Psychische Behandlung (Seelenbehandlung) 1905-002/1937
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    Psychische Behandlung (Seelenbehandlung)

    Von Sigm. Freud, Wien

    Aus dem im Jahre 1905 erschienenen Sammelwerk „Die Gesund-
    heit
    , ihre Erhaltung, ihre Störungen, ihre Wiederherstellung“, heraus-
    gegeben von Prof. Dr. R. Koßmann in Berlin und Priv. Doz. Dr.
    Jul. Weiß in Wien, bringen wir mit Erlaubnis des Verlags Union
    Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, folgenden Beitrag von Prof.
    Freud; er ist in den bisher erschienenen 12 Bänden der „Ge-
    sammelten Schriften
    “ noch nicht aufgenommen.

    Psyche ist ein griechisches Wort und lautet in deutscher Übersetzung
    Seele. Psychische Behandlung heißt demnach Seelenbehandlung.
    Man könnte also meinen, daß darunter verstanden wird: Behandlung der
    krankhaften Erscheinungen des Seelenlebens. Dies ist aber nicht die Bedeu-
    tung dieses Wortes. Psychische Behandlung will vielmehr besagen: Behand-
    lung von der Seele aus, Behandlung — seelischer oder körperlicher Störungen
    — mit Mitteln, welche zunächst und unmittelbar auf das Seelische des Men-
    schen einwirken.

    Ein solches Mittel ist vor allem das Wort, und Worte sind auch das
    wesentliche Handwerkszeug der Seelenbehandlung. Der Laie wird es wohl
    schwer begreiflich finden, daß krankhafte Störungen des Leibes und der
    Seele durch „bloße“ Worte des Arztes beseitigt werden sollen. Er wird meinen,
    man mute ihm zu, an Zauberei zu glauben. Er hat damit nicht so unrecht;
    die Worte unserer täglichen Reden sind nichts anderes als abgeblaßter Zauber.
    Es wird aber notwendig sein, einen weiteren Umweg einzuschlagen, um ver-
    ständlich zu machen, wie die Wissenschaft es anstellt, dem Worte wenig-
    stens einen Teil seiner früheren Zauberkraft wiederzugeben.

    Auch die wissenschaftlich geschulten Ärzte haben den Wert der Seelen-
    behandlung erst in neuerer Zeit schätzen gelernt. Dies erklärt sich leicht,
    wenn man an den Entwicklungsgang der Medizin im letzten Halbjahrhundert
    denkt. Nach einer ziemlich unfruchtbaren Zeit der Abhängigkeit von der
    sogenannten Naturphilosophie hat die Medizin unter dem glücklichen Einfluß
    der Naturwissenschaften die größten Fortschritte als Wissenschaft wie als
    Kunst gemacht, den Aufbau des Organismus aus mikroskopisch kleinen Ein-
    heiten (den Zellen) ergründet, die einzelnen Lebensverrichtungen (Funk-
    tionen) physikalisch und chemisch verstehen gelernt, die sichtbaren und
    greifbaren Veränderungen der Körperteile, welche Folgen der verschiedenen
    Krankheitsprozesse sind, unterschieden, anderseits auch die Zeichen gefunden,
    durch welche sich tiefliegende Krankheitsvorgänge noch an Lebenden ver-
    raten, hat ferner eine große Anzahl der belebten Krankheitserreger entdeckt
    und mit Hilfe der neugewonnenen Einsichten die Gefahren schwerer operativer
    Eingriffe ganz außerordentlich herabgesetzt. Alle diese Fortschritte und Ent-
    deckungen betrafen das Leibliche des Menschen, und so kam es infolge einer
    nicht richtigen, aber leicht begreiflichen Urteilsrichtung dazu, daß die Ärzte

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    ihr Interesse auf das Körperliche einschränkten und die Beschäftigung mit
    dem Seelischen den von ihnen mißachteten Philosophen gerne überließen.

    Zwar hatte die moderne Medizin genug Anlaß, den unleugbar vorhandenen
    Zusammenhang zwischen Körperlichem und Seelischem zu studieren, aber
    dann versäumte sie niemals, das Seelische als bestimmt durch das Körper-
    liche und abhängig von diesem darzustellen. So wurde hervorgehoben, daß
    die geistigen Leistungen an das Vorhandensein eines normal entwickelten
    und hinreichend ernährten Gehirns gebunden sind und bei jeder Erkrankung
    dieses Organs in Störungen verfallen; daß die Einführung von Giftstoffen in
    den Kreislauf gewisse Zustände von Geisteskrankheit zu erzeugen gestattet,
    oder im Kleinen, daß die Träume des Schlafenden je nach den Reizen ver-
    ändert werden, welche man zum Zwecke des Versuches auf ihn einwirken
    läßt.

    Das Verhältnis zwischen Leiblichem und Seelischem (beim Tier wie
    beim Menschen) ist eines der Wechselwirkung, aber die andere Seite dieses
    Verhältnisses, die Wirkung des Seelischen auf den Körper, fand in früheren
    Zeiten wenig Gnade vor den Augen der Ärzte. Sie schienen es zu scheuen,
    dem Seelenleben eine gewisse Selbständigkeit einzuräumen, als ob sie damit
    den Boden der Wissenschaftlichkeit verlassen würden.

    Diese einseitige Richtung der Medizin auf das Körperliche hat in den
    letzten anderthalb Jahrzehnten allmählich eine Änderung erfahren, welche
    unmittelbar von der ärztlichen Tätigkeit ausgegangen ist. Es gibt nämlich
    eine große Anzahl von leichter und schwerer Kranken, welche durch ihre
    Störungen und Klagen große Anforderungen an die Kunst der Ärzte stellen,
    bei denen aber sichtbare und greifbare Zeichen des Krankheitsprozesses weder
    im Leben noch nach dem Tode aufzufinden sind, trotz aller Fortschritte in
    den Untersuchungsmethoden der wissenschaftlichen Medizin. Eine Gruppe
    dieser Kranken wird durch die Reichhaltigkeit und Vielgestaltigkeit des
    Krankheitsbildes auffällig; sie können nicht geistig arbeiten infolge von
    Kopfschmerz oder von Versagen der Aufmerksamkeit, ihre Augen schmerzen
    beim Lesen, ihre Beine ermüden beim Gehen, sind dumpf schmerzhaft oder
    eingeschlafen, ihre Verdauung ist gestört durch peinliche Empfindungen,
    Aufstoßen oder Magenkrämpfe, der Stuhlgang erfolgt nicht ohne Nachhilfe,
    der Schlaf ist aufgehoben usw. Sie können alle diese Leiden gleichzeitig haben
    oder nacheinander oder nur eine Auswahl derselben; es ist offenbar in allen
    Fällen dieselbe Krankheit. Dabei sind die Zeichen der Krankheit oftmals
    veränderlicher Art, sie lösen einander ab und ersetzen einander; derselbe
    Kranke, der bisher leistungsunfähig war wegen Kopfschmerzen, aber eine
    ziemlich gute Verdauung hatte, kann am nächsten Tag sich eines freien
    Kopfes erfreuen, aber von da an die meisten Speisen schlecht vertragen.
    Auch verlassen ihn seine Leiden plötzlich bei einer eingreifenden Veränderung
    seiner Lebensverhältnisse; auf einer Reise kann er sich ganz wohl fühlen
    und die verschiedenartigste Kost ohne Schaden genießen, nach Hause zurück-
    gekehrt muß er sich vielleicht wieder auf Sauermilch einschränken. Bei
    einigen dieser Kranken kann die Störung – ein Schmerz oder eine lähmungs-
    artige Schwäche – sogar plötzlich die Körperseite wechseln, von rechts auf

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    das entsprechende Körpergebiet links überspringen. Bei allen aber kann
    man die Beobachtung machen, daß die Leidenszeichen sehr deutlich unter dem
    Einfluß von Aufregungen, Gemütsbewegungen, Sorgen usw. stehen, sowie
    daß sie verschwinden, der vollen Gesundheit Platz machen können, ohne
    selbst nach langem Bestand Spuren zu hinterlassen.

