S.
IV.
Charakter und Analerotikä.Unter den Personen, denen man durch psychoanalytische
Bemühung Hilfe zu leisten sucht, begegnet man eigentlich recht
häufig einem Typus, der durch das Zusammentreffen bestimmter
Cheraktereigenschaften ausgezeichnet ist, während das Verhalten
einer gewissen Körperfimktion und der an ihr beteiligten Organe
in der Kindheit dieser Personen die Aufmerksamkeit auf sich
zieht. Ich weiß heute nicht mehr anzugeben, aus welchen ein-
zelnen Verenlassungen mir der Eindruck erwachs, daß zwischen
jenem Charakter und diesem Organverhelten ein organischer
Zusammenhang bestehe, aber ich kann versichern, daß theore-
tische Erwartung keinen Anteil an diesem Eindrucke hatte.Infolge gehäufter Erfahrung hat sich der Glaube an solchen
Zusammenhang bei mir so sehr verstärkt. daß ich von ihm Mit-teilung zu machen wege.
‘ Die Personen,_ die ich beschreiben will, fallen dadurch
auf, daß sie in regelmäßiger Vereinigung die nachstehenden drei
Eigenschaften zeigen: sie sind besonders ordentlich, Spar-
sam und eigensinnig. Jedes dieser Worte deckt eigentlich
eine kleine Gruppe oder Reihe von miteinander verwandten
Charakterzügen. „Ordentlich“ begreift sowohl die körperliche
Sauberkeit als auch Gewissenhaftigkeit in kleinen Pflichterfül-
lungen und Verläßlichkeit; das Gegenteil davon wäre: unordent.
lich, nachlässig. Die Sparsemkeit kann bis zum Geize gesteigert
erscheinen; der Eigensinn geht in Trotz über, an den sich leicht‘) Psychiatriseh-Neumlogische Wochenschfift, redigiert von Dr. Joh.
Bresler, Lublinitz (Schlesien), IX. Jahrg., Nr. 52, 1908. ‘S.
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Neigung zur Wut und Rachsucht knüpfen. Die beiden letzteren
Eigenschaften — Sparsamkeit und Eigensinn — hängen fester
miteinander als mit dem ersten, dem „ordentlich“, zusammen;
sie sind auch das konstantere Stück des ganzen Komplexes,
doch erscheint es mir unabweisbar, daß irgendwie alle drei zu-
sammengehören. ‘Aus der Kleinkindergeschichte dieser Personen erfährt man
leicht, daß sie verhältnismäßig lange dazu gebraucht haben, bis
sie der infantilen incontinentia alvi Herr geworden sind, und
daß sie vereinzeltes Mißglücken dieser Funktion noch in späteren
Kinderjahren zu beklagen hatten. Sie scheinen zu jenen Säug-
lingen gehört zu haben, die sich weigern, den Darm zu ent-
leeren, wenn sie auf den Topf gesetzt werden, weil sie aus der
Defalkation einen Lustnebengewinn beziehenl); denn sie geben
an, daß es ihnen noch in etwas späteren Jahren Vergnügen be-
reitet hat, den Stuhl zurückzuhalten, und erinnern, wenngleich
eher und leichter von ihren Geschwistern als von der eigenen
Person, allerlei unziemliche Beschäftigungen mit dem zutage
geförderten Kate. Wir schließen aus diesen Anzeichen auf eine
überdeutliche erogene Betonung der Afterzone in der von ihnen
mitgebrachten Sexualkonstitution; da sich aber nach abgelaufener
Kindheit bei diesen Personen nichts mehr von diesen Schwächen
und Eigenheiten auffinden läßt, müssen wir annehmen, daß die
Analzone ihre erogene Bedeutung im Laufe der Entwicklung
eingebiißt hat, und vermuten dann, daß die Konstanz jener
Trias von Eigenschaften in ihrem Charakter mit der Aufzehrung
der Analerotik in Verbindung gebracht werden darf.Ich weiß, daß man sich nicht getraut, an einen Sachver-
halt zu glauben, solange er unbegreiflich 'ersoheint, der Er-
klärung nicht irgend eine Ankm'ipfung bietet. Wenigstens das
Grundlegende desselben können wir nun unserem Verständnisse
mit Hilfe der Voraussetzungen näher bringen, die in den „Drei
Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 1905 dargelegt sind. Ich suche
dort zu zeigen, daß der Sexualtrieb des Menschen hoch zu—
sammengesetzt ist, aus Beiträgen zahlreicher Komponenten und
Partialtriebe entsteht. Wesentliche Beiträge zur „Sexualerregung“1) Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. II, p. 41. 1905. (p. 46.
