Über die weibliche Sexualität 1931-002/1931
  • S.

    Über die weibliche Sexualität

    Von
    Sigm. F r e u d

    I

    In der Phase des normalen Ödipuskomplexes finden wir das Kind an
    den gegengesehleehtliehen Elternteil zärtlich gebunden, während im
    Verhältnis zum gleichgeschlenhtlichen die Feindseligkeit. vorwiegt. Es macht
    uns keine Schwierigkeiten, dieses Ergebnis für den Knaben abzuleiteu
    Die Mutter war sein erstes Liebesobjekt; sie bleibt es, mit der Verstärkung
    reiner verliebten Strebungen und der tieferen Einsicht in die Beziehung
    zwischen Vater und Mutter muß der Vater zum Rivalen werden. Anders
    für das kleine Mädchen. Ihr erstes Objekt war doch auch die Mutter;
    wie findet sie den Weg zum Vater? Wie, wann und warum macht sie
    rich von der Mutter los? Wir haben längst verstanden, die Entwicklung
    der weiblichen Sexualität werde durch die Aufgabe kompliziert, die
    ursprünglich leitende genitale Zone. die Klitoris, gegen eine neue, die
    Vagina, aufzugeben. Nun erscheint uns eine zweite solche Wandlung, der
    Umtausch des ursprünglichen Mutterobjekts gegen den Vater, nicht weniger
    charakteristisch und bedeutungsvoll für die Entwicklung des Weiber. In
    welcher Art: die beiden Aufgaben mit einander verknüpft sind, können
    wir noch nicht erkennen.

    Frauen mit starker Vaterhindung sind bekanntlich sehr häufig; sie
    brauchen auch keineswegs neurotisch tu sein, An solchen Frauen habe
    ich die Beobachtungen gemacht, über die ich hier berichte und die mich
    zu einer gewissen Auffassung der weiblichen Sexualität veranlaßt haben
    Zwei Tatsachen sind mir da vor allem aufgefallen Die erste war: wo
    eine besonders intensive Vaterbindung bestand, da hatte es nach dem
    Zeugnis der Analyse vorher eine Phase von ausschließlicher Mutterbindung
    gegeben von gleicher Intensität und Leidenschaftlichkeit. Die zweite
    Phase hatte bis auf den Wechsel des Objekts dern Liebesleben kaum
    einen neuen Zug hinzugefügt. Die primäre Mutterbeziehung war sehr
    reich und vielseitig ausgebaut gewesen,

  • S.

    318 Sigm. Freud

    Die zweite Tatsache lehrte, daß man auch die Zeitdauer dieser Mutter—
    bindung stark unterschätzt hatte. Sie reichte in mehreren Fällen bis weit
    im vierte, in einem bis ins fünfte Jahr, nahm also den bei weitem
    längeren Anteil der sexuellen Frühhlüte ein. Ja, man mußte die Möglich.
    keit gelten lassen, daß eine Anzahl von weiblichen Wesen in sie,
    ursprünglichen Mutterbindung stecken bleibt und es niemals zu einer
    richtigen Wendung zum Manne bringt.

    Die prüiidipale Phase des Weiher rückt hiemit zu einer Bedeutung auf,
    die wir ihr bisher nicht zugeschrieben haben,

    Da sie für alle Fixierungen und Verdrangungen Kaum hat, auf die wir
    _ die Entstehung der Neurosen zurückfiihren, scheint es erforderlich, die

    Allgemeinheit des Satzes, der Ödipuskomplex sei der Kern der Neurnse‚
    zurückzunehmen. Aber wer ein Sträuben gegen diese Korrektur rerspürt,
    ist nicht genütigt, sie zu machen Einerseits kann man dem Ödipm—
    komplex den weiteren Inhalt geben, daß er alle Beziehungen des Kindes
    zu beiden Eltern umfaßt, anderseits kann man den neuen Erfahrungen
    auch Rechnung tragen, indem man sagt, das Weib gelange zur normalen
    positiven Ödipussituat'iorl erst. nachdem es eine vom negativen Knmplex
    beherrschte Vorzeit überwunden. Wirklich ist während dieser Phase der
    Vater für das Mädchen nicht viel anderes als ein lastiger Rivale, wenngleich
    die Eeindseligkeit gegen ihn nie die fiir den Knaben charakterische Höhe
    erreicht. Alle Erwartungen eines glatten Parallelismus zwischen männlicher
    und weiblicher 5erualentwicklung haben wir ja längst aufgegeben,

    Die Einsicht in die präödipale Vorzeit des Mädchens wirkt als Über—
    raschung, ähnlich wie auf anderem Gebiet die Aufdeckung der minoisch-

    mykenischen Kultur hinter der griechischen,

    Alles auf dem Gebiet dieser ersten Mutterbindung erschien mir so
    schwer analytisch zu erfassen, so altersgrau, schattenhaft, kaum wieder
    belebbar, als ob es einer besonders unerbittlichen Verdrängung erlegen
    wäre. Vielleicht kam dieser Eindruck aber davon, daß die Frauen in der
    Analyse bei mir an der nämlichen Vaterbindung festhalten konnten, zu
    der sie sich aus der in Rede stehenden Varzeit gefliichtet hatten. Es
    scheint wirklich, daß weibliche Analytiker, wie Jeanne L ampl» de Gro 0!
    und Helene Deutsch, diese Tatbestände leichter und deutlicher wahr-
    nehmen konnten, weil ihnen bei ihren Gewährspersonen die Übertragung
    auf einen geeigneten Mutterersatz zur Hilfe kam. Ich habe es auch nicht
    dahin gebracht, einen Fall vollkommen zu durchschauen, beschränke mich
    daher auf die Mitteilung der allgemeinsten Ergebnisse und führe nur
    wenige Proben aus meinen neuen Einsichten an. Dahin gehört, daß diese
    Phase der Mutterbindung eine besonders intime Beziehung zur Ätiologie

  • S.