    Die ärztliche Forschung hat endlich ergeben, daß solche Personen nicht
    als Magenkranke oder Augenkranke u. dgl. zu betrachten und zu behandeln
    sind, sondern daß es sich bei ihnen um ein Leiden des gesamten Nerven-
    systems handeln muß. Die Untersuchung des Gehirnes und der Nerven solcher
    Kranker hat aber bisher keine greifbare Veränderung auffinden lassen, und
    manche Züge des Krankheitsbildes verbieten sogar die Erwartung, daß man
    solche Veränderungen, wie sie imstande wären, die Krankheit zu erklären,
    einst mit feineren Untersuchungsmitteln werde nachweisen können. Man
    hat diese Zustände Nervosität (Neurasthenie, Hysterie) genannt und bezeichnet
    sie als bloß „funktionelle“ Leiden des Nervensystems. (Vgl. Bd. II, X. Ab-
    schnitt, 4. Kapitel.1) Übrigens ist auch bei vielen beständigeren nervösen
    Leiden und bei solchen, die nur seelische Krankheitszeichen ergeben (soge-
    nannte Zwangsideen, Wahnideen, Verrücktheit), die eingehende Untersuchung
    des Gehirns (nach dem Tode des Kranken) ergebnislos geblieben.

    Es trat die Aufgabe an die Ärzte heran, die Natur und Herkunft der
    Krankheitsäußerungen bei diesen Nervösen oder Neurotikern zu untersuchen.
    Dabei wurde dann die Entdeckung gemacht, daß wenigstens bei einem Teil
    dieser Kranken die Zeichen des Leidens von nichts anderem herrühren als
    von einem veränderten Einfluß ihres Seelenlebens auf
    ihren Körper
    , daß also die nächste Ursache der Störung im Seelischen
    zu suchen ist. Welches die entfernteren Ursachen jener Störung sind, von der
    das Seelische betroffen wurde, das nun seinerseits auf das Körperliche störend
    einwirkt, das ist eine andere Frage und kann hier füglich außer Betracht
    gelassen werden. Aber die ärztliche Wissenschaft hatte hier die Anknüpfung
    gefunden, um der bisher vernachläßigten Seite in der Wechselbeziehung
    zwischen Leib und Seele ihre Aufmerksamkeit im vollen Maße zuzuwenden.

    Erst wenn man das Krankhafte studiert, lernt man das Normale verstehen.
    Über den Einfluß des Seelischen auf den Körper war vieles immer bekannt
    gewesen, was erst jetzt in die richtige Beleuchtung rückte. Das alltäglichste,
    regelmäßig und bei jedermann zu beobachtende Beispiel von seelischer Ein-
    wirkung auf den Körper bietet der sogenannte „Ausdruck der Gemüts-
    bewegungen
    “. Fast alle seelischen Zustände eines Menschen äußern sich
    in den Spannungen und Erschlaffungen seiner Gesichtsmuskeln, in der Ein-
    stellung seiner Augen, der Blutfüllung seiner Haut, der Inanspruchnahme
    seines Stimmapparates und in den Haltungen seiner Glieder, vor allem der
    Hände. Diese begleitenden körperlichen Veränderungen bringen dem Be-
    treffenden meist keinen Nutzen, sie sind im Gegenteil oft seinen Absichten im
    Wege, wenn er seine Seelenvorgänge vor Anderen verheimlichen will, aber
    sie dienen den Anderen als verläßliche Zeichen, aus denen man auf die

    1) Anm. d. Red.: Hier wird auf den 2. Band des Gesamtwerks „Die Gesund-
    heit“ verwiesen.

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    seelischen Vorgänge schließen kann, und denen man mehr vertraut als den
    etwa gleichzeitigen absichtlichen Äußerungen in Worten. Kann man einen
    Menschen während gewisser seelischer Tätigkeiten einer genaueren Unter-
    suchung unterziehen, so findet man weitere körperliche Folgen derselben in
    den Veränderungen seiner Herztätigkeit, in dem Wechsel der Blutverteilung
    in seinem Körper u. dgl.

    Bei gewissen Seelenzuständen, die man „Affekte“ heißt, ist die Mit-
    beteiligung des Körpers so augenfällig und so großartig, daß manche Seelen-
    forscher sogar gemeint haben, das Wesen der Affekte bestehe nur in diesen
    ihren körperlichen Äußerungen. Es ist allgemein bekannt, welch außerordent-
    liche Veränderungen im Gesichtsausdruck, im Blutumlauf, in den Absonde-
    rungen, in den Erregungszuständen der willkürlichen Muskeln, unter dem
    Einfluß z. B. der Furcht, des Zornes, des Seelenschmerzes, des geschlecht-
    lichen Entzückens zustande kommen. Minder bekannt, aber vollkommen sicher-
    gestellt sind andere körperliche Wirkungen der Affekte, die nicht mehr zum
    Ausdruck derselben gehören. Anhaltende Affektzustände von peinlicher oder,
    wie man sagt, „depressiver“ Natur wie Kummer, Sorge und Trauer, setzen die
    Ernährung des Körpers im ganzen herab, verursachen, daß die Haare bleichen,
    das Fett schwindet und die Wandungen der Blutgefäße krankhaft verändert
    werden. Umgekehrt sieht man unter dem Einfluß freudiger Erregungen, des
    „Glückes“, den ganzen Körper aufblühen und die Person manche Kennzeichen
    der Jugend wiedergewinnen. Die großen Affekte haben offenbar viel mit der
    Widerstandsfähigkeit gegen Erkrankung an Ansteckungen zu tun; es ist ein
    gutes Beispiel davon, wenn ärztliche Beobachter angeben, daß die Geneigtheit
    zu den Lagererkrankungen und zur Ruhr (Dysenterie) bei den Angehörigen
    einer geschlagenen Armee sehr viel bedeutender ist als unter den Siegern.
    Die Affekte, und zwar fast ausschließlich die depressiven, werden aber auch
    häufig genug selbst zu Krankheitsursachen sowohl für Krankheiten des
    Nervensystems mit anatomisch nachweisbaren Veränderungen als auch für
    Krankheiten anderer Organe, wobei man anzunehmen hat, daß die betreffende
    Person eine bis dahin unwirksame Eignung zu dieser Krankheit schon vorher
    besessen hat.

    Bereits ausgebildete Krankheitszustände können durch stürmische Affekte
    sehr erheblich beeinflußt werden, meistens im Sinne einer Verschlechterung,
    aber es fehlt auch nicht an Beispielen dafür, daß ein großer Schreck, ein
    plötzlicher Kummer durch eine eigentümliche Umstimmung des Organismus
    einen gut begründeten Krankheitszustand heilsam beeinflußt oder selbst auf-
    gehoben hat. Daß endlich die Dauer des Lebens durch depressive Affekte
    erheblich abgekürzt werden kann, sowie daß ein heftiger Schreck, eine
    brennende „Kränkung“ oder Beschämung dem Leben ein plötzliches
    Ende setzen kann, unterliegt keinem Zweifel; merkwürdigerweise wird
    letztere Wirkung auch mitunter als Folge einer unerwarteten großen Freude
    beobachtet.

