Der Humor 1927-002/1928.2
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    DER HUMOR

    In meiner Schrift über den „Witz und seine Beziehung zum
    UnbewuBten (1905) habe ich den Humor eigentlich nur vom
    ökonomischen Gesichtspunkt behandelt. Es lag mir daran, die
    Quelle der Lust am Humor zu finden, und ich meine, ich habe
    gezeigt, daß der humoristische Lustgewinn aus erspartem Gefiihls-
    aufwand hervorgeht.

    Der humoristische Vorgang kann sich in zweierlei Weisen voll-
    ziehen, entweder an einer einzigen Person, die selbst die humo-
    ristische Einstellung einnimmt, wührend der zweiten Person die
    Rolle des Zuschauers und NutznieBers zufállt, oder zwischen zwei
    Personen, von denen die eine am humoristischen Vorgang gar
    keinen Anteil hat, die zweite aber diese Person zum Objekt ihrer
    humoristischen Betrachtung macht. Wenn, um beim gróbsten
    Beispiel zu verweilen, der Delinquent, der am Montag zum Galgen
    geführt wird, die ÁuBerung tut: ,Na, die Woche füngt gut an*,
    so entwickelt er selbst den Humor, der humoristische Vorgang
    vollendet sich an seiner Person und trägt ihm offenbar eine
    gewisse Genugtuung ein. Mich, den unbeteiligten Zuhörer, trifft
    gewissermaßen eine Fernwirkung der humoristischen Leistung des
    Verbrechers; ich verspüre, vielleicht ähnlich wie er, den humo-
    ristischen Lustgewinn.

    Der zweite Fall liegt vor, wenn z. B. ein Dichter oder Schil-
    derer das Gehaben von realen oder erfundenen Personen in

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    humoristischer Weise beschreibt. Diese Personen brauchen selbst
    keinen Humor zu zeigen, die humoristische Einstellung ist allein
    Sache dessen, der sie zum Objekt nimmt und der Leser oder Zu-
    hører wird wiederum wie im vorigen Falle des Genusses am
    Humor teilhaftig. Zusammenfassend kann man also sagen, man
    kann die humoristische Einstellung — worin immer diese bestehen
    mag — gegen die eigene oder gegen fremde Personen wenden;
    es ist anzunehmen, daB sie dem, der es tut, einen Lustgewinn
    bringt; ein ähnlicher Lustgewinn fällt dem — unbeteiligten —
    Zuhörer zu.

    Die Genese des humoristischen Lustgewinns erfassen wir am
    besten, wenn wir uns dem Vorgang beim Zuhörer zuwenden, vor
    dem ein anderer Humor entwickelt. Er sieht diesen anderen in
    einer Situation, die es erwarten läßt, daß er die Anzeichen eines
    Affekts produzieren wird; er wird sich årgern, klagen, Schmerz
    äußern, sich schrecken, grausen, vielleicht selbst verzweifeln, und
    der Zuschauer-Zuhórer ist bereit, ihm darin zu folgen, die gleichen
    Gefühlsregungen bei sich entstehen zu lassen. Aber diese Gefühls-
    bereitschaft wird enttäuscht, der andere äußert keinen Affekt,
    sondern macht einen Scherz; aus dem ersparten Gefiihlsaufwand
    wird nun beim Zuhörer die humoristische Lust.

    So weit kommt man leicht, aber man sagt sich auch bald, daß
    es der Vorgang beim anderen, beim „Humoristen” ist, der die
    größere Aufmerksamkeit verdient. Kein Zweifel, das Wesen des
    Humors besteht darin, daß man sich die Affekte erspart, zu denen
    die Situation Anlaß gäbe, und sich mit einem Scherz über die
    Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinaussetzt. Insofern muß
    der Vorgang beim Humoristen mit dem beim Zuhörer überein-
    stimmen, richtiger gesagt, der Vorgang beim Zuhörer muß den
    beim Humoristen kopiert haben. Aber wie bringt der Humorist
    jene psychische Einstellung zustande, die ihm die Affektentbindung
    überflüssig macht, was geht bei „der humoristischen Einstellung“
    dynamisch in ihm vor? Offenbar ist die Lösung des Problems

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    404 Schriften aus den Jahren 1926—1928

    beim Humoristen zu suchen, beim Zuhörer ist nur ein Nachklang,
    eine Kopie dieses unbekannten Prozesses anzunehmen.

