Bemerkungen über die Übertragungsliebe 1915-001/1915
  • S.

    Originalarbeiten.

    Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse.
    Von Sigm. Freud.

    in. ‚)

    Bemerkungen über die Übertragungsliebe.

    Jeder Anfänger in der Psychoanalyse beugt wohl zuerst vor den
    Schwierigkeiten, welche ihm die Deutung der Einfiille des Patienten und
    die Aufgabe der Reproduktion des Verdrängten bereiten werden. Es
    steht ihm aber bevor, diese Schwierigkeiten bald gering einzuschätzen
    und dafür die Überzeugung einzutauschen, daß die einzigen wirklich
    ernsthaften Schwierigkeiten bei der Handhabung der Übertragung auzw
    treffen sind.

    Von den Situationen, die sich hier ergeben, will ich eine einzige,
    scharf umschriebene, herausgreifen, sowohl wegen ihrer Häufigkeit und
    realen Bedeutsauikeit als auch wegen ihres theoretischen Interesses. Ich
    meine den Fall, daß eine weibliche Patientin durch unzweideutige An»
    zeichen erraten läßt oder es direkt ausspricht, dal}! sie sich wie ein
    anderes sterbliches Weib in den sie analysierenden Arzt verliebt hat.
    Diese Situation hat ihre peinlichen und komischen Seiten wie ihre
    ernsthaften; sie ist auch so verwickelt und vielseitig bedingt, so unver-
    meidlich und so schwer lösbar, daß ihre Diskussion längst ein vitales
    Bedürfnis der analytischen Technik erfüllt hätte. Aber da wir selbst
    nicht immer frei sind, die wir über die Fehler der anderen spetten, haben
    wir uns zur Erfüllung dieser Aufgabe bisher nicht eben gedrängt. Immer
    wieder stoßen wir hier mit der Pflicht der ärztlichen Diskretion zu-
    sammen, die im Leben nicht zu enthehren, in unserer Wissenschaft
    aber nicht zu brauchen ist. Insoferne die Literatur der Psychoanalytik
    auch dem realen Leben angehört, ergibt sich hier ein unlöeberer Wider-
    spruch. Ich habe mich kürzlich an einer Stelle über die Diskretion

    1) Siehe diese Zeitschrift I, 1313' S. 1, 159, 485.
    Zniüehr‚ :. nmi. r.,m.usi‚„. nr./i.

  • S.

    2 Sigm. Freud,
    hinausgesetzt und angedeutet, daß die nimliche Übertragungssltuatxou
    die Entwicklung der psychoenelytischen Therapie um ihr erstes Jahr-
    zehnt verzögert hat.!)

    Für den wuhlerzogenen Laien — ein solcher ist wohl der ideale
    Kulturmensch der Psychoanalyse gegeniiber — sind Liebesbegebenhe1ten
    mit allem anderen inkommensurabel; sie stehen gleichsam auf einem
    besonderen Blatt, das keine andere Beschreibung verträgt. Wenn sich
    also die Patientin in den Arzt verliebt hat, wird er meinen, dann
    kann es nur zwei Ausgänge haben, den selteneren, daß alle Umstände
    die dauernde legitime Vereinigung der Beiden gestatten, und den
    häufigeren, daß Arzt und Patientin auseinandergehen und die begonnene
    Arbeit, welche der Herstellung dienen sollte, als durch ein Elementar-
    ereignis gestört aufgeben. Gewiß ist auch ein dritter Ausgang denkbar,
    der sich sogar mit der Fortsetzung der Kur zu vertragen scheint, die
    Anknupfung illegitimer und nicht für die Ewigkeit bestimmter Liebes-
    beziehungen; aber dieser ist wohl durch die bürgerliche Moral wie durch
    die ärztliche Würde unmöglich gemacht. Immerhin würde der Laie
    bitten, durch eine möglichst deutliche Versicherung des Analytikers über
    den Ausschluß dieses dritten Falles beruhigt zu werden.

    Es ist evidsnt, daß der Standpunkt des Peychoanulytikers ein
    anderer sein muß.

    Setzen wir den Fall des zweiten Ansgangs der Situation, die wir
    besprechen. Arzt und Patientin gehen uuseinender, nachdem sich die Pa-
    tiean in den Arzt verliebt hat; die Kur wird aufgegeben. Aber der
    Zustand der Patientin macht bald einen zweiten analytischen Versuch
    bei einem anderen Arzt notwendig, da stellt es sich denn ein, daß sich
    die Patientin auch in diesen zweiten Arzt verliebt fühlt, und ebenso,
    wenn sie wieder abbricht und von Neuem anfängt, in den dritten usw.
    Diese mit Sicherheit eintrefl'ende Tatsache, bekanntlich eine der Grund-
    lagen der psychoanalytischen Theorie, gestattet zwei Verwertungen, eine
    fiir den analysierenden Arzt, die andere für die der Analyse bedürftige
    Patientin.

