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ZUR DYNAMIK DER ÜBERTRAGUNG
Erschim zuerst im „Zentralblatt für Psycho-
analyse“, II (1912), dann in der Vizrtzn Folge der
„Sammlung kleiner Schriften zur Neurosmlzhre“.Das schwer zu erschöpfende Thema der „Übertragung“ ist
kürzlich in diesem Zentralblatt von W. Stekel in deskriptiver
Weise behandelt werden.1 Ich möchte nun hier einige Bemer-
kungen anfügen, die verstehen lassen sollen, wie die Übertragung
während einer psychoanaly‘tischen Kur notwendig zustande kommt,
und wie sie zu der bekannten Rolle während der Behandlung
gelangt.Machen wir uns klar, daß jeder Mensch durch das Zusammen-
wirken von mitgebrachter Anlage und von Einwirkungen auf
ihn während seiner Kinderjahre eine bestimmte Eigenart erworben
hat, wie er das Liebesleben ausübt, also welche Liebes-
bedingungen er stellt, welche Triebe er dabei befriedigt, und welche
Ziele er sich setzt.” Das ergibt sozusagen ein Klischee (oder auch1) Jahrgang II, Nr. II, S. 25.
2) Verwahren wir uns an dieser Stelle gegen den mißverständlichen Vorwurf, als
hätten wir die Bedeutung der angeborenen (knnstitiitionellen) Momente geleugnet‚
weil wir die der infentilen Eindrücke hervnrgehohen haben. Ein solcher Vorwurf stammt
aus der Enge des Kausalhedürfnisses der Menschen, welches sich im Gegensatz zur
gewöhnlichen Gestaltung der Realität mit einem einzigen verursachunden Moment
zufrieden geben will. Die Psychoanalyse hat über die akzidentellen Faktoren der
Ätiologie viel, über die konstitutionellen wenig geäußert, aber nur darum, weil sie
zu den ersteren etwas Neues beibringen konnte, über die letzteren hingegen zunächst
nicht mehr wußte, als man snnst weiß. Wir lehnen es ab, einen prinzipiellen Gegen—
satz zwischen beiden Reihen von ätiologischen Momenten zu etablieren; wir nehmen
vielmehr ein regelmäßiges Zusammenwirken beider zur Hervorhringung den beob-
achteten Efiekts an. Ampuw mit Tom bestimmen das Schicksal eines Menschen;S.
54 ' Zur Technik
mehrere), welches im Laufe des Lebens regelmäßig wiederholt,
neu abgedruckt wird, insoweit die äußeren Umstände und die
Natur der zugänglichen Liebesobjekte es gestatten, welches gewiß
auch gegen rezente Eindrücke nicht völlig unveränderlich ist.
Unsere Erfahrungen haben nun ergeben, daß von diesen das
Liebesleben bestimmenden Regungen nur ein Anteil die volle
psychische Entwicklung durchgemacht hat; dieser Anteil ist der
Realität zugewendet, steht der bewußten Persönlichkeit zur Ver—
fügung und macht ein Stück von ihr aus. Ein anderer Teil
dieser libidinösen Regungen ist in der Entwicklung aufgehalten
werden, er ist von der bewußten Persönlichkeit wie von der
Realität abgehalten, durfte sich entweder nur in der Phantasie
ausbreiten oder ist gänzlich im Unbewußten verblieben, so daß
er dem Bewußtsein der Persönlichkeit unbekannt ist. Wessen
Liebesbedürftigkeit nun von der Realität nicht restlos befriedigt
wird, der muß sich mit libidinöseil Erwartungsvorstellungen
jeder neu auftretenden Person zuwenden, und es ist durchaus
wahrscheinlich, daß beide Portionen seiner Libido, die bewußt—
seinsf‘a'hige wie die unbewußte an dieser Einstellung Anteil haben.Es ist also völlig normal und verständlich, wenn die erwartungs—
