Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik 1917-003/1917
  • S.

    Originalarbeiten .

    über Triehumsetzungsn insbesondere der Analerotik.
    Von Sigm. Freud.

    Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psychoanalytischen
    Beobachtung die Vermutung geschöpft, daß das konstante Zusammen—
    treffen der drei Charaktereigenschaften: ordentlich, sparsam und
    eigensinnig auf eine Verstärkung der analeroiischen Komponente in
    der Sexuelkonstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber im
    Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Analerotik zur Aus-
    bildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen des Ichs gekommen ist))

    Es lag mir damals daran, eine als tatsächlich erkannte Beziehung
    bekanntzugeben; um ihre theoretische Würdigung bekümmerte ich mieh
    wenig. Seither hat sich wohl allgemein die Auffassung durchgesetzt, daß
    jede einzelne der drei Eigenschaften : Geiz, Pedanterie und Eigensinn aus
    den Triebquellen der Analerotik hervorgeht oder — vorsichtiger und voll-
    ständiger ausgedrückt ‚ mächtige Zuschüsse aus diesen Quellen bezieht.
    Die Fälle, denen die Vereinigung der erwähnten drei Charakterfehler ein
    besonderes Gepräge aufdrliekte (Analoharakter), waren eben nur die
    Extreme, an denen sich der uns interessierende Zusammenhang auch
    einer stumpfen Beobachtung verraten mußte.

    Einige Jahre später habe ieh aus einer Fülle von Eindrücken, ge-
    leitet dureh eine besonders zwingende analytische Erfahrung, den Schluß
    gezogen, daß in der Entwicklung der menschlichen Libido vor der Phase
    des Genitalprimats eine „prägenits.le Organisation“ anzunehmen ist, in
    Welcher der Swdismus und die Analerotik die leitenden Rollen spielen.“)

    Die Frage nach dem weiteren Verbleib der snalerotisehen Trieb-
    regimgen war von da an unabweisbar. Welches wurde ihr Schicksal,
    nachdem sie durch die Herstellung der endgültigen Genitalorganisstion
    ihre Bedeutung für das Sexualieben eingebüßt hatten? Blieben sie als
    solche, aber nun im Zustande der Verdrängung, fortbestehen, unterlagen
    sie der Sublimierung oder der Aufzehrung unter Umsetzung in Eigen-
    schaften des Charakters, oder fanden sie Aufnahme in die neue vom
    Primat der Genitalien bestimmte Gestaltung der Sexualität? Oder besser,
    da wahrscheinlich keines dieser Schicksale der Analerotik das ausschließ-
    liche sein dürfte, in welchem Ausmaß und in Welcher Weise teilen sich
    diese verschiedenen Möglichkeiten in die Entscheidung über die Schick-
    sale der Analerotik, deren organische Quellen ja. durch das Auftreten
    der Genitalorganisation nicht verschüttet werden konnten?

    1) Charakter und Analsrotik, 1903, Wieder-abgedruckt in der zweiten Folge der
    Sammlung kleiner Schriften zur Neurusenlelll'e 1909.

    =) Die Disposition zur Zwangsnsnmss: Internet. Zeitschr. f. mu. Psycho-
    msiyss I, wie,

    z.imm. (. mi. rauhen-lm, xvix. 9

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    126 Sign, Freud.

    Man sollte meinen, es könnte an Material für die Beantwortumg
    dieser Fragen nicht fehlen, da. die betreffenden Vorgänge von Entwicklung
    und Umsetzung sich bei allen Personen vollzogen haben müssen, die Ge-
    genstand der psychoanalytischen Untersuchung werden. Allein dies Material
    ist so undurchsichtig, die Fülle von immer wiederkehrenden Eindrücken
    wirkt so verwirrend, daß ich auch heute keine vollständige Lösung des
    Problems, bloß Beiträge zur Lösung zu geben vermag. Ich brauche
    dabei der Gelegenheit nicht aus dem Weg zu gehen, wenn der Zusam-
    menhang es gestattet, einige andere Triebumsetzungen zu erwähnen, welche
    nicht die Analerotik betrefi'en. Es bedarf endlich kaum der Hervorhebung,
    daß die beschriebenen Entwicklungsvorgänge — hier wie anderwärts in
    der Psychoanalyse — aus den Regressionen erschlossen werden sind, zu
    welchen sie durch die neurolischen Prozesse genötigt werden.