    Uber die weiblidre Sexualität 319

    der Hysterie vermuten läßt, was nicht überraschen kann, wenn man
    erwägt, daß beide, die Phase wie die Neumse, zu den besonderen
    Charakteren der Weihlichkeit. gehören, ferner auch, daß man in dieser
    Mutterabhängigkeit den Keim der späteren Paranoia des Weibes findet)
    Denn dies scheint die überraschende, aber regelmäßig angetrofl'ene Angst,
    von der Mutter umgebracht (aufgefreiisen ?) zu werden, wohl zu rein. Es
    liegt nahe, anzunehmen, daß diese Angst. einer Feindseligkeit entspricht,
    die sich im Kind gegen die Mutter infolge der vielfachen Einschränkungen
    der Erziehung und Körperpflege entwickelt, und daß der Mechanismus der
    Projektion durch die Frühzeit der psychischen Organisation begünstigt wird.

    ll

    Ich habe die beiden Tatsachen vorangertellt, die mir als neu aufge-
    fallen sind, daß die Starke Vaterahhängigkeit des Weibes nur das Erbe
    einer ebenso starken Mutterhindung antritt und daß diese frühere Phase
    durch eine unerwartet lange Zeitdauer angehalten hat. Nun will ich
    zurückgreifen, um diese Ergebnisse in das uns hekannt gewordene Bild
    der weiblichen Sexualentwicklung einzureihen, wobei VVicderholu1-tgen nicht
    zu vermeiden sein werden. Die fortlaufende Vergleichung rnit den Ver-
    hältnisseu beim Manne kann unserer Darstellung nur förderlich sein.

    Zunächst ist es unverkennbar, daß die fiir die menschliche Anlage
    behauptete Bisexualität heim Weib viel deutlicher hervortritt als beim
    Mann. Der Mann hat doch nur eine leitende Geschlechtszone, ein Ge-
    rehlechtsorgan, während das Weib deren zwei besitzt: die eigentlich
    weibliche Vagina und die dem männlichen Glied analoge Klituris. Wir
    halten uns für berechtigt anzunehmen, daß die Vagina durch lange Jahre
    so gut wie nicht vorhanden ist, vielleicht erst zur Zeit der Pubertät
    Empfindungen liefert. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Stimmen
    tler Beehachter, die vaginale Regnngen aueh in diese frühen Jahre ver—
    legen. Das Wesentliche, was also an Genitalität in der Kindheit vergeht, muß
    !ich beim Weihe an der Klitoris abspielen. Das Geschlechtsleben des Weißes
    zerfällt regelmäßig in zwei Phasen, von denen die erste männlichen
    Charakter hat; erst die zweite ist die spezifisch weibliche. In der weib-
    lichen Entwicklung gibt er so einen Prozeß der Überführung der einen
    Phase in die andere, dem beim Manne nichts analog ist, Eine weitere
    Komplikation entsteht daraus, daß sich die Funktion der vii'ilen Klitoris

    r) In dem bekannten Fall van Ruth Muck-Brunswiek (Die Analyse einer
    Eifersuchtswahnes, Int. Zeitschr. f. Perl, XIV, igzs> geht die Affeku'an direkt ein der prä—
    ödipalen (Schwester—) Fixierung hervor.

  • S.

    320 Sigm. Freud

    in das spätere weibliche Geschlechtsleben {erneut in einer sehr wech—
    selnden und gewiß nicht befriedigend verstandenen Weise. Natürlich
    wissen wir nicht, wie sich diese Besonderheiten des Weiber biologisch
    begründen; noch weniger können wir ihnen teleolngische Absicht unterlege„.

    Parallel dieser ersten großen Differenz läuft die andere auf dem Gebiet
    der Objektfintlung. Beim Manne wird die Mutter zum ersten Liebesohieln
    infolge des Einflusses von Nahrungrrnfuhr und Körperpflege, und sie bleibt
    es, bis sie durch ein ihr wesensähnliches oder von ihr abgeleitetes ersetzt
    wird, Auch beim Weib muß die Mutter das erste Objekt sein. Die U:-
    bedingungen der Objektwahl sind ja für alle Kinder gleich. Aber am
    Ende der Entwicklung soll der Mann—Vater das neue Lieberohjelrt
    geworden sein, d. h, dem Geschlechtswechsel des Weibes muß ein Wechsel
    im Geschlecht des Objekts entsprechen. Als neue Aufgaben der Forschung
    entstehen hier die Fragen, auf welchen Wegen diese Wandlung vor
    sich geht, wie gründlich oder unvollkoulmen sie vollzogen wird. welche
    verschiedenen Möglichkeiten sich bei dieser Entwicklung ergehen.

    Wir haben auch bereits erkannt. daß eine weitere Differenz der
    Geschlechter sich auf das Verhältnis zum Ödipuskomplex bezieht. Unser
    Eindruck ist hier, daß unsere Aussagen über den Ödipnskornplex in voller
    Strenge nur für das männliche Kind passen, und daß wir Recht daran
    haben, den Namen Elektrakornplex abzulehnen, der die Analogie im Ver-
    halten beider Geschlechter betonen will. Die schieksalhafte Beziehung von
    gleichzeitiger Liebe zu dem einen und Rivalitätshaß gegen den anderen
    Elternteil stellt sich nur für das männliche Kind her. Bei diesem ist es
    dann die Entdeckung der Kastrationsmöglichkeit, wie sie durch den An-
    blick des weiblichen Genitales erwiesen wird. die die Umbildung des
    Ödipllskomplexes erzwingt, die Schaffung der Uber»lehr herbeifiihrt und
    so all die Vorgänge einleitet, die auf die Einreihung des Einzelwesens in
    die Kulturgemeinsehaft abzielen Nach der Verinnerlichung der Vater-
    iustanz zum Über—Ich ist die weitere Aufgabe zu lösen, dies letztere von
    den Personen abzulösen, die es ursprünglich seelisch vertreten hat. Auf
    diesem merkwürdigen Entwicklungsweg ist gerade das narzißtische Genitdl-
    interesse, das an der Erhaltung des Penis, zur Einschränkung der infantilen
    ‘exualität gewendet werden.

    Beim Marine erübrigt vom Einfluß des Kastrationskornplexes auch ein
    Mail von Geringschätzung fiir das als kastriert erkannte Weib. Aus dieser
    entwickelt sich im Extrem eine Hemmung der Objektwahl und bei
    Unterstützung durch organische Faktoren ausschließliche Homosexualität
    Ganz andere sind die Wirkungen des Kastrationskomplexes beim Weib.
    Das Weib anerkennt die Tatsache seiner Kastration und damit auch die

  • S.

