S.
Zur Gewinnung des Feuers
Von
Sigm. Freud
In einer Anmerkung meiner Schrift „Das Unbehagen in der Kultur"
(S. 47) habe ich eher beiläufig erwähnt, welche Vermutung über die
Gewinnung des Feuers durch den Urmenschen man sich auf Grund des
psychoanalytischen Materials bilden könnte. Der Widerspruch von Albrecht
Schaeffer („Die Psychoanalytische Bewegung", Jahrgang II, 1930, S. 251)
und der überraschende Hinweis in vorstehender Mitteilung von Erlenmeyer
über das mongolische Verbot, auf Asche zu pissen,¹ veranlassen mich, das
Thema wieder aufzunehmen.2
Ich meine nämlich, daß meine Annahme, die Vorbedingung der Bemächti-
gung des Feuers sei der Verzicht auf die homosexuell-betonte Lust gewesen,
es durch den Harnstrahl zu löschen, lasse sich durch die Deutung der griechi-
schen Prometheussage bestätigen, wenn man die zu erwartenden Entstellungen
von der Tatsache bis zum Inhalt des Mythus in Betracht zieht. Diese Ent-
stellungen sind von derselben Art und nicht ärger als jene, die wir alltäglich
anerkennen, wenn wir aus den Träumen von Patienten ihre verdrängten,
1) Wohl auf heiße Asche, aus der man noch Feuer gewinnen kann, nicht auf
erloschene.
2) Der Widerspruch von Lorenz in „Chaos und Ritus" (Imago XVII, 1931,
S. 433 ff.) geht von der Voraussetzung aus, daß die Zähmung des Feuers überhaupt
erst mit der Entdeckung begonnen habe, man sei imstande, es durch irgendeine
Manipulation willkürlich hervorzurufen. Dagegen verweist mich Dr. J. Hárnik
auf eine Äußerung von Dr. Richard Lasch (in Georg Buschans Sammelwerk
,,Illustrierte Völkerkunde", Stuttgart 1922, Bd. I, S. 24): „Vermutlich ist die Kunst
der Feuererhaltung der Feuererzeugung lange vorausgegangen; einen entsprechenden
Beweis hiefür liefert die Tatsache, daß die heutigen pygmäenartigen Urbewohner der
Andamanen wohl das Feuer besitzen und bewahren, eine autochthone Methode der
Feuererzeugung aber nicht kennen."
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doch so überaus bedeutsamen Kindheitserlebnisse rekonstruieren. Die dabei
verwendeten Mechanismen sind die Darstellung durch Symbole und die Ver-
wandlung in's Gegenteil. Ich kann es nicht wagen, alle Züge des Mythus.
in solcher Art zu erklären; außer dem ursprünglichen Sachverhalt mögen
andere und spätere Vorgänge zu seinem Inhalt beigetragen haben. Aber die.
Elemente, die eine analytische Deutung zulassen, sind doch die auffälligsten
und wichtigsten, nämlich die Art, wie Prometheus das Feuer transportiert,
der Charakter der Tat (Frevel, Diebstahl, Betrug an den Göttern) und der
Sinn seiner Bestrafung.
Der Titane Prometheus, ein noch göttlicher Kulturheros,' vielleicht selbst
ursprünglich ein Demiurg und Menschenschöpfer, bringt also den Menschen das
Feuer, das er den Göttern entwendet hat, versteckt in einem hohlen Stock,
Fenchelrohr. Einen solchen Gegenstand würden wir in einer Traumdeutung
gern als Penissymbol verstehen wollen, wenngleich die nicht gewöhnliche Be-
tonung der Höhlung uns dabei stört. Aber wie bringen wir dieses Penis-
rohr mit der Aufbewahrung des Feuers zusammen? Das scheint aussichts-
los, bis wir uns an den im Traum so häufigen Vorgang der Verkehrung,
Verwandlung in's Gegenteil, Umkehrung der Beziehungen erinnern, der uns
so oft den Sinn des Traumes verbirgt. Nicht das Feuer beherbergt der Mensch
in seinem Penisrohr, sondern im Gegenteil das Mittel, um das Feuer zu
löschen, das Wasser seines Harnstrahls. An diese Beziehung zwischen Feuer
und Wasser knüpft dann reiches, wohlbekanntes analytisches Material an.
