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[I. Originalmitteilungen.]

Ueber die Beziehung des Strickkörpers zum Hinterstrang und Hinterstrangskern nebst Bemerkungen über zwei Felder der Oblongata.

Von Dr. L. Darkschewitsch (Moskau) und Dr. Sigm. Freud (Wien). Die Anssichten der Hirnanatomen über den Zusammenhang zwischen Strickkörper oder unterem Kleinhirnschenkel und den Hintersträngen des Rückenmarks haben eine Entwickelung durchgemacht, in welcher man drei verschiedene Perioden unterscheiden kann.

In einer ersten Periode wurde auf Grund des makroskopischen Anscheins der Strickkörper für die directe Fortsetzung der Hinterstränge zum Kleinhirn gehalten. Mit dem Fortschritt der mikroskopischen Untersuchung gelangte aber die Thatsache zur Bedeutung, dass in der angeblichen Continuität von Strickkörper und Hinterstrang eine mächtige graue Masse, der (aus Burdach’schem und Goll’schem Kern zusammengesetzte) Hinterstrangskern enthalten ist. Man erkannte (DEITERS, MEYNERT), dass dieser Kern in Beziehung zu den Hintersträngen steht, und dass in den Strickkörper andererseits Fasern von complicirtem bogenförmigem Verlauf eintreten. Der Zusammenhang zwischen beiden weissen Fasermassen wurde deshalb für einen nur indirecten erklärt, und sollte nach MEYNERT in der Weise stattfinden, dass die Fasern des einen Strickkörpers vermittelst Bogenfasern in die (gekreuzte) Olive eingehen und von dort aus durch neue Bogenfasem zum Hinterstrangskern der dem Strickkörper entgegengesetzten Seite gelangen.

Eine dritte Periode wurde durch die Verwerthung der ungleichzeitigen Markscheidenbildung eingeleitet, als FLECHSIG einerseits die directe Kleinhirnseitenstrangbahn als Bestandtheil des Strickkörpers nachwies, andererseits zeigte, dass die Bogenfasern aus den Hinterstrangskernen nicht in die Olive, sondern durch die sog. obere Pyramidenkreuzung in das innere Feld der Oblongata verlaufen und daselbst die Olivenzwischenschichte bilden. EDINGER1 hat später für die Bogenfasern, die aus dem Hinterstrangskern in höheren Ebenen der Oblongata entspringen, ein ähnliches Verhalten dargethan. Damit war aus dem MEYNERT’schen Schema das Mittelglied, welches die Verbindung zwischen Strickkörper der einen und Hinterstrang der anderen Seite bewerkstelligen sollte, herausgerissen, die Verbindung der Hinterstränge mit dem Kleinhirn aber auch ganz oder zum grossen Theile verloren gegangen, wie eine Uebersicht der seit Anwendung der neuen Methode gemachten Angaben lehrt.

Nach EDINGER2 besteht der untere Kleinhirnschenkel aus a) der Kleinhirnseitenstrangbahn, b) Hinterstrangsfasern, sicher aus dem gleichseitigen, fraglich auch aus dem gekrenzten Hinterstrang‚ c) Fasern zu den Nervenwurzeln (Acusticus und Trigeminus), d) Olivenfasern und vielleicht noch anderen später markhaltig werdenden Systemen. Die Hinterstrangsfasern von derselben Seite sollen als kurze Fibrae arciformes externae aus dem Goll’schen Strang kommen, die fraglichen Fasern aus dem gekreuzten Hinterstrang als Fibrae arcuatae anteriores wahrscheinlich aus der Olivenzwischenschicht in das Feld des Strickkörpers eintreten. Der Antheil der Hinterstrangsfasern am Aufbau des Strickkörpers wäre ein geringer. FLECHSIG3 unterscheidet im Strickkörper ausser der Kleinhirnseitenstrangbahn und den Fasern zu den grossen Oliven noch Fasern zur Substantia reticularis. Die Beziehungen des Strickkörpers zum Hinterstrang lässt er im Dunkeln. In einer späteren Mittheilung4 bestätigt er EDINGER’s Strickkörperzuwachs aus der Olivenzwischenschicht‚ bezweifelt aber noch das regelmässige Vorkommen solcher Fasern, ebenso wie die Bedeutung der aus dem Goll’schen Strange kommenden kurzen Bogenfasern zum Strickkörper. Er macht dann die wichtige Bemerkung, dass auf Grund der Verfolgung der Markscheidenbildung im Strickkörper ein weiteres Fasersystem anzunehmen sei, welches nach der Kleinhirnseitenstrangbahn und vor den Olivenfasern markhaltig wird und vielleicht den Kernen der Hinterstränge entstammt. Doch sei er hierüber nicht in’s Klare gekommen.

