Beispiele des Verrats pathogener Phantasien bei Neurotikern 1910-007/1931
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    KURZE MITTEILUNGEN

    I) Beispiele des Verrats pathogener
    Phantasien bei Neurotikern

    (1910)

    A) Ich sah kürzlich einen etwa 20jährigen Kranken, der
    ein unverkennbares, auch von anderer Seite agnosziertes Bild einer
    Dementia praecox (Hebephrenie) bot. In den Anfangsstadien des
    Leidens hatte er periodischen Stimmungswechsel gezeigt, eine
    erhebliche Besserung erreicht und wurde in einem solchen günstigen
    Zustand von den Eltern aus der Anstalt geholt und durch etwa
    eine Woche zur Feier seiner vermeintlichen Herstellung mit allerlei
    Vergnügungen regaliert. An diese Festwoche schloß sich die Ver-
    schlimmerung unmittelbar an. In die Anstalt zurückgebracht,
    erzählte er, der konsultierende Arzt habe ihm den Rat gegeben,
    „mit seiner Mutter etwas zu kokettieren“. Es ist nicht zweifelhaft,
    daß er in dieser wahnhaften Erinnerungstäuschung der Erregung
    Ausdruck gegeben, welche durch das Beisammensein mit der Mutter
    in ihm hervorgerufen wurde, und die der nächste Anlass seiner
    Verschlimmerung war.

    B) Vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, da die Ergeb-
    nisse und Voraussetzungen der Psychoanalyse nur wenigen Per-
    sonen vertraut waren, wurde mir von verläßlicher Seite folgender
    Vorfall berichtet. Ein junges Mädchen, Tochter eines Arztes, war
    an Hysterie mit lokalen Symptomen erkrankt; der Vater ver-
    leugnete die Hysterie und ließ verschiedene somatische Behand-
    lungen einleiten, die wenig Nutzen brachten. Eine Freundin stellte
    einmal an die Kranke die Frage: Haben Sie denn noch nie daran
    gedacht, den Dr. F. zu Rate zu ziehen? Darauf antwortete die
    Kranke: Wozu sollte ich das tun? Ich weiß ja, er würde mich
    fragen: Haben Sie schon die Idee gehabt, mit Ihrem Vater
    geschlechtlich zu verkehren? – Ich halte es für überflüssig, aus-
    drücklich zu versichern, daß ich eine solche Fragestellung weder 

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    damals geübt habe noch heute übe. Man wird aber aufmerksam
    darauf, daß gerade vieles, was die Patienten als Äußerungen oder
    Handlungen der Ärzte erzählen, als Verrat ihrer eigenen patho-
    genen Phantasien verstanden werden darf.