2. Aufl. 1010.)S.
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leisten die peripherischen Erregungen gewisser ausgezeichneter
Körperstellen (Genitalien, Mund, After, Blasenausgang), welche
den Namen „erogene Zonen“ verdienen. Die von diesen Stellen
her eintreifenden Erregungsgrößen erfahren aber nicht alle und
nicht zu jeder Lebenszeit das gleiche Schicksal. Allgemein ge-
sprochen kommt nur ein Teil von ihnen dem Sexualleben zu-
gute; ein anderer Teil wird von den sexuellen Zielen abgelenkt
und auf andere Ziele gewendet, ein Prozeß, der den Namen
„Sublimierung“verdient Um die Lebenszeit, welche als „sexuelle
Latenzperiode“ bezeichnet werden darf, vom vollendeten vierten
Jahre bis zu den ersten Äußerungen der Pubertät (ums elfte
J ehr) werden sogar auf Kosten dieser von erogenen Zonen ge-
lieferten Erregungen im Seelenleben Reaktionsbildungen, Gegen.
mächte, geschaffen wie Scham, Ekel und Moral, die sich gleich-
wie Dämme der späteren Betätigung der Sexuultriebe entgegen-
setzen. Da nun die Analerotik zu jenen Komponenten des
Triebes gehört, die im Laufe der Entwicklung und im Sinne
unserer heutigen Kulturerziehung für sexuelle Zwecke unver-
wendbar werden, läge es nahe, in den bei ehemaligen Anal-
erotikern so häufig hervortretenden Charaktereigenschaften —
Ordentliehkeit, Sparsamkeit und Eigensinn — die nächsten und
konstantesten Ergebnisse der Sublimierung der Analerotik zu
erkennen 1).1) Da gerade die Bemerkungen über die Anelerotik des Säuglings
in den „Drei Abhandlungen zur Sexueltheorie“ bei unverständigen Lesern
besonderen Anstoß erregt haben, gestatte ich mir an dieser Stelle “die Ein—
schaltung einer Beobachtung, die ich einem sehr intelligenten Patienten
verdanke: „Ein Bekannter, der die Abhandlung über „Sexuultheorie“ ge—
lesen hat, spricht iiber das Buch, erkennt es vollkommen 811, nur eine
Stelle darin sei ihm. —— obwohl er auch diese inhaltlich natürlich billige
und begreife — so grobes]; und komisch vorgekommen, daß er Sich hingesetzf,
und eine Viertelstumde darüber gelacht habe. Diese Stelle lautet: „Es ist
eines der besten Vorzeichen späterer Absenderlichkeit ouäar Nervosität, wenn?
. .‚ . . "'we' b,denpgrmzueneeren‚wennere
321 S’llloläimggesililel'. Immall.s% Wfl.? es dem Pfleger beliebt, sondern diese
Funktion seinem eigenen Belieben vorbehält. Es kommt ihm natürlich nicht
darauf an, sein Lager schmutzig zu machen; er sorgt nur, daß ihm der
Lustnebengewinn bei der Defä.kation nicht entgehe.“ Die Vorstellung dieses
auf dem Top£e sitzenden Säuglinge, der überlege, ob er sich eine derartige
Einschränkung seiner persönlichen Willensfreihe1t gefallen lassen solle, undS.
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Die innere Notwendigkeit dieses Zusammenhanges ist mir
natürlich selbst nicht durchsichtig, doch kann ich einiges an-
führen, was als Hilfe für ein Verständnis desselben verwertet
werden kann. Die Sauberkeit, Ordentlichkeit, Verläßlichkeit
macht ganz den Eindruck einer Reaktionsbildung gegen das.
