit überwunden. Wirklich ist während dieser Phase der
Vater für das Mädchen nicht viel anderes als ein lastiger Rivale, wenngleich
die Eeindseligkeit gegen ihn nie die fiir den Knaben charakterische Höhe
erreicht. Alle Erwartungen eines glatten Parallelismus zwischen männlicher
und weiblicher 5erualentwicklung haben wir ja längst aufgegeben,Die Einsicht in die präödipale Vorzeit des Mädchens wirkt als Über—
raschung, ähnlich wie auf anderem Gebiet die Aufdeckung der minoisch-mykenischen Kultur hinter der griechischen,
Alles auf dem Gebiet dieser ersten Mutterbindung erschien mir so
schwer analytisch zu erfassen, so altersgrau, schattenhaft, kaum wieder
belebbar, als ob es einer besonders unerbittlichen Verdrängung erlegen
wäre. Vielleicht kam dieser Eindruck aber davon, daß die Frauen in der
Analyse bei mir an der nämlichen Vaterbindung festhalten konnten, zu
der sie sich aus der in Rede stehenden Varzeit gefliichtet hatten. Es
scheint wirklich, daß weibliche Analytiker, wie Jeanne L ampl» de Gro 0!
und Helene Deutsch, diese Tatbestände leichter und deutlicher wahr-
nehmen konnten, weil ihnen bei ihren Gewährspersonen die Übertragung
auf einen geeigneten Mutterersatz zur Hilfe kam. Ich habe es auch nicht
dahin gebracht, einen Fall vollkommen zu durchschauen, beschränke mich
daher auf die Mitteilung der allgemeinsten Ergebnisse und führe nur
wenige Proben aus meinen neuen Einsichten an. Dahin gehört, daß diese
Phase der Mutterbindung eine besonders intime Beziehung zur ÄtiologieS.
Uber die weiblidre Sexualität 319
der Hysterie vermuten läßt, was nicht überraschen kann, wenn man
erwägt, daß beide, die Phase wie die Neumse, zu den besonderen
Charakteren der Weihlichkeit. gehören, ferner auch, daß man in dieser
Mutterabhängigkeit den Keim der späteren Paranoia des Weibes findet)
Denn dies scheint die überraschende, aber regelmäßig angetrofl'ene Angst,
von der Mutter umgebracht (aufgefreiisen ?) zu werden, wohl zu rein. Es
liegt nahe, anzunehmen, daß diese Angst. einer Feindseligkeit entspricht,
die sich im Kind gegen die Mutter infolge der vielfachen Einschränkungen
der Erziehung und Körperpflege entwickelt, und daß der Mechanismus der
Projektion durch die Frühzeit der psychischen Organisation begünstigt wird.ll
Ich habe die beiden Tatsachen vorangertellt, die mir als neu aufge-
fallen sind, daß die Starke Vaterahhängigkeit des Weibes nur das Erbe
einer ebenso starken Mutterhindung antritt und daß diese frühere Phase
durch eine unerwartet lange Zeitdauer angehalten hat. Nun will ich
zurückgreifen, um diese Ergebnisse in das uns hekannt gewordene Bild
der weiblichen Sexualentwicklung einzureihen, wobei VVicderholu1-tgen nicht
zu vermeiden sein werden. Die fortlaufende Vergleichung rnit den Ver-
hältnisseu beim Manne kann unserer Darstellung nur förderlich sein.Zunächst ist es unverkennbar, daß die fiir die menschliche Anlage
behauptete Bisexualität heim Weib viel deutlicher hervortritt als beim
Mann. Der Mann hat doch nur eine leitende Geschlechtszone, ein Ge-
rehlechtsorgan, während das Weib deren zwei besitzt: die eigentlich
weibliche Vagina und die dem männlichen Glied analoge Klituris. Wir
halten uns für berechtigt anzunehmen, daß die Vagina durch lange Jahre
so gut wie nicht vorhanden ist, vielleicht erst zur Zeit der Pubertät
Empfindungen liefert. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Stimmen
tler Beehachter, die vaginale Regnngen aueh in diese frühen Jahre ver—
legen. Das Wesentliche, was also an Genitalität in der Kindheit vergeht, muß
!ich beim Weihe an der Klitoris abspielen. Das Geschlechtsleben des Weißes
zerfällt regelmäßig in zwei Phasen, von denen die erste männlichen
Charakter hat; erst die zweite ist die spezifisch weibliche. In der weib-
lichen Entwicklung gibt er so einen Prozeß der Überführung der einen
Phase in die andere, dem beim Manne nichts analog ist, Eine weitere
Komplikation entsteht daraus, daß sich die Funktion der vii'ilen Klitorisr) In dem bekannten Fall van Ruth Muck-Brunswiek (Die Analyse einer
Eifersuchtswahnes, Int. Zeitschr. f. Perl, XIV, igzs> geht die Affeku'an direkt ein der prä—
ödipalen (Schwester—) Fixierung hervor.S.