    Es ist Zeit, daß wir uns mit einigen Charakteren des Humors
    vertraut machen. Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes
    wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas GroBartiges
    und Erhebendes, welche Ziige an den beiden anderen Arten des
    Lustgewinns aus intellektueller Tätigkeit nicht gefunden werden.
    Das GroBartige liegt offenbar im Triumph des NarziBmus, in der
    siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert
    es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum
    Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen
    der Außenwelt nicht nahe gehen können, ja es zeigt, daß sie ihm
    nur Anlässe zu Lustgewinn sind. Dieser letzte Zug ist fiir den
    Humor durchaus wesentlich. Nehmen wir an, der am Montag
    zur Hinrichtung geführte Verbrecher hätte gesagt: Ich mach’ mir
    nichts daraus, was liegt denn daran, wenn ein Kerl wie ich auf-
    gehängt wird, die Welt wird darum nicht zugrunde gehen, —
    so müßten wir urteilen, diese Rede enthält zwar diese großartige
    Überlegenheit über die reale Situation, sie ist weise und berechtigt,
    aber sie verrät auch nicht die Spur von Humor, ja sie ruht auf
    einer Einschätzung der Realität, die der des Humors direkt zuwider-
    läuft. Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet
    nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lust-
    prinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse
    zu behaupten vermag.

    Durch diese beiden letzten Züge, die Abweisung des Anspruchs
    der Realität und die Durchsetzung des Lustprinzips nähert sich
    der Humor den regressiven oder reaktionären Prozessen, die uns
    in der Psychopathologie so ausgiebig beschäftigen. Mit seiner
    Abwehr der Leidensmöglichkeit nimmt er einen Platz ein in der
    großen Reihe jener Methoden, die das menschliche Seelenleben
    ausgebildet hat, um sich dem Zwang des Leidens zu entziehen,
    einer Reihe, die mit der Neurose anhebt, im Wahnsinn gipfelt,

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    und in die der Rausch, die Selbstversenkung, die Ekstase ein-
    bezogen sind. Der Humor dankt diesem Zusammenhange eine
    Würde, die z. B. dem Witze völlig abgeht, denn dieser dient
    entweder nur dem Lustgewinn oder er stellt den Lustgewinn in
    den Dienst der Aggression. Worin besteht nun die humoristische
    Einstellung, durch die man sich dem Leiden verweigert, die
    Uniiberwindlichkeit des Ichs durch die reale Welt betont, das
    Lustprinzip siegreich behauptet, all dies aber, ohne wie andere
    Verfahren gleicher Absicht den Boden seelischer Gesundheit
    aufzugeben? Die beiden Leistungen scheinen doch unvereinbar
    miteinander.

    Wenn wir uns an die Situation wenden, daß sich jemand gegen
    andere humoristisch einstellt, so liegt die Auffassung nahe, die ich
    auch bereits im Buch über den Witz zaghaft angedeutet habe, er
    benehme sich gegen sie wie der Erwachsene gegen das Kind,
    indem er die Interessen und Leiden, die diesem groB erscheinen,
    in ihrer Nichtigkeit erkenne und belåchle. Der Humorist gewinne
    also seine Uberlegenheit daher, daB er sich in die Rolle des Er-
    wachsenen, gewissermaßen in die Vateridentifizierung begebe und
    die anderen zu Kindern herabdriicke. Diese Annahme deckt wohl
    den Sachverhalt, aber sie erscheint kaum zwingend. Man fragt
    sich, wie kommt der Humorist dazu, sich diese Rolle anzumaBen.

    Aber man erinnert sich an die andere, wahrscheinlich urspriing-
    lichere und bedeutsamere Situation des Humors, daB jemand die
    humoristische Einstellung gegen seine eigene Person richtet, um
    sich solcherart seiner Leidensmåglichkeiten zu erwehren. Hat es
    einen Sinn zu sagen, jemand behandle sich selbst wie ein Kind
    und spiele gleichzeitig gegen dies Kind die Rolle des überlegenen
    Erwachsenen?

    Ich meine, wir geben dieser wenig plausiblen Vorstellung einen
    starken Riickhalt, wenn wir in Betracht ziehen, was wir aus patho-
    logischen Erfahrungen über die Struktur unseres Ichs gelernt
    haben. Dieses Ich ist nichts Einfaches, sondern beherbergt als

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    406 Schriften aus den Jahren 1926—1928

    seinen Kern eine besondere Instanz, das Uber-Ich, mit dem es
    manchmal zusammenflieBt, so daß wir die beiden nicht zu unter-
    scheiden vermögen, während es sich in anderen Verhältnissen scharf
    von ihm sondert. Das Über-Ich ist genetisch Erbe der Elterninstanz,
    es hält das Ich oft in strenger Abhängigkeit, behandelt es wirklich
    noch wie einst in frühen Jahren die Eltern — oder der Vater —
    das Kind behandelt haben. Wir erhalten also eine dynamische
    Aufklärung der humoristischen Einstellung, wenn wir annehmen,
    sie bestehe darin, daß die Person des Humoristen den psychischen
    Akzent von ihrem Ich abgezogen und auf ihr Über-Ich verlegt
    habe. Diesem so geschwellten Über-Ich kann nun das Ich winzig
    klein erscheinen, alle seine Interessen geringfügig, und es mag
    dem Über-Ich bei dieser neuen Energieverteilung leicht werden,
    die Reaktionsmöglichkeiten des Ichs zu unterdrücken.