    Die Affekte im engeren Sinne sind durch eine ganz besondere Beziehung
    zu den körperlichen Vorgängen ausgezeichnet, aber streng genommen sind
    alle Seelenzustände, auch diejenigen, welche wir als „Denkvorgänge“ zu be-

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    trachten gewohnt sind, in gewissem Maße „affektiv“, und kein einziger
    von ihnen entbehrt der körperlichen Äußerungen und der Fähigkeit, körper-
    liche Vorgänge zu verändern. Selbst beim ruhigen Denken in „Vorstellungen“
    werden dem Inhalt dieser Vorstellungen entsprechend beständig Erregungen
    zu den glatten und gestreiften Muskeln abgeleitet, welche durch geeignete
    Verstärkung deutlich gemacht werden können und die Erklärung für manche
    auffällige, ja vermeintlich „übernatürliche“ Erscheinungen geben. So z. B.
    erklärt sich das sogenannte „Gedankenerraten“ durch die kleinen,
    unwillkürlichen Muskelbewegungen, die das „Medium“ ausführt, wenn man
    mit ihm Versuche anstellt, etwa sich von ihm leiten läßt, um einen versteckten
    Gegenstand aufzufinden. Die ganze Erscheinung verdient eher den Namen
    eines Gedankenverratens.

    Die Vorgänge des Willens und der Aufmerksamkeit sind gleichfalls im-
    stande, die leiblichen Vorgänge tief zu beeinflussen und bei körperlichen
    Krankheiten als Förderer oder als Hemmungen eine große Rolle zu spielen.
    Ein großer englicher Arzt hat von sich berichtet, daß es ihm gelingt, an jeder
    Körperstelle, auf die er seine Aufmerksamkeit lenken will, mannigfache
    Empfindungen und Schmerzen hervorzurufen, und die Mehrzahl der Menschen
    scheint sich ähnlich wie er zu verhalten. Bei der Beurteilung von Schmerzen,
    die man sonst zu den körperlichen Erscheinungen rechnet, ist überhaupt deren
    überaus deutliche Abhängigkeit von seelischen Bedingungen in Betracht zu
    ziehen. Die Laien, welche solche seelische Einflüsse gerne unter dem Namen
    der „Einbildung“ zusammenfassen, pflegen vor Schmerzen infolge von Ein-
    bildung im Gegensatz zu den durch Verletzung, Krankheit oder Entzündung
    verursachten wenig Respekt zu haben. Aber das ist ein offenbares Unrecht;
    mag die Ursache von Schmerzen welche immer sein, auch die Einbildung, die
    Schmerzen selbst sind darum nicht weniger wirklich und nicht weniger heftig.

    Wie Schmerzen durch Zuwendung der Aufmerksamkeit erzeugt oder ge-
    steigert werden, so schwinden sie auch bei Ablenkung der Aufmerksamkeit.
    Bei jedem Kind kann man diese Erfahrung zur Beschwichtigung verwerten;
    der erwachsene Krieger verspürt den Schmerz der Verletzung nicht im fieber-
    haften Eifer des Kampfes; der Märtyrer wird sehr wahrscheinlich in der
    Überhitzung seines religiösen Gefühls, in der Hinwendung all seiner Ge-
    danken auf den ihm winkenden himmlischen Lohn vollkommen unempfindlich
    gegen den Schmerz seiner Qualen. Der Einfluß des Willens auf Krankheits-
    vorgänge des Körpers ist weniger leicht durch Beispiele zu belegen, es ist
    aber sehr wohl möglich, daß der Vorsatz, gesund zu werden, oder der Wille,
    zu sterben, selbst für den Ausgang schwerer und zweifelhafter Erkrankungs-
    fälle nicht ohne Bedeutung ist.

    Den größten Anspruch an unser Interesse hat der seelische Zustand der
    Erwartung, mittels dessen eine Reihe der wirksamsten seelischen Kräfte
    für Erkrankung und Genesung von körperlichen Leiden rege gemacht werden
    können. Die ängstliche Erwartung ist gewiß nichts Gleichgültiges für
    den Erfolg; es wäre wichtig, mit Sicherheit zu wissen, ob sie so viel für das
    Krankwerden leistet, als man ihr zutraut, ob es z. B. auf Wahrheit beruht,
    daß während der Herrschaft einer Epidemie diejenigen am ehesten gefährdet

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    sind, die zu erkranken fürchten. Der gegenteilige Zustand, die hoffnungsvolle
    und gläubige Erwartung ist eine wirkende Kraft, mit der wir streng
    genommen bei allen unseren Behandlungs- und Heilungsversuchen zu rechnen
    haben. Wir könnten uns sonst die Eigentümlichkeiten der Wirkungen, die wir
    an den Medikamenten und Heileingriffen beobachten, nicht erklären. Am greif-
    barsten wird aber der Einfluß der gläubigen Erwartung bei den
    sogenannten Wunderheilungen, die sich noch heute unter unseren Augen
    ohne Mitwirkung ärztlicher Kunst vollziehen. Die richtigen Wunderheilungen
    erfolgen bei Gläubigen unter dem Einfluß von Veranstaltungen, welche ge-
    eignet sind, die religiösen Gefühle zu steigern, also an Orten, wo ein
    wundertätiges Gnadenbild verehrt wird, wo eine heilige oder göttliche Person
    sich den Menschenkindern gezeigt und ihnen Linderung als Entgelt für
    Anbetung versprochen hat, oder wo die Reliquien eines Heiligen als Schatz
    aufbewahrt werden. Es scheint dem religiösen Glauben allein nicht leicht zu
    werden, auf dem Wege der Erwartung die Krankheit zu verdrängen, denn
    bei den Wunderheilungen sind meist noch andere Veranstaltungen mit im
    Spiele. Die Zeiten, zu denen man die göttliche Gnade sucht, müssen durch
    besondere Beziehungen ausgezeichnet sein; körperliche Mühsal, die sich der
    Kranke auferlegt, die Beschwerden und Opfer der Pilgerfahrt müssen ihn für
    diese Gnade besonders würdigen.

    Es wäre bequem, aber sehr unrichtig, wenn man diesen Wunderheilungen
    einfach den Glauben verweigern und die Berichte über sie durch Zusammen-
    treffen von frommem Betrug und ungenauer Beobachtung aufklären wollte.
    So oft dieser Erklärungsversuch auch recht haben mag, er hat doch nicht die
    Kraft, die Tatsache der Wunderheilungen überhaupt wegzuräumen. Diese
    kommen wirklich vor, haben sich zu allen Zeiten ereignet und betreffen nicht
    nur Leiden seelischer Herkunft, die also ihre Gründe in der „Einbildung“
    haben, auf welche gerade die Umstände der Wallfahrt besonders wirken
    können, sondern auch „organisch“ begründete Krankheitszustände, die vorher
    allen ärztlichen Bemühungen widerstanden hatten.

    Doch liegt keine Nötigung vor, zur Erklärung der Wunderheilungen andere
    als seelische Mächte heranzuziehen. Wirkungen, die für unsere Erkenntnis
    als unbegreiflich gelten könnten, kommen auch unter solchen Bedingungen
    nicht zum Vorschein. Es geht alles natürlich zu; ja die Macht der religiösen
    Gläubigkeit erfährt hier eine Verstärkung durch mehrere echt menschliche
    Triebkräfte. Der fromme Glaube des einzelnen wird durch die Begeisterung
    der Menschenmenge gesteigert, in deren Mitte er sich dem heiligen Ort zu
    nähern pflegt. Durch solche Massenwirkung können alle seelischen Regungen
    des einzelnen Menschen ins Maßlose gehoben werden. Wo ein einzelner die
    Heilung am Gnadenorte sucht, da ist es der Ruf, das Ansehen des Ortes,
    welche den Einfluß der Menschenmenge ersetzt, da kommt also doch wieder
    nur die Macht der Menge zur Wirkung. Dieser Einfluß macht sich auch noch
    auf anderem Wege geltend. Da es bekannt ist, daß die göttliche Gnade sich
    stets nur einigen wenigen unter den vielen um sie Werbenden zuwendet,
    möchte jeder unter diesen Ausgezeichneten und Ausgewählten sein; der in
    jedem einzelnen schlummernde Ehrgeiz kommt der frommen Gläubigkeit zu

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    Hilfe. Wo so viel starke Kräfte zusammenwirken, dürfen wir uns nicht
    wundern, wenn gelegentlich das Ziel wirklich erreicht wird.