320 Sigm. Freud
in das spätere weibliche Geschlechtsleben {erneut in einer sehr wech—
selnden und gewiß nicht befriedigend verstandenen Weise. Natürlich
wissen wir nicht, wie sich diese Besonderheiten des Weiber biologisch
begründen; noch weniger können wir ihnen teleolngische Absicht unterlege„.Parallel dieser ersten großen Differenz läuft die andere auf dem Gebiet
der Objektfintlung. Beim Manne wird die Mutter zum ersten Liebesohieln
infolge des Einflusses von Nahrungrrnfuhr und Körperpflege, und sie bleibt
es, bis sie durch ein ihr wesensähnliches oder von ihr abgeleitetes ersetzt
wird, Auch beim Weib muß die Mutter das erste Objekt sein. Die U:-
bedingungen der Objektwahl sind ja für alle Kinder gleich. Aber am
Ende der Entwicklung soll der Mann—Vater das neue Lieberohjelrt
geworden sein, d. h, dem Geschlechtswechsel des Weibes muß ein Wechsel
im Geschlecht des Objekts entsprechen. Als neue Aufgaben der Forschung
entstehen hier die Fragen, auf welchen Wegen diese Wandlung vor
sich geht, wie gründlich oder unvollkoulmen sie vollzogen wird. welche
verschiedenen Möglichkeiten sich bei dieser Entwicklung ergehen.Wir haben auch bereits erkannt. daß eine weitere Differenz der
Geschlechter sich auf das Verhältnis zum Ödipuskomplex bezieht. Unser
Eindruck ist hier, daß unsere Aussagen über den Ödipnskornplex in voller
Strenge nur für das männliche Kind passen, und daß wir Recht daran
haben, den Namen Elektrakornplex abzulehnen, der die Analogie im Ver-
halten beider Geschlechter betonen will. Die schieksalhafte Beziehung von
gleichzeitiger Liebe zu dem einen und Rivalitätshaß gegen den anderen
Elternteil stellt sich nur für das männliche Kind her. Bei diesem ist es
dann die Entdeckung der Kastrationsmöglichkeit, wie sie durch den An-
blick des weiblichen Genitales erwiesen wird. die die Umbildung des
Ödipllskomplexes erzwingt, die Schaffung der Uber»lehr herbeifiihrt und
so all die Vorgänge einleitet, die auf die Einreihung des Einzelwesens in
die Kulturgemeinsehaft abzielen Nach der Verinnerlichung der Vater-
iustanz zum Über—Ich ist die weitere Aufgabe zu lösen, dies letztere von
den Personen abzulösen, die es ursprünglich seelisch vertreten hat. Auf
diesem merkwürdigen Entwicklungsweg ist gerade das narzißtische Genitdl-
interesse, das an der Erhaltung des Penis, zur Einschränkung der infantilen
‘exualität gewendet werden.Beim Marine erübrigt vom Einfluß des Kastrationskornplexes auch ein
Mail von Geringschätzung fiir das als kastriert erkannte Weib. Aus dieser
entwickelt sich im Extrem eine Hemmung der Objektwahl und bei
Unterstützung durch organische Faktoren ausschließliche Homosexualität
Ganz andere sind die Wirkungen des Kastrationskomplexes beim Weib.
Das Weib anerkennt die Tatsache seiner Kastration und damit auch dieS.
Uber die welblldie Sexualität 321
Ubgrlegenheit des Mannes und seine eigene Minderwcrtiglteit, aber es
„- bt sich auch gegen diesen unliebsamen Sachverhalt. Aus dieser zwie-
spült.igen Einstellung leiten sich drei Entwicklungsrichtungen ab. Die erste
führt zur allgemeinen Abwendung von der Sexualität. Das kleine Weib,
durch den Vergleich mit dem Knaben geschrecltt, wird mit seiner Klitoris
unzufrieden, verzichtet auf seine phallisehe Betätigung und damit auf die
Sexualität überhaupt wie auf ein gutes Stück seiner Männlichkeit auf
mderen Gebieten, Die zweite Richtung halt in trotziger Selbstbehauptung
an der bedrohten Männlichkeit fest; die Hoffnung, noch einmal einen
Penis zu bekommen, bleibt bis in unglaublich späte Zeiten aufrecht, wird
zum‚Lebenszweek erhoben, und die Phantasie, trotz alledem ein Mann zu
nein, bleibt oft gestaltend für lange Lebensperioden. Auch dieser „Männ-
lichkeitskomplex“ des Weibes kann in manifest homosexuelle Objektw'dhl
ausgehen, Erst eine dritte, recht umwegige Entwicklung mündet in die
normal weibliche Endgestaltung aus, die den Vater als Objekt nimmt und
so die weibliche Form des Örlipuskomplexes findet. Der Ödipuskomplex
irt also beim Weib das Endergebnis einer längeren Entwicklung, er wird
durch den Einfluß der Kastration nicht zerstört, sondern durch ihn ge—
schaffen, er entgeht den starken feindlichen Einflüssen, die beim Mann
cant"rend auf ihn einwirken, ja, er wird allzuhäufig vom Weib iiherhaupt
nicht überwunden. Darum sind auch die kulturellen Ergebnisse seines
Zerfalls geringfügiger und weniger belangreich. Man geht wahrscheinlich
nicht fehl, wenn man aussagt, daß dieser Unterschied in der gegenseitigen
Beziehung von Ödipus- und Kastrationskumplex den Charakter des
Weibes als soziales Wesen prägt,‘Die Phase der ausschließlichen Mutterbindung, die [] r ä ö dip al genannt
werden kann, beansprucht also beim Weib eine weitaus größere Bedeutung,
ils ihr beim Mann zukommen kann. Viele Erscheinungen des weiblichen
Sexuellebens, die früher dem Verständnis nicht recht zugänglich waren,
finden in der Zurückführung auf sie ihre volle Aufklärung. Wir haben
z, B. längst bemerkt. daß viele Frauen, die ihren Mann nach dem Vater-“ Man kann vorhersehen. daB die Feministen unter der. Mrinnern. aber auch
unsere wcihhchcn Analytiker mit diesen Ausführungen nicht einverstanden sein
werden. Sle dürften kaum die Einwendung auriicltltalten, sulclie Lehren stammen
aus dem „Männlichkeitskomplex“ des Mannes und sollen dem dienen, seiner ange-
horenen Neigung zur Herabsetzung und Unterdrückung des Weibes eine theoretische
Rechtfertigung zu schaffen. Allein eine sclchc psyehuanalytlsclie Argumentatian
mahnt in diesem Falle, wie so häufig. an den berühmten „Stock mit zwei Enden“
Dcrtajewskis. Die Gegner werden es ihrerseits begreiflich linden, daß das Geschlecht
der Frauen nicht annehmen will, was der heiß begehrten Gleichstellung mit dem
Marine zu widersprechen scheint. Die agnnale Verwendung der Analyse führt atten-
h.r nicht zur Entscheidung.S.
