S.
Die Feinheit einer Fehlhandlung
Von Sigm. FreudIch bereite ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin
vor, eine kleine Gemme, die zu einem Ring verarbeitet
werden soll. Auf eine steife Karte, in deren Mitte das
Steinchen befestigt ist, schreibe ich: „Bon für einen
Goldring bei Uhrmacher L. anzufertigen ... für beigeleg-
ten Stein, der ein Schiff mit Segel und Rudern zeigt.“
An der Stelle, die im Druck freigeblieben ist, zwischen
„anzufertigen“ und „für“, stand aber ein Wort, das ich
dann als völlig unzugehörig durchstreichen mußte, das
kleine Wort „bis“. Ja, warum habe ich das überhaupt
geschrieben?Beim Durchlesen des kurzen Textes fällt mir auf, daß
er zweimal bald nacheinander die Präposition „für“
enthält. „Bon für einen Ring – für beigelegten Stein.“
Das klingt übel und sollte vermieden werden. Nun be-
komme ich den Eindruck, die Einschiebung von „bis“
anstatt „für“ sei ein solcher Versuch zur Vermeidung
der stilistischen Ungeschicklichkeit gewesen. Das wird
wohl richtig sein. Aber ein Versuch mit besonders un-
zureichenden Mitteln. Die Präposition „bis“ ist an dieser
Stelle ganz unpassend und kann das unbedingt erforder-
liche „für“ nicht ersetzen. Warum also grade „bis“?Aber vielleicht ist das Wörtchen „bis“ überhaupt nicht
eine Zeitgrenze bestimmende Präposition, sondern
etwas ganz anderes. Es ist das lateinische „bis“, – zum
zweiten Mal –, das mit der gleichen Bedeutung ins
Französische übergegangen ist. „Ne bis in idem“ heißt
es im römischen Recht. Bis, bis ruft der Franzose, wenn
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S.
I understand. I will continue the OCR, strictly enforcing a `
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Das ist also die Erklärung meines unsinnigen Verschreibens.
Vor dem zweiten „für“ bekam ich die Warnung,
das
nämlichste Wort nicht zu wiederholen. Also etwas anderes
an Stelle von „für“! Der zufällige Gleichklang des fremd-
sprachigen „bis“ im Einwand gegen die ursprüngliche
Diktion mit der deutschen Präposition macht es nun
möglich, das für wie in einem Irrtum durch bis zu
ersetzen. Aber diese Fehlleistung erreicht ihre Absicht
nicht, indem sie sich durchsetzt, sondern erst, wenn sie
gutgemacht wird. Ich muß das „bis“ wieder durchstrei-
chen und damit habe ich gleichsam die mich störende
Wiederholung selbst beseitigt. Eine nicht uninteressante
Variante im Mechanismus einer Fehlleistung!
Ich bin von dieser Lösung sehr befriedigt, aber bei
Selbstanalysen ist die Gefahr der Unvollständigkeit be-
sonders groß. Man begnügt sich zu bald mit einer par-
tiellen Aufklärung, hinter der der Widerstand leicht
zurückhält, was möglicherweise wichtiger ist. Meine
Tochter, der ich von dieser kleinen Analyse erzähle,
findet sofort ihre Fortsetzung: „Du hast ihr ja schon
früher einmal eine solche Gemme für einen Ring ge-
schenkt. Wahrscheinlich ist das die Wiederholung, die
du vermeiden willst. Man mag doch nicht immer wieder
dasselbe Geschenk machen.“ Das leuchtet mir ein, offen-
bar handelt es sich um einen Einwand gegen die Wieder-
holung des gleichen Geschenks, nicht des nämlichen
Wortes. Dies letztere ist nur eine Verschiebung auf etwas
Geringfügiges, zur Ablenkung von etwas Belangreicherem
bestimmt, eine ästhetische Schwierigkeit vielleicht an
Stelle eines Triebkonflikts.
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```
S.
The Royal Society of Medicine
Empowered by the Charter granted by
His Majesty King William IV
confirmed by Supplementary Charter granted by
His Majesty King Edward VII
to conduct as its primary Business and paramount purpose
the opinion of the Society as entitled to the honor
THE ROYAL SOCIETY OF MEDICINE
have in General Meeting assembled elected
Professor Sigmund Freud, MD
in recognition of his distinguished
services to Science
and he is hereby declared to be an
HONORARY FELLOW OF THE ROYAL SOCIETY OF MEDICINE
and entitled to all the privileges
of such Fellowship.
[Signatures and titles are present here, but text is illegible for exact OCR]
London, May 29th 1935.
Urkunde der Royal Society of Medicine, London,
anläßlich der Ernennung Professor Sigmund Freuds zum
EhrenmitgliedS.
S.
Denn die weitere Fortsetzung ist leicht zu finden. Ich
suche ein Motiv, um diese Gemme nicht zu schenken.
Es findet sich in der Erwägung, ich habe ja schon früher
einmal dasselbe — etwas sehr ähnliches — geschenkt.
Warum versteckt und verkleidet sich dieser Einwand? Es
muß da etwas geben, was das Licht zu scheuen hat. Und
sehr bald sehe ich klar, was es ist. Ich will diese kleine
Gemme überhaupt nicht verschenken, sie gefällt mir
selbst sehr gut.Große Schwierigkeiten hat die Aufklärung dieser Fehl-
leistung nicht bereitet. Es stellt sich ja auch bald die
versöhnende Überlegung ein: Ein solches Bedauern er-
höht nur den Wert des Geschenks. Was wäre das für ein
Geschenk, um das es einem nicht ein bißchen leid täte!
Immerhin durfte man sich wieder einmal einen Ein-
druck davon holen, wie kompliziert die unscheinbarsten
und angeblich einfachsten seelischen Vorgänge sein kön-
nen. Man hat sich in einer Niederschrift geirrt, ein „bis“
hingesetzt, wo nur „für“ gefordert war, hatte es bemerkt
und korrigiert, und dieser kleine Irrtum — eigentlich
nur der Versuch eines Irrtums — hatte so viele Voraus-
setzungen und dynamische Bedingungen. Ja, er wäre
auch ohne eine besondere Gunst des Materials nicht
möglich geworden.
2 Almanac 1936
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