Über neurotische Erkrankungstypen 1912-002/1912.2
  • S.

    Neuester Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden.

    Die
    Sprache des Traumes.

    ow Eine Darstellung
    der Symbolik und Deutung des Traumes in ihren
    Beziehungen zur kranken und gesunden Seele
    i för
    Ärzte und Psychologen
    von

    ,, Dr. Wilhelm Stekel, —
    Spezialarst für Psychotherapie und Nervenleiden in Wien.

    Preis Mk, 12,60, gebunden Mk, 14,—

    . Wenn der Volksglaube von altersher meint, das
    tiges bedeulen, so beweist die neuere, besonders dureh den
    8. Freud zu grossen Fortsehritten gebrachte moderne Traumforselung, d
    sie Gegenwürliges bedenten; nämlich Gedanken, Wünsche und Triebe, die
    den Tiefen unseres Seelenlebens gegenwiirlie sind. Dr, Slekel lindel dafür
    die Formel: ,Der Traum ist eigentlich ein Spiel von Darstellungen 16115!
    der Affekte.^ Namentlich solche seelische Regungen sind das Bewegende des
    Traumes, welche wir uns selbst nicht eingestshen wollen und im Wachleben
    unterdrücken; z B. verbrecherische oder solche sexuelle Tendenzen, die wir
    nicht gutheissen, Alle diese Affekte leben sich im Traum sozusagen aus, aber
    nieht in ihrer wahren Form, sondern symboliseh maskiert, sodass sie nicht
    leicht erkannt werden, , . . Im Traum ist jeder Mensch ein Weltschópfer. Und
    wenn er eine schlechte t erschafit, so hal er die Verantwortung der schlim-
    men Weltordnung zu iragen, die sein Werk ist. Kommen im Traum schlechte
    Geschöpfe. vor, Búsewichler, Egoisten, rachsüchtige, schadenlrohe, hinterlistige,
    Tauhgierige Menschen und Tiere, so hat der Träumer die Selilechtigkeit, die cr
    erfährt oder mit ansieht, im Grunde sich selbst zuzuschreiben. Es ist daher
    nicht ganz richtig, zu behaupten, dass man für seine Träume. nicht veranbwori-
    lich sei Diese und andere Erkenntnisse gehen jedem denkenden Leser des
    überaus iehen und fesselnden Stekelschen Werkes auf, das einen grossen
    erdient, Das 540 Seiten starke Buch enthält nahezu an 600 analy-
    ele. Allgemeine Sp: i

    | Aeskulap als Harlekin.
    Humor, Satire und Phantasie aus der Praxis.

    Von
    med. Dr. Serenus.
    Preis Mk. 2.50.

    „Es ist eine ganz famose Sammlung, di
    boten wird. Dem Arzt wie dem Laien wird sein Spiegelbild vorgehalten. Beide
    können und sollen aus den kleinen Bissigkeiten, die die Skizzen und Geschichten
    enthalten, lern Aber auch der Wahrheiten e sind in ihnen enthalten.
    Ausgezeichnet sind die Briefe an einen jüngeren Kollegen, dann die Schilde-

    mgen: „Arzle als Patienten“, „Aus dem Tagehuche eines Tuberkelbazillus'
    »Gebildete Patienten“. Alle die anderen, die an Geist und Witz hinter ihnen
    nicht zurückstehen, aufzuzählen, würde zu weit führen, Mir hat Serenus kôst-
    liche Stunden bereitet; möge seine Leklüre vielen Kollegen gleiche Freude be-
    reiten.“ Ärztliche Rundschau,

    liegenden Buch ge-

  • S.

    É

    Uber neurotische Erkrankungstypen.
    Von Sigm. Freud.

    In den nachstehenden Sätzen soll auf Grund empirisch gewonnener
    Eindrücke dargestellt werden, welche Veränderungen der Bedingungen
    dafür massgebend sind, dass bei den hiezu Disponierten eine neurotische
    Erkrankung zum Ausbruch komme. Es handelt sich also um die Frage
    der Krankheitsveranlassungen; von den Krankheitsformen wird wenig
    die Rede sein. Von anderen Zusammenstellungen der Erkrankungsan-
    lisse wird sich diese durch den einen Charakter unterscheiden, dass sie
    die aufzuzählenden Veränderungen sämtlich auf die Libido des Indivi-
    duums bezieht. Die Schicksale der Libido erkannten wir ja durch die
    Psychoanalyse als entscheidend fiir nervåse Gesundheit oder Krankheit.
    Auch iiber den Begriff der Disposition ist in diesem Zusammenhange
    kein Wort zu verlieren. Gerade die psychoanalytische Forschung hat uns
    ermöglicht, die neurotische Disposition in der Entwicklungsgeschichte
    der Libido nachzuweisen und die in ihr wirksamen Faktoren auf mit-
    geborene Varietäten der sexuellen Konstitution und in der frühen Kind-
    heit erlebte Einwirkungen der Aussenwelt zurückzuführen.