m Sigm. Freud
'vorbild gewählt oder ihn an die Vaterstelle gesetzt haben. doch in der
Ehe an ihm ihr schlechtes Verhältnis zur Mutter_wiederholen. Er Sollte
die Vaterbeziehung erben und in Wirklichkeit erbt er die Mutterbeziehung_
Das versteht man leicht als einen nahe liegenden Fall von Regressio„_
Die Mutterbeziehung war die ursprüngliche, auf sie war die Vaterhimlung
aufgebaut. und nun kommt in der Ehe das Ursprünglichc aus der ve,„
drängnng zum Vorschein. Die Überschreiburlg affektiver Bindungen „„m
Mutter auf das Vaterobjekt bildete ja den Hauptinhalt der zum Weibtum
führenden Entwicklung.Wenn wir bei so vielen Frauen den Eindruck bekommen. da]! ihre
Reifezeit vom Kampf mit dem Ehemann ausgefüllt wird, wie ihre Jugend
im Kampf mit der Mutter verbracht wurde. so werden wir im Licht der
vorstehenden Bemerkungen den Schluß ziehen, daß deren feindselige Ein»
stellung zur Mutter nicht eine Folge der Rivalität des Öflipusltomplexes
ist, sondern aus der Phase vorher stammt und in der Ödipussituation nur
Verstärkung und Verwendung erfahren hat. So wird es auch durch direkte
analytische Untersuchung bestätigt. Unser Interesse muß sich den Mecha—
nismen zuwenden, die bei der Ahwendung von dem so intensiv und aus-
schließlich geliebten Mutterobiekt wirksam geworden sind. Wir sind darauf
vorbereitet. nicht ein einziges solches Moment, sondern eine ganze Reihe
von solchen Momenten zu finden, die zum gleichen Endziel zusammen-
wirken,Unter ihnen treten einige hervor, die durch die Verhältnisse der in—
fantilen Sexualität überhaupt bedingt sind, also in gleicher Weise fiir das
Liebesleben des Knaben gelten. In erster Linie ist hier die Eifersucht auf
andere Personen zu nennen, auf Geschwister, Rivalen, neben denen auch
der Vater Platz findet. Die kindliche Liebe ist maßlos, verlangt Ausschließ-
lichkeit, gibt sich nicht mit Anteilen zufrieden Ein zweiter Charakter ist
aber, daß diese Liebe auch eigentlich ziellus‚ einer vollen Befriedigung
unfähig ist, und. wesentlich darum ist sie dazu verurteilt, in Enttäuschung
auszugehen und einer feindseligen Einstellung Platz zu machen. In späteren
Lebenszeiten kann das Ausbleiben einer Entlbefriedigung einen anderen
Ausgang hegiinstigen. Dies Moment mag wie hei den zielgehernmten
Liebesheziehungen die ungestörte Fortdauer der Libidobesetzung versichern,
aber im Drang der Entwicklungsvorgänge ereignet es sich regelmäßig, daß
die Libido die unbefliedigende Position verläßt, um eine neue aufzu'
suchen.Ein anderes weit mehr spezifisches Motiv zur Abwendung von der
Mutter ergibt sich aus der Wirkung des Kastratiunskumplexes auf das
penislose Geschöpf. Irgenrl einmal macht das kleine Mädchen die Ent-S.
Uher die weiblidre Sexualität 323
„kung seiner organischen Minderwertigkeit, natürlich früher und leichter,
wenn es Brüder hat oder andere Knaben in der Nähe sind. Wir haben
„bon gehört. welche drei Richtungen sich dann voneinander scheiden:
‚) die zur Einstellung des ganzen Sexuallebens; b) die zur trotzigen Uber—
betonuug der Männlichkeit; c) die Ansätze zur endgiihigen Weiblichkeit.
Genauere Zeitangaben zu machen und typische Verlaufsweisen festzulegen,
ist hier nicht leieht. Schon der Zeitpunkt der Entdeckung der Kastration
ist wechselnd, manche andere Momente scheinen inkonstant und vom Zufall
abhängig. Der Zustand der eigenen phallischen Betätigung kommt in
Betracht, ebenso ob diese entdeckt wird oder nicht, und welches Maß von
Verhinderung nach der Entdeckung erlebt wird,Die eigene phallische Betätigung, Masturbation an der Klitoris, wird
vom kleinen Mädchen meist spontan gefunden. ist gewiß zunächst phantasie-
lot. Dem Einfluß der Körperpflege an ihrer Erweekung wird durch die
lo häufige Phantasie Rechnung getragen, die Mutter, Arnnae oder Kinder—
frau zur Verführerin macht. Ob die Onanie der Mädchen seltener und von
Anfang an weniger energisch ist als die der Knaben, bleibt dahingestellt,
es wäre wohl möglich. Auch wirkliche Verführung ist häufig genug, sie
geht entweder von anderen Kindern oder von Pflegepersonen aus, die das
Kind beschwichtigen, einschläfern oder von sich abhängig machen wollen,
Wa Verführung einwirkt, stört sie regelmäßig den natürlichen Ablauf der
Entwicklungsvorgänge; oft hinterläßt sie weitgehende und andauernde
Konsequenzen.Das Verbot der Masturbation wird, wie wir gehört haben. zum Anlaß,
sie aufzugeben, aber auch zum Motiv der Auflehnung gegen die verhietende
Person, also die Mutter oder den Mutterersatz, der später regelmäßig mit
ihr versehrnilzt. Die trotzige Behauptung der Masturbation scheint den
Weg zur Männlichkeit zu eröffnen. Auch wo es dem Kind nicht gelungen
ist, die Masturbation zu unterdrücken, zeigt sich die Wirkung des anscheinend
machtlosen Verbote in seinem späteren Bestreben, sich mit allen Opfern
von der ihm verleideten Befriedigung frei zu machen, Nach die Objektwahl
des reifen Mädchens kann von dieser festgehaltenen Absicht beeinflußt
werden, Der Groll wegen der Behinderung in der freien sexuellen Betätigung
spielt eine große Rolle in der Ablösung von der Mutter. Dasselbe Motiv
wird auch nach der Pubertät wieder zur Wirkung kommen, wenn die
Mutter ihre ‚Pflicht erkennt, die Keuschheit der Tochter zu behüten. Wir
werden natürlich nicht daran vergessen, daß die Mutter der Masturbation
des Knaben in gleicher Weise entgegentritt und somit auch ihm ein
starkes Motiv zur Auflehnung schafi"t.Wenn das kleine Mädchen durch den Anblick eines männlichen Geni-
S.