Zweitens, der Erwerb des Feuers ist ein Frevel, es wird durch Raub
oder Diebstahl gewonnen. Dies ist ein konstanter Zug aller Sagen über die
Gewinnung des Feuers, er findet sich bei den verschiedensten und ent-
legensten Völkern, nicht nur in der griechischen Sage vom Feuerbringer
Prometheus. Hier muß also der wesentliche Inhalt der entstellten Mensch-
heitsreminiszenz enthalten sein. Aber warum ist die Feuergewinnung un-
trennbar mit der Vorstellung eines Frevels verknüpft? Wer ist dabei der
Geschädigte, Betrogene? Die Sage bei Hesiod gibt eine direkte Antwort,
indem sie in einer anderen Erzählung, die nicht direkt mit dem Feuer
zusammenhängt, Prometheus bei der Einrichtung der Opfer Zeus zugunsten
der Menschen übervorteilen läßt. Also die Götter sind die Betrogenen! Den
Göttern teilt der Mythus bekanntlich die Befriedigung aller Gelüste zu, auf
die das Menschenkind verzichten muß, wie wir es vom Inzest her kennen.
Wir würden in analytischer Ausdrucksweise sagen, das Triebleben, das Es,
1) Herakles ist dann halbgöttlich, Theseus ganz menschlich.
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sei der durch die Feuerlöschentsagung betrogene Gott, ein menschliches
Gelüste ist in der Sage in ein göttliches Vorrecht umgewandelt. Aber die
Gottheit hat in der Sage nichts vom Charakter eines Über-Ichs, sie ist noch
Repräsentant des übermächtigen Trieblebens.
Die Umwandlung in's Gegenteil ist am gründlichsten in einem dritten
Zug der Sage, in der Bestrafung des Feuerbringers. Prometheus wird an
einen Felsen geschmiedet, ein Geier frißt täglich an seiner Leber. Auch
in den Feuersagen anderer Völker spielt ein Vogel eine Rolle, er muß etwas
mit der Sache zu tun haben, ich enthalte mich zunächst der Deutung. Dagegen
fühlen wir uns auf sicherem Boden, wenn es sich um die Erklärung handelt,
warum die Leber zum Ort der Bestrafung gewählt ist. Die Leber galt den
Alten als der Sitz aller Leidenschaften und Begierden; eine Strafe wie die
des Prometheus war also das Richtige für einen triebhaften Verbrecher, der
gefrevelt hatte unter dem Antrieb böser Gelüste. Das genaue Gegenteil trifft
aber für den Feuerbringer zu; er hatte Triebverzicht geübt und gezeigt,
wie wohltätig, aber auch wie unerläßlich ein solcher Triebverzicht in
kultureller Absicht ist. Und warum mußte eine solche kulturelle Wohltat
überhaupt von der Sage als strafwürdiges Verbrechen behandelt werden?
Nun, wenn sie durch alle Entstellungen durchschimmern läßt, daß die
Gewinnung des Feuers einen Triebverzicht zur Voraussetzung hatte, so drückt
sie doch unverhohlen den Groll aus, den die triebhafte Menschheit gegen
den Kulturheros verspüren mußte. Und das stimmt zu unseren Einsichten
und Erwartungen. Wir wissen, daß die Aufforderung zum Triebverzicht
und die Durchsetzung desselben Feindseligkeit und Aggressionslust hervor
ruft, die sich erst in einer späteren Phase der psychischen Entwicklung
in Schuldgefühl umsetzt.