    a) Der nächstliegende, am leichtesten auffindbare und am besten
    verständliche Anlass zur neurotischen Erkrankung liegt in jenem äusseren
    Moment vor, welches allgemein als die Versagung beschrieben werden
    kann. Das Individuum war gesund, solange seine Liebesbedürftigkeit
    durch ein reales Objekt der Aussenwelt befriedigt wurde; es wird neu-
    rotisch, sobald ihm dieses Objekt entzogen wird, ohne dass sich ein Er-
    satz dafür findet, Glück fällt hier mit Gesundheit, Unglück mit Neurose
    zusammen. Die Heilung fällt dem Schicksal, welches für die verlorene
    Befriedigungsmöglichkeit einen Ersatz schenken kann, leichter als
    dem Arzte.

    Für diesen Typus, an dem wohl die Mehrzahl der Menschen Anteil
    hat, beginnt die Erkrankungsmöglichkeit also erst mit der Abstinenz,
    woraus man ermessen kann, wie bedeutungsvoll die kulturellen Einschrän-
    kungen der zugänglichen Befriedigung für die Veranlassung der Neurose
    sein mögen. Die Versagung wirkt dadurch pathogen, dass sie die Libido
    aufstaut und nun das Individuum auf die Probe stellt, wie lange es diese
    Steigerung der psychischen Spannung ertragen, und welche Wege es
    einschlagen wird, sich ihrer zu entledigen. Es gibt nur zwei Möglich-

    Zentralblatt für Psychoanalyse, 11", 21

  • S.

    208 Sigm. Freud,

    keiten, sich bei anhaltender realer Versagung der Befriedigung gesund
    zu erhalten, erstens, indem man die psychische Spannung in tatkräftige
    Energie umsetzt, welche der Aussenwelt zugewendet bleibt und endlich
    eine reale Befriedigung der Libido von ihr erzwingt, und zweitens, indem
    man auf die libidinöse Befriedigung verzichtet, die aufgestaute Libido
    sublimiert und zur Erreichung von Zielen verwendet, die nicht mehr
    erotische sind und der Versagung entgehen. Dass beide Möglichkeiten
    in den Schicksalen der Menschen zur Verwirklichung kommen, beweist
    uns, dass Unglück nicht mit Neurose zusammenfällt, und dass die Ver-
    sagung nicht allein über Gesundheit oder Erkrankung der Betroffenen
    entscheidet. Die Wirkung der Versagung liegt zunächst darin, dass sie
    die bis dahin unwirksamen dispositionellen Momente zur Geltung bringt.

    Wo diese in genügend starker Ausbildung vorhanden sind, besteht
    die Gefahr, dass die Libido introvertiert werde り . Sie wendet sich
    von der Realität ab, welche durch die hartniickige Versagung an Wert
    fiir das Individuum verloren hat, wendet sich dem Phantasieleben zu,
    in welchem sie neue Wunschbildungen schafft und die Spuren früherer,
    vergessener Wunschbildungen wiederbelebt. Infolge des innigen Zusammen-
    hanges der Phantasietätigkeit mit dem in jedem Individuum vorhandenen
    infantilen, verdrängten und unbewusst gewordenen Material und dank
    der Ausnahmsstellung gegen die Realitätsprüfung, die dem Phantasie-
    leben eingeräumt ist?), kann die Libido nun weiter rückläufig werden,
    auf dem Wege der Regression infantile Bahnen auffinden und
    ihnen entsprechende Ziele anstreben. Wenn diese Strebungen, die mit
    dem aktuellen Zustand der Individualitåt unvertråglich sind, genug Inten-
    sitåt erworben haben, muss es zum Konflikt zwischen ihnen und dem
    anderen Anteil der Persönlichkeit kommen, welcher in Relation zur
    Realitiit geblieben ist. Dieser Konflikt wird durch Symptombildungen
    gelöst und geht in manifeste Erkrankung aus. Dass der ganze Prozess
    von der realen Versagung ausgegangen ist, spiegelt sich in dem Ergebnis
    wieder, dass die Symptome, mit denen der Boden der Realitåt wieder
    erreicht wird, Ersatzbefriedigungen darstellen.