    Uber die welblldie Sexualität 321

    Ubgrlegenheit des Mannes und seine eigene Minderwcrtiglteit, aber es
    „- bt sich auch gegen diesen unliebsamen Sachverhalt. Aus dieser zwie-
    spült.igen Einstellung leiten sich drei Entwicklungsrichtungen ab. Die erste
    führt zur allgemeinen Abwendung von der Sexualität. Das kleine Weib,
    durch den Vergleich mit dem Knaben geschrecltt, wird mit seiner Klitoris
    unzufrieden, verzichtet auf seine phallisehe Betätigung und damit auf die
    Sexualität überhaupt wie auf ein gutes Stück seiner Männlichkeit auf
    mderen Gebieten, Die zweite Richtung halt in trotziger Selbstbehauptung
    an der bedrohten Männlichkeit fest; die Hoffnung, noch einmal einen
    Penis zu bekommen, bleibt bis in unglaublich späte Zeiten aufrecht, wird
    zum‚Lebenszweek erhoben, und die Phantasie, trotz alledem ein Mann zu
    nein, bleibt oft gestaltend für lange Lebensperioden. Auch dieser „Männ-
    lichkeitskomplex“ des Weibes kann in manifest homosexuelle Objektw'dhl
    ausgehen, Erst eine dritte, recht umwegige Entwicklung mündet in die
    normal weibliche Endgestaltung aus, die den Vater als Objekt nimmt und
    so die weibliche Form des Örlipuskomplexes findet. Der Ödipuskomplex
    irt also beim Weib das Endergebnis einer längeren Entwicklung, er wird
    durch den Einfluß der Kastration nicht zerstört, sondern durch ihn ge—
    schaffen, er entgeht den starken feindlichen Einflüssen, die beim Mann
    cant"rend auf ihn einwirken, ja, er wird allzuhäufig vom Weib iiherhaupt
    nicht überwunden. Darum sind auch die kulturellen Ergebnisse seines
    Zerfalls geringfügiger und weniger belangreich. Man geht wahrscheinlich
    nicht fehl, wenn man aussagt, daß dieser Unterschied in der gegenseitigen
    Beziehung von Ödipus- und Kastrationskumplex den Charakter des
    Weibes als soziales Wesen prägt,‘

    Die Phase der ausschließlichen Mutterbindung, die [] r ä ö dip al genannt
    werden kann, beansprucht also beim Weib eine weitaus größere Bedeutung,
    ils ihr beim Mann zukommen kann. Viele Erscheinungen des weiblichen
    Sexuellebens, die früher dem Verständnis nicht recht zugänglich waren,
    finden in der Zurückführung auf sie ihre volle Aufklärung. Wir haben
    z, B. längst bemerkt. daß viele Frauen, die ihren Mann nach dem Vater-

    “ Man kann vorhersehen. daB die Feministen unter der. Mrinnern. aber auch
    unsere wcihhchcn Analytiker mit diesen Ausführungen nicht einverstanden sein
    werden. Sle dürften kaum die Einwendung auriicltltalten, sulclie Lehren stammen
    aus dem „Männlichkeitskomplex“ des Mannes und sollen dem dienen, seiner ange-
    horenen Neigung zur Herabsetzung und Unterdrückung des Weibes eine theoretische
    Rechtfertigung zu schaffen. Allein eine sclchc psyehuanalytlsclie Argumentatian
    mahnt in diesem Falle, wie so häufig. an den berühmten „Stock mit zwei Enden“
    Dcrtajewskis. Die Gegner werden es ihrerseits begreiflich linden, daß das Geschlecht
    der Frauen nicht annehmen will, was der heiß begehrten Gleichstellung mit dem
    Marine zu widersprechen scheint. Die agnnale Verwendung der Analyse führt atten-
    h.r nicht zur Entscheidung.

  • S.

    m Sigm. Freud

    'vorbild gewählt oder ihn an die Vaterstelle gesetzt haben. doch in der
    Ehe an ihm ihr schlechtes Verhältnis zur Mutter_wiederholen. Er Sollte
    die Vaterbeziehung erben und in Wirklichkeit erbt er die Mutterbeziehung_
    Das versteht man leicht als einen nahe liegenden Fall von Regressio„_
    Die Mutterbeziehung war die ursprüngliche, auf sie war die Vaterhimlung
    aufgebaut. und nun kommt in der Ehe das Ursprünglichc aus der ve,„
    drängnng zum Vorschein. Die Überschreiburlg affektiver Bindungen „„m
    Mutter auf das Vaterobjekt bildete ja den Hauptinhalt der zum Weibtum
    führenden Entwicklung.

    Wenn wir bei so vielen Frauen den Eindruck bekommen. da]! ihre
    Reifezeit vom Kampf mit dem Ehemann ausgefüllt wird, wie ihre Jugend
    im Kampf mit der Mutter verbracht wurde. so werden wir im Licht der
    vorstehenden Bemerkungen den Schluß ziehen, daß deren feindselige Ein»
    stellung zur Mutter nicht eine Folge der Rivalität des Öflipusltomplexes
    ist, sondern aus der Phase vorher stammt und in der Ödipussituation nur
    Verstärkung und Verwendung erfahren hat. So wird es auch durch direkte
    analytische Untersuchung bestätigt. Unser Interesse muß sich den Mecha—
    nismen zuwenden, die bei der Ahwendung von dem so intensiv und aus-
    schließlich geliebten Mutterobiekt wirksam geworden sind. Wir sind darauf
    vorbereitet. nicht ein einziges solches Moment, sondern eine ganze Reihe
    von solchen Momenten zu finden, die zum gleichen Endziel zusammen-
    wirken,

    Unter ihnen treten einige hervor, die durch die Verhältnisse der in—
    fantilen Sexualität überhaupt bedingt sind, also in gleicher Weise fiir das
    Liebesleben des Knaben gelten. In erster Linie ist hier die Eifersucht auf
    andere Personen zu nennen, auf Geschwister, Rivalen, neben denen auch
    der Vater Platz findet. Die kindliche Liebe ist maßlos, verlangt Ausschließ-
    lichkeit, gibt sich nicht mit Anteilen zufrieden Ein zweiter Charakter ist
    aber, daß diese Liebe auch eigentlich ziellus‚ einer vollen Befriedigung
    unfähig ist, und. wesentlich darum ist sie dazu verurteilt, in Enttäuschung
    auszugehen und einer feindseligen Einstellung Platz zu machen. In späteren
    Lebenszeiten kann das Ausbleiben einer Entlbefriedigung einen anderen
    Ausgang hegiinstigen. Dies Moment mag wie hei den zielgehernmten
    Liebesheziehungen die ungestörte Fortdauer der Libidobesetzung versichern,
    aber im Drang der Entwicklungsvorgänge ereignet es sich regelmäßig, daß
    die Libido die unbefliedigende Position verläßt, um eine neue aufzu'
    suchen.

    Ein anderes weit mehr spezifisches Motiv zur Abwendung von der
    Mutter ergibt sich aus der Wirkung des Kastratiunskumplexes auf das
    penislose Geschöpf. Irgenrl einmal macht das kleine Mädchen die Ent-

  • S.