    Für den Arzt bedeutet sie eine kostbare Aufklärung und eine gute
    Warnung vor einer etwa bei ihm hereitliegenden Gegenübertragung.
    Er muß erkennen, daß das Verlieben der Patientin durch die analytische
    f;äzä£gßgizfizggzflv;üd u;dßnichtletwn den .Vorzügen seiner Person
    solche Eroberung“ wiiiimxiiiernfls'eer aflsohglali keinen Grund hin, auf Eine
    te1z zd sein Und 7 _ t ' I an er a der Analyse heißen würde,
    die Patienti ‘ - es.“ Immengut, daran gemahnt zu werden, Für

    n ergibt slch aber eine Alternative: entweder sie muß auf

    „ Beitrlige zur Geschichte der syehoaunl r h
    malyse vr, 1914, im ersten Abschnittp y In “ Bewegung. Jahrb. a, Pm}m_

  • S.

    Bemerkungen iiber die U'bertngungsliebe, 3

    eine psychoanslyln'sche Behandlung verzichten, oder sie muß sich die
    Verliebtheit in den Arzt als unsusweichliehes Schicksal gefallen lessen.')

    Ich zwei£le nicht daran, daß sich die Angehörigen der Patientin
    mit eben solcher Entschiedenheit für die erste der beiden Möglichkeiten
    erklären werden wie der nnslysierende Arzt für die zweite. Aber ich
    meine, es ist dies ein Fall, in welchem der zärtliehen — oder vielmehr
    egoistisch eifersüchtigen — Sorge der Angehörigen die Entscheidung
    nicht überlassen werden kann. Nur das Interesse der Kranken sollte
    den Ausschlag geben. Die Liebe der Angehörigen kann aber keine Neu-
    rose heilen. Der Psychoeuelytiker braucht sich nicht anizudrängen, er
    darf sich aber als unentbehrlich für gewisse Leistungen hinstellsn, Wer-
    s.ls Angehöriger die Stellung Toletois zu diesem Problem zu der seinigen
    mischt, mag im ungestörten Besitz seiner Frau oder Tochter bleiben und
    muß es zu ertrsgen suchen, del?» diese auch ihre Neurcee und die mit
    ihr verknüpfte Störung ihrer Liebesfihigkeit beibehiilt, Es ist schließlich
    ein ähnlicher Fall wie der der gynä‚kelogischen Behandlung. Der
    eifersiicbtige Vater oder Gette irrt übrigens groß, wenn er meint, die
    Patientin werde der Verliebtheit in den Arzt entgehen, wenn er sie zur
    Bekämpfung ihrer Neurose eine andere als die analytische Behandlung
    einschlegen läßt Der Unterschied wird vielmehr nur sein, daß eine solche
    Verliebtheit, die dazu bestimmt ist, unsusgesprochen und nnsnelysiert
    zu bleiben, niemals jenen Beitrag zur Herstellung der Kranken leisten
    wird, den ihr die Analyse sbzwingen würde.

    Es ist mir bekannt werden, daß einzelne Ärzte, welche die Analyse
    ausüben, die Patientin frühzeitig auf das Erscheinen der Liebesubertrsgmg
    vorbereiten oder sie sogar auffordern, sich „nur in den Arzt zu verlieben,
    damit die Anslyse vorwärh gehe". Ich kann mir nicht leicht eine unsinnigere
    Technik vorstellen, Man rsubt damit dem Phnomen den überzeugenden
    Charakter der Spantmeittt und bereitet sich selbst schwer zu beeeitigende
    Hindernisse.

    Zunächst hat es allerdings nicht den Anschein, als ob aus der
    Verliebtheit in der Übertragung etwas für die Kur Förderliches entstehen
    könnte. Die Patientin, auch die bisher fügsa.mste, hat plötzlich Ver-
    ständnis und Interesse für die Behandlung verloren, will von nichts
    anderem sprechen und hören als von ihrer Liebe, für die sie Entgegnung
    fordert; sie hat ihre Symptome aufgegeben oder vernachlässigt sie, ja,
    sie erklärt sich für gesund. Es gibt einen völligen Wechsel der Szene,
    wie wenn ein Spiel durch eine plötzlich hereinbrechende Wirklichkeit
    abgelöst würde, etwa wie wenn sich während einer Thestervorstellung
    Feuerlärm erhebt. Wer dies als Arztzum erstenmal erlebt, hat es nicht
    leicht, die analytische Situation festzuhalten und sich der Täuschung zu
    entziehen, daß die Behandlung wirklich zu Ende sei.