    Auch die religiös Ungläubigen brauchen auf Wunderheilungen nicht zu
    verzichten. Das Ansehen und die Massenwirkung ersetzen ihnen vollauf den
    religiösen Glauben. Es gibt jederzeit Modekuren und Modeärzte, die besonders
    die vornehme Gesellschaft beherrschen, in welcher das Bestreben, es einander
    zuvorzutun und es den Vornehmsten gleichzutun, die mächtigsten seelischen
    Triebkräfte darstellen. Solche Modekuren entfalten Heilwirkungen, die nicht
    in ihrem Machtbereich gelegen sind, und die nämlichen Mittel leisten in der
    Hand des Modearztes, der etwa als der Helfer einer hervorragenden Persön-
    lichkeit bekannt geworden ist, weit mehr, als sie anderen Ärzten leisten
    können. So gibt es menschliche Wundertäter ebenso wie göttliche; nur nützen
    sich diese von der Gunst der Mode und der Nachahmung zu Ansehen erhobenen
    Menschen rasch ab, wie es der Natur der für sie wirkenden Mächte entspricht.

    Die begreifliche Unzufriedenheit mit der oft unzulänglichen Hilfe der
    ärztlichen Kunst, vielleicht auch die innere Auflehnung gegen den Zwang
    des wissenschaftlichen Denkens, welcher dem Menschen die Unerbittlichkeit
    der Natur widerspiegelt, haben zu allen Zeiten und in unseren Tagen von
    neuem eine merkwürdige Bedingung für die Heilkraft von Personen und
    Mitteln geschaffen. Die gläubige Erwartung will sich nur herstellen, wenn
    der Helfer kein Arzt ist und sich rühmen kann, von der wissenschaftlichen
    Begründung der Heilkunst nichts zu verstehen, wenn das Mittel nicht durch
    genaue Prüfung erprobt, sondern etwa durch eine volkstümliche Vorliebe
    empfohlen ist. Daher die Überfülle von Naturheilkünsten und Naturheil-
    künstlern, die auch jetzt wieder den Ärzten die Ausübung ihres Berufes
    streitig machen, und von denen wir wenigstens mit einiger Sicherheit aus-
    sagen können, daß sie den Heilung Suchenden weit öfter schaden als nützen.
    Haben wir hier Grund, auf die gläubige Erwartung der Kranken zu schelten,
    so dürfen wir doch nicht so undankbar sein, zu vergessen, daß die nämliche
    Macht unausgesetzt auch unsere eigenen ärztlichen Bemühungen unterstützt.
    Die Wirkung wahrscheinlich eines jeden Mittels, das der Arzt verordnet,
    eines jeden Eingriffes, den er vornimmt, setzt sich aus zwei Anteilen zusam-
    men. Den einen, der bald größer, bald kleiner, niemals ganz zu vernach-
    lässigen ist, stellt das seelische Verhalten des Kranken bei. Die gläubige
    Erwartung, mit welcher er dem unmittelbaren Einfluß der ärztlichen Maßregel
    entgegenkommt, hängt einerseits von der Größe seines eigenen Strebens
    nach Genesung ab, anderseits von seinem Zutrauen, daß er die richtigen
    Schritte dazu getan, also von seiner Achtung vor der ärztlichen Kunst über-
    haupt, ferner von der Macht, die er der Person seines Arztes zugesteht, und
    selbst von der rein menschlichen Zuneigung, welche der Arzt in ihm erweckt
    hat. Es gibt Ärzte, denen die Fähigkeit, das Zutrauen der Kranken zu ge-
    winnen, in höherem Grade eignet als anderen; der Kranke verspürt die
    Erleichterung dann oft bereits, wenn er den Arzt in sein Zimmer kommen
    sieht.

    Die Ärzte haben von jeher, in alten Zeiten noch viel ausgiebiger als heute,
    Seelenbehandlung ausgeübt. Wenn wir unter Seelenbehandlung verstehen die

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    Bemühung, beim Kranken die der Heilung günstigsten seelischen Zustände
    und Bedingungen hervorzurufen, so ist diese Art ärztlicher Behandlung die ge-
    schichtlich älteste. Den alten Völkern stand kaum etwas anderes als psychische
    Behandlung zu Gebote; sie versäumten auch nie, die Wirkung von Heil-
    tränken und Heilmaßnahmen durch eindringliche Seelenbehandlung zu unter-
    stützen. Die bekannten Anwendungen von Zauberformeln, die Reinigungs-
    bäder, die Hervorlockung von Orakelträumen durch den Schlaf im Tempel-
    raum u. a. können nur auf seelischem Wege heilend gewirkt haben. Die
    Persönlichkeit des Arztes selbst schuf sich ein Ansehen, das sich direkt von
    der göttlichen Macht ableitete, da die Heilkunst in ihren Anfängen in den
    Händen der Priester war. So war die Person des Arztes damals wie heute
    einer der Hauptumstände zur Erzielung des für die Heilung günstigen Seelen-
    zustandes beim Kranken.

    Wir beginnen nun auch den „Zauber“ des Wortes zu verstehen. Worte
    sind ja die wichtigsten Vermittler für den Einfluß, den ein Mensch auf den
    anderen ausüben will; Worte sind gute Mittel, um seelische Veränderungen
    bei dem hervorzurufen, an den sie gerichtet werden, und darum klingt es
    nicht länger rätselhaft, wenn behauptet wird, daß der Zauber des Wortes
    Krankheitserscheinungen beseitigen kann, zumal solche, die selbst in seeli-
    schen Zuständen begründet sind.

    Allen seelischen Einflüssen, welche sich als wirksam zur Beseitigung von
    Krankheiten erwiesen haben, haftet etwas Unberechenbares an. Affekte, Zu-
    wendung des Willens, Ablenkung der Aufmerksamkeit, gläubige Erwartung,
    alle diese Mächte, welche gelegentlich die Erkrankung aufheben, versäumen
    in anderen Fällen, dies zu leisten, ohne daß man die Natur der Krankheit
    für den verschiedenen Erfolg verantwortlich machen könnte. Es ist offenbar
    die Selbstherrlichkeit der seelisch so verschiedenen Persönlichkeiten, welche
    der Regelmäßigkeit des Heilerfolges im Wege steht. Seitdem nun die Ärzte
    die Bedeutung des seelischen Zustandes für die Heilung klar erkannt haben,
    ist ihnen der Versuch nahe gelegt, es nicht mehr dem Kranken zu überlassen,
    welcher Betrag von seelischem Entgegenkommen sich in ihm herstellen mag,
    sondern den günstigen Seelenzustand zielbewußt mit geeigneten Mitteln zu
    erzwingen. Mit dieser Bemühung nimmt die moderne Seelenbehandlung
    ihren Anfang.