    b) Der zweite Typus der Erkrankungsveranlassung ist keineswegs
    so augenfällig wie der erste und konnte wirklich erst durch eindringende
    analytische Studien im Anschluss an die Komplexlehre der Ziiricher
    Schule aufgedeckt werden 3), Das Individuum erkrankt hier nicht infolge
    einer Verinderung in der Aussenwelt, welche an die Stelle der Befriedigung
    die Versagung gesetzt hat, sondern infolge einer inneren Bemiihung, um sich
    die in der Realität zugängliche Befriedigung zu holen. Es erkrankt an
    dem Versuch, sich der Realitåt anzupassen und die Realforderung
    zu erfüllen, wobei es auf uniiberwindliche innere Schwierigkeiten stosst.

    Es empfiehlt sich, die beiden Erkrankungstypen scharf gegen-
    einander abzusetzen, schiirfer, als es die Beobachtung zumeist gestattet.
    Beim ersten Typus drängt sich eine Veränderung in der Aussenwelt
    vor, beim zweiten fållt der Akzent auf eine innere Verånderung. Nach
    dem ersten Typus erkrankt man an einem Erlebnis, nach dem zweiten

    1) Nach einem von С. G. Jung eingeführten Terminus. ⑥

    2) Vgl. meine „Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Ge-
    Schehens*. Jahrb. f. Psychoanalyse. Bd. IIL :

    3) Vgl. Jung, Die Bedeutung des Vaters fur das Schicksal des Einzelnen,

    Jahrb. f. Psychoanalyse I, 1909,

  • S.

    Uber neurotische Erkrankungstypen. 299

    an einem Entwicklungsvorgang. Im ersten Falle wird die Aufgabe ge-
    stellt, auf Befriedigung zu verzichten, und das Indiyiduum erkrankt an
    seiner Widerstandsunfåhigkeit; im zweiten Falle lautet die Aufgabe,
    eine Art der Befriedigung gegen eine andere zu vertauschen, und die
    Person scheitert an ihrer Starrheit. Im zweiten Falle ist der Konflikt
    zwischen dem Bestreben, so zu verharren, wie man ist, und dem anderen,
    sich nach neuen Absichten und neuen Realforderungen zu verändern, von
    vorneherein gegeben; im früheren Falle stellt er sich erst her, nach-
    dem die gestante Libido andere und zwar unvertrügliche Befriedigungs-
    möglichkeiten erwählt hat. Die Rollen des Konfliktes und der vorherigen
    Fixierungen der Libido sind beim zweiten Typus ungleich augenfiilliger
    als beim ersten, bei dem sich solche unbrauchbare Fixierungen eventuell
    erst infolge der &usseren Versagung herstellen mógen.

    Ein junger Mann, der seme Libido bisher durch Phantasien mit
    Ausgang in Masturbation befriedigt hatte, und nun dieses dem Auto-
    erotismus nahestehende Regime mit der realen Objektwahlvertauschen will,
    ein Mädchen, das seine ganze Zärtlichkeit dem Vater oder Bruder ge-
    schenkt hatte und nun für einen um sie werbenden Mann die bisher
    unbewussten, inzestuôsen, Libidowünsche bewusst werden lassen soll, eine
    Frau, die auf ihre polygamen Neigungen und Prostitutionsphantasien
    verzichten möchte, um ihrem Mann eine treue Gefährtin und ihrem
    Kinde eine tadellose Mutter zu werden: diese alle erkranken an den
    lobenswertesten Bestrebungen, wenn die früheren Fixierungen ihrer Libido
    stark genug sind, um sich einer Verschiebung zu widersetzen, wofür
    wiederum die Faktoren der Disposition, konstitutionelle Anlage und
    infantiles Erleben, entscheidend werden. Sie erleben alle sozusagen das
    Schicksal des Biumleins im Grimm'schen Märchen, das andere Blätter
    haben gewollt; vom hygienischen Standpunkt, der hier freilich nicht
    allein in Betracht kommt, könnte man ihnen nur wünschen, dass sie
    weiterhin so unentwickelt, so minderwertig und nichtsnutzig geblieben
    wären, wie sie es vor ihrer Erkrankung waren. Die Veränderung, welche
    die Kranken anstreben, aber nur unvollkommen oder gar nicht zustande
    bringen, hat regelmässig den Wert eines Fortschritts im Sinne des realen
    Lebens. Anders, wenn man mit ethischem Masstabe misst; man sieht
    die Menschen ebenso oft erkranken, wenn sie ein Ideal abstreifen als
    wenn sie es erreichen wollen.