Zur gleichen Vermuthung ist v. MONAKOW5 auf Grund der experimentell erzeugten Degeneration des Strickkörpers gelangt. Er findet die Abnahme des Corpus restiforme in höheren Ebenen bedeutender, als dem Ausfall der Kleinhimseitenstrangbahn entspricht, und nimmt an, dass Fasern aus dem Keilstrang derselben Seite, die sich in’s Corpus restiforme fortsetzen, den vermissten Bestandtheil desselben bilden. Später ist v. MONAKOW allerdings von dieser Vermuthung zurückgekommen (s. dieses Centralblatt. 1885. Nr. 6).

Wir sind nun auf Grund unabhängig von einander angestellter Untersuchungen dazu gelangt, das von FLECHSIG vermuthete Fasersystem nachzuweisen und damit die von MEYNERT behauptete ausgiebige Verbindung der Hinterstränge mit dem Kleinhirn wiederherzustellen. Als wir die vollkommene Uebereinstimmung unserer Ergebnisse bemerkten, haben wir beschlossen, davon in gemeinsamer Publication Mittheilung zu machen. Unser Material bestand in zwei Querschnittsreihen, einer von einem 6monatlichen Fötus, in dessen Oblongata die Olivenfaserung ganz marklos war, und auch das Mark der Olivenzwischenschicht in der Höhe des Corpus trapezoides aufhörte (Reihe I), und einer anderen von einem Fötus nicht genau bekannten Alters, bei welchem Olivenfaserung und Pyramiden einen sehr zarten Markgehalt zeigten (Reihe II).

Fig. 1. Schema des Strickkörpers in den unteren Acusticusebenen: 1 Kopf des primären Strickkörpers. 2 Schweif des primären Strickkörpers. 3 Markarmer Saum (secundärer Strickkörper).

Fig. 1 stellt den Strickkörper in den unteren Acusticusebenen nach Präparaten der reiferen (II) Schnittreihe dar. Er besteht aus einer centralen (mit Goldchlorid und Weigert’schen Hämatoxylin) dunkler gefärbten Masse, die an den Präparaten der Reihe I allein ersichtlich ist, und einem lichteren Saum, welcher der reiferen Reihe allein zukommt. Die centrale Masse wollen wir den „primären Strickkörper“ heissen; derselbe hat die Gestalt eines Kommas mit dickem Kopfe und daran gesetztem Schweif. Den markarmen Saum bezeichnen wir als „secundären“ Strickkörper. Eine Verfolgung von oben nach abwärts (spinalwärts) ergiebt nun nachstehende Aenderungen dieses Querschnitts und Vertheilung seiner Fasern.

1) Sobald die den Strickkörper aussen bedeckende graue Substanz (des Acusticus) geschwunden ist, gerathen die Fasern des Saumes in Bewegung. Sie treten derart nach innen, dass sie ein zwischen Trigeminusquerschnitt, Deiters’schem Kern und Strickkörper gelegenes, in der Reihe I leeres Feld erfüllen, und verlaufen von dort aus in dicken Büscheln theils durch, theils vor und hinter dem Trigeminus gegen und über die Mittellinie; dabei lösen sich die den Kopf des primären Strickkörpers bedeckenden Bündel zuerst ab, so dass in den unteren Ebenen des DEITERS’schen Kemes noch ein Saum an der Aussenseite des Schweifes vorhanden ist (Fig. 2). Diese markarmen Fasern, über die wir weiter nichts zu sagen haben, sind das Olivensystem der Autoren.