voll bereitgehaltene Libidobesetzung des teilweise Unbefriedigten
sich auch der Person des Arztes zuwendet. Unserer Voraussetzung
gemäß, wird sich diese Besetzung an Vorbilder halten7 an eines
der Klischees anknüpfen, die bei der betreffenden Person vor—
handen sind oder, wie wir auch sagen können, sie wird den
Arzt in eine der psychischen „Reihen“ einfügen, die der Leidende
bisher gebildet hat. Es entspricht den realen Beziehungen zumselten, vielleicht niemals, eine dieser Mächte allein. Die Aufteilung der ätiologischen
Wirksamkeit zwischen den 'beiden wird sich nur individuell und im einzelnen voll—
ziehen lassen. Die Reihe, in welcher sich wechselnde Größen der beiden Faktoren
zusammensetzen, wird gewiß auch ihre extremen Fälle haben. Je nach dem Stande
unserer Erkenntnis werden wir den Anteil der Konstitution oder des Erlebens im
Einzelfälle anders einschätzen und das Recht behalten, mit der Veränderung unserer
Einsichten unser Urteil zu modifizieren. Übrigens könnte man es wagen, die Kon-
stitution selbst aufzufassen als den Niederschlag aus den ukzidentellen Einwirkungen
auf die unendlich große Reihe der Ahnen.S.
Zur Dynamik der Übertragung 55
Arzte, wenn für diese Einreihung die Vater—Image (nach Jungs
glücklichem Ausdruck)‘ maßgebend wird. Aber die Übertragung
ist an dieses Vorbild nicht gebunden, sie kann auch nach der
Mutter— oder Bruder-Image usw. erfolgen. Die Besonderheiten
der Übertragung auf den Arzt, durch welche sie über Maß und
Art dessen hinausgeht, was sich nüchtern und rationell recht-
fertigen läßt, werden durch die Erwägung verständlich, daß eben
nicht nur die bewußten Erwartungsvorstellungen, sondern auch
die zurückgehaltenen oder unbewußten diese Übertragung
hergestellt haben.Über dieses Verhalten der Übertragung wäre weiter nichts
zu sagen oder zu grübeln, wenn nicht dabei zwei Punkte
unerklärt blieben, die für den Psychoanalytiker von besonderem'
Interesse sind. Erstens verstehen wir nicht, daß die Übertragung
bei neurotischen Personen in der Analyse soviel intensiver aus—
fällt als bei anderen, nicht analysierten, und zweitens bleibt es
rätselhaft, weshalb uns bei der Analyse die Übertragung als der
s t a r k s t e W i cl e r s t a n d gegen die Behandlung entgegentritt,
während wir sie außerhalb der Analyse als Trägerin der Heil—
wirkung, als Bedingung des guten Erfolges anerkennen müssen.
Es ist doch eine beliebig oft zu bestätigende Erfahrung, daß, wenn
die freien Assoziationen eines Patienten versagenfl jedesmal die
Stockung beseitigt werden kann durch die Versicherung, er stehe
jetzt unter der Herrschaft eines Einfalles, der sich mit der
Person des Arztes oder mit etwas zu ihm Gehörigen beschäftigt.
Sobald man diese Aufkläng gegeben hat, ist die Stockung
beseitigt, oder man hat die Situation des Versagens in die des
Verschweigens der Einfälle verwandelt.Es scheint auf den ersten Blick ein riesiger methodischer Nach-
teil der Psychoanalyse Zü sein, daß sich in ihr die Übertragung,;) Symbole und Wandlungen der Libido. Jahrbuch für Psychoanalyse, III, S. 164.
2) Ich meine, wenn sie wirklich ausbleiben, und nicht etwa infolge eines bemalt—m
Urdustgefühles von ihm verschwiegen werden.S.