    Es ergeben sich so eine ganze Anzahl von Behandlungsweisen, einzelne
    von ihnen selbstverständlich, andere erst nach verwickelten Voraussetzungen
    dem Verständnis zugänglich. Selbstverständlich ist es etwa, daß der Arzt, der
    heute nicht mehr als Priester oder als Besitzer geheimer Wissenschaft Be-
    wunderung einflößen kann, seine Persönlichkeit so hält, daß er das Zutrauen
    und ein Stück der Neigung seines Kranken erwerben kann. Es dient dann
    einer zweckmäßigen Verteilung, wenn ihm solcher Erfolg nur bei einer
    beschränkten Anzahl von Kranken gelingt, während andere durch ihren
    Bildungsgrad und ihre Zuneigung zu anderen ärztlichen Personen hingezogen
    werden. Mit der Aufhebung der freien Ärztewahl aber wird
    eine wichtige Bedingung für die seelische Beeinflus-
    sung der Kranken vernichtet.

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    Eine ganze Reihe sehr wirksamer seelischer Mittel muß sich der Arzt
    entgehen lassen. Er hat entweder nicht die Macht oder er darf sich das Recht
    nicht anmaßen, sie anzuwenden. Dies gilt vor allem für die Hervorrufung
    starker Affekte, also für die wichtigsten Mittel, mit denen das Seelische aufs
    Körperliche wirkt. Das Schicksal heilt Krankheiten oft durch große freudige
    Erregungen, durch Befriedigung von Bedürfnissen, Erfüllung von Wünschen;
    damit kann der Arzt, der außerhalb seiner Kunst oft selbst ein Ohnmächtiger
    ist, nicht wetteifern. Furcht und Schrecken zu Heilzwecken zu erzeugen,
    wird etwa eher in seiner Macht stehen, aber er wird sich außer bei Kindern
    sehr bedenken müssen, zu solchen zweischneidigen Maßregeln zu greifen.
    Anderseits schließen sich alle Beziehungen zum Kranken, die mit zärtlichen
    Gefühlen verknüpft sind, für den Arzt wegen der Lebensbedeutung dieser
    Seelenlagen aus. Und somit erschiene seine Machtfülle zur seelischen Ver-
    änderung seiner Kranken von vornherein so sehr eingeschränkt, daß die ab-
    sichtlich betriebene Seelenbehandlung keinen Vorteil gegen die frühere Art
    verspräche.

    Der Arzt kann etwa Willenstätigkeit und Aufmerksamkeit des Kranken zu
    lenken versuchen und hat bei verschiedenen Krankheitszuständen guten Anlaß
    dazu. Wenn er den, der sich gelähmt glaubt, beharrlich dazu nötigt, die Be-
    wegungen auszuführen, die der Kranke angeblich nicht kann, oder bei dem
    Ängstlichen, der wegen einer sicherlich nicht vorhandenen Krankheit unter-
    sucht zu werden verlangt, die Untersuchung verweigert, wird er die richtige
    Behandlung eingeschlagen haben; aber diese vereinzelten Gelegenheiten geben
    kaum ein Recht, die Seelenbehandlung als ein besonderes Heilverfahren aufzu-
    stellen. Dagegen hat sich dem Arzt auf einem eigentümlichen und nicht vor-
    herzusehenden Wege die Möglichkeit geboten, einen tiefen, wenn auch vor-
    übergehenden Einfluß auf das Seelenleben seiner Kranken zu nehmen und
    diesen zu Heilzwecken auszunützen.

    Es ist seit langer Zeit bekannt gewesen, aber erst in den letzten Jahr-
    zehnten über jede Anzweiflung erhoben worden, daß es möglich ist, Menschen
    durch gewisse sanfte Einwirkungen in einen ganz eigentümlichen seelischen
    Zustand zu versetzen, der mit dem Schlaf viel Ähnlichkeit hat und darum als
    Hypnose bezeichnet wird. Die Verfahren zur Herbeiführung der Hypnose
    haben auf den ersten Blick nicht viel untereinander gemein. Man kann hypno-
    tisieren, indem man einen glänzenden Gegenstand durch einige Minuten unver-
    wandt ins Auge fassen läßt, oder indem man eine Taschenuhr durch dieselbe
    Zeit an das Ohr der Versuchsperson hält, oder dadurch, daß man wiederholt
    über Gesicht und Glieder derselben mit seinen eigenen, flach gehaltenen
    Händen aus geringer Entfernung streicht. Man kann aber dasselbe erreichen,
    wenn man der Person, die man hypnotisieren will, das Eintreten des hypno-
    tischen Zustandes und seiner Besonderheiten mit ruhiger Sicherheit ankündigt,
    ihr die Hypnose also „einredet“. Man kann auch beide Verfahren miteinander
    verbinden. Man läßt etwa die Person Platz nehmen, hält ihr einen Finger
    vor die Augen, trägt ihr auf, denselben starr anzusehen, und sagt ihr dann:
    Sie fühlen sich müde. Ihre Augen fallen schon zu, Sie können sie nicht offen
    halten. Ihre Glieder sind schwer, Sie können sich nicht mehr rühren. Sie

  • S.

    142

    schlafen ein usw. Man merkt doch, daß diesen Verfahren allen eine Fesselung
    der Aufmerksamkeit gemeinsam ist; bei den erstangeführten handelt es sich um
    Ermüdung der Aufmerksamkeit durch schwache und gleichmäßige Sinnes-
    reize. Wie es zugeht, daß das bloße Einreden genau den nämlichen Zustand
    hervorruft wie die anderen Verfahren, das ist noch nicht befriedigend aufge-
    klärt. Geübte Hypnotiseure geben an, daß man auf solche Weise bei etwa
    80 Prozent der Versuchspersonen eine deutliche hypnotische Veränderung
    erzielt. Man hat aber keine Anzeichen, aus denen man im vorhinein erraten
    könnte, welche Personen hypnotisierbar sind und welche nicht. Ein Krank-
    heitszustand gehört keineswegs zu den Bedingungen der Hypnose, normale
    Menschen sollen sich besonders leicht hypnotisieren lassen, und von den
    Nervösen ist ein Teil sehr schwer hypnotisierbar, während Geisteskranke
    ganz und gar widerspenstig sind. Der hypnotische Zustand hat sehr ver-
    schiedene Abstufungen; in seinem leichtesten Grade verspürt der Hypno-
    tisierte nur etwas wie eine geringe Betäubung, der höchste und durch besondere
    Merkwürdigkeiten ausgezeichnete Grad wird Somnambulismus genannt
    wegen seiner Ähnlichkeit mit dem als natürliche Erscheinung beobachteten
    Schlafwandeln. Die Hypnose ist aber keineswegs ein Schlaf wie unser
    nächtliches Schlafen oder wie der künstliche durch Schlafmittel erzeugte.
    Es treten Veränderungen in ihr auf, und es zeigen sich seelische Leistungen
    bei ihr erhalten, die dem normalen Schlafe fehlen.

    Manche Erscheinungen der Hypnose, z. B. die Veränderungen der Muskel-
    tätigkeit, haben nur wissenschaftliches Interesse. Das bedeutsamste aber und
    das für uns wichtigste Zeichen der Hypnose liegt in dem Benehmen des
    Hypnotisierten gegen seinen Hypnotiseur. Während der Hypnotisierte sich
    gegen die Außenwelt sonst verhält wie ein Schlafender, also sich mit all
    seinen Sinnen von ihr abgewendet hat, ist er wach für die Person, die ihn
    in Hypnose versetzt hat, hört und sieht nur diese, versteht sie und gibt ihr
    Antwort. Diese Erscheinung, die man den Rapport in der Hypnose heißt,
    findet ein Gegenstück in der Art, wie manche Menschen, z. B. die Mutter,
    die ihr Kind nährt, schlafen. Sie ist so auffällig, daß sie uns das Verständnis
    des Verhältnisses zwischen Hypnotisiertem und Hypnotiseur vermitteln sollte.

