Vorrede [in hebräischer Übersetzung] zu: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-1917a) 1917-001/1934
  • S.

    VORREDE

    zur hebräischen Ausgabe der „VORLESUNGEN ZUR EINFÜHRUNG
    IN DIE PSYCHOANALYSE“. Jerusalem, Verlag Stybel, 1934.

    Diese Vorlesungen sind in den Jahren 1916 und 1917 gehalten worden,
    sie entsprachen ziemlich getreu dem damaligen Stand der jungen Wissen-
    schaft und sie enthielten mehr als ihr Name aussagte. Sie brachten nicht
    nur eine Einführung in die Psychoanalyse, sondern auch das meiste ihres
    Inhalts. Es ist natürlich, daß dies heute nicht mehr zutrifft. Die Theorie
    hat in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht, wichtige Stücke, wie die Zer-
    legung der Persönlichkeit in ein Ich, Über-Ich und Es, eine tiefgreifende
    Abänderung der Trieblehre, Einsichten in die Herkunft von Gewissen und
    Schuldgefühl sind hinzugekommen. Die Vorlesungen sind also in hohem
    Grade unvollständig geworden; erst jetzt haben sie wirklich den Charakter
    einer bloßen „Einführung“. In anderem Sinne aber sind sie auch heute
    nicht überholt oder veraltet. Was sie mitteilen, wird in den psychoanalyti-
    schen Schulen, von wenigen Abänderungen abgesehen, noch immer ge-
    glaubt und gelehrt.
    Dem hebräisch lesenden Publikum und insbesondere der wißbegierigen
    Jugend wird durch dieses Buch die Psychoanalyse im Gewand jener uralten
    Sprache vorgestellt, die durch den Willen des jüdischen Volkes zu neuem
    Leben erweckt worden ist. Der Autor hat eine gute Vorstellung davon,
    welche Arbeit der Übersetzer dabei zu leisten hatte. Es braucht den Zweifel
    nicht zu unterdrücken, ob wohl Moses und die Propheten diese hebräischen
    Vorlesungen verständlich gefunden hätten, ihren Nachkommen aber, zu
    denen er selbst zählt, — für die dies Buch bestimmt ist, legt der Autor
    die Bitte vor, nicht zu rasch nach den ersten Regungen von Kritik und

  • S.

    384                        Geleitworte zu Büchern

    Mißfallen mit Ablehnung zu reagieren. Die Psychoanalyse bringt so viel
    Neues, darunter auch so viel, was althergebrachten Meinungen widerspricht
    und tiefwurzelnde Gefühle verletzt, daß sie zunächst Widerspruch hervor-
    rufen muß. Wenn man sein Urteil zurückhält und das Ganze der Psycho-
    analyse auf sich einwirken läßt, wird man vielleicht der Überzeugung zu-
    gänglich werden, daß auch dies unerwünschte Neue wissenswert und unent-
    behrlich ist, wenn man Seele und Menschenleben verstehen will.

    Wien, im Dezember 1930.