S.
491
2. Ueber die Bernhardt’sche Seusibilitäitsstörnng
am Oberschenkel.Von Dr. Sign:. Freud, Privatdocent in Wien.
In Nr. 6 dieses Jabrganges des Nenrol. Centralbl. hat Prof. Bemes.br
einige Beobachtungen mitgetheilt, die ein vorläufiges Bild einer wahrscheinlich
harmlosen, aber nicht nninteressanten At‘fection ergeben, welche sich durch Par-
isthesien und Schmerzernpfindnngen in dem vom N. unten. externus ver-sorgten
Hantgehiete eines Oberschenkels äussert. Mir war das kleine Leiden seit Jahren
vertraut, ich hatte es bereits in 5—7 Fällen beobachtet; einen Anlass, meine
Notizen darüber zu veröffentlichen, fand ich dann in der Mittheilung ron Nimm
(Nr. 8 dieses Blattes) um so eher, als ich mich, wie dieser Autor, wesentlich
auf — Selbstbeobachtnng zu bernfen gedenke.39 Jahre alt, verspüre ich die Buxum’r’sche Sensibilitätsstörnng seit
mindestens 7 Jahren an der Ansseniläche meines rechten Oberschenkels. Eine
itiologische Herleitung derselben hatte sich mir niemals aufgedriugt; von den
durch Bsnmsm’r vorgehrachten 5fi010gischen Momenten (Ileotyphus, Blei-
vergittung, Gebrauch sehr kalter Donehen) findet sich etwa das letzterwihnte
bei mir vor, ohne dass ich für dessen Bedeutung eintreten wollte. In vollster
Uebereinstimmnng mit der Beschreibung Bennrrannr’s steht bei mir das Aus-
breitungsgehiet der Störung (vorne und aussen am Oberschenkel von unterhalb
des Trochanters bis zum Knie), und die Art derselben, ein Gefühl von Pelzig-
sein, von „fremder Han ”, das in der Ruhe meist unmerklich, heim Gehen ge-
steigert hervortaitt, zu dem sich ferner häufig ein schmerzhaftes, kurzes Stechen
senkrecht auf die Hautoberfläche und eine peinliche Empfindlichkeit gegen das
Reihen der Wäsche gesellt hat; letztere beiden Sensationen also ziemlich analog
einer bei Tubes vorkommenden Hautsensibilitätsstörung.Ferner kann ich bestätigen, dass keine andere anatomische oder Functions-
störuug des betreifendes Beines sich dabei findet.In anderen Punkten kann ich einiges Neue beibringen. Die Aifeetion ist
bei mir unzweifelhatt einerseits regressiv, andererseits progredient. „Regressiv“
insofern, als mich diese Parästhesien vor 5 und 6 Jahren weit mehr belästigt
haben als heute; ich hatte z. B. monatelang nichts davon verspt'lrt und nicht
daran gedacht, bis mir die kleine Arbeit von Bamksnr in die Hände fiel.
„Progredieut“ aber insofern, als ich mit voller Bestimmtheit anzugeben weiss,
dem die Paristhesie zuerst an einer Hantstelle hoch oben näher dem Becken
ass, und dass sie erst allmählich in tiefere Partien herabgen'rckt ist. Heute
besetzt die Störung, wie in einem Falle von Bmm'r‘ „eine Stelle handbreit
oberhalb des Knies und mehr nach aussen hin, bandtellergross“, während die in
früheren Jahren afficirten Stellen völlig normal geworden sind. In der jetzt
paristhetischeu Partie empfinde ich Pressen von Hantfalten anders und schmerz-
hliter als links; Nadelstiehe werden dort spitz empfunden, aber gleichfalls andersS.
f492f
als sonst (als ob die Nadel (einer und der Stich mehr brennend wäre); einzelne
Stellen innerhalb des Gebietes scheinen mir ganz snalgisch; die Temperatur-
empfindung ist am stärksten und im grössten Umfang geschädigt; warm wird
schlechter verspürt als kalt.. Ich erinnere mich übrigens, dass sich bei Prüfungen
in früheren Jahren noch intensivere Anästhesie objectiv ergeben hat.Aus der ärztlichen Praxis habe ich nicht viel mehr über die Afl‘ection er-
fahren, als ich aus Selbstbeobachtung wusste. Einer meiner Fälle, der erste,
noch vor der Empfindung am eigenen Leibe beobachtete, der über sehr hefis'ge
Schmenen beim Gehen klagte, hatte Pupillenstörnngen und war 2Jahre vorher
inficirt werden. Ich begegne ihm manchmal auf der Strasse; er hat meines
Wissens keine Tubes bekommen. Ein anderer, mehr als 50 jähr. Herr, von dem ich
gleichfalls weiss, dass er gehtüchtig und leistungsfähig geblieben ist, beschuldigt;
als Ursache seines Leidens heftige Gemüthsbewegung durch Erkrankung seines
Sohnes. Dieser Patient, den ich wochenlang mit menuv’scheu Funken erfolglos
behandelte, hatte die Par-ästhesien auf beiden Seiten an nahezu symmetrischen
Stellen, was Bsnmnnnr nicht beobachtet zu haben angiebt. Die anderen Fülle
boten nichts Interessantes; es waren gesunde, leicht veringstigte Menschen, die
mich ja gerade darum consultirteu, weil sie die harmlose Afiection für etwas
Bedeutsames hielten. Diese äusserteu sich denn auch gelegentlich über die
Schmerzen mit. einem übel verwendeten Superlativ.Ich habe den Eindruck empfangen, dass die Afl‘ection eine recht häufig
vorkommende sei. Mein College, Dr. L. Rasmus, den ich vor Jahren auf
sie aufmerksam machte, hat sie auch bei einer 58 jährigen, sonst völlig gesunden
Dame beobachtet, während alle bisher vorliegenden Mittheilungeu sich auf Männer
beziehen. Dr. Joan]? Bnnunn, dessen Erfahrung ich vor längerer Zeit in Betrefl’
meiner eigenen Parasthesien zu Reihe zog, war gleichfalls mit ihnen bekannt
und machte mich auf den oberflächlichen Verlauf des M. cntan. ferner. extern.
(unmittelbar neben der Spinn nut. sup. des Darmbeines zwischen zwei Blättern
des Ligumeutum inguin. ext.) aufmerkuim, der an eine mögliche Schädigung
des Nerven durch den Druck von Kleidungsstückeu, welche die Taille um-
schnüreu, denken lesen könnte. Verdanken ja auch die anderen peripherischen
Nerven, welche der Neuritis am ehesten verfallen, z. B. der N. facialis und
rsdialis, diese Bevonugung ihrer Lage oder ihrem Verlau£Es wäre noch in Betracht zu ziehen, ob nicht bei der vermutheten Schädigung
des oberflächlichen Hautueri'en durch den Druck (des Beinkleidringes) eine ab-
norme Lagerung desselben mitwirken kann. Vielleicht ist es in diesem Zusammen-
hange nicht ohne Interesse, eine kleine Mittheilung eines zu früh verstorbenen
“' endsbecker Collegen zu erwähnen, welcher einer neunlgischen Aflection des
N. cutan. ferner. ext. durch Reseetion ein Ende bereitete, und ihn dabei 3 ein
nach aussen rom Darmbeiustnchel verlaufend fand.‘‘ W, HAonn, Nsnnlgis {amt-rin. Resectinn den Nerv. cutun. femoris Interior externns.
Heilung Deutsche med‚ Wochenschrift. 1885. Nr.“.
491
–492