Ueber familiäre Formen von cerebralen Diplegien (Schluss.) 1893-003/1893.2
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    2. Ueber familiäre Formen von cerebralen Diplegien. 



    Von Dr. Sigm. Freud, Privatdocent in Wien. 

    (Schluss.)


    Für die Beurtheilung der hier mitgetheilten Beobachtungen wird es zunächst 
    von Wichtigkeit sein, dass man sich der Meinung des Elternpaares anschliesst, 
    beide Kinder leiden an derselben verschieden hochgradig ausgebildeten Affection. 
    In der That ist die Uebereinstimmung der beiden kleinen Patienten eine auf- 
    fällige; hier wie dort dieselben drei Hauptsymptome: 1. Atrophia nervi optici 
    mit Nystagmus horizontalis und Strabismus convergens beim Fixiren, 2. Bradyllalie 
    bei eigenthümlich monotoner Stimme, und 3. spastische Bewegungsstörung der 
    Extremitäten. Daneben sind gewisse Unterschiede zu beobachten: Bei dem älteren 
    Knaben betrifft die Starre Arme und Beine, an den Armen ist Ungeschicklich- 
    keit und Tremor, an den Beinen ein Grad von Parese unverkennbar; bei dem 
    jüngeren ist diese Symptomgruppe reducirt auf eine spastische Starre der unteren 
    Extremitäten, die Arme sind frei und eine Bewegungseinschränkung ist auch an 
    den Beinen nicht nachzuweisen. Eine andere Differenz, der man zunächst ge- neigt wäre eine grosse Bedeutung beizulegen, betrifft die Entwickelung des Krank- 
    heitsbildes. Beim ältern Knaben sind die Krankheitssymptome von Geburt an 
    bemerkt worden, beim jüngeren traten sie erst gegen Ende des zweiten Lebens- 
    jahres auf, nach bis dahin völlig normaler Entwickelung. Im Zusammenhalt 
    mit den vorhin ausgeführten Aehnlichkeiten der beiden Fälle muss man sich ent- 
    schliessen zuzugestehen, dass dieser Verschiedenheit im Auftreten der Krankheit 
    eine differentialdiagnostische Bedeutung nicht zukommt, und darf an die mehr 
    fachen Belege dafür erinnern, dass eine congenital bedingte Affection erst in 
    einem gewissen Lebensalter nach einem Latenzstadium normalen Verhaltens ihre 
    ersten Symptome erzeugt. 

    ¹ Dieses Centralblatt 1891, p. 821.
    ² Ebenda p. 352.

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    Versucht man nun, das beschriebene in den beiden Fällen etwas variirende 
    Krankheitsbild unter eines der bereits bekannten zu subsumiren, so fällt wohl 
    zunächst die Aehnlichkeit auf, welche diese familiäre Affection mit der **FRIED-** 
    **REICH**'schen Krankheit und mit der multiplen Sklerose zeigt. Die Combination 
    der Symptomgruppe: Nystagmus, Bradyllalie mit ataktischer Tremor mit der 
    Gangstörung hat sie mit ersterer gemein, die tabische Symptomgruppe: Reflex- 
    aufhebung, Ataxie der Beine — **ROMBERG**'sches Symptom, wird aber hier 
    durch die spastische Gruppe: Reflexsteigerung und Starre ersetzt, so dass eine 
    Verwechslung der beiden Affectionen unmöglich wird. Unsere familiäre Affection 
    stellt sich geradezu als spastisches Gegenstück zur **FRIEDREICH**'schen 
    Krankheit dar. 

    Uebrigens ist auch die Gangart eine verschiedene, es fehlt das bei der 
    **FRIEDREICH**'schen Krankheit constante cerebellare Schwanken, es fehlt die dort 
    zum Bilde gehörige Abschwächung der Intelligenz, die Zeit der ersten Symptome 
    ist eine weit frühere, der Verlauf scheint ein anderer zu sein, bei unserer Affec- 
    tion, so weit man es beurtheilen kann, stationär, bei der **FRIEDREICH**'schen Krank- 
    heit progressiv. In der Abwesenheit von Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und 
    Atrophie stimmen beide Affectionen wieder überein. 