Fig. 2. Querschnitt in den oberen Ebenen des Deiters’schen Kernes (Reihe II): 1 Kopf des primären Strickkörpers, in dem Klümpchen grauer Substenz auftreten (aus tieferen Ebenen eingezeichnet). 2 Schweif desselben. 3 Secundärer Strickkörper (Olivensystem) in Ablösung begriffen. V Aufsteigende Trigeminuswurzel. VIII Deiters’scher Kern mit der aufsteigenden Acusticuswurzel (ROLLER). IX Aufsteigende Wurzel des Vagussystems.

2) Wenn der DEITERS’sche Kern verarmt ist, tritt im Kopfe des primären Strickkörpers graue Substanz in zerstreuten Inseln auf, die dann zu einem Kern zusammenfliesst und rasch den Kopf des Kommas – und zwar nur diesen allein – bis auf vereinzelte, an verschiedenen Stellen erübrigende Faserbündel aufzehrt. Es ist leicht, sich zu überzeugen, dass die Abnahme des Strickkörpers in diesen Ebenen nur durch den Kern herbeigeführt wird, denn die Gestalt und Lagerung des Schweifes ist unverändert, und ein Ablenken von Fasern gegen den Kleinhirnseitenstrang noch nicht zu bemerken (Fig. 3).

Dieser Kern ist aber nur das obere Ende des Hinterstrangkernes (resp. Burdach’schen Kernes). Da dieser Punkt für die Auffassung der fraglichen Verhältnisse von grosser Wichtigkeit ist, haben wir uns durch continuirliche Verfolgung von unten nach aufwärts überzeugt, dass in der betreffenden Gegend kein abzugrenzender neuer Kern auftritt, sondern nur der Burdach’sche sich vergrössert und nach aussen rückt. Als Anhaltspunkt bei dieser Verfolgung dient besonders das dem Trigeminus nächste Bündel der Hinteretränge, welches in seinen Resten eine Hufeisenform hat und erst hoch oben verloren geht. Die in Rede stehende graue Substanz ist übrigens niemals anders, denn als zum Hinterstrangskern gehörig beschrieben werden; nur WERNICKE, der überhaupt nicht verfehlt, auf directe Beziehungen des Strickkörpers zur „Hinterstrangsanlage“ aufmerksam zu machen, spricht von einem „Kern des Strickkörpers“.

Fig. 3. Querschnitt in den unteren Ebenen des Deiters’schen Kernes (Reihe II): Die Bezeichnungen dieselben wie in Fig. 2. An Stelle des Kopfes vom primären Strickkörper ist der Kern 1’ getreten.

Einige Faserbündel vom Kopf des primären Strickkörpers steigen weit im Hinterstrangskern herab, andere vom Saum der Burdach’schen Stränge eine lange Strecke im Kerne auf, doch konnten wir nicht nachweisen, dass Fasern aus dem Hinterstrange direct in den Strickkörper übergehen. Wir sehen an unseren Präparaten vielmehr, dass die mittleren Höhen des Kernes keine Einlagerung vertical verlaufender Fasern enthalten.