55 Zur Techm7c
sonst der mächtigste Hebel des Erfolgs, in das stärkste Mittel
des Widerstandes verwandelt. JBei näherem Zusehen wird aber
wenigstens das erste der beiden Probleme weggeräumt. Es ist
nicht richtig, daß die Übertragung während der Psychoanalyse
intensiver und ungezügelter auftritt als außerhalb derselben. Man
beobachtet in Anstalten, in denen Nervöse nicht analytisch behandelt
werden, die höchsten Intensitäten und die unwürdigsten Formen
einer bis zur Hörigkeit gehenden Übertragung, auch die unzwei—
deutigste erotische Färbung derselben. Eine feinsinnige Beobachterin
wie die Gabriele Reuter hat dies zur Zeit, als es noch kaum eine
Psychoanalyse gab, in einem merkwürdigen Buche geschildert,
welches überhaupt die besten Einsichten in das Wesen und die
Entstehung der Neurosen verrät.‘ Diese Charaktere der Über—
tragung sind also nicht auf Rechnung der Psychoanalyse zu setzen,
sondern der Neurose selbst zuzuschreiben. Das zweite Problem
bleibt vorläufig unangetastet.Diesem Problem, der Frage, warum die Übertragung uns in
der Psychoanalyse als Widerstand entgegentritt, müssen wir nun
näher rücken. Vergegenwärtigen wir uns die psychologische Situation
der Behandlung: Eine regelmäßige und unentbehrliche Vor—
bedingung jeder Erkrankung an einer Psychoneurose ist der
Vorgang, den Jung treffend als Introversion der Libido
bezeichnet hat.“ Das heißt: Der Anteil der bewußtseinsfähigen,
der Realität zugewendeten Libido wird verringert, der Anteil der
von der Realität_abgewendeten, unbewußten, welche etwa noch
die Phantasien der Person speisen darf, aber dem Unbewußten
angehört, um so viel vermehrt. Die Libido hat sich (ganz oder
teilweise) in die Regression begeben und die infantilen Imagines
wiederbelebt.5 Dorthin folgt ihr nun die analytische Kur nach,1) Aus guter Familie, 1835.
z) Wenngleich manche Außer-ungen Jungs den Eindruck machen, als sehe er
in dieser Introversion etwas für die Dementia praecox Chuakteristisches, was bei
anderen Neurosen nicht ebenso in Betracht käme,5) Es wäre bequem zu sagen: Sie hat die infantilen „Komplexe“ wieder besetzt.
Aber das wäre unrichtig; einzig zu rechtfertigen wäre die Aussage: Die unbewußtenS.
Zur Dynamik der Übertragung 57
welche die Libido aufsuchen, wieder dem Bewußtsein zugänglich
und endlich der Realität dienstbar machen will. Wo die analytische
Forschung auf die in ihre Verstecke zurückgezogene Libido stößt,
muß ein Kampf ausbrechen, alle die Kräfte, welche die Regression
der Libido verursacht haben, werden sich als „Widerstände“ gegen
die Arbeit erheben, um diesen neuen Zustand zu 'konservieren.