    Uher die weiblidre Sexualität 323

    „kung seiner organischen Minderwertigkeit, natürlich früher und leichter,
    wenn es Brüder hat oder andere Knaben in der Nähe sind. Wir haben
    „bon gehört. welche drei Richtungen sich dann voneinander scheiden:
    ‚) die zur Einstellung des ganzen Sexuallebens; b) die zur trotzigen Uber—
    betonuug der Männlichkeit; c) die Ansätze zur endgiihigen Weiblichkeit.
    Genauere Zeitangaben zu machen und typische Verlaufsweisen festzulegen,
    ist hier nicht leieht. Schon der Zeitpunkt der Entdeckung der Kastration
    ist wechselnd, manche andere Momente scheinen inkonstant und vom Zufall
    abhängig. Der Zustand der eigenen phallischen Betätigung kommt in
    Betracht, ebenso ob diese entdeckt wird oder nicht, und welches Maß von
    Verhinderung nach der Entdeckung erlebt wird,

    Die eigene phallische Betätigung, Masturbation an der Klitoris, wird
    vom kleinen Mädchen meist spontan gefunden. ist gewiß zunächst phantasie-
    lot. Dem Einfluß der Körperpflege an ihrer Erweekung wird durch die
    lo häufige Phantasie Rechnung getragen, die Mutter, Arnnae oder Kinder—
    frau zur Verführerin macht. Ob die Onanie der Mädchen seltener und von
    Anfang an weniger energisch ist als die der Knaben, bleibt dahingestellt,
    es wäre wohl möglich. Auch wirkliche Verführung ist häufig genug, sie
    geht entweder von anderen Kindern oder von Pflegepersonen aus, die das
    Kind beschwichtigen, einschläfern oder von sich abhängig machen wollen,
    Wa Verführung einwirkt, stört sie regelmäßig den natürlichen Ablauf der
    Entwicklungsvorgänge; oft hinterläßt sie weitgehende und andauernde
    Konsequenzen.

    Das Verbot der Masturbation wird, wie wir gehört haben. zum Anlaß,
    sie aufzugeben, aber auch zum Motiv der Auflehnung gegen die verhietende
    Person, also die Mutter oder den Mutterersatz, der später regelmäßig mit
    ihr versehrnilzt. Die trotzige Behauptung der Masturbation scheint den
    Weg zur Männlichkeit zu eröffnen. Auch wo es dem Kind nicht gelungen
    ist, die Masturbation zu unterdrücken, zeigt sich die Wirkung des anscheinend
    machtlosen Verbote in seinem späteren Bestreben, sich mit allen Opfern
    von der ihm verleideten Befriedigung frei zu machen, Nach die Objektwahl
    des reifen Mädchens kann von dieser festgehaltenen Absicht beeinflußt
    werden, Der Groll wegen der Behinderung in der freien sexuellen Betätigung
    spielt eine große Rolle in der Ablösung von der Mutter. Dasselbe Motiv
    wird auch nach der Pubertät wieder zur Wirkung kommen, wenn die
    Mutter ihre ‚Pflicht erkennt, die Keuschheit der Tochter zu behüten. Wir
    werden natürlich nicht daran vergessen, daß die Mutter der Masturbation
    des Knaben in gleicher Weise entgegentritt und somit auch ihm ein
    starkes Motiv zur Auflehnung schafi"t.

    Wenn das kleine Mädchen durch den Anblick eines männlichen Geni-

  • S.

    314 Sigm. Freud

    tules seinen eigenen Defekt erfährt. nimmt sie die unerwünschte Beleh.
    rung nieht ohne Zögern und ohne Sträuhen an. Wie wir gehört haben,
    wird die Erwartung, auch einmal ein solches Genitale zu bekommen,
    hartnäckig festgehalten, und der Wunsch danach überlebt die Hoffnung
    noch um lange Zeit, In allen Fällen hält das Kind die Kastration zu»
    nächst nur fiir ein individuelles Mißgeschick, erst später dehnt es dieselbe
    auch auf einzelne Kinder, endlich auf einzelne Erwachsene aus. Mit de,
    Einsicht in die Allgemeinheit dieses negativen Charakters stellt sich eine
    große Eritwertung der Weiblichkeit, also auch der Mutter, her.

    Es ist sehr wohl möglich, daß die vorstehende Schilderung, wie sich
    das kleine Mädchen gegen den Eindruck der Kastration und das Verbot
    der Onanie verhält, dem Leser einen verworrenen und widerspruchsvollen
    Eindruck macht. Das ist nicht ganz die Schuld des Autors. In Wirklichkeit
    ist eine allgemein zutreffende Darstellung kaum möglich. Bei verschiedenen
    Individuenfindetman dieverschiedensten Reaktionen, bei demselbenlndividuum
    bestehen die entgegengesetzten Einstellungen nebeneinander, Mit dem ersten
    Eingreifen des Verbots ist der Konflikt da, der von nun an die Entwicklung
    der Sexualfunkrion begleiten wird.. Es bedeutet auch eine besondere
    Erschwerung der Einsicht, daß man so große Mühe hat. die seelischen
    Vorgänge dieser ersten Phase von späteren zu unterscheiden, durch die rie
    überdeckt und für die Erinnerung entstellt werden. So wird z, B. später
    einmal die Tatsache der Kastration als Strafe für die unanistische Betätigung
    aufgefaßt, deren Ausführung aber dem Vater zugeschoben, was beides
    gewiß nicht ursprünglich sein kann, Aueh der Knabe befürchtet die
    Kastration regelmäßig von seiten des Vaters, obwohl auch bei ihm die
    Drohung zumeist von der Mutter ausgeht.

    Wie dem auch sein mag, am Ende dieser ersten Phase der Mutter—
    bindung taucht als das stärkste Motiv zur Abwendung von der Mutter
    der Vorwurf auf, daß sie dem Kind kein richtiges Genitale mitgegeben,
    d, h. er als Weib geboren hat. Nicht ohne Überraschung vernimmt man einen
    anderen Vorwurf, der etwas weniger weit zurückgreift: die Mutter hat
    dem Kind zu wenig Milch gegeben, es nicht lange genug genährt. Dat
    mag in unseren kulturellen Verhältnissen recht oft zutrefi'en, aber gewiß
    nicht so oft, als es in der Analyse behauptet wird. Es scheint vielmehn
    als sei diese Anklage ein Ausdruck der allgemeinen Unzulriedenheit der
    Kinder, die unter den kulturellen Bedingungen der Mnnngarnie nach
    sechs bis neun Monaten der Mutterbrust cntwöhnt werden, während die
    primitive Mutter sich zwei bis drei Jahre lang ausschließlich ihrem Kind!
    widmet, als wären unsere Kinder,für immer ungesättigt geblieben, &“
    hätten sie nie lang genug an der Mutterbrust gesogen. Ich bin aber nicht

  • S.