314 Sigm. Freud
tules seinen eigenen Defekt erfährt. nimmt sie die unerwünschte Beleh.
rung nieht ohne Zögern und ohne Sträuhen an. Wie wir gehört haben,
wird die Erwartung, auch einmal ein solches Genitale zu bekommen,
hartnäckig festgehalten, und der Wunsch danach überlebt die Hoffnung
noch um lange Zeit, In allen Fällen hält das Kind die Kastration zu»
nächst nur fiir ein individuelles Mißgeschick, erst später dehnt es dieselbe
auch auf einzelne Kinder, endlich auf einzelne Erwachsene aus. Mit de,
Einsicht in die Allgemeinheit dieses negativen Charakters stellt sich eine
große Eritwertung der Weiblichkeit, also auch der Mutter, her.Es ist sehr wohl möglich, daß die vorstehende Schilderung, wie sich
das kleine Mädchen gegen den Eindruck der Kastration und das Verbot
der Onanie verhält, dem Leser einen verworrenen und widerspruchsvollen
Eindruck macht. Das ist nicht ganz die Schuld des Autors. In Wirklichkeit
ist eine allgemein zutreffende Darstellung kaum möglich. Bei verschiedenen
Individuenfindetman dieverschiedensten Reaktionen, bei demselbenlndividuum
bestehen die entgegengesetzten Einstellungen nebeneinander, Mit dem ersten
Eingreifen des Verbots ist der Konflikt da, der von nun an die Entwicklung
der Sexualfunkrion begleiten wird.. Es bedeutet auch eine besondere
Erschwerung der Einsicht, daß man so große Mühe hat. die seelischen
Vorgänge dieser ersten Phase von späteren zu unterscheiden, durch die rie
überdeckt und für die Erinnerung entstellt werden. So wird z, B. später
einmal die Tatsache der Kastration als Strafe für die unanistische Betätigung
aufgefaßt, deren Ausführung aber dem Vater zugeschoben, was beides
gewiß nicht ursprünglich sein kann, Aueh der Knabe befürchtet die
Kastration regelmäßig von seiten des Vaters, obwohl auch bei ihm die
Drohung zumeist von der Mutter ausgeht.Wie dem auch sein mag, am Ende dieser ersten Phase der Mutter—
bindung taucht als das stärkste Motiv zur Abwendung von der Mutter
der Vorwurf auf, daß sie dem Kind kein richtiges Genitale mitgegeben,
d, h. er als Weib geboren hat. Nicht ohne Überraschung vernimmt man einen
anderen Vorwurf, der etwas weniger weit zurückgreift: die Mutter hat
dem Kind zu wenig Milch gegeben, es nicht lange genug genährt. Dat
mag in unseren kulturellen Verhältnissen recht oft zutrefi'en, aber gewiß
nicht so oft, als es in der Analyse behauptet wird. Es scheint vielmehn
als sei diese Anklage ein Ausdruck der allgemeinen Unzulriedenheit der
Kinder, die unter den kulturellen Bedingungen der Mnnngarnie nach
sechs bis neun Monaten der Mutterbrust cntwöhnt werden, während die
primitive Mutter sich zwei bis drei Jahre lang ausschließlich ihrem Kind!
widmet, als wären unsere Kinder,für immer ungesättigt geblieben, &“
hätten sie nie lang genug an der Mutterbrust gesogen. Ich bin aber nichtS.
Uber die weibliche Sexualität 325
„chen „1, man nicht hei der Analyse von Kindern, die solange gesäugt
werden sind wie die Kinder der Primitiven, auf dieselbe Klage stoßen
würde. So groß ist die Gier der kindlichen Libido! Überblickt man die
ganze Reihe der Motivierungen, welche die Analyse fiir die Ahweridung
von tler Mutter aufdeckt, daß sie es unterlassen hat, das Mädchen mit
dem einzig richtigen Genitale auszuslattcn, daß sie es ungenügend ernährt
hat‘ es gezwungen hat, die Mutteriiebe mit anderen zu teilen, daß sie nie
alle Liebeserwartungen erfüllt, und endlich. daß sie die eigene Sexuelle
betätigung zuerst angeregt und dann verboten hat, so scheinen sie alle
zur Rechtfertigung der endlichen Feindseligkeit unzureichend. Die einen
von ihnen sind unverrneidliche Abfolgen aus der Natur der infiintilen
Sexualität, die anderen nehmen sich aus wie später zurechcgemachte
Rationalisierungen der unverständenen Gefühlswandlung. Vielleicht geht
er eher so zu, deli die Mutterhiridung zugrunde gehen muß, gerade darum,
weil sie die erste und so intensiv ist, ähnlich wie man es so oft an den
ersten, in stärkster Verliehtheit geschlossenen Ehen der jungen Frauen
beobachten kann. Hier wie dort wiirde die Liebeseinstellung an den
unausweichlichcn Enttäuschungen und an der Anhäufung der Anlässe zur
Aggression scheitern. Zweite Ehen gehen in der Regel weit besser aus.