Wenn nämlich die Introversion oder Regression der Libido nicht
durch eine bestimmte Relation zur Außenwelt (im allgemeinsten:
durch die Versagung der Befriedigung) berechtigt und selbst für
den Augenblick zweckmäßig gewesen wäre, hätte sie überhaupt
nicht zustande kommen können. Die Widerstände dieser Herkunft
sind aber nicht die einzigen, nicht einmal die stärksten. Die der
Persönlichkeit verfügbare Libido hatte immer unter der Anziehung
der unbewußten Komplexe (richtiger der dem Unbewußten
angehörenden Anteile dieser Komplexe) gestanden und war in die
Regression geraten, weil die Anziehung der Realität nachgelassen
hatte. Um sie frei zu machen, muß nun diese Anziehung des
Unbewußten überwunden, also die seither in dem Individuum
konstituierte Verdrängung der unbewußten Triebe und ihrer
Produktionen aufgehoben werden. Dies ergibt den bei weitem
großartigeren Anteil des Widerstandes, der ja so häufig die Krankheit
fortbestehen läßt, auch wenn die Abwendung von der Realität
die zeitweilige Begründung wieder verloren hat. Mit den Wider-
ständen aus beiden Quellen hat die Analyse zu kämpfen. Der
Widerstand begleitet die Behandlung auf jedem Schritt; jeder
einzelne Einfall, jeder Akt des Behandelten muß dem Wider—
stande Rechnung tragen, stellt sich als ein Kompromiß aus denAnteile dieser Komplexe. — Die außerordentliche Verschlungenheit des in dieser
Arbeit behandelten Themas legt die Versuchung nahe, auf eine Anzahl von unstofienden
Problemen einzugehen, deren Klärung eigentlich erforderlich wäre, ehe man von den
hier zu beschreibenden psychischen Vorgängen in unzweideutigen Worten reden
könnte. Solche Probleme sind: Die Abgrenzung der Introversion und. der Regression
gegeneinander, die Einfügung der Komplexlehre in die Libidct.heorie‚ die Beziehungen
des Pbantasierens zum Bewußten und Unbewußten wie zur Realität u. a. Es bedarfkeiner Entschuldigung, wenn ich an dieser Stelle diesen Versuchungen Widerstanden
habe.S.
58 * Zur Technik
zur Genesung zielenden‘Kräften und den angeführten, ihr wider—
strebenden, dar.Verfolgt man nun einen pathogenen Komplex von seiner (ent—
weder als Symptom auffälligen oder auch ganz unscheinbaren)
Vertretung im Bewußten gegen seine Wurzel im Unbewußten
hin, so wird man bald in eine Region kommen, wo der Wider-
stand sich so deutlich geltend macht, daß der nächste Einfall ihm
Rechnung tragen und als Kompromiß zwischen seinen Anforderungen
und denen der Forschungsarbeit erscheinen muß. Hier tritt nun
nach dem Zeugnisse der Erfahrung die Übertragung ein. Wenn
irgend etwas aus dem Komplexstoff (dem Inhalt des Komplexes)
sich dazu eignet, auf die Person des Arztes übertragen zu werden,
so stellt sich diese Übertragung her, ergibt den nächsten Einfall
und kündigt sich durch die Anzeichen eines Widerstandes, etwa
durch eine Stockung, an. Wir schließen aus dieser Erfahrung, daß
diese Übertragungsidee darum vor allen anderen Einfallsmöglich—
keiten zum Bewußtsein durchgedrungen ist, weil sie auch dem
Widerstande Genüge tut. Ein solcher Vorgang wiederholt sich
im Verlaufe einer Analyse ungezählte Male. Immer wieder wird,
wenn man sich einem pathogenen Komplexe annähert, zuerst der
zur Übertragung befähigte Anteil des Komplexes ins Bewußtsein
vorgeschoben und mit der größten Hartnäckigkeit verteidigt.‘Nach seiner Überwindung macht die der anderen Komplex—
bestandteile wenig Schwierigkeiten mehr. Je länger eine analytische
Kur dauert, und je deutlicher der Kranke erkannt hat, daß Ent—
stellungen des pathogenen Materials allein keinen Schutz gegen
die Aufdeckung bieten, desto konsequenter bedient er sich der
einen Art von Entstellung, die ihm offenbar die größten Vorteile1) Woraus man aber nicht allgemein 'auf eine besondere pathogene Bedeutsamkeit
des zum Übertragungswiderstand gewählten Elm-names schließen darf. Wenn in einer
Schlacht um den Besitz eines gewissen Kirchleins oder eines einzelnen Gehöfts mit,
besonderer Erbitterung gestritten wird, braucht man nicht anzunehmen, daß die
Kirche etwa ein Nationalheilig'tmn sei, oder daß das Haus den Armeeschatz berge.