    Ausgangspunkt dieser Erörterungen kann der Anschein werden,
    daß in den Produktionen des Unbewußten —— Einfällen, Phantasien und
    Symptomen — die Begtifl‘e Kot (Geld. Geschenk), Kind und Penis
    schlecht auseinander gehalten und leicht miteinander vertauscht werden.
    Wenn wir uns so ausdrücken, wissen wir natürlich, daß wir Bezeich-
    nungen, die für andere Gebiete des Seelenlebens gebräuchlich sind, mit
    Unrecht auf das Unbewußte übertragen und uns durch den Vorteil,
    welchen ein Vergleich mit sich bringt, ver-leiten lassen. Wiederholen wir
    also in einwandfreierer Form, daß diese Elemente im Unbewußten häufig
    behandelt werden, als wären sie einander äquivalent und dürften ein-
    ander unbedenklich ersetzen.

    Fiir die Beziehungen von „Kind“ und „Penis“ ist dies em leichtesten
    zu sehen. Es kann nicht gleichgültig sein, daß beide in der Symbol-
    sprache des Traumes wie in der des täglichen Lebens durch ein gemein-
    sames Symbol ersetzt werden können. Das Kind heißt wie der Penis
    das „Kleine“. Es ist bekannt, daß die Symbolsprache sich oft über
    den Geschlechtsunterschicd hinanssetzt. Das „Kleine“, das ursprünglich
    das männliche Glied meinte, mag also sekundär zur Bezeichnung des
    weiblichen Genita.les gelangt sein.

    Forscht man tief genug in der Neurose einer Frau, so stößt man
    nicht selten auf den verdrängten Wunsch, einen Penis wie der Mann zu
    besitzen. Akzidentelles Mißgeschick im Frauenleben, oft genug selbst
    Folge einer stark männlichen Anlage, hat diesen Kinderwunsch, den Wir
    als „Penisneid“ dem Kastrationskomplex einordnen, wieder aktiviert und
    ihn durch die Rückströmung der Libido zum Hauptträg-er der neurotischefl
    Symptome werden lassen. Bei anderen Frauen läßt sich von diesem
    Wunsch nach dem Penis nichts nachweisen; seine Stelle nimmt der
    Wunsch nach dem Kind ein, dessen Verengung im Leben denn die
    Neurose auslösen kann. Es ist so, als ob diese Frauen begriffen hätten,
    — was als Motiv doch unmöglich wirksam gewesen sein kann —— deli

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    Über Triebumsetzungen insbesmidm der Annleretik. 127

    die Natur dem Weihe das Kind zum Ersatz fiir das andere gegeben hat,
    was sie ihm verslgen mußte. Bei noch anderen Frauen erfahrt man, daß
    beide Wünsche in der Kindheit vorhanden waren und einander abgelöst
    haben. Zuerst wollten sie einen Penis haben wie ein Mann, und in einer
    späteren, immer noch infentilen Epoche trat der Wunsch nach einem
    Kind an die Stelle. Man kann den Eindruck nicht ebweisen, daß akzi—
    dentelle Momente des Kinderlebens, die Anwesenheit nder das Fehlen von
    Brüdern, das Erleben der Geburt eines neuen Kindes zu günstiger Lebens-
    zeit, die Schuld an dieser Mannigfaltigkeit tragen, so daß der Wunsch
    nach dem Penis doch im Grunde identisch wäre mit dem nach dem Rinde.

    Wir können angeben, welches Schicksal der infentile Wunsch nach
    dem Penis erfährt, wenn die Bedingungen der Neurose im späteren
    Leben ausbleiben. Er verwandelt sich dann in den Wunsch nach dem
    Mann, er läßt sich also den Mann als Anhängsel an den Penis gefallen‚
    Durch diese Wandlung wird eine gegen die weibliche Sexualfunktion
    gerichtete Regung zu einer ihr günstigen. Diesen Frauen wird hiemit
    ein Liebesleben nach dem männlichen Typus der Objektliebe ermöglicht,
    welches sich neben dem eigentlich weiblichen, vum Narzißmus abge-
    leiteten, behaupten kann. Wir haben schon gehört, deli es in anderen
    Fällen erst das Kind ist, welches den Übergang von der narzißtischen
    Seibstliebe zur Objektliebe herbeiführt. Es kann also auch in diesem
    Punkte das Kind durch den Penis vertreten werden.