    —flSDÜ die Übertragung sich in anderen und minder slrtlichen Gefühlen hlßern

    kann, ist bekannt und soll in diesem Aufsatze nicht behandelt werden.
    1.

  • S.

    Sign, Freud.

    Mit etwas Besinnung findet man sich dann zurecht, Vor allem
    gedenkt man des Verdachtes, daß alles was die Fortsetzung der Kur
    stört, eine Widerstandsiiuflerung sein mag, An dem Auftreten der stür-
    mischen Liebesforderung hat der Widerstand unzweifelhaft einen großen
    Anteil. Man hatte ja. die Anzeichen einer zärtlichsn Übertragung bei der
    Patientin längst bemerkt und durfte ihre Gefügigkeit, ihr Eingehen auf
    die Erklärungen der Analyse, ihr ausgezeichnetes Verständnis und die
    hohe Intelligenz, die sie dabei erwies, gewiß auf Rechnung einer solchen
    Einstellung gegen den Arzt schreiben. Nun ist. das alles wie weg-
    gefegt, die Kranke ist ganz einsichtslos geworden, sie scheint in ihrer Ver-
    liebtheit aufzugehen, und diese Wandlung ist ganz regelmäßig in einem
    Zeitpunkt aufgetreten, da man ihr gerade zumuten mußte, ein besonders
    peinliches und schwer verdrängtes Stück ihrer Lebensgeschichte zuzuge-
    stehen oder zu erinnern, Die Verliebtheit ist also längst dagewesen,
    aber jetzt beginnt der Widerstand sich ihrer zu bedienen, um die Fort»
    setzung der Kur zu hemmen, um alles Interesse von der Arbeit abzu—
    lenken, und um den analysierenden Arzt in eine peinliche Verlegenheit
    zu bringen.

    Sieht man näher zu, so kann man in der Situation auch den Einfluß
    komplizierender Motive erkennen, zum Teil solcher, die sich der Ver-
    liehtheit anschließen, zum anderen Teil uber besonderer Äußerungen des
    Widerstandes, Von der ersteren Art ist das Bestreben der Patientin,
    sich ihrer Unwiderstehlichkeit zu versichern, die Autorität des Arztes
    durch seine Herabsetzung zum Geliebten zu brechen, und was sonst als
    Nebengewinn bei der Liebesbefriedigung winkt Vom Widerstand darf
    man vermuten, daß er gelegentlich die Liebeserklärung als Mittel be-
    nutzt, um den gestrengen Analytiker auf die Probe zu stellen, worauf
    er im Falle seiner Willfährigkeit eine Zureehtweisung zu erwarten hätte
    Vor allem aber hat man den Eindruck, dsl} der Widerstand als agent
    provocateur die Verliehtheit steigert und die Bereitwilligkeit zur sexuellen
    Hingabe übertreibt, um dann desto nachdrücklicher unter Berufung auf
    die Gefahren einer solchen Zuchtlosigkeit das Wirken der Verdrängung
    zu rechtfertigen, All dieses Beiwerk, das in reineren Fällen auch Weg-
    bleiben kann, ist von Alt. Adler bekanntlich als das Wesentliche des
    ganzen Vorganges angesehen worden.

    _ Wie muß sieh aber der Annlytiker benehmen, um nicht an dieser
    Situnhnn zu scheitern, wenn es für ihn feststeht, daß die Kur trotz dieser
    Liebeshbertragnng und durch dieselbe hindurch fortzusetzen ist?
    gameiic];üliizitgtjneßslorxirlnZäicl;ts,mäilnter n;clldriicklicher‚ßetonnng der an.
    die ihm angebotene Zärtiichlreif“iiiin lilß der Analytlkei' me und nimmer

    „ ‚ e men oder erwrdern dürfe. Er
    ““Sie VlElmt!hr den Moment für gekommen erschten, um die sittliche
    Forderung und die Notwendigkeit des Verzichts vor dem verliebten Weib

  • S.

    Bemerkungen über die Übertrngnngsliebe 5

    zu vertreten, und es bei ihr erreichen, daß sie von ihrem Verlangen ab—
    lasse und mit Überwindung des animalischen Anteils an ihrem Ich die
    analytische Arbeit fortsetze.