Interesse am Unseuberen, Störenden, nicht zum Körper ge-
hörigen („Dirt is matter in the wrong place“). Den Eigen-
sinn mit dem Defäkationsinteresse in Beziehung zu bringen,
scheint keine leichte Aufgabe, doch mag man sich daran erin-
nern, daß schon der Säugling sich beim Absetzen des Stuhles
eigenwillig benehmen kann (s. o.), und daß schmerzhafte Reize
auf die mit der erogenen Afterzone verknüpfte Gesäßhaut all-
gemein der Erziehung dazu dienen, den Eigensinn des Kindes
zu brechen, es gefügig zu machen. Zum Ausdrucke des Trotzes
und der trotzenden Verhöhnung wird bei uns immer noch wie
in alter Zeit eine Aufforderung verwendet, die die Liebkosung
der Afterzone zum Inhalte hat, also eigentlich eine von derder außerdem sorge, daß ihm der Lustgewinn bei der Deiäkation nicht
entgehe, habe seine ausgiebige Heiterkeit erregt. —— Etwa zwanzig Minuten
später, bei der Jause, beginnt mein Bekannter plötzlich gänzlich unvermit—
telt: „Du, mir fällt da gerade, weil ich den Kakao vor mir sehe, eine Idee
ein, die ich als Kind immer gehabt habe. Da. habe ich mir immer vorge—
stellt, ich bin der Kakaofabrikant Van Houten (er sprach „Van Hauten"
aus), und. ich habe ein großartiges Geheimnis zur Bereitnng dieses Kakaoe,
und nun bemühen sich alle Leute, mir dieses mltbegliiokende Geheimnis
zu entreißen, das ich sorgsam hüte. Warum ich gerade auf Van Routen
verfallen bin, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat mir seine Reklame am
meisten imponiert.“ Lechend, und ohne noch eigentlich so recht eine tiefere
Absicht damit zu verbinden, meinte ich: „Wenn haut’n die Mutter?!“
Erst eine Weile später erkannte ich, daß mein Wortwitz tatsächlich den
‚ Schlüssel zu dieser ganzen, plötzlich aufgeteuchten Kindheitserinnerung
enthielt, die ich nun als glänzendes Beispiel einer Deckphantasie begriff.
welche unter Beibehaltung des eigentlich Tatsächlichen (Nahnmgsprozeß)
und auf Grund phonetischer Assoziationen („Kakao“, „Wann haut'n —“)
das Schuldbewußtsein durch eine komplete Umwertung des Er-
innerungsinhaltes beruhigt. (Verlegung von rückMirts nach vorne, Nahrungs-
a.bgabe wird zur Nahrungsaufnahme, der beschämende und zu verdeckende
Inhalt zum weltbeglückenden Geheimnisse.) Interessant war mir, wie hier
auf eine Abwehr hin, die freilich die mildere Form formaler Beanstandung
annehm, dem Betreffenden ohne seinen Willen eine Viertelstunde später der
schlagendste Beweis aus dem eigenen Unbewußten heraufgereicht wurde.“S.
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Verdrängung betroffene Zärtlichkeit bezeichnet. Die Entblößung
des Hintern stellt die Abschwächung dieser Rede zur Geste
dar; in Goethes Götz von Berlichingen finden sich beide,
Rede wie Geste, an passendster Stelle als Ausdruck des Trotzes
angebracht. ‚Am ausgiebigsten erscheinen die Beziehungen, welche sich
zwischen den anscheinend so disparaten Komplexen des Geld-
interesses und der Detäkation ergeben. Jedem Arzte, der die
Psychoanalyse geübt hat, ist es wohl bekannt geworden, daß
sich auf diesem Wege die hartnäckigsten und langdauerndsten
sogenannten habituellen Stuhlverstopfungen Nervöser beseitigen
lassen. Das Erstaunen hierüber wird durch die Erinnerung ge-
mäßigt, daß diese Funktion sich ähnlich gefügig auch gegen
die hypnotische Suggestion erwiesen hat. In der Psychoanalyse
erzielt man diese Wirkung aber nur dann, Wenn man den Geld.
komplex der Betreifenden berührt und sie veranlaßt, denselben .