    Was die Unterscheidung dieser familiären Krankheit von multipler Sklerose 
    anbelangt, so ist Folgendes zu bemerken: Kein Zweifel, dass der geschilderte 
    Symptomcomplex durch eine multiple Sklerose hervorgebracht werden könnte; 
    allein es ist bisher nicht bekannt, dass multiple Sklerose als congenitale Er- 
    krankung vorkommt, und ich würde mich nicht getrauen, eine solche Bereicherung 
    unserer Kenntnisse über dieses Leiden anders als auf anatomische Gründe hin 
    anzuerkennen. Ferner unterliegt die Diagnose der multiplen Sklerose im Kindes- 
    alter grossen Schwierigkeiten, sie ist bekanntlich hier durch keine einzige Section 
    sichergestellt, und eine gute Anzahl der unter diesem Namen beschriebenen Fälle 
    (Vgl. Unger, Ueber multiple inselförmige Sklerose des Centralnervensystems im 
    Kindesalter. Wien 1887.) lässt andere Deutungen zu. Die multiple Sklerose 
    ist überhaupt auch bei Erwachsenen weniger durch ihren Symptomcomplex cha- 
    rakterisirt, von dem jedes einzelne Stück mehrdeutig ist, sondern durch ihren 
    Verlauf, ihre Progression in Schrüben, die nicht selten mit sponfoveinem Ab- 
    fallen einsetzen und zwischen denen sich Zeiten von Besserung und Krankheits- 
    pausen geltend machen. Ein solcher Verlauf fehlt in unseren Fällen gänzlich. 
    Uebrigens ist auch das Symptombild der multiplen Sklerose in unseren Fällen 
    durchaus nicht sehr ähnlich wiedergegeben. 

    Ich muss sagen, ich kenne überhaupt kein Krankheitsbild, dem unsere 
    beiden Fälle mit ihrem eigenthümlichen Zusammentreffen völlig intacter In- 
    telligenz und so vielfältiger motorischer Störungen befriedigend entsprechen. Ich 
    halte es aber für gerechtfertigt, diese familiäre Affection den **cerebralen** 
    **Diplegien** des Kindesalters anzuschliessen. Unter diesem Namen habe ich 
    in einer grössern im Druck befindlichen Arbeit ¹ eine Anzahl von Formen mit 

    ¹ In: Beiträge zur Kinderheilkunde, herausgegeben von M. Kassowitz N. F. III. Franz
    Deuticke. Wien 1893.

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    bilateraler Motilitätsstörung einerseits, Schwachsinn anderseits zusammengefasst, 
    die sich in allen Stücken an die hemiplegische Cerebrallähmung der Kinder an- 
    schliessen, und deren Kern die Fälle von sog. LITTLE'scher Krankheit bilden. 
    Ich unterscheide dort vier klinische Typen von cerebralen Diplegien: 1. die 
    allgemeine Starre (sonst: angeborene spastische Cerebrallähmung), 2. die 
    paraplegische Starre (sonst: spastische Spinalparalyse der Kinder), 3. die 
    bilaterale Hemiplegie, und 4. die angeborene Chorea und bilaterale 
    Athetose. Ich bemühe mich in dieser Arbeit zu zeigen, dass es nicht angeht, 
    die sog. **Little**'sche Krankheit, d. h. die Fälle von allgemeiner, paraplegischer 
    Starre u. dgl., die von Abnormitäten des Geburtsactes herrühren, von den klinisch 
    ganz ähnlichen Fällen zu trennen, die einer solchen Aetiologie entbehren. Die 
    Umgrenzung dieser cerebralen Diplegien ist darum noch keine besonders scharfe, 
    auch ihre pathologisch-anatomische Charakteristik gelingt nicht vollkommen, doch 
    kann man festhalten, dass ihnen, wie den hemiplegischen Cerebrallähmungen, 
    mannigfache, hauptsächlich vasculäre Läsionen zu Grunde liegen, die vorwiegend 
    die Hirnrinde betreffen. Die cerebralen Diplegien sind also Grosshirnerkrankungen; 
    ihre positive Charakteristik wird wesentlich durch die Summe ihrer Merkmale 
    gegeben. 