    Ich werde aber diese Erwartungen nicht erfüllen, weder den ersten
    noch den zweiten Teil derselben. Den ersten nicht, weil ich nicht
    für die Klientel schreibe, sondern für Ärzte, die mit ernsthaften
    Schwierigkeiten zu ringen haben, und weil ich überdies hier die Moral<
    vor-schrift auf ihren Ursprung, d. h. auf Zweckmäßigkeit zurückflibren
    kann. Ich bin diesmal in der glücklichen Lage, das moralische Oktroi
    ohne Veränderung des Ergebnisses durch Rücksichten der analytischen
    Technik zu ersetzen.

    Noch entschiedener werde ich aber dem zweiten Teil der angedeu-
    teien Erwartung absagen. Zur Triebunterdrücknng, zum Verzicht und
    zur Subliinierung aufl‘urdern, sobald die Patientin ihre Liebesfibertragung
    eingestandcn hat, hieße nicht analytisch, sondern sinnlos handeln. Es
    Wäre nicht anders, als wollte man mit kunstvollen Beschwörungen einen
    Geist aus der Unterwelt zum Aufsteigen zwingen, um ihn dann ungefragt.
    wieder herunter zu schicken, Man hätte ja dann das Verdrängte nur zum
    Bewußlsein gerufen, um es erschreckt von Neuem zu verdrängen, Auch
    über den Erfolg eines solchen Vorgehens braucht man sich nicht zu
    täuschen. Gegen Leidenschaft richtet man mit sublimen Redensarten be-
    kanntlich wenig aus. Die Patientin wird nur die Verschmähuug empfinden
    und nicht Versäumen, sich für sie zu rächen,

    Ebensowenig kann ich zu einem Mittelweg raten7 der sich manchen
    als besonders klug empfehlen würde, Welcher darin besteht, daß man
    die zärtlicben Gefühle der Patientin zu erwidern behauptet und dabei
    allen körperlichen Betätigungeu dieser Zärtlichkeit ausweicht, bis man
    das Verhältnis in ruhigere Bahnen lenken und auf eine höhere Stufe
    heben kann. Ich habe gegen dieses Auskunftsmittel einzuwanden, daß
    die psychoa.nalytische Behandlung auf Wahrhafiigkeit aufgebaut ist.
    Darin liegt ein gutes Stück ihrer erziehlicheu Wirkung und ihres ethi-
    schen Wertes, Es ist gefährlich, dieses Fundament zu verlassen. Wer
    sich in die analytische Technik eingelebt hat7 trth das dem Arzt sonst
    unentbehrliche Lügen und Vurspiegelu überhaupt nicht mehr und pflegt
    sich zu verraten, wenn er es in bester Absicht einmal versucht. Da
    man vom Patienten strengste Wahrhaftgkeit fordert, setzt man seine ganze
    Autorität aufs Spiel, wenn man sich selbst bei einer Abweichung von
    der Wahrheit von ihm ertappen läßt. Außerdem ist der Versuch, sich
    in zärtliche Gefühle gegen die Patientin gleiten zu lassen, nicht ganz
    ungefährlich. Man beherrscht sich nicht so gut, daß man nicht plötzlich
    einmal Weiter gekommen wäre, als man beabsichtigt hatte. Ich meine
    also, man darf die Indifi'erenz, die man sich durch die Niederhaltung der
    Gegenübertragung erworben hat, nicht verleugnen.

  • S.

    6 Sign. Freud.

    Ich habe auch bereits ernten lassen, daß die analytische Technik
    es dem Arzt zum Gebot macht, der liebesbedfirftigen Patientin die ver-
    langte Befriedigung zu versegen. Die Kur muß in der Abstinenz durch-
    geführt werden; ich meine dabei nicht allein die körperhche Ent-
    behrnng, auch nicht die Entbehrung von allem, was man begehrt, denn
    dies würde vielleicht kein Kranker vertragen. Sondern ich Will den
    Grundsatz aufstellen, daß man Bedürfnis und Sehnsucht als zur Arbeit und
    Veränderung treibende Kräfte bei der Kranken bestehen lassen und sich
    hüten muß, dieselben durch Surrogate zu bescbwiehtigen. Anderes als
    Surrogete könnte man ja nicht bieten, da die Kranke infolge ihres Zu.
    standes, solange ihre Verdrängungen nicht behoben sind, einer wirklichen
    Befriedigung nicht fähig ist.

    Gestehen wir zu, daß der Grundsatz, die analytische Kur solle in
    der Entbehrung durchgeführt werden, weit über den hier betrachteten
    Einzelfall hinnusrsicht und einer eingehenden Diskussion bedarf, durch
    welche die Grenzen seiner Durchführbsrkeit abgesteckt werden sollen.
    Wir wollen es aber vermeiden, dies hier zu tun, und uns möglichst enge
    an die Situation halten, von der wir ausgegangen sind. Was würde ge—
    schehen, wenn der Arzt anders vorginge und die etwa beiderseits gege—
    bene Freiheit ausnützen würde, um die Liebe der Patientin zu erwidern
    und ihr Bedürfnis nach Zärtlichkeit zu stillen?