Der Wert der Objekte kann ein bloß taktischer sein, vielleicht nur in dieser einen
Schlacht zur Geltung kommen. ‘S.
Zur Dynamik der Übertragung 59
bringt, der Entstellung durch Übertragung. Diese Verhältnisse
nehmen die Richtung nach einer Situation, in welcher schließlich
alle Konflikte auf dem Gebiete der Übertragung ausgefochten
werden müssen.So erscheint uns die Übertragung in der analytischen Kur
zunächst immer nur als die stärkste Waffe des Widerstandes, und
wir dürfen den Schluß ziehen, daß die Intensität und Ausdauer
der Übertragung eine Wirkung und ein Ausdruck des Wider—
standes seien. Der Mechanismus der Übertragung ist zwar durch
ihre Zurückführung auf die Bereitschaft der Libido erledigt, die
im Besitze infantiler Imagines geblieben ist, die Aufklärung ihrer
Rolle in der Kur gelingt aber nur, wenn man auf ihre Beziehungen
zum Widerstande eingeht.Woher kommt es, daß sich die Übertragung so vorzüglich zum
Mittel des Widerstandes eignet? Man sollte meinen, diese Antwort
wäre nicht schwer zu geben. Es ist ja klar, daß das Geständnis
einer jeden verpönten Wunschregung besonders erschwert wird,
wenn es vor jener Person abgelegt werden soll, der die Regung
selbst gilt. Diese Nötigung ergibt Situationen, die in der Wirklichkeit
als kaum durchführbar erscheinen. Gerade das will nun der
Analysierte erzielen, wenn er das Objekt seiner Gefühlsregungen
mit dem Arzte zusammenfallen läßt. Eine nähere Überlegung
zeigt aber, daß dieser scheinbare Gewinn nicht die Lösung des
Problems ergeben kann. Eine Beziehung von zärtlicher, hingebungs—
voller Anhänglichkeit kann ja anderseits über alle Schwierige '
keiten des Geständnisses hinweghelfen. Man pflegt ja unter
analogen realen Verhältnissen zu sagen: Vor dir schäme ich mich
nicht, dir kann ich alles sagen. Die Übertragung auf den Arzt
könnte also ebensowohl zur Erleichterung des Geständnisses
dienen, und man verstände nicht, warum sie eine Erschwerung
hervorruft.Die Antwort auf diese hier wiederholt gestellte Frage wird
nicht durch weitere Überlegung gewonnen, sondern durch dieS.
60 Zur Technik
Erfahrung gegeben, die man bei der Untersuchung der einzelnen
Übertragswiderstände in der Kur macht. Man merkt endlich, daß
man die Verwendung der Übertragung zum Widerstande nicht
verstehen kann, solange man an „Übertragung“ schlechtweg
denkt. Man muß sich entschließen, eine „positive“ Übertragung
von einer „negativen“ zu sondern, die Übertragung zärtlicher
Gefühle von der feindseliger, und beide Arten der Übertragung
auf den Arzt gesondert zu behandeln. Die positive Übertragung
zerlegt sich dann noch in die solcher freundlicher oder zärtlicher
Gefühle, welche bewußtseinsfähig sind, und in die ihrer F ortsetzun gen
ins Unbewußte. Von den letzteren weist die Analyse nach, daß
sie regelmäßig auf erotische Quellen zurückgehen, so daß wir
zur Einsicht gelangen müssen, alle unsere im Leben verwertbaren
Gefühlsbeziehungen von Sympathie, Freundschaft, Zutrauen und
dergleichen seien genetisch mit der Sexualität verknüpft und
haben sich durch Abschwächung des Sexualzieles aus rein
sexuellen Begehrungen entwickelt, so rein und unsinnlich sie sich
auch unserer bewußten Selbstwahmehmung darstellen mögen.