Wir können nicht so weit gehen zu behaupten, daß die Ambivalenz
der Gefühlshesetzungen ein allgemein gültiges psychologischcs Gesetz ist,
daß es iiberhaupt unmöglich ist. große Liebe für eine Person zu emp—
finden, ohne daß sich ein vielleicht ebenso grcßer Haß hinzugesellt oder
umgekehrt. Dem Normalen und Erwachsenen gelingt es ohne Zweifel.
beide Einstellungen von einander zu sondern, sein Liebesnbjekl: nicht zu
hassen und seinen Feind nicht auch lieben zu miissen. Aber das scheint
das Ergebnis spiierer Entwicklungen. In den ersten Phnsen des Liebes-
lebens ist offenbar die Amhiviilenz das Regelrechte. Bei vielen Menschen
bleibt dieser archaische Zug über das ganze Leben erhalten, für die
Zwangsneurotiker ist; es charakteristisch, daß in ihren Objektheziehungen
Liebe und Haß einander die Waage halten. Auch für die Primitiven
dürfen wir das Vorwiegen der Amhivalenz behaupten. Die intensive
Bindung des kleinen Mädchens an seine Mutter müßte also eine stark
ambivalente sein und unter der Mithilfe der anderen Momente gerade
durch diese Ambivalcnz zur Abwcndung von ihr entschieden werden, also
wiederum infolge eines allgemeinen Charakters der infantilen Sexualität.
Gegen diesen Erklärungsversuch erhebt sich sofort die Frage: Wie
wird es aber den Knaben möglich, ihre gewiß nicht weniger intensive
Mullerhindung unangefochten festzuhalten? Ebenso rasch ist die Antwort
bereit: Weil es ihnen ermöglicht ist, ihre Ambivalenz gegen die MutterS.
326 - Sigm. Freud
zu erledigen. indem sie all ihre {eindseligen Gefühle beim Vater unter.
bringen. Aber erstens soll man diese Antwort nicht geben. ehe man die
präödipale Phase der Knaben eingehend studiert hat, und zweitens ist es
wahrscheinlich überhaupt vorsichtiger, sich einzugestehen, daß man diese
Vorgänge, die man eben kennen gelernt hat, noch gar nicht gut durchsehaut‚III
Eine weitere Frage lautet: Was verlangt das kleine Mädchen vor. der
Mutter? Welcher Art sind seine Sexualziele in jener Zeit der ausschließlichen
Mutterbindung? Die Antwort, die man aus dem analytischen Material
entnirnmt, stimmt ganz mit unseren Erwartungen überein, Die Sexuab
ziele des Mädchens bei der Mutter sind aktiver wie passiver Natur, und
sie werden durch die Libidophasen bestimmt, die das Kind durchläuft,
Das Verhältnis der Aktivität zur Passivität verdient hier unser besonderes
Interesse. Es ist leicht zu beobachten, daß auf jedem Gebiet des seelischen
Erlebens, nicht nur auf dem der Sexualität, ein passiv empfangener Ein
druck beim Kind die Tendenz zu einer aktiven Reaktiun hervorruft. Es
versucht das selbst zu machen, was vorhin an oder mit ihm gemacht
werden ist. Es ist das ein Stück der Bewältigungsarheit an der Außen—
welt, die ihm auferlegt ist, und kann selbst dazu führen, daß es sich um
die Wiederholung solcher Eindrücke bemüht, die es wegen ihres peinlichen
Inhalts zu vermeiden Anlaß hätte. Auch das Kinderspiel wird in den
Dienst dieser Absicht gestellt, ein passives Erlebnis durch eine aktive
Handlung zu ergänzen und es gleichsam auf diese Art aufzuhebcn. Wenn
der Doktor dem sich sträubenden Kind den Mund geöffnet hat, um ihm
in den Hals zu schauen, so wird nach seinem Fortgehen das Kind den
Doktor spielen und die gewalttätige Prozedur an einem kleinen Geschwister-
chen wiederholen, das ebenso hilflos gegen es ist, wie es selbst gegen den
Doktor war. Eine Auflehnung gegen die Passivität und eine Bevorzugung
der aktiven Rolle ist dabei unverkenrlban Nicht bei allen Kindern wird
diese Schwenkung von der Passivität zur Aktivität gleieh regelmäßig und
energisch ausfallen, bei manchen mag sie ausbleiben. Aus diesem Ver»
halten des Kindes mag man einen Schluß auf die relative Stärke der
Männlichkeit und Weiblichkeit ziehen, die das Kind in seiner Sexualität
an den Tag legen wird.Die ersten sexuellen und sexuell mitbetonten Erlebnisse des Kindes bei
der Mutter sind natürlich passiver Natur. Es wird von ihr gesäugt, ge-
füttert, gereinigt, gekleidet und zu allen Verrichtunge'n angewiesen. Ein
Teil der Libido des Kindes bleibt an diesen Erfahrungen haften undS.
Uber die weililidre Sexualität 3z7
genießt die mit ihnen verbundenen Beiricdi ungen, ein anderer Teil
versucht sich an ihrer Umwendung zur Akt 't. An der Multerbrust
„;„i zuerst das Gesäugtwerden durch das aktive Saugen abgelöst. In den
luderen Beziehungen bcgnügt sich das Kind entweder rnit der Selbständigkeit,
tl, h. mit. dem Erfolg, daß es selbst ausführt, was bisher mit ihm geschehen
in, oder rnit aktiver Wiederhnlung seiner passiven Erlebnisse im Spiel,
„der es macht wirklich die Mutter zum Objekt, gegen das es als tätiges
Subjekt auftritt. Das letztere. was auf dem Gebiet der eigentlichen Be-
tätigung vor sich geht, erschien mir lange Zeit hindurch unglaublich, bis
die Erfahrung jeden Zweifel daran widerlegte.Man hört selten davon, daß das kleine Mädchen die Mutter waschen,
rnkleiden oder zur Verriehtung ihrer exkl'ementcllen Bedürfnisse mahnen
will. Es sagt zwar gelegentlich: jetzt wollen wir spielen, daß ich die
Mutter hin und du das Kind. —— aber zumeist erfüllt es sich diese aktiven
Wünsche in indirekter Weise im Spiel mit der Puppe, in dem es selbst
die Mutter darstellt wie die Puppe das Kind. Die Bevnrzugung des Spiels
rnit der Puppe heim Mädchen im Gegensatz zum Knaben wird gewöhnlich
als Zeichen der früh erwachten Werblichkeit aufgefaßt. Nicht mit Unrecht,
allein man snll nicht iilserschen, daß es die Aktivität der Weihlichkeit ist.