    Wenn ihn dabei die Berechnung leiten sollte, durch solches Ent-
    gegenkornmen würde er sich die Herrschaft über die Patientin sichern
    und. sie so bewegen, die Aufgaben der Kur zu lösen, also ihre dauernde
    Befreiung von der Neurose zu erwerben, so müßte ihm die Erfahrung
    zeigen, daß er sich verrechnet het. Die Patientin würde ihr Ziel er.
    reichen, er niemals das seinige. Es hätte sich zwischen Arzt und Pn-
    tientin nur wieder abgespielt, was eine lustige Geschichte vom Pastor
    und vom Versicherungsegenten erzählt, Zu dem nngläuhigen und schwer-
    kranken Versicherungsagenl’ßn wird auf Betreiben der Angehörigen ein
    rommer Mm gebracht, der ihn vor seinem Tode bekehren soll. Die
    Unterhaltung dauert so lange, daß die Wurtenden Hoffnung schöpfen.
    Endlich öfi'net sich die Tür des Krunkenzimmers. Der Unglüubige ist
    nicht hekehrt worden, aber der Pastor geht versichert weg.

    Es Wäre ein großer Triumph für die Patientin, wenn ihre Liebes—
    werbung Erw-idernng fände, und eine volle Niederlage für die Kur. Die
    Kmnke hätte erreicht, wonach alle Kranken in der Analyse streben, etwas
    zu agieren, im Leben zu wiederholen, was sie nur erinnern als psychischeg
    M°“““_l “P'?d'ui“en und “f Psychischem Gebiet erhalten soll‚‘) Sie
    ::;deäarüwerterm Verlaufe des. Liebesverhältnisses alle die Hemmungen

    p oglschen Reakhonen ihres Liebeslebens zum Vorschein bringen,

    ., Siehe Abhnndlung 11 dieser mim.

  • S.

    Bemerkungen über an Übertragungsliebe. 7

    ohne daß eine Korrektur derselben möglich wäre, und das peinliche Er-
    lebnis mit Reue und großer Verstärkung ihrer Verdrängungsneigung
    abschließen. Das Liebesverhältnis macht eben der Beeinflußbarkeit durch
    die analytische Behandlung ein Ende; eine Vereinigung von beiden ist
    ein Unding.

    Die Gewährung des Liebesverlttngens der Patientin ist also ebenso
    verhängnisvnll für die Analyse wie die Unterdrückung desselben. Der
    Weg des Analytikers ist ein anderer, ein solcher, für den das reale Leben
    kein Vorbild liefert. Man hiitet sich von der Liebesübertragung abzu-
    lenken, sie zu verseheuchen oder der Patientin zu vol-leiden; man ent-
    hält sich ebenso standhaft jeder Erwiderung derselben, Man hält die
    Liebeshbertragung fest, behandelt sie aber als etwas Unreales, als eine
    Situation, die in der Kur durchgemacht, auf ihre unbewußten Ursprünge
    zurückgeleitut werden soll und dazu verhelfen muß, das Verbergenste des
    Licheslebens der Kranken dem Bewußtsein und damit der Beherrschung
    zuzuführen, Je mehr man den Eindruck macht, selbst gegen jede Ver-
    suchung gefeit zu sein, desto eher wird man der Situation ihren analy-
    tischen Gehalt entziehen können. Die Patientin, deren Sexualverdrängnng
    doch nicht aufgehoben, bloß in den Hintergrund geschoben ist, wird sich
    dann sicher genug fühlen, um alle Liebesbedingnngen, alle Phantasien
    ihrer Sexualsehnsucht, alle Einzelcharuktere ihrer Verliebtheit zum Vor-
    schein zu bringen, und von diesen uns dann selbst den Weg zu den
    inl'antilen Begründungen ihrer Liebe eröfl'ncn.

    Bei einer Klasse von Frauen wird dieser Versuch, die Liebesüber-
    trngung für die analytische Arbeit zu erhalten, ohne sie zu befriedigen,
    allerdings nicht gelingen. Es sind das Frauen von elementarer Leiden—
    nchnftljnhkeit, welche keine Surrognte verträgt, Neturkinder, die das
    Psychische nicht für das Materielle nehmen wollen, die nach des Dichters
    Worten nur zugänglich sind „für Suppenlogik mit Knödelargmnenten“.
    Bei diesen Personen steht man vor der Wahl: entweder Gegenliebe
    zeigen oder die volle Feindschaft des versuhmithten \Vcihes auf sich
    laden, In keinem vun beiden Fällen kann man die Interessen der
    Kur wahrnehmen. Man muß sich erfolglos zurückziehen und kann sich
    etwa das Problem verhalten, wie sich die Fähigkeit zur Neurose mit so
    unbeugsamer Liebesbedürftigkeit vereinigt.