    Daß sich die Welt des Hypnotisierten sozusagen auf den Hypnotiseur ein-
    schränkt, ist aber nicht das einzige. Es kommt dazu, daß der erstere voll-
    kommen gefügig gegen den letzteren wird, gehorsam und gläubig,
    und zwar bei tiefer Hypnose in fast schrankenloser Weise. Und in
    der Ausführung dieses Gehorsams und dieser Gläubigkeit zeigt es
    sich nun als Charakter des hypnotischen Zustandes, daß der Einfluß des
    Seelenlebens auf das Körperliche beim Hypnotisierten außerordentlich erhöht
    ist. Wenn der Hypnotiseur sagt: Sie können Ihren Arm nicht bewegen, so
    fällt der Arm wie unbeweglich herab; der Hypnotisierte strengt offenbar alle
    seine Kraft an und kann ihn nicht bewegen. Wenn der Hypnotiseur sagt:
    Ihr Arm bewegt sich von selbst, Sie können ihn nicht aufhalten, so bewegt
    sich dieser Arm, und man sieht den Hypnotisierten vergebliche Anstrengungen
    machen, ihn ruhig zu stellen. Die Vorstellung, die der Hypnotiseur dem
    Hypnotisierten durch das Wort gegeben hat, hat genau jenes seelisch-körper-

  • S.

    143

    liche Verhalten bei ihm hervorgerufen, das ihrem Inhalt entspricht. Darin
    liegt einerseits Gehorsam, anderseits aber Steigerung des körperlichen Ein-
    flusses einer Idee. Das Wort ist hier wirklich wieder zum Zauber geworden.

    Dasselbe auf dem Gebiete der Sinneswahrnehmungen. Der Hypnotiseur
    sagt: Sie sehen eine Schlange, Sie riechen eine Rose, Sie hören die schönste
    Musik, und der Hypnotisierte sieht, riecht, hört, wie die ihm eingegebene
    Vorstellung es von ihm verlangt. Woher weiß man, daß der Hypnotisierte
    diese Wahrnehmungen wirklich hat? Man könnte meinen, er stelle sich nur
    so an; aber es ist doch kein Grund, daran zu zweifeln, denn er benimmt sich
    ganz so, als ob er sie wirklich hätte, äußert alle dazu gehörigen Affekte,
    kann auch unter Umständen nach der Hypnose von seinen eingebildeten Wahr-
    nehmungen und Erlebnissen berichten. Man merkt dann, daß er gesehen und
    gehört hat, wie wir im Traum sehen und hören, d. h. er hat halluziniert.
    Er ist offenbar so sehr gläubig gegen den Hypnotiseur, daß er überzeugt
    ist, eine Schlange müsse zu sehen sein, wenn der Hypnotiseur sie ihm an-
    kündigt, und diese Überzeugung wirkt so stark auf das Körperliche, daß er
    die Schlange wirklich sieht, wie es übrigens gelegentlich auch bei nicht
    hypnotisierten Personen geschehen kann.

    Nebenbei bemerkt, eine solche Gläubigkeit, wie sie der Hypnotisierte für
    seinen Hypnotiseur bereit hat, findet sich außer der Hypnose im wirklichen
    Leben nur beim Kinde gegen die geliebten Eltern, und eine
    derartige Einstellung des eigenen Seelenlebens auf das einer anderen Person
    mit ähnlicher Unterwerfung hat ein einziges, aber dann vollwertiges Gegen-
    stück in manchen Liebesverhältnissen mit voller Hingebung. Das
    Zusammentreffen von Alleinschätzung und gläubigem Gehorsam gehört über-
    haupt zur Kennzeichnung des Liebens.

    Über den hypnotischen Zustand ist noch einiges zu berichten. Die Rede
    des Hypnotiseurs, welche die beschriebenen zauberhaften Wirkungen äußert,
    heißt man die Suggestion, und man hat sich gewöhnt, diesen Namen auch
    dort anzuwenden, wo zunächst bloß die Absicht vorliegt, eine ähnliche Wir-
    kung hervorzubringen. Wie Bewegung und Empfindung, gehorchen auch alle
    anderen Seelentätigkeiten des Hypnotisierten dieser Suggestion, während er
    aus eigenem Antriebe nichts zu unternehmen pflegt. Man kann den hypnotischen
    Gehorsam für eine Reihe von höchst merkwürdigen Versuchen ausnützen, die
    tiefe Einblicke in das seelische Getriebe gestatten und dem Zuschauer eine
    unvertilgbare Überzeugung von der nicht geahnten Macht des Seelischen über
    das Körperliche schaffen. Wie man den Hypnotisierten nötigen kann zu sehen,
    was nicht da ist, so kann man ihm auch verbieten, etwas, was da ist und sich
    seinen Sinnen aufdrängen will, z. B. eine bestimmte Person, zu sehen (die
    sogenannte negative Halluzination), und diese Person findet es dann un-
    möglich, sich dem Hypnotisierten durch irgend welche Reizungen bemerklich
    zu machen; sie wird von ihm „wie Luft“ behandelt. Man kann dem Hypno-
    tisierten die Suggestion erteilen, eine gewisse Handlung erst eine bestimmte
    Zeit nach dem Aufwachen aus der Hypnose auszuführen (die posthypnotische
    Suggestion), und der Hypnotisierte hält die Zeit ein und führt mitten in
    seinem wachen Zustand die suggerierte Handlung aus, ohne einen Grund für

  • S.

    144

    sie angeben zu können. Fragt man ihn dann, warum er dies jetzt getan hat,
    so beruft er sich entweder auf einen dunklen Drang, dem er nicht widerstehen
    konnte, oder er erfindet einen halbwegs einleuchtenden Vorwand, während er
    den wahren Grund, die ihm erteilte Suggestion, nicht erinnert.

    Das Erwachen aus der Hypnose erfolgt mühelos durch das Machtwort des
    Hypnotiseurs: Wachen Sie auf. Bei den tiefsten Hypnosen fehlt dann die
    Erinnerung für alles, was während der Hypnose unter dem Einfluß des Hypno-
    tiseurs erlebt wurde. Dieses Stück Seelenleben bleibt gleichsam abgesondert
    von dem sonstigen. Andere Hypnotisierte haben eine traumhafte Erinnerung,
    und noch andere erinnern sich zwar an alles, berichten aber, daß sie unter
    einem seelischen Zwang gestanden hatten, gegen den es keinen Widerstand
    gab.

    Der wissenschaftliche Gewinn, den die Bekanntschaft mit den hypno-
    tischen Tatsachen Ärzten und Seelenforschern gebracht hat, kann nicht leicht
    überschätzt werden. Um nun aber die praktische Bedeutung der neuen Er-
    kenntnisse zu würdigen, wolle man an Stelle des Hypnotiseurs den Arzt, an
    Stelle des Hypnotisierten den Kranken setzen. Scheint da die Hypnose nicht
    berufen, alle Bedürfnisse des Arztes, insoferne er als „Seelenarzt“ gegen den
    Kranken auftreten will, zu befriedigen? Die Hypnose schenkt dem Arzt eine
    Autorität, wie sie wahrscheinlich niemals ein Priester oder Wundermann
    besessen hat, indem sie alles seelische Interesse des Hypnotisierten auf die
    Person des Arztes vereinigt; sie schafft die Eigenmächtigkeit des Seelen-
    lebens beim Kranken ab, in der wir das launenhafte Hemmnis für die Äuße-
    rung seelischer Einflüsse auf den Körper erkannt haben; sie stellt an und für
    sich eine Steigerung der Seelenherrschaft über das Körperliche her, die sonst
    nur unter den stärksten Affekteinwirkungen beobachtet wird, und durch die
    Möglichkeit, das in der Hypnose dem Kranken Eingegebene erst nachher im
    Normalzustand zum Vorschein kommen zu lassen (posthypnotische Sugge-
    stion), gibt sie dem Arzt die Mittel in die Hand, seine große Macht während
    der Hypnose zur Veränderung des Kranken im wachen Zustande zu ver-
    wenden. So ergäbe sich ein einfaches Muster für die Art der Heilung durch
    Seelenbehandlung. Der Arzt versetzt den Kranken in den Zustand der
    Hypnose, erteilt ihm die nach den jeweiligen Umständen abgeänderte Sug-
    gestion, daß er nicht krank ist, daß er nach dem Erwachen von seinen
    Leidenszeichen nichts verspüren wird, weckt ihn dann auf und darf sich der
    Erwartung hingeben, daß die Suggestion ihre Schuldigkeit gegen die Krank-
    heit getan hat. Dieses Verfahren wäre etwa, wenn eine einzige Anwendung
    nicht genug genützt hat, die nötige Anzahl von Malen zu wiederholen.