die sich hier äußert, und daß diese Vorliebe des Mädchens wahrscheinlich
die Ausschließlichkeit der Bindung an die Mutter bei veller Vernach-
lässigung des Vatcrobjckts bezengt.Die so überraschende sexuelle Aktivität des Mädchens gegen die Mutter
äußert sich der Zeitfolge nach in oralen, sadistischen und endlich selbst
phallischen, auf dic Mutter gerichteten Strebungen. Die Einzelheiten sind
hier schwer zu berichten. denn es handelt sich häufig um dunkle Trielr
regungen, die das Kind nicht psychisch erfassen konnte zur Zeit, da sie
v_t_7rfielen, die darum erst. eine nachträgliche Interpretation erfahren haben
und. dann in der Analyse in Ausdrucksweisen auftreten, die ihnen
ursprünglich gewiß nicht zuharnen. Mitunter begegnen sie uns als Über
lregungen auf das spätere Vaterobjekt, wo sie nicht hingehören und das
Verständnis empfindlich stören. Die aggressiven oralen und sadistisehen
Wünsche findet man in der Form, in welche sie durch frühzeitige
Verdrängung genötigt werden, als Angst, von der Mutter umgebracht zu
werden, die ihrerseits den Todeswunsch gegen die Mutter, wenn er bewußt
wird, rechtfertigt. Wie oft diese Angst vor der Mutter sich an eine nur
bewußte Feindseligkeit der Mutter anlehnt, die das Kind err'a't, läßt sich
nicht angehen, (Die Angst, gefressen zu werden, habe ich bisher nur bei
Männern gefunden, sie wird auf den Vater bezogen, ist aber wahrscheinlich das
Verwandlungsprcdukt der auf die Mutter gerichteten oralen Aggression,S.
328 Sigm, l'reud
Man will die Mutter auFfressen, von der man sich genährt hat; beim
Vater fehlt für diesen Wunsch der nächste Anlaß.)Die weiblichen Personen mit starker Mutterbindung, an denen ich die
präödipale Phase studieren konnte, haben übereinstimmenrl berichtet, daß
sie den Klystieren und Darmeingießungen. die die Mutter bei ihnen „e,.
nahm, größten Widerstand entgegenzuse'zen und mit Angst und w.".
geschrei darauf zu reagieren pflegten. Dies kann wohl ein sehr häufiges
oder selbst regelmäßiges Verhalten der Kinder sein. Die Einsicht in die
Begründung dieses besonders heftigen Sträubens gewann ich erst durch eine
Bemerkung von Ruth M ack- Brun swick, die sich gleichzeitig mit den
nämlichen Problemen beschäftigte, sie möchte den Wutausbruch nach dem
Klysma dern Orgasmus nach genitaler Reizung vergleichen. Die Angst dahei
wäre als Umsetzung der rege gemachten Aggressionslust zu verstehen. Ich
meine, daß es wirklich so ist. und daß auf der sadistischranalen Stufe die
intensive passive Reizung der Darmzcne durch einen Ausbruch von Agg-ressions—
lust beantwortet wird, die sich direkt als Wut oder infolge ihrer Unter—
drückung als Angst kundgiht. Diese Reaktion scheint in späteren Jahren
zu versiegen,Unter den passiven Begungen der phallischen Phase hebt sich hervor,
daß das Mädchen regelmä g die Mutter als Verführen'n beschuldigt, weil
sie die ersten oder doch die stärksten genitalen Empfindungen bei den
Vornahmen der Reinigung und Körperpflege durch die Mutter (oder die sie
vertretende Pflegeperson) verspiireu mußte. Daß das Kind diese Empfin-
dungen gerne mag und die Mutter auffordert, sie durch wiederholte
Berührung und Reibung zu verstärken, ist mir oft von Müttern als
Beobachtung an ihren zwei- bis dreijährigen Töchterchen mitgeteilt werden
Ich mache die Tatsache, daß die Mutter dem Kimi so unvermeidlich die
phallische Phase eröffnet, dafür verantwortlich, daß in den Phantasien
späterer Jahre so regelmäßig der Vater als der sexuelle Verführer erscheint
Mit. der Abwendung von der Mutter ist auch die Einführung ins Geschlechts-
lehen auf den Vater überschrieben worden.In der phailischen Phase kommen endlich auch intensive aktive Wunsch-
regungeri gegen die Mutter zustande. Die Sexualbetdtigung dieser Zeit
gipfelt in der Masturbation an der Klitoris, dabei wird wahrscheinlich die
Mutter vorgestellt, aber ob es das Kind zur Vorstellung eines Sexualziels
bringt und welches dies Ziel ist, ist aus meiner Erfahrung nicht zu
erraten. Erst wenn alle Interessen des Kindes durch die Ankunft eine!
Geschwisterchens einen neuen Antrieb erhalten haben, läßt sich ein solches
Ziel klar erkennen. Das kleine Mädchen will der Mutter dies neue Kind
gemacht haben, ganz so wie der Knabe. und auch seine Reaktion auf die:S.
Uber die Weiblid‘le Sexualität 329
Ereigni5 und sein Benehmen gegen das Kind ist dasselbe. Das klingt
j, Bissurd genug, aber vielleicht nur darum, weil es uns so ungewohnt
fiingt.