Ursprünglich haben wir nur Sexualobjekte gekannt; die Psycho—
analyse zeigt uns, daß die bloß geschätzten oder verehrten Personen
unserer Realität für das Unhewußte in uns immer noch Sexual—
Objekte sein können.Die Lösung des Rätsels ist also, daß die Übertragung auf den
Arzt sich. nur insofern zum Widerstande in der Kur eignet, als
sie negative Übertragung oder positive von verdrängten erotischen
Regungen ist. Wenn wir durch Bewußtmachen die Übertragung
„aufheben“, so lösen wir nur diese beiden Komponenten des
Gefühlsaktes von der Person des Arztes ab; die andere bewußtseins—
fähige und unanstößige Komponente bleibt bestehen und ist in
der Psychoanalyse genau ebenso die Trägerin des Erfolges wie
bei anderen Behandlungsmethoden. Insofern gestehen wir gerne
zu, die Resultate der Psychoanalyse beruhten auf Suggestiou;
nur muß man unter Suggestion das verstehen, was wir mitS.
Zur Dynamik der Übertragung 61
F eren czi' darin finden: die Beeinflussung eines Menschen ver-
mittels der bei ihm möglichen Übertragungsphänomene. Für die
endliche Selbständigkeit ’des Kranken sorgen wir, indem wir die
Suggestion dazu benützen, ihn eine psychische Arbeit vollziehen
zu lassen, die eine dauernde Verbesserung seiner psychischen
Situation zur notwendigen Folge hat.Es kann noch gefragt werden, warum die Widerstands—
phänomene der Übertragung nur in der Psychoanalyse, nicht
auch bei indifferenter Behandlung, z. B. in Anstalten zum Vor—
schein kommen. Die Antwort lautet: sie zeigen sich auch dort,
nur müssen sie als solche gewürdigt werden. Das Hervorbrechen
der negativen Übertragung ist in Anstalten sogar recht häufig.
Der Kranke verläßt eben die Anstalt ungeändert oder rückfla'llig,
sobald er unter die Herrschaft der negativen Übertragung gerät.
Die erotische Übertragung wirkt in Anstalten nicht so hemmend,
da sie dort wie im Leben beschönigt, anstatt aufgedeckt wird;
sie äußert sich aber ganz deutlich als Widerstand gegen die
Genesung, zwar nicht, indem sie den Kranken aus der Anstalt
treibt, —— sie hält ihn im Gegenteil in der Anstalt zurück, —
wohl aber dadurch, daß sie ihn vom Leben ferne hält. Fiir die
Genesung ist es nämlich recht gleichgültig, ob der Kranke in der
Anstalt diese oder jene Angst oder Hemmung überwindet; es
kommt vielmehr darauf an, daß er auch in der Realität seines
Lebens davon frei wird.Die negative Übertragung verdiente eine eingehende Würdigung,
die ihr im Rahmen dieser Ausführungen nicht zuteil werden
kann. Bei den heilbaren Formen von Psychoneurosen findet sie
sich neben der zärtlichen Übertragung, oft gleichzeitig auf die
nämliche Person gerichtet, für Welchen Sachverhalt Bleuler
den guten Ausdruck Ambivalenz geprägt hat.2 Eine solche1) P e r e n o z i, Introiektion und Übertragung, Jahrbuch für Psychoanalyse,
Bd. I, 1909.z) E. B le 11 l e r, Dementia praeeox oder GruPpe der Schizophrenien in
A5 ch uff e n ]) urg 3 Handbuch der Psychiatrie, igu. —— Vortrag über AmbivalenzS.
6 9 Zur Technik
Ambivalenz der Gefühle scheint bis zu einem gewissen Maße
normal zu sein, aber ein hoher Grad von Ambivalenz der Gefühle
ist gewiß eine besondere Auszeichnung heurotischer Personen.