    Ein einziges Bedenken könnte Arzt und Patienten von der Anwendung
    selbst eines so vielversprechenden Heilverfahrens abhalten. Wenn sich nämlich
    ergeben sollte, daß die Versetzung in Hypnose ihren Nutzen durch einen
    Schaden auf anderer Seite wett macht, z. B. eine dauernde Störung oder
    Schwächung im Seelenleben des Hypnotisierten hinterläßt. Die bisher gemach-
    ten Erfahrungen reichen nun bereits aus, um dieses Bedenken zu beseitigen;
    einzelne Hypnotisierungen sind völlig harmlos, selbst häufig wiederholte
    Hypnosen im ganzen unschädlich. Nur eines ist hervorzuheben: wo die Ver-

  • S.

    145

    hältnisse eine fortdauernde Anwendung der Hypnose notwendig machen, da
    stellt sich eine Gewöhnung an die Hypnose und eine Abhängigkeit vom hypno-
    tisierenden Arzt her, die nicht in der Absicht des Heilverfahrens gelegen
    sein kann.

    Die hypnotische Behandlung bedeutet nun wirklich eine große Erweiterung
    des ärztlichen Machtbereiches und somit einen Fortschritt der Heilkunst. Man
    kann jedem Leidenden den Rat geben, sich ihr anzuvertrauen, wenn sie von
    einem kundigen und vertrauenswürdigen Arzte ausgeübt wird. Aber man
    sollte sich der Hypnose in anderer Weise bedienen, als es heute zumeist
    geschieht. Gewöhnlich greift man zu dieser Behandlungsart erst, wenn alle
    anderen Mittel im Stiche gelassen haben, der Leidende bereits verzagt und
    unmutig geworden ist. Dann verläßt man seinen Arzt, der nicht hypnotisieren
    kann oder es nicht ausübt, und wendet sich an einen fremden Arzt, der meist
    nichts anderes übt und nichts anderes kann als hypnotisieren. Beides ist unvor-
    teilhaft für den Kranken. Der Hausarzt sollte selbst mit der hypnotischen
    Heilmethode vertraut sein und diese von Anfang an anwenden, wenn er den
    Fall und die Person dafür geeignet hält. Die Hypnose sollte dort, wo sie
    überhaupt brauchbar ist, gleichwertig neben den anderen Heilverfahren stehen,
    nicht eine letzte Zuflucht oder gar einen Abfall von der Wissenschaftlichkeit
    zur Kurpfuscherei bedeuten. Brauchbar aber ist das hypnotische Heilverfahren
    nicht nur bei allen nervösen Zuständen und den durch „Einbildung“ ent-
    standenen Störungen, sowie zur Entwöhnung von krankhaften Gewohnheiten
    (Trunksucht, Morphinsucht, geschlechtliche Verirrungen), sondern auch bei
    vielen Organkrankheiten, selbst entzündlichen, wo man die Aussicht hat, bei
    Fortbestand des Grundleidens die den Kranken zunächst belästigenden Zeichen
    desselben, wie die Schmerzen, Bewegungshemmung u. dgl. zu beseitigen. Die
    Auswahl der Fälle für die Verwendung des hypnotischen Verfahrens ist durch-
    wegs von der Entscheidung des Arztes abhängig.

    Nun ist es aber an der Zeit, den Eindruck zu zerstreuen, als wäre mit dem
    Hilfsmittel der Hypnose für den Arzt eine Zeit bequemer Wundertäterei
    angebrochen. Es sind noch mannigfache Umstände in Betracht zu ziehen, die
    geeignet sind, unsere Ansprüche an das hypnotische Heilverfahren erheblich
    herabzusetzen und die beim Kranken etwa rege gewordenen Hoffnungen auf
    ihr berechtigtes Maß zurückzuführen. Vor allem stellt sich die eine Grund-
    voraussetzung als unhaltbar heraus, daß es gelungen wäre, durch die Hypnose
    den Kranken die störende Eigenmächtigkeit in ihrem seelischen Verhalten zu
    benehmen. Sie bewahren dieselbe und beweisen sie bereits in ihrer Stellung-
    nahme gegen den Versuch, sie zu hypnotisieren. Wenn oben gesagt wurde, daß
    etwa 80 Prozent der Menschen hypnotisierbar sind, so ist diese große Zahl
    nur dadurch zustande gekommen, daß man alle Fälle, die irgend eine Spur
    von Beeinflussung zeigen, zu den positiven Fällen gerechnet hat. Wirklich
    tiefe Hypnosen mit vollkommener Gefügigkeit, wie man sie bei der Beschrei-
    bung zum Muster wählt, sind eigentlich selten, jedenfalls nicht so häufig, wie
    es im Interesse der Heilung erwünscht wäre. Man kann den Eindruck dieser
    Tatsache wieder abschwächen, indem man hervorhebt, daß die Tiefe der
    Hypnose und die Gefügigkeit gegen die Suggestionen nicht gleichen Schritt

  • S.

    146

    miteinander halten, so daß man oft bei leichter hypnotischer Betäubung doch
    gute Wirkung der Suggestion beobachten kann. Aber auch, wenn man die
    hypnotische Gefügigkeit als das Wesentlichere des Zustandes selbständig
    nimmt, muß man zugestehen, daß die einzelnen Menschen ihre Eigenart darin
    zeigen, daß sie sich nur bis zu einem bestimmten Grad von Gefügigkeit
    beeinflussen lassen, bei dem sie dann haltmachen. Die einzelnen Personen
    zeigen also sehr verschiedene Grade von Brauchbarkeit für das hypnotische
    Heilverfahren. Gelänge es, Mittel aufzufinden, durch welche man alle diese
    besonderen Stufen des hypnotischen Zustandes bis zur vollkommenen Hypnose
    steigern könnte, so wäre die Eigenart der Kranken wieder aufgehoben, das
    Ideal der Seelenbehandlung verwirklicht. Aber dieser Fortschritt ist bisher
    nicht geglückt; es hängt noch immer weit mehr vom Kranken als vom Arzt
    ab, welcher Grad von Gefügigkeit sich der Suggestion zur Verfügung stellen
    wird, d. h. es liegt wiederum im Belieben des Kranken.