    Uber die weibliche Sexualität 325

    „chen „1, man nicht hei der Analyse von Kindern, die solange gesäugt
    werden sind wie die Kinder der Primitiven, auf dieselbe Klage stoßen
    würde. So groß ist die Gier der kindlichen Libido! Überblickt man die
    ganze Reihe der Motivierungen, welche die Analyse fiir die Ahweridung
    von tler Mutter aufdeckt, daß sie es unterlassen hat, das Mädchen mit
    dem einzig richtigen Genitale auszuslattcn, daß sie es ungenügend ernährt
    hat‘ es gezwungen hat, die Mutteriiebe mit anderen zu teilen, daß sie nie
    alle Liebeserwartungen erfüllt, und endlich. daß sie die eigene Sexuelle
    betätigung zuerst angeregt und dann verboten hat, so scheinen sie alle
    zur Rechtfertigung der endlichen Feindseligkeit unzureichend. Die einen
    von ihnen sind unverrneidliche Abfolgen aus der Natur der infiintilen
    Sexualität, die anderen nehmen sich aus wie später zurechcgemachte
    Rationalisierungen der unverständenen Gefühlswandlung. Vielleicht geht
    er eher so zu, deli die Mutterhiridung zugrunde gehen muß, gerade darum,
    weil sie die erste und so intensiv ist, ähnlich wie man es so oft an den
    ersten, in stärkster Verliehtheit geschlossenen Ehen der jungen Frauen
    beobachten kann. Hier wie dort wiirde die Liebeseinstellung an den
    unausweichlichcn Enttäuschungen und an der Anhäufung der Anlässe zur
    Aggression scheitern. Zweite Ehen gehen in der Regel weit besser aus.
    Wir können nicht so weit gehen zu behaupten, daß die Ambivalenz
    der Gefühlshesetzungen ein allgemein gültiges psychologischcs Gesetz ist,
    daß es iiberhaupt unmöglich ist. große Liebe für eine Person zu emp—
    finden, ohne daß sich ein vielleicht ebenso grcßer Haß hinzugesellt oder
    umgekehrt. Dem Normalen und Erwachsenen gelingt es ohne Zweifel.
    beide Einstellungen von einander zu sondern, sein Liebesnbjekl: nicht zu
    hassen und seinen Feind nicht auch lieben zu miissen. Aber das scheint
    das Ergebnis spiierer Entwicklungen. In den ersten Phnsen des Liebes-
    lebens ist offenbar die Amhiviilenz das Regelrechte. Bei vielen Menschen
    bleibt dieser archaische Zug über das ganze Leben erhalten, für die
    Zwangsneurotiker ist; es charakteristisch, daß in ihren Objektheziehungen
    Liebe und Haß einander die Waage halten. Auch für die Primitiven
    dürfen wir das Vorwiegen der Amhivalenz behaupten. Die intensive
    Bindung des kleinen Mädchens an seine Mutter müßte also eine stark
    ambivalente sein und unter der Mithilfe der anderen Momente gerade
    durch diese Ambivalcnz zur Abwcndung von ihr entschieden werden, also
    wiederum infolge eines allgemeinen Charakters der infantilen Sexualität.
    Gegen diesen Erklärungsversuch erhebt sich sofort die Frage: Wie
    wird es aber den Knaben möglich, ihre gewiß nicht weniger intensive
    Mullerhindung unangefochten festzuhalten? Ebenso rasch ist die Antwort
    bereit: Weil es ihnen ermöglicht ist, ihre Ambivalenz gegen die Mutter

  • S.

    326 - Sigm. Freud

    zu erledigen. indem sie all ihre {eindseligen Gefühle beim Vater unter.
    bringen. Aber erstens soll man diese Antwort nicht geben. ehe man die
    präödipale Phase der Knaben eingehend studiert hat, und zweitens ist es
    wahrscheinlich überhaupt vorsichtiger, sich einzugestehen, daß man diese
    Vorgänge, die man eben kennen gelernt hat, noch gar nicht gut durchsehaut‚

    III

    Eine weitere Frage lautet: Was verlangt das kleine Mädchen vor. der
    Mutter? Welcher Art sind seine Sexualziele in jener Zeit der ausschließlichen
    Mutterbindung? Die Antwort, die man aus dem analytischen Material
    entnirnmt, stimmt ganz mit unseren Erwartungen überein, Die Sexuab
    ziele des Mädchens bei der Mutter sind aktiver wie passiver Natur, und
    sie werden durch die Libidophasen bestimmt, die das Kind durchläuft,
    Das Verhältnis der Aktivität zur Passivität verdient hier unser besonderes
    Interesse. Es ist leicht zu beobachten, daß auf jedem Gebiet des seelischen
    Erlebens, nicht nur auf dem der Sexualität, ein passiv empfangener Ein
    druck beim Kind die Tendenz zu einer aktiven Reaktiun hervorruft. Es
    versucht das selbst zu machen, was vorhin an oder mit ihm gemacht
    werden ist. Es ist das ein Stück der Bewältigungsarheit an der Außen—
    welt, die ihm auferlegt ist, und kann selbst dazu führen, daß es sich um
    die Wiederholung solcher Eindrücke bemüht, die es wegen ihres peinlichen
    Inhalts zu vermeiden Anlaß hätte. Auch das Kinderspiel wird in den
    Dienst dieser Absicht gestellt, ein passives Erlebnis durch eine aktive
    Handlung zu ergänzen und es gleichsam auf diese Art aufzuhebcn. Wenn
    der Doktor dem sich sträubenden Kind den Mund geöffnet hat, um ihm
    in den Hals zu schauen, so wird nach seinem Fortgehen das Kind den
    Doktor spielen und die gewalttätige Prozedur an einem kleinen Geschwister-
    chen wiederholen, das ebenso hilflos gegen es ist, wie es selbst gegen den
    Doktor war. Eine Auflehnung gegen die Passivität und eine Bevorzugung
    der aktiven Rolle ist dabei unverkenrlban Nicht bei allen Kindern wird
    diese Schwenkung von der Passivität zur Aktivität gleieh regelmäßig und
    energisch ausfallen, bei manchen mag sie ausbleiben. Aus diesem Ver»
    halten des Kindes mag man einen Schluß auf die relative Stärke der
    Männlichkeit und Weiblichkeit ziehen, die das Kind in seiner Sexualität
    an den Tag legen wird.