Die Undurchsichtigkeit der Prometheussage wie anderer Feuermythen
wird durch den Umstand gesteigert, daß das Feuer dem Primitiven als
etwas der verliebten Leidenschaft Analoges wir würden sagen: als Symbol
der Libido erscheinen mußte. Die Wärme, die das Feuer ausstrahlt,
ruft dieselbe Empfindung hervor, die den Zustand sexueller Erregtheit be-
gleitet, und die Flamme mahnt in Form und Bewegungen an den tätigen
Phallus. Daß die Flamme dem mythischen Sinn als Phallus erschien, kann
nicht zweifelhaft sein, noch die Abkunftsage des römischen Königs Servius
Tullius zeugt dafür. Wenn wir selbst von dem zehrenden Feuer der Leiden-
schaft und von den züngelnden Flammen reden, also die Flamme einer
Zunge vergleichen, haben wir uns vom Denken unserer primitiven Ahnen
nicht so sehr weit entfernt. In unserer Herleitung der Feuergewinnung
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war ja auch die Voraussetzung enthalten, daß dem Urmenschen der Versuch,
das Feuer durch sein eigenes Wasser zu löschen, ein lustvolles Ringen mit
einem anderen Phallus bedeutete.
Auf dem Wege dieser symbolischen Angleichung mögen also auch
andere, rein phantastische Elemente in den Mythus eingedrungen und in
ihm mit den historischen verwebt worden sein. Man kann sich ja kaum
der Idee erwehren, daß, wenn die Leber der Sitz der Leidenschaft ist, sie
symbolisch dasselbe bedeutet wie das Feuer selbst, und daß dann ihre tägliche
Aufzehrung und Erneuerung eine zutreffende Schilderung von dem Verhalten
der Liebesgelöste ist, die, täglich befriedigt, sich täglich wieder herstellen.
Dem Vogel, der sich an der Leber sättigt, fiele dabei die Bedeutung des
Penis zu, die ihm auch sonst nicht fremd ist, wie Sagen, Träume, Sprach-
gebrauch und plastische Darstellungen aus dem Altertum erkennen lassen.
Ein kleiner Schritt weiter führt zum Vogel Phönix, der aus jedem seiner
Feuertode neu verjüngt hervorgeht, und der wahrscheinlich eher und
früher den nach seiner Erschlaffung neu belebten Phallus gemeint hat als
die im Abendrot untergehende und dann wieder aufgehende Sonne.
Man darf die Frage aufwerfen, ob man es der mythenbildenden Tätig-
keit zumuten darf, sich gleichsam spielerisch in der verkleideten
Darstellung allgemein bekannter, wenn auch höchst interessanter seelischer
Vorgänge mit körperlicher Äußerung zu versuchen ohne anderes Motiv
als bloße Darstellungslust. Darauf kann man gewiß keine sichere Antwort
geben, ohne das Wesen des Mythus verstanden zu haben, aber für unsere
beiden Fälle ist es leicht, den nämlichen Inhalt und damit eine bestimmte
Tendenz zu erkennen. Sie beschreiben die Wiederherstellung der libidinösen
Gelüste nach ihrem Erlöschen durch eine Sättigung, also ihre Unzerstör-
barkeit, und diese Hervorhebung ist als Trost durchaus an ihrem Platz,
wenn der historische Kern des Mythus eine Niederlage des Trieblebens,
einen notwendig gewordenen Triebverzicht behandelt. Es ist wie das zweite
Stück der begreiflichen Reaktion des in seinem Triebleben gekränkten
Urmenschen; nach der Bestrafung des Frevlers die Versicherung, daß er
im Grunde doch nichts ausgerichtet hat.