    Noch bedeutsamer ist ein anderer Gesichtspunkt. Wenn man die höchst
    merkwürdigen Erfolge der Suggestion im hypnotischen Zustand schildert,
    vergißt man gerne daran, daß es sich hierbei wie bei allen seelischen Wir-
    kungen auch um Größen- oder Stärkenverhältnisse handelt. Wenn man einen
    gesunden Menschen in tiefe Hypnose versetzt hat und ihm nun aufträgt, in
    eine Kartoffel zu beißen, die man ihm als Birne vorstellt, oder ihm einredet,
    er sehe einen Bekannten, den er grüßen müsse, so wird man leicht volle
    Gefügigkeit sehen, weil kein ernster Grund beim Hypnotisierten vorhanden
    ist, welcher sich gegen die Suggestion sträuben könnte. Aber schon bei
    anderen Aufträgen, wenn man z. B. von einem sonst schamhaften Mädchen
    verlangt, sich zu entblößen, oder von einem ehrlichen Mann, sich einen wert-
    vollen Gegenstand durch Diebstahl anzueignen, kann man einen Widerstand
    bei dem Hypnotisierten bemerken, der selbst soweit gehen kann, daß er der
    Suggestion den Gehorsam verweigert. Man lernt daraus, daß in der besten
    Hypnose die Suggestion nicht eine unbegrenzte Macht ausübt, sondern nur
    eine Macht von bestimmter Stärke. Kleine Opfer bringt der Hypnotisierte,
    mit großen hält er, ganz wie im Wachen, zurück. Hat man es nun mit einem
    Kranken zu tun, und drängt ihn durch die Suggestion zum Verzicht auf die
    Krankheit, so merkt man, daß dies für ihn ein großes und nicht ein kleines
    Opfer bedeutet. Die Macht der Suggestion mißt sich zwar auch dann mit der
    Kraft, welche die Krankheitserscheinungen geschaffen hat und sie festhält,
    aber die Erfahrung zeigt, daß letztere von einer ganz anderen Größenordnung
    ist als der hypnotische Einfluß. Derselbe Kranke, der sich in jede — nicht
    gerade anstößige — Traumlage, die man ihm eingibt, voll gefügig hineinfindet,
    kann vollkommen widerspenstig gegen die Suggestion bleiben, welche ihm
    etwa seine eingebildete Lähmung abspricht. Dazu kommt noch in der Praxis,
    daß gerade nervöse Kranke meist schlecht hypnotisierbar sind, so daß nicht
    der volle hypnotische Einfluß, sondern nur ein Bruchteil desselben den Kampf
    gegen die starken Kräfte aufzunehmen hat, mit denen die Krankheit im
    Seelenleben verankert ist.

    Der Suggestion ist also nicht von vornherein der Sieg über die Krankheit
    sicher, wenn einmal die Hypnose und selbst eine tiefe Hypnose gelungen ist.

  • S.

    147

    Es bedarf dann noch immer eines Kampfes, und der Ausgang ist sehr häufig
    ungewiß. Gegen ernstliche Störungen seelischer Herkunft richtet man daher
    mit einmaliger Hypnose nichts aus. Mit der Wiederholung der Hypnose fällt
    aber der Eindruck des Wunders, auf das sich der Kranke vielleicht gefaßt
    gemacht hat. Man kann es dann erzielen, daß bei wiederholten Hypnosen die
    anfänglich mangelnde Beeinflussung der Krankheit immer deutlicher wird,
    bis sich ein befriedigender Erfolg herstellt. Aber eine solche hypnotische
    Behandlung kann ebenso mühselig und zeitraubend verlaufen wie nur irgend
    eine andere.

    Eine andere Art, wie sich die relative Schwäche der Suggestion im Ver-
    gleich mit dem zu bekämpfenden Leiden verrät, ist die, daß die Suggestion
    zwar die Aufhebung der Krankheitserscheinungen zustande bringt, aber nur
    für kurze Zeit. Nach Ablauf dieser Zeit sind die Leidenszeichen wieder da und
    müssen durch neuerliche Hypnose mit Suggestion wieder vertrieben werden.
    Wiederholt sich dieser Ablauf oft genug, so erschöpft er gewöhnlich die
    Geduld des Kranken wie die des Arztes und hat das Aufgeben der hypnoti-
    schen Behandlung zur Folge. Auch sind dies die Fälle, in denen sich bei dem
    Kranken die Abhängigkeit vom Arzt und eine Art Sucht nach der Hypnose
    herzustellen pflegen.

    Es ist gut, wenn der Kranke diese Mängel der hypnotischen Heilmethode
    und die Möglichkeiten der Enttäuschung bei ihrer Anwendung kennt. Die
    Heilkraft der hypnotischen Suggestion ist ja etwas Tatsächliches, sie bedarf
    der übertreibenden Anpreisung nicht. Anderseits ist es leicht verständlich,
    wenn die Ärzte, denen die hypnotische Seelenbehandlung soviel mehr ver-
    sprochen hatte, als sie halten konnte, nicht müde werden, nach anderen Ver-
    fahren zu suchen, welche eine eingreifendere oder minder unberechenbare
    Einwirkung auf die Seele des Kranken ermöglichen. Man darf sich der
    sicheren Erwartung hingeben, daß die zielbewußte moderne Seelenbehandlung,
    welche ja eine ganz junge Wiederbelebung alter Heilmethoden darstellt, den
    Ärzten noch weit kräftigere Waffen zum Kampfe gegen die Krankheit in die
    Hände geben wird. Eine tiefere Einsicht in die Vorgänge des Seelenlebens,
    deren erste Anfänge gerade auf den hypnotischen Erfahrungen ruhen, wird
    Mittel und Wege dazu weisen.

  • S.

    XI. Jahrg. 1937 Heft 2

    Zeitschrift für
    psychoanalytische
    Pädagogik

  • S.

    BÜCHER DES WERDENDEN

    Herausgegeben von Paul Federn, Wien, und Heinrich Meng, Basel

    BAND IX

    Soeben erschienen in 2. erweiterter Auflage

    STRAFEN UND ERZIEHEN

    von
    Dr. med. Heinrich Meng

    Die Presse urteilt:

    Ein außerordentlich gehaltvolles und anregendes Buch, dem
    recht weite Verbreitung zu wünschen ist.
    „Eltern-Zeitschrift, Zürich“.

    Eine Darstellung der Strafe in der Erziehung vom psycho-
    analytischen Gesichtspunkt aus, eine klare Arbeit in allgemein-
    verständlicher Sprache...
    „Zeitschrift für Kinderforschung“.

    Den Forschungen des Verfassers durch sein Buch zu folgen,
    ist für jedermann lehrreich. Mit wachsender Spannung liest
    sich Kapitel um Kapitel...
    „Der Bund, Bern“.

    Wer Meng aus seinen Basler Vorlesungen kennt, für den
    bedarf das vorliegende reichhaltige und übersichtliche Buch
    keiner besonderen Empfehlung mehr.
    „Basler Nachrichten“.

    Das Buch des Lektors für Psychohygiene an der Basler Uni-
    versität, erscheint soeben in zweiter Auflage, erweitert durch
    ein Kapitel, „Forderung und Ratschlag“... Heinrich Meng
    sieht diesen philosophischen Hintergrund der Frage nach Sinn
    und Maß der Strafe überhaupt sehr klar... Der Verfasser
    bietet eine durch Klarheit der Darstellung und reife Abgewo-
    genheit des Urteils ausgezeichnete Übersicht der Geschichte
    und Psychologie des Strafens überhaupt und der erzieherischen
    Strafe insbesonders.
    „National-Zeitung, Basel“.

    Für die Eltern, Lehrer, Führer, scheinen mir seine Darlegungen
    über Erziehen und Strafen, Autorität und Verantwortung be-
    sonders wichtig zu sein. Das Buch beruht auf jahrelangen,
    eingehenden Beobachtungen und zeugt von ebenso liebevoller
    wie scharfsinniger Vertiefung in den Stoff.
    „Die Umschau, Frankfurt“.

    VERLAG HANS HUBER IN BERN

    Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Gesellschaft m. b. H., Wien IX, Berggasse 7. — Verantwortlicher Redakteur: Dr. Wilhelm Hoffer, Wien I, Dorotheerg. 7. Druck von Emil M. Engel, Druckerei und Verlagsanstalt, Wien I, In der Börse.
    Printed in Austria