    Die ersten sexuellen und sexuell mitbetonten Erlebnisse des Kindes bei
    der Mutter sind natürlich passiver Natur. Es wird von ihr gesäugt, ge-
    füttert, gereinigt, gekleidet und zu allen Verrichtunge'n angewiesen. Ein
    Teil der Libido des Kindes bleibt an diesen Erfahrungen haften und

  • S.

    Uber die weililidre Sexualität 3z7

    genießt die mit ihnen verbundenen Beiricdi ungen, ein anderer Teil
    versucht sich an ihrer Umwendung zur Akt 't. An der Multerbrust
    „;„i zuerst das Gesäugtwerden durch das aktive Saugen abgelöst. In den
    luderen Beziehungen bcgnügt sich das Kind entweder rnit der Selbständigkeit,
    tl, h. mit. dem Erfolg, daß es selbst ausführt, was bisher mit ihm geschehen
    in, oder rnit aktiver Wiederhnlung seiner passiven Erlebnisse im Spiel,
    „der es macht wirklich die Mutter zum Objekt, gegen das es als tätiges
    Subjekt auftritt. Das letztere. was auf dem Gebiet der eigentlichen Be-
    tätigung vor sich geht, erschien mir lange Zeit hindurch unglaublich, bis
    die Erfahrung jeden Zweifel daran widerlegte.

    Man hört selten davon, daß das kleine Mädchen die Mutter waschen,

    rnkleiden oder zur Verriehtung ihrer exkl'ementcllen Bedürfnisse mahnen
    will. Es sagt zwar gelegentlich: jetzt wollen wir spielen, daß ich die
    Mutter hin und du das Kind. —— aber zumeist erfüllt es sich diese aktiven
    Wünsche in indirekter Weise im Spiel mit der Puppe, in dem es selbst
    die Mutter darstellt wie die Puppe das Kind. Die Bevnrzugung des Spiels
    rnit der Puppe heim Mädchen im Gegensatz zum Knaben wird gewöhnlich
    als Zeichen der früh erwachten Werblichkeit aufgefaßt. Nicht mit Unrecht,
    allein man snll nicht iilserschen, daß es die Aktivität der Weihlichkeit ist.
    die sich hier äußert, und daß diese Vorliebe des Mädchens wahrscheinlich
    die Ausschließlichkeit der Bindung an die Mutter bei veller Vernach-
    lässigung des Vatcrobjckts bezengt.

    Die so überraschende sexuelle Aktivität des Mädchens gegen die Mutter
    äußert sich der Zeitfolge nach in oralen, sadistischen und endlich selbst
    phallischen, auf dic Mutter gerichteten Strebungen. Die Einzelheiten sind
    hier schwer zu berichten. denn es handelt sich häufig um dunkle Trielr
    regungen, die das Kind nicht psychisch erfassen konnte zur Zeit, da sie
    v_t_7rfielen, die darum erst. eine nachträgliche Interpretation erfahren haben
    und. dann in der Analyse in Ausdrucksweisen auftreten, die ihnen
    ursprünglich gewiß nicht zuharnen. Mitunter begegnen sie uns als Über
    lregungen auf das spätere Vaterobjekt, wo sie nicht hingehören und das
    Verständnis empfindlich stören. Die aggressiven oralen und sadistisehen
    Wünsche findet man in der Form, in welche sie durch frühzeitige
    Verdrängung genötigt werden, als Angst, von der Mutter umgebracht zu
    werden, die ihrerseits den Todeswunsch gegen die Mutter, wenn er bewußt
    wird, rechtfertigt. Wie oft diese Angst vor der Mutter sich an eine nur
    bewußte Feindseligkeit der Mutter anlehnt, die das Kind err'a't, läßt sich
    nicht angehen, (Die Angst, gefressen zu werden, habe ich bisher nur bei
    Männern gefunden, sie wird auf den Vater bezogen, ist aber wahrscheinlich das
    Verwandlungsprcdukt der auf die Mutter gerichteten oralen Aggression,

  • S.

    328 Sigm, l'reud

    Man will die Mutter auFfressen, von der man sich genährt hat; beim
    Vater fehlt für diesen Wunsch der nächste Anlaß.)

    Die weiblichen Personen mit starker Mutterbindung, an denen ich die
    präödipale Phase studieren konnte, haben übereinstimmenrl berichtet, daß
    sie den Klystieren und Darmeingießungen. die die Mutter bei ihnen „e,.
    nahm, größten Widerstand entgegenzuse'zen und mit Angst und w.".
    geschrei darauf zu reagieren pflegten. Dies kann wohl ein sehr häufiges
    oder selbst regelmäßiges Verhalten der Kinder sein. Die Einsicht in die
    Begründung dieses besonders heftigen Sträubens gewann ich erst durch eine
    Bemerkung von Ruth M ack- Brun swick, die sich gleichzeitig mit den
    nämlichen Problemen beschäftigte, sie möchte den Wutausbruch nach dem
    Klysma dern Orgasmus nach genitaler Reizung vergleichen. Die Angst dahei
    wäre als Umsetzung der rege gemachten Aggressionslust zu verstehen. Ich
    meine, daß es wirklich so ist. und daß auf der sadistischranalen Stufe die
    intensive passive Reizung der Darmzcne durch einen Ausbruch von Agg-ressions—
    lust beantwortet wird, die sich direkt als Wut oder infolge ihrer Unter—
    drückung als Angst kundgiht. Diese Reaktion scheint in späteren Jahren
    zu versiegen,

    Unter den passiven Begungen der phallischen Phase hebt sich hervor,
    daß das Mädchen regelmä g die Mutter als Verführen'n beschuldigt, weil
    sie die ersten oder doch die stärksten genitalen Empfindungen bei den
    Vornahmen der Reinigung und Körperpflege durch die Mutter (oder die sie
    vertretende Pflegeperson) verspiireu mußte. Daß das Kind diese Empfin-
    dungen gerne mag und die Mutter auffordert, sie durch wiederholte
    Berührung und Reibung zu verstärken, ist mir oft von Müttern als
    Beobachtung an ihren zwei- bis dreijährigen Töchterchen mitgeteilt werden
    Ich mache die Tatsache, daß die Mutter dem Kimi so unvermeidlich die
    phallische Phase eröffnet, dafür verantwortlich, daß in den Phantasien
    späterer Jahre so regelmäßig der Vater als der sexuelle Verführer erscheint
    Mit. der Abwendung von der Mutter ist auch die Einführung ins Geschlechts-
    lehen auf den Vater überschrieben worden.