“ Die Ahwendung von der Mutter ist ein höchst hedeutsumer Schritt auf
dem Entwicklungsweg des Mädchens. sie ist mehr als ein hlolier Objekt»
wechsel. Wir haben ihren Hergang und die Hänfung ihrer vorgeblichen
Motivierungen bereits beschrieben, nun fügen wir hinzu, daß Hand in Hand
mit ihr ein starkes Absinken der aktiven und ein Anstieg der passiven
5eruulregungen zu beobachten ist. Gewiß sind die aktiven Strebungen
5tärker van der Versagung betroffen werden, sie haben sich als durchaus
unausführbar erwiesen und werden darum auch leichter von der Libido
verlassen, aber auch auf Seite der pussiven Strebungen hat es an Ent-
täuschungen nicht gefehlt Häufig wird mit der Ahwendung von der
Mutter auch die klitoridisclle Masturbation eingestellt, oft genug wird mit der
Verdrängung der bisherigen Männlichkeit des kleinen Mädchens ein gutes
Stück ihres Sexualstrebens überhaupt dauernd geschädigt. Der Übergang
zum Vatemhjekt wird mit Hilfe der passiven Strebungen vollzogen, soweit
diese dem Umsturz entgangen sind. Der Weg zur Entwicklung der Weib-
lichkeit ist nun dem Mädchen freigegeben, insofeme er nicht durch die
Reste der überwundenen, präödipalen Mutterbindung eingeengt ist.
Überblickt man nun das hier hesehriebene Stück der weiblichen Sexual-
entwicklung, so kann man ein bestimmtes Urteil über das Ganze der
Weihlichkeit nicht zurückdrängen. Man hat die nämlichen libi '
Kräfte wirksam gefunden wie beim männlichen Kind, konnte sich über»
zeugen, daß sie eine Zeitlang hier wie dort dieselben Wege einschlagen
und zu den gleichen Ergebnissen kommen.Es sind dann biologische Faktoren, die sie von ihren anfänglichen Zielen
ebleuken und selbst aktive, in jedem Sinne männliche, Strebungen in die
Bahnen der Weiblichlreit leiten. Da wir die Zurückfiihrung der Sexual-
erreguog suf die Wirkung bestimmter chemischer Stoffe nicht abweisen
können, liegt zuerst die Erwartung nahe, daß uns die Biochemie eines
Tages einen Stoff darstellen wird, dessen Gegenwart die männliche, und
einen, der die weibliche Sexualerregnng hervorruft Aber diese Hoffnung
scheint nicht weniger naiv als die andere, heute glücklich iiberwundene,
unter dem Mikroskop die Erreger von Hysterie. Zwangsneurose, Melon»
cholie usw, gesondert aufznfinden.Es muß auch in der Sexualchemie etwas komplizierter zugeben. Fiir
die Psychologie ist es aber gleichgültig. ob es einen einzigen sexuell
erregenden Stoff im Körper gibt, oder deren zwei, oder eine Unzahl
duven. Die Psychoanalyse lehrt uns mit einer einzigen Libido auszukonnnen,Int. Zeitrchr. (. Pryclioanilyse, XVIII; zz
S.
330 Sign. Freud
die allerdings aktive und passive Ziele, also Befriedigungsarten, kennt. In
diesem Gegensatz, vor allem in der Existenz von Libidostreliungen mi,
passiven Zielen, ist der Rest des Problems enthalten.IV
Wenn man die analytische Literatur unseres Gegenstandes einsieht,
überzeugt man sich, daß alles. was ich hier ausgeführt habe. dort bereit.
gegeben ist. Es wäre unuiitig gewesen, diese Arbeit zu veröffentlichen,
wenn nicht auf einem so schwer zugänglichen Gebiet jeder Bericht über
eigene Erfahrungen und persönliche Auffassungen wertvoll sein könnte.
Auch habe ich manches schärfer gefaßt und sorgfältiger isoliert. In einigen
der anderen Abhandlungen wird die Darstellung unübersichtlich infolge
der gleichzeitigen Erörterung der Probleme des Über-Ichs und des Schuld-
gel'ühls. Dem bin ich ausgewichen. ich habe bei der Beschreibung der
verschiedenen Ausgänge dieser Entwicklungsphase auch nicht die Komplika»
tionen behandelt, die sich ergeben, wenn das Kind infolge der Ent-
Aäuschung am Vater zur uufgelassenen Mutterbindung zurückkehrt oder
nun im Laufe des Lebens wiederholt von einer Einstellung zur anderen
herüberwechselt. Aber gerade. weil meine Arbeit nur ein Beitrag ist unter
anderen, darf ich mir eine eingehende Würdigung der Literatur ersparen
und kann mich darauf beschränken, bedeutsamere Ubereinstimmungen mit
einigen und wiehtigere Abweichungen von anderen dieser Arbeiten
hervorzuheben.In die eigentlich nach unübertmffene Schilderung Abrahams der
„Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes“ (Internat. Zeitschr.
{, PsA., VII, rgeil möchte man gerne das Moment der anfanglieh aus-
schließlichen Mutterbindung eingefügt wissen. Der wichtigen Arbeit von
Jeanne1 Lampl-de Great“ muß ich in den wesentlichen Punkten
zustimmen. Hier wird die volle Identität der präödipalen Phase bei
Knaben und Mädchen erkannt. die sexuelle (phallische) Aktivität des
Mädchens gegen die Mutter behauptet und durch Beobachtung erwiesen.
Die Abwendung von der Mutter wird auf den Einfluß der zur Kenntnis
genommenen Kastration zurückgeführt, die das Kind dazu nötigt, das
Sexualobjekt und damit auch oft die 0nanie aufzugeben, fiir die ganze
Entwicklung die Formel geprägt. daß das Mädchen eine Phase desi Nach dem Wunsch der Autorin lrerrigiere ich so ihren Namen, der in der
zeitschritt als n. L. de Gr. angeführt itt.e) zur Entwicklungsgeschichte des Ödipusknmplexei der Frau. Internat. Zeitschr.
f. pen. XIII (im).S.
