Prof. Dr. Freud

IX., Berggasse 19.

  • S.

    4. 6. 07

    Geehrter Herr College

    Ihr Brief war mir freudige Überraschung 
    und große Genugthuung. Ich habe zwar 
    nie daran gezweifelt, dass meine 
    Mittheilungen einmal Glauben finden 
    und zur Nacharbeit anregen werden, 
    und habe mich darum so reaktionslos gegen 
    die ignoranten und ungezogenen Angriffe 
    verhalten, die sich gegen mich gerichtet 
    haben. Aber ich stelle nicht in Abrede 
    daß es schön ist, solches in einigem Ausmaß 
    noch selbst zu erleben.

    Besonders mutig und vornehm finde 
    ich es, dass Sie sich nicht scheuen, meinen 
    Namen auf das Titelblatt Ihres Werkes 
    zu setzen, und Ihre ganze würdige und 
    zurückhaltende Weise, der Polemik 
    zu begegnen steigert mein Vergnügen 
    an Ihrer Mitarbeiterschaft, von der

  • S.

    ich bald weitere Zeugniße erwarte.

    Ihre Krankengeschichten sind sehr voll-
    ständig durchsichtig gemacht, die Erfolge 
    wirklich befriedigend. Dass Sie die 
    hypnotische Technik an Stelle der Deutungs-
    kunst angewendet haben, liegt wol 
    am Material u bedingt keinen 
    principiellen Unterschied. Ich thäte 
    gerne das Gleiche, wenn es bei 
    meiner Gattung von Pat. nur gienge. 
    Ob der Gewinn so gross ist, wird sich 
    erst entscheiden lassen, wenn Sie 
    Pat. in Angriff nehmen wie 
    die meinigen, u wenn Sie die „Über-
    tragung“ mit in Betracht ziehen, 
    welche in Ihren Berichten nicht zu 
    Worte kommt.  Nach meiner Erfahrung 
    lässt nur eine kleine Anzal von 
    Kranken die hypnotische Behandlung 
    zu, wie sie in den „Studien 1895“ 

  • S.

    beschrieben ist, und Dauererfolge sind 
    wegen des Entschlüpfens der Übertragg 
    auf solche Weise nicht zu erzielen. 
    Aber durchsichtiger, beweisender u 
    für die Erforderniße der klinischen 
    Praxis voll genügend ist diese frühere 
    Technik allerdings.

    Eine überklebte Stelle Ihres Buches 
    zeigt mir, dass auch Sie Schwierigkeiten 
    zu überwinden hatten.  Ich muß Sie 
    leider darauf vorbereiten, daß die 
    Vorzüge Ihrer Arbeit nicht verhindern 
    werden, daß Sie der Ächtung verfallen 
    wie bisher alle meine Anhänger. Ich 
    hoffe, Sie lassen sich dadurch nicht ab-
    schreiben, rechne vielmehr darauf, daß 
    solcher Widerstand Sie bestärken 
    wird, so Sie noch nicht sicher sind. Ich 
    habe überhaupt die Erfahrung gemacht,

  • S.

    dass die ganze Sache so fesselnd auf 
    den wirkt, der sich erst mit ihr einge-
    lassen hat, dass dieser kaum mehr von 
    ihr loskom̄en kann.

    Wenn Sie Ihre ärztliche Thätigkeit auf 
    einen größeren Kreis, u nicht blos 
    hysterischer Pat. ausdehnen, wird auch 
    Ihnen wol nichts anderes übrig 
    bleiben, als die versagende Hypnose 
    durch die Deutungskunst zu ersetzen. 
    Ich erwarte, daß Sie dann, zumal bei 
    der Traumdeutung, sich die volle 
    Überzeugung von der Verläßlichkeit 
    meiner Angaben holen werden.

    Mit herzlichem Dank u vielen 
    Glückwünschen zu dieser Veröffent-
    lichung 
    Ihr sehr ergebener
    DrFreud