An unerwarteter Stelle begegnen wir der Verkehrung ins Gegenteil in
einem anderen Mythus, der anscheinend sehr wenig mit dem Feuermythus
zu tun hat. Die lernäische Hydra mit ihren zahllosen züngelnden Schlangen-
köpfen unter ihnen ein unsterblicher ist nach dem Zeugnis ihres
Namens ein Wasserdrache. Der Kulturheros Herakles bekämpft sie, indem
er ihre Köpfe abhaut, aber die wachsen immer nach, und er wird des
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Untiers erst Herr, nachdem er den unsterblichen Kopf mit Feuer ausge-
brannt hat. Ein Wasserdrache, der durch das Feuer gebändigt wird
ergibt doch keinen Sinn. Wohl aber, wie in so vielen Träumen, die Um-
kehrung des manifesten Inhalts. Dann ist die Hydra ein Brand, die züngelnden
Schlangenköpfe sind die Flammen des Brandes, und als Beweis ihrer
libidinōsen Natur zeigen sie wie die Leber des Prometheus wieder das
Phänomen des Nachwachsens, der Erneuerung nach der versuchten Zer-
störung. Herakles löscht nun diesen Brand durch - Wasser. (Der unsterb-
liche Kopf ist wohl der Phallus selbst, seine Vernichtung die Kastration).
Herakles ist aber auch der Befreier des Prometheus, der den an der Leber
fressenden Vogel tötet. Sollte man nicht einen tieferen Zusammenhang
zwischen beiden Mythen erraten? Es ist ja so, als ob die Tat des einen
Heros durch den anderen gutgemacht würde. Prometheus hatte die Löschung
des Feuers verboten, wie das Gesetz der Mongolen -, Herakles sie für
den Fall des Unheil drohenden Brandes freigegeben. Der zweite Mythus
scheint der Reaktion einer späteren Kulturzeit auf den Anlaß der Feuer-
gewinnung zu entsprechen. Man gewinnt den Eindruck, daß man von
hier aus ein ganzes Stück weit in die Geheimnisse des Mythus eindringen
könnte, aber freilich wird man nur für eine kurze Strecke vom Gefühl
der Sicherheit begleitet.
das
Für den Gegensatz von Feuer und Wasser, der das ganze Gebiet dieser
Mythen beherrscht, ist außer dem historischen und dem symbolisch-phan-
tastischen noch ein drittes Moment aufzeigbar, eine physiologische Tatsache,
die der Dichter in den Zeilen beschreibt:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er Seinesgleichen." (Heine.)
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Das Glied des Mannes hat zwei Funktionen, deren Beisammensein
manchem ein Ärgernis ist. Es besorgt die Entleerung des Harnes, und es
führt den Liebesakt aus, der das Sehnen der genitalen Libido stillt. Das
Kind glaubt noch, die beiden Funktionen vereinen zu können; nach seiner
Theorie kommen die Kinder dadurch zustande, daß der Mann in den Leib
des Weibes uriniert. Aber der Erwachsene weiß, daß die beiden Akte in
Wirklichkeit unverträglich miteinander sind so unverträglich wie Feuer
und Wasser. Wenn das Glied in jenen Zustand von Erregung gerät, der
ihm die Gleichstellung mit dem Vogel eingetragen hat, und während jene
Empfindungen verspürt werden, die an die Wärme des Feuers mahnen, ist
das Urinieren unmöglich; und umgekehrt, wenn das Glied der Entleerung
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des Körperwassers dient, scheinen alle seinen Beziehungen zur Genitalfunktion
erloschen. Der Gegensatz der beiden Funktionen könnte uns veranlassen,
zu sagen, daß der Mensch sein eigenes Feuer durch sein eigenes Wasser
löscht. Und der Urmensch, der darauf angewiesen war, die Außenwelt mit
Hilfe seiner eigenen Körperempfindungen und Körperverhältnisse zu be-
greifen, dürfte die Analogien, die ihm das Verhalten des Feuers zeigte.
nicht unbemerkt und ungenützt gelassen haben.
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