mit all seinen Beziehungen zum Bewußtsein zu bringen. Man
könnte meinen, daß die Neurose hierbei nur einem Winke des
Sprachgebrauches folgt, der eine Person, die das Geld allzu
ängetlich zurückhält, „schmutzig“ oder „filzig“ (englisch:
filthy = schmutzig) nennt. Allein dieses wäre eine allzu ober-
flächliche Würdigung. In Wahrheit ist überall, wo die archaische
Denkweise herrschend war oder geblieben ist, in den alten
Kulturen, im Mythus, Märchen, Aberglauben, im unbewußten
Denken, im Traume und in der Neurose das Geld in innigste
Beziehungen zum Drecke gebracht. Es ist bekannt, daß das
Gold, welches der Teufel seinen Buhlen schenkt, sich nach
seinem Weggehen in Dreck verwandelt, und der Teufel ist doch
gewiß nichts anderes als die Personifikation des verdrängten
unbewußten Trieblebensl). Bekannt ist ferner der Aberglaube,
der die Auffindung von Schätzen mit der Defäkation zusammen-
bringt, und jedermann vertraut ist die Figur des „Dukaten-
scheißers“. Ja, schon in der altbabylonischen Lehre ist Gold
der Kat der Hölle, Mammon = ilu manman“). Wenn also die1) Vgl. die hysterische Beseesenheit und die dämonischen Epidemien.
“) Jeremias, Das Alte Testament im Lichte des alten
Orients, 2. Aufl., 1906, p. 216, und Babylonieches im Neuen Testa-
ment, 1906, p. 96. „Mamon (Mammon) ist babylonisch man-man. ein Bei-S.
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Neurose dem Sprachgebrauche folgt, so nimmt sie hier wie
anderwä.rts die Worte in ihrem ursprünglichen bedeutungsvollen
Sinne, und wo sie ein Wort bildlich darzustellen scheint, stellt
sie in der Regel nur die alte Bedeutung des Wortes wieder her.Es ist möglich, daß der Gegensatz zwischen dem Wert-
vollsten, das der Mensch kennen gelernt hat, und dem Wert-
losesten, das er als Abfall („refuse“) von sich wirft, zu dieser
bedingten Identifizierung von Gold und Kot geführt hat.Im Denken der N eurose kommt dieser Gleichstellung wohl
noch ein anderer Umstand zu Hilfe. Das ursprüngliche erotische
Interesse an der Defäkation ist, wie wir ja. wissen, zum Er-
löschen in reiferen Jahren bestimmt; in diesen Jahren tritt das
Interesse am Gelde als ein neues auf, welches der Kindheit
noch gefehlt hat; dadurch wird es erleichtert, daß die frühere
Strebung, die ihr Ziel zu verlieren im Begriffe ist, auf das neu
auftauchende Ziel übergeleitet wird.Wenn den hier behaupteten Beziehungen zwischen der
Analerotik und jener Trias von Cheraktereigenschaften etwas
Tatsächliohes zugrunde liegt, so wird man keine besondere Aus-
prägung des „Analcharakters“ bei Personen erwarten dürfen,
die sich die erogene Eignung der Analzone für das reife Leben
bewahrt haben, wie z. B. gewisse Homosexuelle. Wenn ich nicht
sehr irre, befindet sich die Erfahrung zumeist in guter Über-
einstimmung mit diesem Schlusse.Man müßte überhaupt in Erwägung ziehen, ob nicht auch
andere Charakterkomplexe ihre Zugehörigkeit zu den Erregungen
von bestimmten erogenen Zonen erkennen lassen. Ich kenne bis
jetzt nur noch den unmäßigen „brennenden“ Ehrgeiz der ein-
stigen Enuretiker. Fiir die Bildung des endgültigen Charakters
aus den konstitutiven Trieben läßt sich allerdings eine Formel
angeben: Die bleibenden Charakterzüge sind entweder unver-
änderte Fortsetzunan der ursprünglichen Triebe, Subh'mierungen
derselben oder Reaktionsbildungen gegen dieselben.name Nergels, des Gottes der Unterwelt. Das Gold ist nach orientalischem
Mythus, der in die Segen und Märchen der Völker übergegangen ist. Dreck
der Hölle, siehe Monotheistische Strömungen innerhalb der bab.
Reh, S. 16, Anm. 1.
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