Alsbald nachdem der Kopf des Kommas durch den Kern ersetzt ist, beginnt der letztem, Bündel von Bogenfasern zu entsenden, welche zwischen dem Trigeminusdurchschnitt und dem solitären Bündel, auch über dem letzteren, verlaufen. Diese Fasern (oberes Bogenfasersystem des Hinterstrangkernes) haben keinen Zusammenhang mit den Oliven und lagern sich, wie EDINGER (l. c.) abgebildet hat, im jenseitigen Innenfeld der Oblongata‚ dorsal von der eigentlichen Olivenzwischenschicht ab. Nach ihnen folgt in den Präparaten der Reihe I eine deutliche Lücke in der Bogenfaserung; das ganze Mittelstück des Kernes entsendet keine Fibrae arcuatae. In Reihe II sind die Bogenfasern durch die ganze Höhe des Kernes continuirlich, die Lücke also durch ein neues (mittleres) System von Bogenfasern ausgefüllt. Da in Reihe II die Oliven bereits Markfasern enthalten, können wir die Beziehung des mittleren Systems zu den Oliven nicht, wie die der beiden anderen, ausschliessen. Doch ist diese Beziehung unwahrscheinlich. Dies mittlere System der Bogenfasern ist auch in höherem Grade als die sonstige Olivenfaserung markhaltig.

Fig. 4. Querschnitt durch die „obere Pyramidenkreuzung“ (Reihe II): a Rest des Goll’schen Stranges. b Rest des Burdach’schen Stranges. c, c, c, Fasern aus oberer Pyramidenkreuzung zum Strickkörper. d Kleinhirnseitenstrang. e Obere Pyramiden-(Schleifen-)Kreuzung.

Es ist hier die Möglichkeit zu behandeln, dass der Kopf des primären Strickkörpers sich direct in die Bogenfasern des oberen (und mittleren?) Systems fortsetzt, ohne mit den zelligen Elementen des Kernes, den er durchzieht, in Verbindung zu treten. Unsere Methoden waren unzureichend, diese Frage in verbindender Weise zu lösen, doch haben wir einige Anhaltspunkte, sowohl allgemeiner Natur, als in dem besonderen Verhalten der betreffenden weisen und grauenSuhstanzen,um die erwähnte Möglichkeit für sehr unwahrscheinlich zu erklären und eine Verbindung sowohl der Strickkörperfasern, als der Bogenfasern mit den Zellen des Kernes anzunehmen. Die Gründe der ersten Art sind: die Analogie mit dem unteren Stück der Hinterstrangskerne, welches nach den Ergebnissen der secundären Degenerationen unverkennbar zwischen den Fasern der Hinterstränge und den Bogenfasern zur Olivenzwischenschicht eingeschaltet ist, und der Umstand, dass für den so hoch hinaufreichenden Kern Verbindungen anderer Art nicht nachzuweisen sind. In directer Weise sprechen zu Gunsten unserer Annahme: das rasche Verschwinden der Fasern vom Kopf des Strickkörpers bei successiver Entsendung der Bogenfaserbündel, das Zusammenfallen der Bogenfaserbildung mit dem Auftreten dieses Kerns, und die Art, wie die Bogeufasern in Büscheln aus besonderen Abtheilungen im Hinterstrangskem hervorgehen.

3) Der Hinterstrangskem nimmt nun nach unten immer mehr zu, drängt den Rest des Strickkörpers zur Seite und erst jetzt sieht man auch den Schweif des primären Kommas abnehmen und sich durch Schrägschnitte mit dem Felde der Kleinhirnseitenstrangbahn verbinden.

Fig. 5. Schema des Hinterstrangskernes und seiner Verbindungen: A Burdach’scher Kern. B Goll’scher Kern. 1 Kopf des primären Strickkörpers. 2 Schweif desselben. 3 Secundärer Strickkörper (Olivensystem). a Faser aus unterem Bogenfasersystem a’ zum Strickkörper der anderen Seite. b unteres Bogenfasersystem (obere Pyramidenkreuzung) zur Olivenzwischenschichte. c mittleres Bogenfasersystem. d oberes Bogenfasersystem. e Fasern aus Goll’schem Strang (Fibrae arcuatae externes). Ks Kleinhirnseitenstrangfaser. aK Aeusserer Keilstrang (Armfasern). iK Innerer Keilstraug (Beinfasern).