Bei der Zwangneurose scheint eine frühzeitige „Trennung der
Gegensatzpaare“ für das Triebleben charakteristisch zu sein und
eine ihrer konstitutionellen Bedingungen darzustellen. Die Ambi—
valenz der Gefühlsrichtungen erklärt uns am besten die Fähigkeit
der Neurotiker, ihre Übertragungen in den Dienst des Wider-
Standes zu stellen. Wo die Übertragungsfähigkeit im wesentlichen
negativ geworden ist, wie bei den Paranoiden, da hört die Mög—
lichkeit der Beeinflussung und der Heilung auf.Mit allen diesen Erörterungen haben wir aber bisher nur eine
Seite des Übertragungsphänomens gewürdigt; es wird erfordert,
unsere Aufmerksamkeit einem anderen Aspekt derselben Sache
zuzuwenden. Wer sich den richtigen Eindruck davon geholt hat,
wie der Analysierte aus seinen realen Beziehungen zum Arzte
herausgeschleudert wird, sobald er unter die Herrschaft eines
ausgiebigen Übertragungswiderstandes gerät, wie er sich dann die
Freiheit herausnimmt, die psychoanalytische Grundregel zu ver—
nachlässigen, daß man ohne Kritik alles mitteilen solle, was
einem in den Sinn kommt, wie er die Vorsätze vergißt, mit
denen er in die Behandlung getreten war, und wie ihm logische
Zusammenhänge und Schlüsse nun gleichgültig werden, die ihm
kurz vorher den größten Eindruck gemacht hatten, der wird das
Bedürfnis haben, sich diesen Eindruck noch aus anderen als den
bisher angeführten Momenten zu erklären, und solche liegen in der
Tat nicht ferne; Sie ergeben sich wiederum aus der psychologischen
Situation, in welche die Kur den Analysierten versetzt hat.In der Aufspürung der dem Bewußten abhanden gekommenen
Libido istr man in den Bereich des Unbewußten eingedrungen.
Die Reaktionen, die man erzielt, bringen nun manches von denin Bern 1910, referiert in diesem Zentralblatt. I, p. 266. — Für die gleichen
Phänomene hatte W. Stekel vorher die Bezeichnung „Bipolarität“ vorgeschlagen.S.
Zur Dynamik der Übertragung 65
Charakteren unbewußter Vorgänge mit aus Licht, wie wir sie
durch das Studium der Träume kennen gelernt haben. Die
unbewußten Regungen wollen nicht erinnert werden, wie die
Kur es wünscht, sondern sie streben danach, sich zu reproduzieren,
entsprechend der Zeitlosigkeit und der Halluzinationsfähigkeit des
Unbewußten. Der Kranke spricht ähnlich wie im Traume den
Ergebnissen der Erweckung seiner unbewußten Reg-ungen Gegen—
wärtigkeit und Realität zu; er will seine Leidenschaften agieren,
ohne auf die reale Situation Rücksicht zu nehmen. Der Arzt
will ihn dazu nötigen, diese Gefühlsregungen in den Zusammen—
hang der Behandlung und in den seiner Leberisgeschichte ein—
zureihen, sie der denkenden Betrachtung unterzuordnen und nach
ihrem psychischen Werte zu erkennen. Dieser Kampf zwischen
Arzt und Patienten, zwischen Intellekt und Triebleben, zwischen
Erkennen und Agierenwollen spielt sich fast ausschließlich an
den Übertragungsphänomenen ab. Auf diesem Felde muß der
Sieg gewonnen werden, dessen Ausdruck die dauernde Genesung
von der Neurose ist. Es ist unleugbar, daß die Bezwingung der
Übertragungsphänomene dem Psychoanalytiker die größten
Schwierigkeiten bereitet, aber man darf nicht vergessen, daß
gerade sie uns den unschätzbaren Dienst erweisen, die verborgenen
und vergessenen Liebesregungen der Kranken aktuell und mani—
fest zu machen, denn schließlich kann niemand in absentia oder
in effigie erschlagen werden.
freud-1924-metapsychologie
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