    Ungeachtet der sehr deutlichen Verschiedenheiten der beiden be-
    schriebenen Erkrankungstypen, treffen sie doch im Wesentlichen zusammen
    und lassen sich unschwer zu einer Einheit zusammenfassen. Die Er-
    krankung an Versagung fällt auch unter den Gesichtspunkt der Un-
    fähigkeit zur Anpassung an die Realität, nämlich an den einen Fall,
    dass die Realität die Befriedigung der Libido versagt. Die Erkrankung,
    unter den Bedingungen des zweiten Typus führt ohne weiteres zu einem
    Sonderfall der Versagung. Es ist hiebei zwar nicht jede Art der Be-
    friedigung von der Realität versagt, wohl aber gerade die eine, welche
    das Individuum für die ihm einzig mögliche erklärt, und die Versagung
    geht nicht direkt von der Aussenwelt, sondern primär von gewissen
    Strebungen des Ichs aus, aber die Versagung bleibt das Gemeinsame
    und Übergeordnete. Infolge des Konflikts, der beim zweiten Typus so-
    fort einsetzt, werden beide Arten der Befriedigung, die gewohnte wie
    die angestrebte, gleichmässig gehemmt; es kommt zur Libidostauung mit

    21*

  • S.

    300 Sigm. Freud,

    den von ihr ablaufenden Folgen wie im ersten Falle. Die psychischen
    Vorgänge auf dem Wege zur Symptombildung sind beim zweiten Typus
    eher übersichtlicher als beim ersten, da die pathogenen Fixierungen der
    Libido hier nicht erst herzustellen waren, sondern während der Gesund-
    heit in Kraft bestanden hatten. Ein gewisses Mass von Introversion
    der Libido war meist schon vorhanden; ein Stück der Regression zum
    Infantilen wird dadurch erspart, dass die Entwicklung noch micht den
    ganzen Weg zuriickgelegt hatte.

    ¢) Wie eine Ubertreibung des zweiten Typus, der Erkrankung an
    der Realforderung, erscheint der nächste Typus, den ich als Er-
    krankung durch Entwicklungshemmung beschreiben will. Ein
    theoretischer Anspruch, ihn abzusondern, lige nicht vor, wohl aber ein
    praktischer, da es sich um Personen handelt, die erkranken, sobald sie
    das unverantwortliche Kindesalter iiberschreiten, und somit niemals eine
    Phase von Gesundheit, d. h. von im Ganzen uneingeschränkter Leistungs-
    und Genussfåhigkeit erreicht haben. Das Wesentliche des disponierenden
    Prozesses liegt in diesen Fällen klar zu Tage. Die Libido hat die infan-
    tilen Fixierungen niemals verlassen, die Realforderung tritt nicht plötz-
    lich einmal an das ganz oder zum Teil gereifte Individuum heran,
    sondern wird durch den Tatbestand des Alterwerdens selbst gegeben,
    indem sie sich selbstverständlichor Weise mit dem Alter des Individuums
    kontinuierlich ändert. Der Konflikt tritt gegen die Unzulänglichkeit
    zurück, doch müssen wir nach allen unseren sonstigen Einsichten ein
    Bestreben, die Kindheitsfixierungen zu überwinden, auch hier statuieren,
    sonst könnte niemals Neurose, sondern nur stationärer Infantilismus der
    Ausgang des Prozesses sein.