4) Endlich überzeugt man sich, dass in die erste Anlage des Strickkörpers Fasern eingehen, welche in den Ebenen, wo noch die Marksäume der Hinterstränge bestehen, aus der oberen Pyramidenkreuzung („unteres Bogenfasersystem des Hinterstrangskernes“) kommen und durch die eigentliche Olivenzwischenschicht um die Peripherie des Schnittes und über die Kleinhirnseitenstrangbahn verlaufen (EDINGER’s Fibrae arcuatae anteriores) (Fig. 4).

Wir haben im Vorstehenden einfache und leicht zu controlirende Verhältnisse des Faserverlaufs beschrieben. Wenn der Zusammenhang des Kopfes vom primären Strickkörper mit dem Kern der Hinterstränge Beobachtern, denen die gleichen Präparate vorlagen, bisher nicht klar geworden ist, so mag dies daher kommen, dass man sich beim Studium des Gehimbaues allzusehr daran gewöhnt hat, nach Fortsetzunan von Faserbündeln, und zwar nach je einer Fortsetzung für ein bestimmtes Faserbündel zu suchen, und die grauen Substanzen erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Wir halten es fiir correcter, von den grauen Substanzen auszugehen und die von ihnen nach verschiedenen Richtungen ausgehenden Fasermassen aufzusuchen. Welche dieser Fasermassen die „Fortsetzung“ einer anderen ist, scheint uns keine anatomische Frage mehr zu sein und sich der Lösung durch rein anatomische Methoden im Allgemeinen zu entziehen. Darüber müssen das Experiment, die klinisch-pathologische Beobachtung und die durch die secundäre Degeneration enthüllten Beziehungen Aufschluss bringen.

In Fig. 5 haben wir demgemäss versucht, ein Schema des Hinterstrangskernes mit den von ihm ausgehenden Fasersystemen zu geben. Man ersieht aus demselben, dass der Hinterstrangskern einer Seite mit den langen Fasern der Hinterstränge, mit dem Kopf des primären Strickkörpers derselben Seite, mit einem Faserantheil im Rest des primären Strickkörpers der anderen Seite und mit drei Systemen von Bogenfasem, die im Innenfeld der Oblougata der gekreuzten Seite verlaufen, zusammenhängt. Durch den Kopf des primären Strickkörpers ist die Möglichkeit einer (vorwiegend ungeheuzteu) Verbindung der Hinterstränge mit dem Kleinhirn gegeben, während an die Systeme der Bogenfasem in späteren Stadien der Markentwickelung die (gekreuzte) Grosshirnverbindung anknüpft. Wir haben dabei vorwiegend den grösseren Burdach’schen Kern berücksichtigt, dessen Fasersysteme denen des Goll’schen Kemes in der Entwickelung voraneilen. Vom Goll’schen Kern konnten wir an unseren Präparaten nur die Fasern des unteren Bogensystems (Schleifenkreuzung, nach Reihe II) und EDINGER’s Fibrae arcuatae externes wahrnehmen, von denen wir eben so wenig wie FLECHSIG angeben können, ob sie zum Kleinhirn verlaufen. Doch vermuthen wir, dass die. später entwickelten Fasersysteme des Goll’schen Kemes sich denen des Burdach’schen analog verhalten werden, da man die beiden Kerne als analoge Bildungen (den Burdach’schen für die obere, den Goll’schen für die untere Extremität) bezeichnen darf.