    Indem ich im Uebrigen in Betreff der cerebralen Diplegien auf die er- 
    wähnte Arbeit verweise, hebe ich nur noch hervor, dass keines der Symptome, 
    welche wir bei unserer familiären Affection fanden, den cerebralen Diplegien 
    fremd ist. Nystagmus findet sich vereinzelt, Strabismus ist ein sehr häufiges 
    Symptom, Ungeschicklichkeit und Tremor an den Armen bildet hier den Ersatz 
    für eine Lähmung oder den Rest derselben, die monotone verlangsamte Sprache 
    findet man bei Kindern, die, wie **LITTLE** sich ausdrückte, den Eindruck eines 
    „tardigrade animal“ machen, Muskelspannungen am ganzen Körper oder nur 
    an den Beinen, mit mehr oder weniger Lähmung complicirt, machen den Haupt- 
    charakter der beiden Typen: paraplegische und allgemeine Starre aus. Dass 
    alle diese motorischen Symptome zusammentreffen und gar keine Intelligenz- 
    störung, gar keine Aufhaltung der geistigen Entwickelung mit dabei ist, das 
    macht freilich die Eigenthümlichkeit unserer familiären Affection aus. Allein 
    die Annäherung wird hier durch zwei Bemerkungen erleichtert: 1. dass auch 
    unter den cerebralen Diplegien Fälle gefunden werden, die ausschliesslich mo- 
    torische Symptome ohne Schwachsinn zeigen, und 2. dass ein Bruder unserer 
    beiden Fälle thatsächlich idiotisch und ganz gelähmt war. Der Krankheitsver- 
    lauf in unseren beiden Fällen ist durchaus identisch mit dem der meisten cere- 
    bralen Diplegien; die Symptome werden entweder von Geburt an beobachtet 
    oder entwickeln sich in frühester Kindheit in einer Zeit der Progression, um 
    dann meist stationär zu bleiben. 

    Ich bin so geneigt, unsere familiäre Affection den cerebralen Diplegien zu- 
    zurechnen, d. h. für eine Grosshirnaffection ähnlicher Natur zu halten. 

    Es giebt nun in der Litteratur eine gewisse Anzahl von ähnlichen familiären Er- 
    krankungen, die mit grösserer oder geringerer Sicherheit den cerebralen Diplegien 
    zuzurechnen sind, von denen aber jede Beobachtung ihre besonderen Charaktere zeigt.

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    Die weitgehende Uebereinstimmung mit unserer Affection findet man in 
    der Beobachtung von **PELIZA¨US**¹. Der Symptomcomplex umfasst hier wiederum: 
    Nystagmus horiz. bei blasser Papille N. opt., Bradyllalie, allgemeine Ungeschick- 
    lichkeit und Langsamkeit der Arme (kein Tremor) und schwere spastische Para- 
    plegie mit Reflexsteigerung. Die Entwickelung des Leidens ist ungefähr die näm- 
    liche wie bei unseren Fällen, Auftreten der Symptome entweder gleich nach der 
    Geburt, oder in leichteren Fällen nach einem Intervall normalen Verhaltens in 
    einer Zeit von Progression. Sogar solche Einzelheiten sind hier wie dort iden- 
    tisch, dass bei späterer Entwickelung der Krankheit der Nystagmus den Reigen 
    der Symptome eröffnet, dass die Sprachen zuerst gut erlernt wird und erst dann 
    den Charakter der Bradyllalie annimmt. 

    Die Affection ist in der Beobachtung von **PELIZA¨US** nicht bloss familiär, 
    sondern auch hereditär. Sie konnte durch drei Generationen verfolgt werden, 
    betraf aber immer nur männliche Mitglieder (auch die drei kranken Knaben meiner 
    Beobachtung waren Knaben). 

    **PELIZA¨US** konnte Auskünfte über 5 Fälle sammeln. Der schwersterkrankte 
    darunter zeigte unverkennbare Progression der Erscheinungen bis zu seinem 
    Tode, in den leichteren Fällen blieb der Krankheitszustand auf einer gewissen 
    Höhe stationär. 

    Trotz mancher Unterschiede (die Fälle von **PELIZA¨US** zeigten Schwachsinn, 
    die meinigen volle Intelligenz; dort war schwere spastische Paraplegie, bei meinen 
    Fällen nur mässige paraplegische Starre vorhanden) bleibt die Aehnlichkeit beider 
    familiärer Affectionen so sehr im Vordergrunde, dass ich geneigt wäre, die Krank- 
    heitszustände hier und dort zu identificiren. 