    d) Wie der dritte Typus uns die disponierende Bedingung fast
    isoliert vorgeführt hatte, so macht uns der nun folgende vierto auf ein
    anderes Moment aufmerksam, dessen Wirksamkeit in allen Fillen in
    Betracht kommt und gerade darum leicht in einer theoretischen Er-
    orterung übersehen werden könnte. Wir sehen nämlich Individuen er-
    kranken, die bisher gesund gewesen waren, an die kein neues Erlebnis
    herangetreten ist, deren Relation zur Aussenwelt keine Änderung er-
    fahren hat, so dass ihre Erkrankung den Eindruck des Spontanen machen
    muss. Nähere Betrachtung solcher Fälle zeigt uns indess, dass sich in
    ihnen doch eine Veränderung vollzogen hat, die wir als höchst bedeut-
    sam für die Krankheitsverursachung einschätzen müssen. Infolge des
    Erreichens eines gewissen Lehensabschnittes und im Anschluss an gesetz-
    måssige biologische Vorgänge hat die Quantität der Libido in ihrem
    seelischen Haushalt eine Steigerung erfahren, welche für sich allein hin-
    reicht das Gleichgewicht der Gesundheit umzuwerfen und die Bedingungen
    der Neurose herzustellen. Wie bekannt sind solche eher plötzliche
    Libidosteigerungen mit der Pubertät und der Menopause, mit dem Er-
    reichen gewisser Jahreszahlen bei Frauen, regelmässig verbunden; bei
    manchen Menschen mögen sie sich überdies in noch unbekannten Perio-
    dizitäten äussern. Die Libidostauung ist hier das primäre Moment,
    sie wird pathogen infolge der relativen Versagung von Seiten der
    Aussenwelt, die einem geringeren Libidoanspruch die Befriedigung noch
    gestattet hätte. Die unbefriedigte und gestaute Libido kann wieder
    die Wege zur Regression eröffnen und dieselben Konflikte anfachen, die
    wir für den Fall der absoluten äusseren Versagung festgestellt haben.

  • S.

    Über neurctische Erkrankungstypen. 301

    Wir werden auf solche Weise daran gemahnt, dass wir das quantitative
    Moment bei keiner Überlegung über Krankheitsveranlassung ausser Acht
    lassen dürfen. Alle anderen Faktoren, die Versagung, Fixierung, Ent-
    wicklungshemmung bleiben wirkungslos, insoferne sie nicht ein gewisses
    Mass der Libido betreffen und eine Libidostauung von bestimmter Hóhe
    hervorrufen. Dieses Mass von Libido, das uns für eine.pathogene Wir-
    kung unentbehrlich dünkt, ist für uns freilich nicht messbar; wir können
    es nur postulieren, nachdem der Krankheitserfolg eingetreten ist. Nur
    nach einer Richtung dürfen wir es enger bestimmen; wir dürfen an-
    nehmen, dass es sich nicht um eine absolute Quantität handelt, sondern
    um das Verhältnis des wirksamen Libidobetrags zu jener Quantität von
    Libido, welche das einzelne Ich bewältigen, d.h. in Spannung erhalten,
    sublimieren oder direkt verwenden kann. Daher wird eine relative
    Steigerung der Libidoquantität dieselben Wirkungen haben können wie
    eine absolute. Eine Schwächung des Ichs durch organische Krankheit
    oder durch besondere Inanspruchnahme seiner Energie wird imstande
    sein, Neurosen zum Vorschein kommen zu lassen, dic sonst trotz aller
    Disposition latent geblieben wären.

    Die Bedeutung, welche wir der Libidoquantitåt für die Krank-
    heitsverursachung zugestehen müssen, stimmt in wünschenswerter Weise
    zu zyei Hauptsátzen der Neurosenlehre, die sich aus der Psychoanalyse
    ergeben haben. Erstens zu dem Satze, dass die Neurosen aus dem
    Konflikt zwischen dem Ich und der Libido entspringen, zweitens zu der
    Finsicht, dass keine qualitative Verschiedenheit zwischen den Bedin-
    gungen der Gesundheit und denen der Neurose bestehe, dass die Ge-
    sunden vielmehr mit denselben Aufgaben der Bewältigung der Libido
    zu kämpfen haben, nur dass es ihnen besser gelungen ist.