    In der phailischen Phase kommen endlich auch intensive aktive Wunsch-
    regungeri gegen die Mutter zustande. Die Sexualbetdtigung dieser Zeit
    gipfelt in der Masturbation an der Klitoris, dabei wird wahrscheinlich die
    Mutter vorgestellt, aber ob es das Kind zur Vorstellung eines Sexualziels
    bringt und welches dies Ziel ist, ist aus meiner Erfahrung nicht zu
    erraten. Erst wenn alle Interessen des Kindes durch die Ankunft eine!
    Geschwisterchens einen neuen Antrieb erhalten haben, läßt sich ein solches
    Ziel klar erkennen. Das kleine Mädchen will der Mutter dies neue Kind
    gemacht haben, ganz so wie der Knabe. und auch seine Reaktion auf die:

  • S.

    Uber die Weiblid‘le Sexualität 329

    Ereigni5 und sein Benehmen gegen das Kind ist dasselbe. Das klingt
    j, Bissurd genug, aber vielleicht nur darum, weil es uns so ungewohnt
    fiingt.
    “ Die Ahwendung von der Mutter ist ein höchst hedeutsumer Schritt auf
    dem Entwicklungsweg des Mädchens. sie ist mehr als ein hlolier Objekt»
    wechsel. Wir haben ihren Hergang und die Hänfung ihrer vorgeblichen
    Motivierungen bereits beschrieben, nun fügen wir hinzu, daß Hand in Hand
    mit ihr ein starkes Absinken der aktiven und ein Anstieg der passiven
    5eruulregungen zu beobachten ist. Gewiß sind die aktiven Strebungen
    5tärker van der Versagung betroffen werden, sie haben sich als durchaus
    unausführbar erwiesen und werden darum auch leichter von der Libido
    verlassen, aber auch auf Seite der pussiven Strebungen hat es an Ent-
    täuschungen nicht gefehlt Häufig wird mit der Ahwendung von der
    Mutter auch die klitoridisclle Masturbation eingestellt, oft genug wird mit der
    Verdrängung der bisherigen Männlichkeit des kleinen Mädchens ein gutes
    Stück ihres Sexualstrebens überhaupt dauernd geschädigt. Der Übergang
    zum Vatemhjekt wird mit Hilfe der passiven Strebungen vollzogen, soweit
    diese dem Umsturz entgangen sind. Der Weg zur Entwicklung der Weib-
    lichkeit ist nun dem Mädchen freigegeben, insofeme er nicht durch die
    Reste der überwundenen, präödipalen Mutterbindung eingeengt ist.
    Überblickt man nun das hier hesehriebene Stück der weiblichen Sexual-
    entwicklung, so kann man ein bestimmtes Urteil über das Ganze der
    Weihlichkeit nicht zurückdrängen. Man hat die nämlichen libi '
    Kräfte wirksam gefunden wie beim männlichen Kind, konnte sich über»
    zeugen, daß sie eine Zeitlang hier wie dort dieselben Wege einschlagen
    und zu den gleichen Ergebnissen kommen.

    Es sind dann biologische Faktoren, die sie von ihren anfänglichen Zielen
    ebleuken und selbst aktive, in jedem Sinne männliche, Strebungen in die
    Bahnen der Weiblichlreit leiten. Da wir die Zurückfiihrung der Sexual-
    erreguog suf die Wirkung bestimmter chemischer Stoffe nicht abweisen
    können, liegt zuerst die Erwartung nahe, daß uns die Biochemie eines
    Tages einen Stoff darstellen wird, dessen Gegenwart die männliche, und
    einen, der die weibliche Sexualerregnng hervorruft Aber diese Hoffnung
    scheint nicht weniger naiv als die andere, heute glücklich iiberwundene,
    unter dem Mikroskop die Erreger von Hysterie. Zwangsneurose, Melon»
    cholie usw, gesondert aufznfinden.

    Es muß auch in der Sexualchemie etwas komplizierter zugeben. Fiir
    die Psychologie ist es aber gleichgültig. ob es einen einzigen sexuell
    erregenden Stoff im Körper gibt, oder deren zwei, oder eine Unzahl
    duven. Die Psychoanalyse lehrt uns mit einer einzigen Libido auszukonnnen,

    Int. Zeitrchr. (. Pryclioanilyse, XVIII; zz

  • S.

    330 Sign. Freud

    die allerdings aktive und passive Ziele, also Befriedigungsarten, kennt. In
    diesem Gegensatz, vor allem in der Existenz von Libidostreliungen mi,
    passiven Zielen, ist der Rest des Problems enthalten.

    IV

    Wenn man die analytische Literatur unseres Gegenstandes einsieht,
    überzeugt man sich, daß alles. was ich hier ausgeführt habe. dort bereit.
    gegeben ist. Es wäre unuiitig gewesen, diese Arbeit zu veröffentlichen,
    wenn nicht auf einem so schwer zugänglichen Gebiet jeder Bericht über
    eigene Erfahrungen und persönliche Auffassungen wertvoll sein könnte.
    Auch habe ich manches schärfer gefaßt und sorgfältiger isoliert. In einigen
    der anderen Abhandlungen wird die Darstellung unübersichtlich infolge
    der gleichzeitigen Erörterung der Probleme des Über-Ichs und des Schuld-
    gel'ühls. Dem bin ich ausgewichen. ich habe bei der Beschreibung der
    verschiedenen Ausgänge dieser Entwicklungsphase auch nicht die Komplika»
    tionen behandelt, die sich ergeben, wenn das Kind infolge der Ent-
    Aäuschung am Vater zur uufgelassenen Mutterbindung zurückkehrt oder
    nun im Laufe des Lebens wiederholt von einer Einstellung zur anderen
    herüberwechselt. Aber gerade. weil meine Arbeit nur ein Beitrag ist unter
    anderen, darf ich mir eine eingehende Würdigung der Literatur ersparen
    und kann mich darauf beschränken, bedeutsamere Ubereinstimmungen mit
    einigen und wiehtigere Abweichungen von anderen dieser Arbeiten
    hervorzuheben.

    In die eigentlich nach unübertmffene Schilderung Abrahams der
    „Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes“ (Internat. Zeitschr.
    {, PsA., VII, rgeil möchte man gerne das Moment der anfanglieh aus-
    schließlichen Mutterbindung eingefügt wissen. Der wichtigen Arbeit von
    Jeanne1 Lampl-de Great“ muß ich in den wesentlichen Punkten
    zustimmen. Hier wird die volle Identität der präödipalen Phase bei
    Knaben und Mädchen erkannt. die sexuelle (phallische) Aktivität des
    Mädchens gegen die Mutter behauptet und durch Beobachtung erwiesen.
    Die Abwendung von der Mutter wird auf den Einfluß der zur Kenntnis
    genommenen Kastration zurückgeführt, die das Kind dazu nötigt, das
    Sexualobjekt und damit auch oft die 0nanie aufzugeben, fiir die ganze
    Entwicklung die Formel geprägt. daß das Mädchen eine Phase des

    i Nach dem Wunsch der Autorin lrerrigiere ich so ihren Namen, der in der
    zeitschritt als n. L. de Gr. angeführt itt.

    e) zur Entwicklungsgeschichte des Ödipusknmplexei der Frau. Internat. Zeitschr.
    f. pen. XIII (im).

