S.
305
KURZE MITTEILUNGEN
I) Beispiele des Verrats pathogener
Phantasien bei Neurotikern(1910)
A) Ich sah kürzlich einen etwa 20jährigen Kranken, der
ein unverkennbares, auch von anderer Seite agnosziertes Bild einer
Dementia praecox (Hebephrenie) bot. In den Anfangsstadien des
Leidens hatte er periodischen Stimmungswechsel gezeigt, eine
erhebliche Besserung erreicht und wurde in einem solchen günstigen
Zustand von den Eltern aus der Anstalt geholt und durch etwa
eine Woche zur Feier seiner vermeintlichen Herstellung mit allerlei
Vergnügungen regaliert. An diese Festwoche schloß sich die Ver-
schlimmerung unmittelbar an. In die Anstalt zurückgebracht,
erzählte er, der konsultierende Arzt habe ihm den Rat gegeben,
„mit seiner Mutter etwas zu kokettieren“. Es ist nicht zweifelhaft,
daß er in dieser wahnhaften Erinnerungstäuschung der Erregung
Ausdruck gegeben, welche durch das Beisammensein mit der Mutter
in ihm hervorgerufen wurde, und die der nächste Anlass seiner
Verschlimmerung war.B) Vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, da die Ergeb-
nisse und Voraussetzungen der Psychoanalyse nur wenigen Per-
sonen vertraut waren, wurde mir von verläßlicher Seite folgender
Vorfall berichtet. Ein junges Mädchen, Tochter eines Arztes, war
an Hysterie mit lokalen Symptomen erkrankt; der Vater ver-
leugnete die Hysterie und ließ verschiedene somatische Behand-
lungen einleiten, die wenig Nutzen brachten. Eine Freundin stellte
einmal an die Kranke die Frage: Haben Sie denn noch nie daran
gedacht, den Dr. F. zu Rate zu ziehen? Darauf antwortete die
Kranke: Wozu sollte ich das tun? Ich weiß ja, er würde mich
fragen: Haben Sie schon die Idee gehabt, mit Ihrem Vater
geschlechtlich zu verkehren? – Ich halte es für überflüssig, aus-
drücklich zu versichern, daß ich eine solche Fragestellung wederS.
freud-1931-neurosenlehre
305
–306