Es mögen noch einige Bemerkungen über die Deutung zweier Felder der Oblongata hier Platz finden:

Das äussere Feld der Oblongata lässt eine einheitliche Auffassung seiner Bestandtheile zu: Vom Rest des primären und vom secundären Strickkörper abgesehen, enthält dasselbe vier graue Substanzen mit den von ihnen ausgehenden Fasersystemen. Die äusserste dieser grauen Substanzen – der Hinterstrangskern – ist ein unzweifelhaft sensibler Kern für die Nerven der Extremitäten, die drei andern sind Kerne, von denen homologe Antheile der sensibeln Hirnnerven entspringen, und zwar die aufsteigende Trigeminuswurzel aus der Substantia gelatinosa, wie wir gegen BECHTEREW (vgl. dieses Centralbl. 1885. Nr. 16) festhalten, müssen, die gemeinsame aufsteigende Wurzel des Vaguasystems aus der ihr eigenen grauen Substanz, und die aufsteigende Acusticuswurzel ROLLER’s aus dem Deiters’schen Kern. Angesichts des von verschiedenen Seiten, besonders auf Grund experimenteller Degenerationen, gegen die Existenz dieser Acusticuswurzel erhobenen Einspruchs, haben wir diese Frage neuerdings studirt und müssen mit noch grösserer Entschiedenheit als ROLLER6 selbst dafür eintreten, dass die im Deiters’schen Kern enthaltenen, daselbst entstandenen, so regelmässig gruppirten Fasern durch einfache Umbeugung in den N. acusticus übergehen und ihm eine aufsteigende Wurzel in demselben-Sinne, wie die beiden anderen Hirnnerven eine solche besitzen, zu führen.

Das innere durch die Raphe und den Hypoglossus begrenzte Feld der Oblongata enthält in den Entwickelungsstadien unserer beiden Schnittreihen nebst dem hinteren Längsbündel Längsfasern, welche durch Fibrae arcuatae aus den Kernen des äusseren Feldes der gekreuzten Seite hervorgegangen sind. Dabei lagert sich das untere Bogenfasersystem des Hinterstrangkernes im ventralsten Theil des Innenfeldes als eigentliche Olivenzwischenschicht ab, das (mittlere und) obere Bogenfasersystem desselben Kernes nimmt den mittleren Theil des Feldes ein, die Bogenfasern aus dem Acusticus- und Vaguskern des äusseren Feldes der Oblongata bilden die dorsalsten vom hinteren Längsbündel kaum mehr abzugrenzenden Fasern.

Soweit nun die Längsfasern des Innenfeldes der Oblongata aus den erwähnten Kernen der gekreuzten Seite hervorgegangen sind, halten wir folgenden Verlauf derselben für wahrscheinlich. Sie scheinen Fasern von kurzem Verlauf zu sein und theils nach oben, theils nach unten hin in Bogenfasern umzubiegen. Ihre Endigung finden sie entweder in den grauen Massen des inneren und mittleren Feldes der Oblongata (Substantia reticularis), theils in den sensiblen Kernen des Aussenfeldes. Die Bogenfasersysteme nebst den Längsfasern, welche aus ihnen hervorgehen, würden demnach gekreuzte Verbindungen der sensibeln Kerne der Oblongata mit einander und mit der Substantia reticularis darstellen. Die hinteren Lingsbündel würden sich ihnen als analoge Bahnen, von motorischen Kernen ausgehend, anreihen. Wir vermuthen, dass die Grosshirnfortsetzung der sensibeln Kerne an die Endigung der erwähnten Systeme in der grauen Substantia reticularis anknüpft.

Paris, 23. Januar 1886.


1 Dieses Centralblatt. 1885. Nr. 4.

2 l. c. und „Zehn Vorlesungen über den Bau der nervösen Centralorgane.“ 1885.

3 Plan des menschlichen Gehirns. 1888.

4 Dieses Centralblatt. 1885. Nr. 5.

5 Experimenteller Beitrag zur Kenntniss des Corpus reatiforme. des „äusseren Acusticuskernes“ und deren Beziehungen zum Rückanmarke. Arch. f. Psych. 1888, XIV.

6 Arch. f. Psych. 1888. XIV. – Vgl. auch die Mittheilung des einen von uns (F.): „Zur Kenntniss der Olivenzwischenschicht.“ Dieses Centralbl. 1885. Nr. 12.