    Die Art, wie man andere, minder gewelttätige Verliebte allmählich
    zur analytischen Anfassnng nütigt, dürfte sich vielen Analytikern in
    gleicher Weise ergeben haben. Man betont vor allem den unverkenn-
    baren Anteil des Widerstandes an dieser „Liebe? Eine wirkliche Verl-
    liehtheit wiirde die Patientin gefügig machen und ihre Bereitwilligkeit
    steigern, um die Probleme ihres Falles zu lösen, bloß darum, weil der
    geliebte Mann es fordert. Eine solche würde gerne den Weg über die
    Vollendung der Kur Wählen, um sich dem Arzt wertvoll zu machen und

  • S.

    8 Sign]. Freud
    die Realität vorzubereiten, in welcher diese Liebesneigung} ihren Platz
    finden könnte, Anstatt dessen zeige sich die Patienfin sigensinmg und unge-
    horsam, habe alles Interesse für die Behandlung von sich geworfen und
    ofl'enbar auch keine Achtung vor den tief begründeten Überzeugungen
    des Arztes. Sie produziere also einen Widerstand in der Erscheinungs-
    form der Verliebtheit und trage überdies kein Bedenken, ihn in die
    Situation der sogenannten „Zwickmfihle“ zu bringen. Denn wenn er
    ablehne, wozu seine Pflicht und sein Verständnis ihn nötigen, werde sie
    die Verschmähte spielen können und sich dann aus Rachsucht und Er-
    bitterung der Heilung durch ihn entziehen, wie jetzt infolge der angeblichen
    Verliebtheit.

    Als zweites Argument gegen die Echtheit dieser Liebe führt man
    die Behauptung ein, daß dieselbe nicht einen einzigen neuen, aus der
    gegenwärtian Situation entspringenden Zug an sich trage, sondern sich
    durchwegs aus Wiederholungen und Ahklatschen früherer, auch inten-
    tiler, Reaktionen zmammensetze. Man macht sich nnheischig, dies
    durch die detaillierte Analyse des Liebesverhalbens der Patientin zu er-
    weisen.

    Wenn man zu diesen Argumenten noch das erforderliche Maß von
    Geduld hinzufügt, gelingt es zumeist, die schwierige Situation zu über»
    Winden und entweder mit einer ermäßigten oder mit der „umgewor-
    fenan" Verliebtheit die Arbeit fortzusetzen, deren Ziel denn die Auf-
    deekung der infentilen Objektwahl und der sie umspinnenden Phan-
    tasien ist, Ich möchte aber die erwähnten Argumente kritisch beleuchten
    und die Frage aufwärfen‚ ob wir mit ihnen der Patientin die Wahrheit
    sagen oder in unserer Notlage zu Verhehlungen und Entstellungen
    Zuflucht genommen haben. Mit anderen Worten: ist die in der ana-
    lytischen Kur manifest werdende Verliehtheit wirklich keine reale zu
    nennen?

    Ich meine, wir haben der Patientin die Wahrheit gesagt, aber doch
    nicht die ganze, um das Ergebnis unbekümmerte. Von unseren beiden
    Argumenten ist das erste das stärkere. Der Anteil des Widerstandes an
    der Übertragungeliebe ist unbesirreitbar und sehr beträchtlich, Aber der
    Widerstand hat diese Liebe doch nicht geschulten, er findet sie vor,
    bedient sich ihrer nnd übertreibt ihre Äußerungen. Die Echtheit des
    Phänomens wird auch durch den Widerstand nicht enthäftet. Unser
    zweites Argument ist Weit schwächer; es ist Wahr, daß diese Ver-
    liebtheit aus Neuauflagen alter Zuge besteht und infentile Reaktionen
    mederholt.yAher‚dles ist der Wesentliche Charakter jeder Verliebt-
    älelL Es gibt keine, the nicht 1nfantile Vorbilder wiederholt. Gerade

    as, ‚Wä8 1hf£"-‘ zwnnßhä_lftßn‚ ans Pathologische mehnenden Charakter
    :::mdc ?, ruhrt von ihrer untentilen Bedingtheit her. Die Über—
    gungsiebe hat vielleicht einen Grad von Freiheit weniger als die

  • S.