    Es erübrigt noch, einige Worte über das Verhältnis dieser Typen
    zur Erfahrung zu sagen. Wenn ich die Anzahl von Kranken überblicke,
    mit deren Analyse ich gerade jetzt beschüftigt bin, so muss ich fest-
    stellen, dass keiner von ihnen einen der vier Erkrankungstypen rein
    realisiert. Ich finde vielmehr bei jedem ein Stück der Versagung wirk-
    sam neben einem Anteil von Unfähigkeit sich der Realforderung anzu-
    passen; der Gesichtspunkt der Entwicklungshemmung, die ja mit der
    Starrheit der Fixierungen zusammenfällt, kommt bei allen in Betracht
    und die Bedeutung der Libidoquantitüt dürfen wir, wie oben ausgeführt,
    niemals vernachlüssigen. Ja ich erfahre, dass bei mehreren unter diesen
    Kranken die Krankheit in Schüben zum Vorschein gekommen ist,
    zwischen welchen Intervalle von Gesundheit lagen, und dass jeder dieser
    Schübe sich auf einen anderen Typus von Veranlassung zurückführen
    lässt. Die Aufstellung dieser vier Typen hat also keinen hohen theo-
    retischen Wert; es sind bloss verschiedene Wege zur Herstellung einer
    gewissen pathogenen Konstellation im seelischen Haushalt, nämlich der
    Libidostauung, welcher sich das Ich mit seinen Mitteln nicht ohne
    Schaden erwehren kann. Die Situation selbst wird aber nur pathogen
    infolge eines quantitativen Moments; sie is& nicht etwa eine Neuheit für
    das Seelenleben und durch das Eindringen einer sogenannten ,Krank-
    heitsursache^ geschaffen.

    Eine gewisse praktische Bedeutung werden wir den Erkrankungs-
    typen gerne zugestehen. Sie sind in einzelnen Fällen auch rein zu be-
    obachten; auf den dritten und vierten Typus wären wir nicht aufmerk-

  • S.

    302 Sigm. Freud, Uber neurotische Erkrankungstypen.

    sam geworden, wenn sie nicht die einzigen Veranlassungen der Erkran-
    kung fiir manche Individuen enthielten. Der erste Typus hilt uns den
    ausserordentlich mächtigen Einfluss der Aussenwelt vor Augen, der
    zweite den nicht minder bedeutsamen der Eigenart des Individuums,
    welche sich diesem Einflusse widersetzt. Die Pathologie konnte dem
    Problem der Krankheitsveranlassung bei den Neurosen nicht gerecht
    werden, solange sie sich bloss um die Entscheidung bemühte, ob diese
    Affektionen endogener oder exogener Natur seien. Allen Erfah-
    rungen, welche auf die Bedeutung der Abstinenz (im weitesten Sinne) als Ver-
    anlassung hinwiesen, musste sie immer den Einwand entgegensetzen, andere
    Personen vertrügen dieselben Schicksale ohne zu erkranken, Wollte sie
    aber die Eigenart des Individuums als das für Krankheit und Gesund-
    heit wesentliche betonen, so musste sie sich die Vorhaltung gefallen
    lassen, dass Personen mit solcher Eigenart die längste Zeit über gesund
    bleiben können, so lange ihnen nur gestattet ist, diese Eigenart zu be-
    wahren. Die Psychoanalyse hat uns gemahnt, den unfruchtbaren Gegen-
    satz von äusseren und inneren Momenten, von Schicksal und Konstitu-
    tion, aufzugeben, und hat uns gelehrt, die Verursachung der neuro-
    tischen Erkrankung regelmässig in einer bestimmten psychischen Situa-
    tion zu finden, welche auf verschiedenen Wegen hergestellt werden kann.

  • S.

    Neuester Verlag von J. I. Bergmann in Wiesbaden.

    Uber den Traum.
    Von
    Prof, Dr. Sigm. Freud in Wien.
    — Zweite Auflage. — Preis Mk. 1.60. =

    Wer des Verts Schrift „Die Traumdeutung noch nicht kennt, für den
    bildet der vorliegende, in zweiter Auflage erscheinende Aufsatz eine kurze
    und äusserst klare Einführung in die Freud'sche Traumtheorie. Freilich
    konnte der Autor hier vieles nur andeuten, was für den Interessenten ebenso
    wie für die Hypothese von Wichtigkeit iso, aber auch in dieser kurzen Form,
    als Einführung in die F.sche Traumdeutung ist der Aufsatz für den in diese
    Denkrichtung noch nicht Eingeweihten vollkommen verständlich und instraktiv.
    Ernstem Nachdenken war die Psychologie des Traumes stets von grósster
    Bedeutung . . .. und so ist sie ein ernster wissenschaftlicher Versuch auf
    bisher fast g ich unfruchtbarem Boden und enthält vielleicht den Ansatz
    zu wichtigen Erkenntnissen nicht bloss auf dem Gebiete des Traumes, sondern
    auch der Psychologie und Psychopathologie überhaupt.