Uber die weihlid1e Sexualität 331
"negativen“ Ödipuskumplexeli durchrnaelrt, ehe sie in den positiven ein-
treten kann. Eine Unzulänglichkeit dieser Arbeit finde ich darin, daß sie
‚ne Abwendung von der Mutter als bloßen Objektwechsel darstellt und
nicht darauf eingeht. daß sie sich unter den deutlichsten Zeichen von
Feindseliglteit vollzieht. Diese Feindseligkeit findet volle Würdigung in
der letzten Arbeit von Helene Deutsch (Der femintne Masarlrisrnus
und seine Beziehung zur Frigidität Internat. Zeitschr. f. PsA.‚ XVI, 193,0),
woselbst auch die phallische Aktiv ät des Mädchens und die Intensität
reiner Mutterbindung anerkannt werden. H, Deutsch gibt auch ein,
daß die Wendung zum Vater auf dem Weg der (bereits bei der Mutter
„ge gewordenen) passiven Strehungen geschieht. In ihrem früher (rga5)
veröffentlichten Buch „psyeheanalyse der weiblichen Sexualfunktianen“
hatte die Autorin sich von der Anwendung des Ödipusschemas auch auf
die präödipale Phase noch nicht frei gemacht und darum die phalliselte
Aktivität des Mädchens als Identifizierung mit dem Vater gedeutet.Fenichel (Lu! prägenitalen Vargesehiehte des ödipuslrornpleres‚ Inter-
net. Zeitschr. f. PsA.‚ XVI, 1930) betont mit Recht die Schwierigkeit, zu er-
kennen. was von dem in der Analyse erhobenen Material unveränderter
Inhalt der präödipalen Phase und was daran regressiv (oder anders) entstellt
ist. Er anerkennt die phallische Aktivität des Mädchens nach Jeanne
Lernpl— de Grant nicht, verwahrt sich auch gegen die von Melanie
Klein (Frühstadien des Ödipuskonflilttes, Internat. Zeitschr.f. PsA..XIV‚1928
u.a.a. o.) vorgenommene „Vorverlegung“ des Odipusltanrpletes‚ dessen Be-
ginn sie schon in den Anfang des zweiten Lebensjahres versetzt. Diese Zeit-
bestinarnung, die notwendigerweise auch die Auffassung aller anderen Ver
hältnisse der Entwicklung verändert, deckt sich in der Tat nicht mit den
Ergebnissen der Analyse an Erwachsenen und ist besonders unvereinbar mit
meinen Befunden von der langen Andauer der präödip'dlen Mutterbindung
der Mädchen. Einen Weg zur Milderung dieses Widerspruches weist die
Bemerkung, daß wir auf diesem Gebiet noch nicht zu unterscheiden vermögen,
was durch biologische Gesetze starr festgelegt und was unter dem Einfluß
akzidentellen Erleben; beweglich und veränderlich ist. Wie es von der
Wirkung der Verführung langst bekannt ist, können aueh andere Momente,
der Zeitpunkt der Geburt von Geschwistern, der Zeitpunkt der Entdeckung
des Geschlechtsunterscbieds, die direkte Beobachtung des Geschlechtsverkehrli,
das werbende oder ubwelsencle Benehmen der Eltern u. a., eine Beschleuni—
gung und Reifung der kindlichen Sexualentwicklung herbeifiihren.Bei manchen Autoren zeigt sich die Neigung, die Bedeutung der ersten
ursprünglichsten Libtdnregungen des Kindes zugunsten späterer Entwicklungs—
vurgänge herabzudrtielren, so daß jenen — extrem ausgedrückt—die Rolle ver—zn“
S.
332 Signl. Freud: Uber die weiblidie Sexualität
bliebe, nur gewisse Richtungen anzugeben, während die Intensitäten, welche
diese Wege einsehlagen, von späteren Regressionen und Reaktionsbildungen
bestritten werden. 50 z, B. wenn K. Horn ey (Flucht aus der Weiblichlteit,
Internat. Zeitschr. f, PsA.‚ XII, ige6) meint, daß tler primäre Penisneid des
Mädchens von uns weit überschätzt wird, während die Intensität des später
entfalteten Männlichkeitsstrebens einem sekundären Penisneid zuzuschreiben
ist, der zur Abwehr der weiblichen Regungen, speziell der weiblichen
Bindung an den Vater, gebraucht wird, Das entspricht nicht meinen Ein-
drücken 30 sicher die Tatsache späterer Verstärkungen durch Regression und
Reaktionsbildung ist, so schwierig es auch sein mag, die relative Abschätzung
der zusammenströmenden Libidokompanenten vorzunehmen, so meineich doch,
wir sollen nicht übersehen, daß jenen ersten Libidoregungen eine Intensität
eigen ist, die allen späteren überlegen bleibt, eigentlich inkommensurabel ge-
nannt werden darf. Es ist gewiß richtig, daß zwischen der Vaterbindung und dem
Männlichkeitsknmplex eine Gegensätzlichkeit besteht, — es ist der allgemeine
Gegensatz zwischen Aktivität undPassi t,Männlichkeit und Weiblichkeit,—
aber er gibt uns kein Recht, anzunehmen, nur das eine sei primär, das
andere verdanke seine Stärke nur der Abwehr. Und wenn die Abwehr
gegen die Weiblichkeit so energisch ausfallt, woher kann sie sonst ihre
Kraft beziehen als aus dem Männlichkeitsstmben, das seinen ersten Aus«
druck im Penisneit'l des Kindes gefunden hat. und darum nach ihm benannt
zu werden verdient?Ein ähnlicher Einwand ergibt sich gegen die Auffassung von Jane»
(Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität, Internat. Zeitschr. {. PsA„
XIV. 1928), nach der das phallische Stadium bei Mädchen eher eine
sekundäre Schutzreaktion sein soll als ein wirkliches Entwicklungstadium.
Das entspricht weder den dynamischen noch den zeitlichen Verhältnissen.
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