  • S.

    Uber die weihlid1e Sexualität 331

    "negativen“ Ödipuskumplexeli durchrnaelrt, ehe sie in den positiven ein-
    treten kann. Eine Unzulänglichkeit dieser Arbeit finde ich darin, daß sie
    ‚ne Abwendung von der Mutter als bloßen Objektwechsel darstellt und
    nicht darauf eingeht. daß sie sich unter den deutlichsten Zeichen von
    Feindseliglteit vollzieht. Diese Feindseligkeit findet volle Würdigung in
    der letzten Arbeit von Helene Deutsch (Der femintne Masarlrisrnus
    und seine Beziehung zur Frigidität Internat. Zeitschr. f. PsA.‚ XVI, 193,0),
    woselbst auch die phallische Aktiv ät des Mädchens und die Intensität
    reiner Mutterbindung anerkannt werden. H, Deutsch gibt auch ein,
    daß die Wendung zum Vater auf dem Weg der (bereits bei der Mutter
    „ge gewordenen) passiven Strehungen geschieht. In ihrem früher (rga5)
    veröffentlichten Buch „psyeheanalyse der weiblichen Sexualfunktianen“
    hatte die Autorin sich von der Anwendung des Ödipusschemas auch auf
    die präödipale Phase noch nicht frei gemacht und darum die phalliselte
    Aktivität des Mädchens als Identifizierung mit dem Vater gedeutet.

    Fenichel (Lu! prägenitalen Vargesehiehte des ödipuslrornpleres‚ Inter-
    net. Zeitschr. f. PsA.‚ XVI, 1930) betont mit Recht die Schwierigkeit, zu er-
    kennen. was von dem in der Analyse erhobenen Material unveränderter
    Inhalt der präödipalen Phase und was daran regressiv (oder anders) entstellt
    ist. Er anerkennt die phallische Aktivität des Mädchens nach Jeanne
    Lernpl— de Grant nicht, verwahrt sich auch gegen die von Melanie
    Klein (Frühstadien des Ödipuskonflilttes, Internat. Zeitschr.f. PsA..XIV‚1928
    u.a.a. o.) vorgenommene „Vorverlegung“ des Odipusltanrpletes‚ dessen Be-
    ginn sie schon in den Anfang des zweiten Lebensjahres versetzt. Diese Zeit-
    bestinarnung, die notwendigerweise auch die Auffassung aller anderen Ver
    hältnisse der Entwicklung verändert, deckt sich in der Tat nicht mit den
    Ergebnissen der Analyse an Erwachsenen und ist besonders unvereinbar mit
    meinen Befunden von der langen Andauer der präödip'dlen Mutterbindung
    der Mädchen. Einen Weg zur Milderung dieses Widerspruches weist die
    Bemerkung, daß wir auf diesem Gebiet noch nicht zu unterscheiden vermögen,
    was durch biologische Gesetze starr festgelegt und was unter dem Einfluß
    akzidentellen Erleben; beweglich und veränderlich ist. Wie es von der
    Wirkung der Verführung langst bekannt ist, können aueh andere Momente,
    der Zeitpunkt der Geburt von Geschwistern, der Zeitpunkt der Entdeckung
    des Geschlechtsunterscbieds, die direkte Beobachtung des Geschlechtsverkehrli,
    das werbende oder ubwelsencle Benehmen der Eltern u. a., eine Beschleuni—
    gung und Reifung der kindlichen Sexualentwicklung herbeifiihren.

    Bei manchen Autoren zeigt sich die Neigung, die Bedeutung der ersten
    ursprünglichsten Libtdnregungen des Kindes zugunsten späterer Entwicklungs—
    vurgänge herabzudrtielren, so daß jenen — extrem ausgedrückt—die Rolle ver—

    zn“

  • S.

    332 Signl. Freud: Uber die weiblidie Sexualität

    bliebe, nur gewisse Richtungen anzugeben, während die Intensitäten, welche
    diese Wege einsehlagen, von späteren Regressionen und Reaktionsbildungen
    bestritten werden. 50 z, B. wenn K. Horn ey (Flucht aus der Weiblichlteit,
    Internat. Zeitschr. f, PsA.‚ XII, ige6) meint, daß tler primäre Penisneid des
    Mädchens von uns weit überschätzt wird, während die Intensität des später
    entfalteten Männlichkeitsstrebens einem sekundären Penisneid zuzuschreiben
    ist, der zur Abwehr der weiblichen Regungen, speziell der weiblichen
    Bindung an den Vater, gebraucht wird, Das entspricht nicht meinen Ein-
    drücken 30 sicher die Tatsache späterer Verstärkungen durch Regression und
    Reaktionsbildung ist, so schwierig es auch sein mag, die relative Abschätzung
    der zusammenströmenden Libidokompanenten vorzunehmen, so meineich doch,
    wir sollen nicht übersehen, daß jenen ersten Libidoregungen eine Intensität
    eigen ist, die allen späteren überlegen bleibt, eigentlich inkommensurabel ge-
    nannt werden darf. Es ist gewiß richtig, daß zwischen der Vaterbindung und dem
    Männlichkeitsknmplex eine Gegensätzlichkeit besteht, — es ist der allgemeine
    Gegensatz zwischen Aktivität undPassi t,Männlichkeit und Weiblichkeit,—
    aber er gibt uns kein Recht, anzunehmen, nur das eine sei primär, das
    andere verdanke seine Stärke nur der Abwehr. Und wenn die Abwehr
    gegen die Weiblichkeit so energisch ausfallt, woher kann sie sonst ihre
    Kraft beziehen als aus dem Männlichkeitsstmben, das seinen ersten Aus«
    druck im Penisneit'l des Kindes gefunden hat. und darum nach ihm benannt
    zu werden verdient?

    Ein ähnlicher Einwand ergibt sich gegen die Auffassung von Jane»
    (Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität, Internat. Zeitschr. {. PsA„
    XIV. 1928), nach der das phallische Stadium bei Mädchen eher eine
    sekundäre Schutzreaktion sein soll als ein wirkliches Entwicklungstadium.
    Das entspricht weder den dynamischen noch den zeitlichen Verhältnissen.