    Bemerkungen über die Übertragungsliebe. 9

    im Leben vorkommende, normal genannte, läßt die Abhängigkeit von der
    infantilen Vorlage deutlicher erkennen, zeigt sich weniger schmiegsam
    und modifikationsfs'hig, aber das ist auch alles und nicht das
    Wesentliche.

    Woran soll man die Echtheit einer Liebe sonst erkennen? An ihrer
    Leistungsfii.higkeit‚ ihrer Brauchbarkeit zur Durchsetzung des Liebeszielee? In
    diesem Punkte scheint die Übertragungsliebe hinter keiner anderen zurück—
    zustehen; man hat den Eindruck, daß man alles von ihr erreichen könnte.

    Resümieren wir also: Man hat kein Anrecht, der in der analy-
    tischen Behandlung zu Tage tretenden Verliebtheit den Charakter einer
    „echten“ Liebe abzustreiten. Wenn sie so wenig normal erscheint, so
    erklärt sich dies hinreichend aus dem Umstand, daß auch die sonstige
    Verliebtheit außerhalb der analytischen Kur eher an die abnormen als an
    die normalen seelischen Phänomene erinnert, Immerhin ist sie durch
    einige Züge ausgezeichnet, welche ihr eine besondere Stellung sichern.
    Sie ist 1. durch die analytische Situation provoziert, 2. durch den
    diese Situation beherrschenden Widerstand in die Höhe getrieben, und
    3. sie entbehrt in hohem Grade der Rücksicht auf die Realität, sie ist
    unklnger, unbekiimmerter um ihre Konsequenzen, verblendeter in der
    Schätzung der geliebten Person, als wir einer normalen Verliehtheit
    gerne zugestehen wollen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß gerade
    diese von der Norm abweichenden Züge das Wesentliche einer Ver-
    liehtheit ausmachen.

    Für das Handeln des Arztes ist die erste der drei erwähnten Eigen-
    heiten der Übertragungsliebe das Maßgebende. Er hat diese Verliehtheit
    durch die Einleitung der analytischen Behandlung zur Heilung der Neu-
    rese hervorgelockt; sie ist. für ihn das nnvermeidliche Ergebnis einer
    ärztlichen Situation, ähnlich wie die körperliche Entblößung eines
    Kranken oder wie die Mitteilung eines lebenswicht'igen Geheimnisseß.
    Damit steht es für ihn fest, daß er keinen persönlichen Vorteil aus ihr
    ziehen darf. Die Bereitwilligkeit der Patientin ändert nichts daran,
    wälzt nur die ganze Verantwortlichkeit auf seine eigene Person. Die
    Kranke war ja, wie er Wissen muß, auf keinen anderen Mechanismus
    der Heilung vorbereitet. Nach glücklicher Überwindung aller Schwierig—
    keiten gesteht sie oft die Erwartungsphantasie ein, mit der sie in die
    Kur getreten war: Wenn sie sich brav benehme, werde sie am Ende
    durch die Zärtlichkeit des Arztes belohnt werden

    Für den Arzt vereinigen sich nun ethische Motive mit den tech-
    nischen, um ihn von der Liebesgewährnng an die Kranke zurückzuhalten.
    Er muß das Ziel im Auge behalten, daß das in seiner Liebesfähigkeit
    durch infanti.le r‘ ernngen behinderte Weib zur freien Verfügung über
    diese für sie nnschätzber Wichtige Funktion gelange, aber sie nicht in
    der Kur veransgabe, sondern sie fürs reale Leben bereithalte, wenn dessen

  • S.