    Ich hatte einigemel Gelegenheit, Träume von Freuen nach den ersten
    Kehabitationen zu erfahren. Diese deckten nnverkennbar den Wunsch
    auf, den Penis, den m'e verspflrt hatten, bei sich zu behalten, entsprachen
    also, von der libidiniisen Begründung abgesehen, einer flüchtigen Regres-
    sinn vorn Manne auf den Penis als Wunschobjekt. Man wird gewiß
    geneigt sein, den Wunsch nach dem Menue in rein rationßlistischer
    Weise auf den Wunsch nach dern Kinds zurückffihren, da ja irgend
    einmal verstanden wird, dal} man ohne Dazutun des Mannes ein Kind
    nicht bekommen kann. Es dürfte aber eher so zugeben, dell der Wunsch
    nach dem Mamma unabhängig vom Kindwunsch entsteht und daß, wenn
    er aus begreiflichen Motiven, die durchaiß der Ichpsyehologie angehören,
    auftaucht, der alte Wunsch nach dem Penis sich ihm als unbewußte
    libidinöse Verstärkung beigesellt.

    Die Bedeutung des beschriebenen Vorgenges liegt darin, daß er ein
    Stück der narzißtischen Männlichkeit des jungen Weibes in Weihlichkeit
    überführt und somit für die weibliche Sexualfunktion unschädlich macht.
    Auf einem anderen Wege wird nun auch ein Anteil der Erotik der
    prägenitelen Phase für die Verwendung in der Phase des Genitalprimets
    tauglich, Das Kind wird doch als ‚Lumpf“ betrachtet (8. die Analyse
    des kl. Hans), als etwas, was sich durch den Darm vom Körper löst;
    somit kann ein Betrag libidinüser Besetzung, welcher dem Derminhelt

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    gegolten hat, auf des durch den Darm geborene Kind ausgedehnt werden.
    Ein sprachliches Zeugnis dieser Identität von Kind und Kot ist in der
    Redenssrt: ein Kind schenken erhalten. Der Kot ist nämlich das erste
    Geschenk, ein Teil seines Körpers, von dem sich der Säugling nur auf
    Zureden der geliebten Person trennt, mit dem er ihr auch unaufgefordert
    seine Zärtlichkeit bezeigt, du er fremde Personen in der Regel nicht
    beschmutzt. (Ähnliche, wenn auch nicht so intensive Reaktionen mit dem
    Urin.) Bei der Defäkation ergibt sich fiir das Kind eine erste Ent-
    scheidung zw-ischen nerzißtischer und objektliehender Einstellung. Es gibt
    entweder den Kot gefügig al), „opfert“ ihn der Liebe, oder hält ihn zur auto-
    erofischen Befriedigung, später zur Behauptung seines eigenen Willens,
    zurück Mit letzterer Entscheidung ist der Trotz (Eigensinn) konsfituiert,
    der also einem narzißtischen Beharren bei der Analeretik entspringt,

    Es ist wahrscheinlich, daß nicht Gold — Geld, sondern Ge—
    schenk die nächste Bedeutung ist, zu welcher das Kotinteresse fort;
    schreitet. Das Kind kennt kein anderes Geld, als Was ihm geschenkt
    wird, kein erworbenes und auch kein eigenes, ererhtes. Du Kot sein
    erstes Geschenk ist, überträgt es leicht sein Interesse von diesem Stoll
    auf jenen neuen, der ihm als wichtigstes Geschenk im Leben entgegen-
    tritt. Wer an dieser Herleitung des Geschenkes zweifelt, möge seine
    Erfahrung in der psychosnelytisehen Behandlung zu Rate ziehen, die
    Geschenke studieren, die er als Arzt vom Kranken erhält, und die
    Übertragungsstürme beachten, Welche er durch ein Geschenk an den
    Patienten hervorrufen kann.

    Das Kotinteresse wird also zum Teil als Geldinteresse fortgesetzt,
    zum anderen Teil in den Wunsch nach dem Kinds übergefuhrt. In
    diesem Kindwunsch treffen nun eine enalemtische und eine genihile
    (Penisneid) Regung zusammen. Der Penis hat aber auch eine vom Kind-
    interesse unabhängige anslerotische Bedeutung. Das Verhältnis zwischen
    dem Penis und dem von ihm ausgefüllten und erregten Schleimhautrohr
    findet sich nämlich schon in tler prägenitslen, ssdistisch-anslen Phase
    vorgebildet. Der Kotballen —- oder die „Kotshenge“ nach dem Ausdruck
    eines Patienten — ist sozusagen der erste Penis, die von ihm gereizte
    Schleimhaut die des Enddarms. Es gibt Personen, deren Analerotik biS
    zur Zeit der Vorpubertät (10—12 Jahre) stark und unverändert geblieben
    ist; von ihnen erfährt man, daß sie schon während dieser prägeniteleu
    Phase in Phantasien und perverseni$pielereien eine der genitslen analoge
    Organisation entwickelt hstten, in welcher Penis und Vagina durch die
    Kotstange und den Darm vertreten waren. Bei anderen —— ZwaugS-
    neurotikern —- kann man das Ergebnis einer regressiven Erniedrigung
    der Genitnlorganisstion kennen lernen Es äußert sich darin, daß alle
    ursprünglich genitul konzipierten Phantasien ins Anale versetzt, der
    Penis durch die Kotstnnge, die Vagina durch den Darm ersetzt werden.