    Berliner klinische Wochenschrift,

    > | Über die

    Psychologie der Eifersucht.

    Von

    Dr. M. Friedmann,
    Nervenarzt in Mannheim.

    Preis Mk. 3.—.

    šie RR Der so entfachte Kampf wird durch die damit einhergehenden
    überaus starken Gefilhlswerte gesteigert, und die Eifersucht orwüchst so zur
    beherrschenden psychischen Macht, indem man sie stelig und systematisch
    hegt und emporzüchtet. — Auf dieser psychologischen Grundlage erbaut der
    Verfasser das für ärztliche Leser besonders wichtige und fruchtbare vierte
    Kapitel, das von der Eifersucht in der Psychopathologie (der
    krankhaften Eifersucht) handelt. Bier werden der Reihe nach die in
    psychischer Überreizung beruhenden (nenrasthenischen und hysterischen) Eifer-
    suchtsformen — danu die Formen des eigentlichen Eifersuchiswahns in
    den verschiedenen Phasen des manisch-depressiven Irreseins, bei der einfachen
    und halluzinatorisehen chronischen Paranoia, bei der paranoiden Dementia
    praecox usw. eingehend erörtert und dureh gutgewählte, meist dem eigenen
    Beobachtungskreise des Verfassers entnommene Beispiele erörtert,

    Medizinische Klinik 1912,

    Sadismus und Masochismus

    von Dr. A. Eulenburg,
    Geh. Med,-Rat, Professor in Berlin.

    Zweite zum Teil umgearbeïtete Auflage.

    Preis Mk. 2.80.

  • S.

    Verlag von J. F, Bergmann in Wiesbaden,

    Im II. Jahrgang erscheint;

    Zentralblatt fiir Psychoanalyse.

    Medizinische Monatsschrift für Seelenkunde.
    Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung,

    Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud.
    Schriftleiter: Dr. Wilhelm Stekel, Wien, Gonzagagasse 21.

    Jahrgang I enthielt u. a. neben den reichhaltigen Abteilungen: Mitteilungen
    — Referate und Kritiken — Varia — Literatur folgende Originalarbeiten:

    Adler: Die psychische Behandlung der Trigeminusueuralgie.
    5 Beitrag zur Lehre vom Widerstand.
    ” Syphilidophobie.
    Brill: Ein Fall periodischer Depression psychogenen Ursprungs.
    Ferenczi; Über obszüne Worte.
    » Anatole France als Analytiker.
    Freud: Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie.
    4 Uber wilde Psychoanalyse.
    » Nachtriige zur Traumdeutung.

    Friedmann: Eduard Mörike.

    Juliusburger: Uber einen Fall von akuter autopsychischer Bewnsst-
    seinsstórung, ein Beitrag zur Lehre von Kriminalität und
    Psychose,

    Jung: Ein Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes.

    Luzenberger: Psychoanalyse in einem Falle von Errötungsangst als
    Beitrag zur Psychologie des Schamgefiihls.

    Maday: Der Begriff des Triehes.

    Maeder: Zur Entstehung der Symbolik im Traum, in der Dementia
    praecox ete.

    Nepalleck: Analyse einer scheinbar sinnlosen infantilen Obsession.

    Pfister: Zur Psychologie des hysterischen Madonnenkultus.

    » Hysterie und Mystik bei Margaretha Ebner (1291—1851).

    Putnam: Uber Ätiologie und Behandlung von Psychoneurosen.

    ョ Persönliche Erfahrungen mit Freud's psycho-analytiseher
    Methode.
    Bank: Das Verlieren als Symptomhandlung.
    Riklin: Eine Liige.
    » Über einige Probleme der Sagendentung.

    Rosenstein: Julius Piklers „dynamische Psychologie“ und ihre Be-
    ziehungen zur Psychoanalyse.

    Rosenthal: Karin Michaelis: „Das gefährliche Alter“ im Lichte der

    i Psychoanalyse.

    Sadger: Ist das Asthma eine Sexualneurose.

    Silberer: Vorläufer Freud'scher Gedanken.

    Stegmann: Ergebnisse der psychischen Behandlung einiger Fälle
    von Asthma.

    Stekel: Die psychische Behandlung der Epilepsie.

    Jährlich erscheinen 12 Hefte im Gesami-Umfang von 36 bis
    40 Druckbogen zum Preise von Mk. 18.—.