    2. **PELIZA¨US** erwähnt bereits die Beobachtung zweier Brüder von **Dreschfeld**², 
    in deren Affection Tremor, Bulbärsymptome, schwankender Gang eine 
    hervorragende Rolle spielen, so dass sich das Bild wirklich mehr der multiplen 
    Sklerose annähert. Beginnt bei dem einen Knaben mit 14 Monaten, bei dem 
    anderen im 4. Lebensjahr. Stetige Progression. 

    3. **SACHS**³ hat das familiäre Vorkommen der schwersten Form von cere- 
    braler Diplegie, der bilateralen Lähmung mit Idiotie in mehreren Familien be- 
    obachtet. Eine ausführlicher mitgetheilte Beobachtung betrifft zwei Geschwister, 
    die nach normaler Geburt und anfänglich guter Entwickelung, das eine mit 
    3 Monaten, das andere mit 8 Monaten, Nystagmus bekamen, theilnahmslos wurden 
    und unter Marasmus zu Grunde gingen. Bei dem einen Kinde wurde eine 
    papierweisse Papille constatirt; die Lähmung war bei dem einen Kinde eine 
    schlaffe, beim zweiten eine spastische. 

    ¹ Ueber eine eigenthümliche Form spastischer Lähmung mit Cerebralerscheinungen auf
    hereditärer Grundlage (multiple Sklerose). Archiv f. Psychiatrie. XVI. 1885.
    ² Medical Times and Gazette. 9. Februar 1878.
    ³ On arrested cerebral development, with special reference to its cortical pathology.
    Journal of nerv. and ment. dis. 1887. — A further contribution to the pathology of arrested
    cerebral development. Ibid. 1892.

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    In einer anderen Familie waren vier Kinder in ähnlicher Weise, nach nor- 
    maler Entwickelung bis zum 6. Monat, blind, idiotisch und spastisch gelähmt 
    worden und zu Grunde gegangen (kein Nystagmus). 

    4. Ein ausgezeichnetes Beispiel von familiärem Vorkommen eines Typus 
    der cerebralen Diplegien hat Fr. **SCHULTZE**¹ beschrieben. Es handelt sich in 
    seiner Beobachtung um 3 Geschwister, die das reine Bild der paraplegischen 
    Starre mit der dabei so häufigen Complication des Strabismus darboten. Das 
    Interesse dieser Beobachtung wird dadurch verringert, dass alle 3 Fälle **LITTLE-** 
    sche Aetiologie besassen: die Geburt hatte 3 Tage gedauert, war langsam und 
    schwer gewesen. Ein ältestes Kind, das völlig normal war, war auch leicht ge- 
    boren worden. Es liegt also nicht so sehr eine congenitale familiäre Affection, 
    sondern eine in derselben Familie drei Mal wiederholte LITTLE'sche Starre vor. 

    5. Die Aetiologie der protrahrten Geburt und die Complication mit Stra- 
    bismus lassen über die Auffassung der Fälle von **SCHULTZE** keinen Zweifel. Wo 
    aber diese beiden Momente wegfallen und nur eine paraplegische Starre übrigt, 
    wird das Urtheil über die Natur der Affection natürlich schwankend werden. 
    Dies trifft für die 3 Geschwister mit spastischer Starre zu, die v. **KRAFFT-EBING**² 
    kürzlich in Wien vorgestellt hat. v. **KRAFFT-EBING** entscheidet sich für die 
    Diagnose eines Hydromyelus; die Analogie mit den Fällen Fr. **SCHULTZE**'s und 
    den typischen Formen von sogenannter spastischer Spinalparalyse lassen aber 
    die Auffassung einer „cerebralen Starre“ als mindestens ebenso berechtigt er- 
    scheinen. 

    Die vom Autor gegen diese Auffassung vorgebrachten Gründe halte ich für 
    unzutreffend. Lehrreich ist in den Fällen v. **KRAFFT**'s die verschiedenartige 
    Entwickelung des gleichen Leidens bei den drei Geschwistern. Das eine zeigte 
    die spastischen Symptome schon als kleines Kind und lernte erst sehr spät gehen, 
    die anderen lernten frühzeitig gehen und bekamen die paraplegische Starre mit 
    3 Jahren ohne bekannte Ursache und mit 5 Jahren nach einer Infectionskrank- 
    heit. Ein neuer Beweis, wie leicht man in die Lage kommen kann, eine eigent- 
    lich congenital bedingte Affection für eine acquirirte zu halten. 