    10 Slgin. Freud.

    an sie herantreteu. Er darf nicht die

    Forderungen nach der Behandlung
    bei dem ein Kreuz von

    Szene des Hundewettrennens mit ihr auffuhren, . .
    Wüsten als Preis ausgesetzt ist, und das ein Spnßvogel verdrrbg indem
    er eine einzelne Wurst in die Rennbahn wirft. Uber die fallen die Hunde
    her und vergessen aus Wettrenuen und an den in der Ferne winkenden
    Kranz für den Sieger. Ich will nicht behaupten, daß es dem Arzt immer
    leicht wird, sich innerhalb der ihm von Ethik und Technik vorgeschrie-
    benen Schranken zu halten. Besonders der jüngere und noch nicht fest
    gebundene Mann mag die Aufgabe als eine harte empfinden. Unzweifelhafl
    ist die geschlechtlicbe Liebe einer der Hauptinhalte des Lebens und die Verei-
    nigung seelischer und körperlicher Befriedigung im Liebesgenuß geradezu
    einer der Höhepunkte desselben Alle Menschen bis auf wenige verschrabene
    Fanatiker wissen das und richten ihr Leben danach ein; nur in der
    Wissenschaft ziert man sich, es zuzugestehen. Anderseits ist es eine pein-
    liche Rolle für den Mann, den Abweiseuden und Versagenden zu spielen,
    wenn das Weib um Liebe wirbt, und von einer edeln Frau, die sich
    zu ihrer Leidenschaft bekennt, geht trotz Neurose und Widerstand ein
    unverglsichbarer Zauber aus. Nicht das grobsinnlichs Verlangen der Patien-
    tin stellt die Versuchung für den Arzt her. Dies wirkt ja eher ab.
    stoflcnd und ruft alle Tolemuz auf, um es als natürliches Phänomen
    gelten zu lassen. Die feineren und zielgeherumten Wunschregungen des
    Weibes sind es vielmehr, die die Gefahr mit sich bringen, Technik und
    ärztliche Aufgabe über ein schönes Erlebnis zu vergessen.

    Und doch bleibt für den Analytiker das Nachgeben ausgeschlossen
    So hoch er die Liebe schätzen mag, er muß es höher stellen, daß er die
    Gelegenheit hat, seine Patientin über eine entscheidende Stufe ihres Le-
    bens zu haben, Sie hat von ihm die Überwindung des Lustpriuzips zu
    lernen, den Verzicht auf eine nahe liegende, aber sozial nicht eingeord—
    nete Befriedigung zu Gunsten einer entfernteren, vielleicht überhaupt
    unsicheren, aber psychologisch wie. sozial untndeligen. Zum Zwecke dieser
    Überwindung soll sie durch die Urzeiten ihrer seelischen Entwicklung
    durchgeführt werden und auf diesem Wege jenes Mehr von seelischer
    Freiheit erwerben, durch welches sich die ber-wußte Seelenhiln‘gkeit — im
    systematischen Sinne — von der unbewui.lten unterscheidet.

    ' Der analytische Psychotherapeut hat so einen dreifachen Kampf zu
    fuhren, in seinem Inneren gegen die Mächte, welche ihn von dem ana-
    lyinschen l‘llyeau herabziehen möchten, außerhalb der Analyse gegen die
    $g£::‚ il; 31,3”, 3°9}f““'33 der- sexuellen Triebkräfte bestreiten und
    dienen und in dei-5Änal ;: zu seiner W;senschaftllchen_Technik zu be.
    die Gebner gebärden (lanyn aie?äiselileh ihentßn, am 8101: anfangs Wie
    Sexuellebens kundgehen und deneAslct & errechende Überschätzun_g des
    Lädenschaftlidxkgit gefen rz mit ihrer sozral ungebalmhgten

    8911 nehmen wollen.

  • S.

    Bemerkungen über die Übethsgungshehe. 11

    Die Laien, von deren Einstellung zur Psychoanalyse ich eingangs
    sprach, werden gewiß auch diese Erörterungen über die Übertragunge-
    liebe zum Anlaß nehmen, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die hohe
    Gefährlichkeit dieser therapeutischen Methode zu lenken, Der Psycho—
    analytiker weiß, daß er mit den explusivsten Kräften arbeitet und der-
    selben Vorsicht und Gewissenhaftigkeit bedarf wie der Chemiker. Aber
    wann ist dem Chemiker je die Beschäfügung mit den ob ihrer Wirkung
    unentbehrlichen Explosivstoflen wegen deren Gefährlichkeit untersagt
    werden? Es ist merkwürdig, daß sich die Psychoanalyse alle Lizenzen
    erst neu erobern muß, die anderen ärztlichen Tätigkeiten längst zuge-
    sts.nden sind. Ich bin gewiß nicht dafiir, dal} die harmlosen Behand-
    lungsmethcden aufgegeben werden sollen. Sie reichen für manche Fälle
    aus, und schließlich kann die menschliche Gesellschaft den furor sanandi
    ebensowenig brauchen wie irgend einen anderen Fanstismus. Aber es
    heißt die Psychoneurosen nach ihrer Herkunft und ihrer praktischen Be-
    deutung erg unterschätzen, wenn man glaubt, diese Aflektionen müßten
    durch Operationen mit harmlosen Mittelchen zu besiegen sein. Nein, im
    ärztlichen Handeln wird neben der 7‚medicine“ immer ein Raum bleiben
    für das „ferrum“ und für das „ignis“, und so wird auch die knnstgerechts,
    unabgeschwächte Psychoanalyse nicht zu sntbehren sein, die sich nicht
    scheut, die gefährlichsten seelischen Regungen zu handhaben und zum
    Wohle des Kranken zu meistern.