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    Über Triehumsetzungsn insbesondere der Anoleroti'k. 129

    Wenn das Kotinteresre in normaler Weise zurückgeht, so wirkt
    die hier dargelegte organische Analogie dahin, daß es sich auf den Penis
    überträgt. Erfli.hrt man später in der Sexuelforschung, daß das Kind
    aus dem Darm geboren wird, so wird dieses zum Haupterben der Anal-
    erotik, aber der Vorgänger des Kindes war der Penis gewesen, in
    diesem wie in einem anderen Sinne.

    Ich hin überzeugt, daß die vielfältigen Beziehungen in der Reihe
    Kot —— Penis ? Kind nun völlig unübersichtlich geworden sind, und
    will darum versuchen, dem Mangel durch eine graphische Darstellung
    shzuhelfen‚ in deren Diskussion dasselbe Material nochmals, aber in
    anderer Folge gewürdigt werden kann. Leider ist dieses technische Mittel
    nicht schmiegsetu genug für unsere Absichten, oder wir haben noch nicht
    gelernt, es in geeigneter Weise zu gebrauchen. Ich bitte jedenfalls, an
    das heistehende Schema keine strengen Anforderungen zu stellen.

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    Aus der Analerotik geht in narzißtiseher Verwendung der Trotz
    hervor als eine bedeutsame Reaktion des Ichs gegen Anforderungen der
    anderen-,. das dem Koi: zugewendete Interesse übergeht in Interesse für
    das Geschenk und dann für das Geld. Mit dem Auftreten des Penis
    entsteht heim Mädchen der Penisneid, der sich später in den Wunsch
    nach dem Mann als Träger eines Penis umsetzt. Vorher noch hat sich
    der Wunsch nach dem Penis in den Wunsch nach dem Kind verwandelt,
    oder der Kindwunsch ist un die Stelle des Peniswunsches getreten, Eine
    organische Analogie zwischen Penis und Kind (punktierte Linie) drückt
    sich durch den Besitz eines beiden gemeinsamen Symbole aus („das
    Kleine“). Vom Kindwunsch fiihrt dann ein rutioneller Weg (doppelte
    Linie) zum Wunsch nach dem Mann. Die Bedeutung dieser Triebum-
    setzung haben wir bereits gewürdigt.

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    130 Sign]. Freud: Über Triehnmeetzungen insbesondere der Anderofik.

    Ein anderes Stück des Zusammenhangee ist weit deutlicher beim
    Manne zu erkennen. Es stellt sich her, wenn die Sexuelforschung des
    Kindes das Fehlen des Penis heim Weihe in Erfahrung gebracht hat
    Der Penis wird somit als etwas vom Körper Ablöshares erkennt und
    tritt in Analogie zum Kot, welcher des erste Stück Leihlichkeit war.
    auf das man verzichten mußte. Der alte Analtrotz tritt so in die Kon-
    stitution des Kastrationskomplexes ein. Die organische Analogie, derzu-
    folge der Derminhelt den Vorläufer des Penis während der prägenitelen
    Phase darstellte, kann als Motiv nicht in Betracht kommen; sie findet
    aber durch die Sexualforschung einen psychischen Ersatz.

    Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexualforechnng als
    „Lumpf“ erkannt und mit mächtigen; analerotischen Interesse besetzt.
    Einen zweiten Zuzug aus gleicher Quelle erhält der Kindwunsch, wenn
    die soziale Erfahrung lehrt, (laß das Kind als Liebesheweis, als Geschenk
    aufgefaßt werden kann. Alle drei, Kotsänle‚ Penis und Kind, sind feste
    Körper, welche ein Schleimhautrohr (den Enddarm und die ihm nach
    einem guten Wort von Lou Andreas»Selomé gleichsam abgemieWte
    Vagina)’) bei ihrem Eindringen oder Hereuedringen erregen. Der infentilen
    Sexualforechung kann von diesem Sachverhalt nur bekannt werden, dal!
    das Kind denselben Weg nimmt wie die Koteäule; die Funktion des Penis
    wird von der kindlichen Forschung in der Regel nicht aufgedeckt. Doch
    ist es interessant zu sehen, daß eine organische Übereinstimmung nach
    so vielen Umwegen wieder im Psychischen als eine unbewnßte Identität.
    zum Vorschein kommt.

    .) „Hain und „Sexuel“ Image IV., e, 1916.