    6. Wenn die bisher angeführten Beobachtungen dem familiärem Vorkommen 
    von allgemeiner und paraplegischer Starre und bilateraler Lähmung entsprechen, 
    so darf man erwarten, dass auch der letzte Typus der cerebralen Diplegien, die 
    congenitale Chorea und bilaterale Athetose, seine familiären Vertreter haben wird. 
    Dies ist in der That der Fall. 

    **MASSALONGO** (bei **AUDRY**)³ theilt die Beobachtung dreier Geschwister mit, 
    welche einem gesunden Elternpaar entsprossen und selbst normal geboren, auch 

    ¹ Spastische Starre der Unterextremitäten bei drei Geschwistern. Deutsche med. Wochen-
    schr. 1889. Nr. 15.
    ² v. **KRAFFT-EBING**, Familiäre spastische Spinalparalyse. Wiener klin. Wochenschrift.
    1892. Nr. 97.
    ³ L'athétose double et les chorées chroniques de l'enfance. Lyon 1892.

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    bis zum 7. Jahr normal entwickelt, von dieser Zeit an das Bild einer schweren 
    doppelseitigen Athetose zu entwickeln begannen, welches zur Zeit der Beobachtung 
    bei dem jüngsten eben mit Athetose der Finger und Zungenunruhe einsetzte, 
    bei dem ältesten Kinde voll ausgebildet war und sich als Beispiel der so häufigen 
    Combination von Athetose des Oberkörpers mit spastischer Starre der Beine 
    erwies. 

    7. Man kann sich ferner kaum der Meinung erwehren, dass die 5 Geschwister, 
    welche **UNVERRICHT**¹ in seiner Monographie über Myoclonie den Beispielen dieser 
    Affection voranstellt, hierher, ich meine zu den familiären Formen von Chorea 
    und Athetose, gehören. **UNVERRICHT** bezeichnet seine Fälle als Myoclonie, 
    weil die unwillkürlichen Bewegungen jene Charaktere zeigen, die **FRIEDREICH** 
    zuerst in seinem bekannten Fall von Paramyoclonus multiplex beschrieben hat. 

    Aber ich meine, die Sammlung **UNVERRICHT**'s ist ein gutes Argument, um 
    jeden Forscher, der in das „Chaos motorischer Neurosen“ Ordnung bringen 
    möchte, davon abzuschrecken, dass er das Hauptgewicht bei der Unterscheidung 
    auf den Charakter der Zuckungen, anstatt auf das klinische Gesammtbild lege. 
    Die 5 Geschwister im Buche **UNVERRICHT**'s stimmen in keinem anderen wesent- 
    lichen Punkt mit den ihnen nachstehenden Beobachtungen überein, weder im 
    Alter, noch im Verlauf, in der Bedeutung des ganzen Bildes, der Prognose und 
    in den symptomatischen Einzelheiten. Diese Fälle zeigen symptomatisch die grösste 
    Aehnlichkeit mit der Chorea chronica progressiva, die aber keine Erkrankung 
    des Kindesalters ist, und wären nach meiner Deutung den familiären Formen 
    der cerebralen Diplegien anzuschliessen, und zwar dem Typus der congenital be- 
    dingten Chorea, bei dem die unwillkürlichen Bewegungen also die Form der 
    Chorea, der Athetose oder der Myoclonie annehmen können, wenn der Name 
    „Myoclonie“ — als Bezeichnung eines Symptoms, nicht einer Krankheit — bei- 
    behalten werden soll. 

    Da eine erhebliche Anzahl der Einzelfälle von cerebralen Diplegien 
    überhaupt congenital bedingt ist (vgl. meine Eingangs angekündigte Arbeit), so 
    darf es nicht Wunder nehmen, dass diese — uns übrigens völlig unbekannten 
    — congenitalen Bedingungen gelegentlich in einer Generationsreihe mehrere 
    Mitglieder in ähnlicher oder identischer Weise afficiren. Man darf vielleicht er- 
    warten, dass weitere Beobachtung uns noch eine ganze Anzahl solcher fami- 
    liärer Affectionen vom Typus der cerebralen Diplegien bekannt geben wird. 

    Wien, Mitte April 1893. 



    ¹ Die Myoclonie. Wien 1891.