    Unserer gewohnten Ausdrucksweise treu, werden wir anstatt
    Verlegung des psychischen Akzents zu sagen haben: Verschiebung
    großer Besetzungsmengen. Es fragt sich dann, ob wir uns solche
    ausgiebige Verschiebungen von einer Instanz des seelischen Apparats
    auf eine andere vorstellen dürfen. Es sieht wie eine neue ad hoc
    gemachte Annahme aus, doch dürfen wir uns erinnern, daß wir
    wiederholt, wenn auch nicht oft genug, bei unseren Versuchen
    einer metapsychologischen Vorstellung des seelischen Geschehens
    mit einem solchen Faktor gerechnet haben. So nahmen wir z. B.
    an, der Unterschied zwischen einer gewöhnlichen erotischen Objekt-
    besetzung und dem Zustand einer Verliebtheit bestehe darin, daß
    in letzterem Falle ungleich mehr Besetzung auf das Objekt übergeht,
    das Ich sich gleichsam nach dem Objekt entleert. Beim Studium
    einiger Fille von Paranoia konnte ich feststellen, daB die Ver-
    folgungsideen frühzeitig gebildet werden und lange Zeit bestehen,
    ohne eine merkliche Wirkung zu äußern, bis sie dann auf einen
    bestimmten Anlaß hin die BesetzungsgróBen erhalten, die sie
    dominant werden lassen. Auch die Heilung solcher paranoischer
    Anfälle dürfte weniger in einer Auflösung und Korrektur der

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    Wahnideen als in der Entziehung der ihnen verliehenen Besetzung
    bestehen. Die Abwechslung von Melancholie und Manie, von grau-
    samer Unterdrückung des Ichs durch das Über-Ich und von
    Befreiung des Ichs nach solchem Druck hat uns den Eindruck
    eines solchen Besetzungswandels gemacht, den man übrigens auch
    zur Erklärung einer ganzen Reihe von Erscheinungen des normalen
    Seelenlebens heranziehen müßte. Wenn dies bisher in so geringem
    Ausmaß geschehen ist, so liegt der Grund dafür in der von uns
    geübten, eher lobenswerten Zurückhaltung. Das Gebiet, auf dem
    wir uns sicher fühlen, ist das der Pathologie des Seelenlebens;
    hier machen wir unsere Beobachtungen, erwerben wir unsere
    Überzeugungen. Eines Urteils über das Normale getrauen wir uns
    vorläufig insoweit, als wir in den Isolierungen und Verzerrungen
    des Krankhaften das Normale erraten. Wenn diese Scheu einmal
    überwunden ist, werden wir erkennen, eine wie große Rolle für
    das Verständnis der seelischen Vorgänge den statischen Verhältnissen
    wie dem dynamischen Wechsel in der Quantität der Energie-
    besetzung zukommt.

    Ich meine also, die hier vorgeschlagene Möglichkeit, daß die
    Person in einer bestimmten Lage plötzlich ihr Über-Ich überbesetzt
    und nun von diesem aus die Reaktionen des Ichs abändert, verdient
    es festgehalten zu werden. Was ich für den Humor vermute,
    findet auch eine bemerkenswerte Analogie auf dem verwandten
    Gebiet des Witzes. Als die Entstehung des Witzes mußte ich an-
    nehmen, daß ein vorbewußter Gedanke für einen Moment der
    unbewußten Bearbeitung überlassen wird, der Witz sei also der
    Beitrag zur Komik, den das Unbewußte leiste. Ganz ähnlich wäre
    der Humor der Beitrag zur Komik durch die Vermittlung
    des Über-Ichs.

    Wir kennen das Über-Ich sonst als einen gestrengen Herrn.
    Man wird sagen, es stimmt schlecht zu diesem Charakter, daß es
    sich herbeiläBt, dem Ich einen kleinen Lustgewinn zu ermög-
    lichen. Es ist richtig, daB die humoristische Lust nie die Intensitåt

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    der Lust am Komischen oder am Witz erreicht, sich niemals im
    herzhaften Lachen ausgibt; es ist auch wahr, daB das Uber-Ich,
    wenn es die humoristische Einstellung herbeiführt, eigentlich die
    Realität abweist und einer Illusion dient. Aber dieser wenig
    intensiven Lust schreiben wir — ohne recht zu wissen warum —
    einen hochwertigen Charakter zu, wir empfinden sie als besonders
    befreiend und erhebend. Der Scherz, den der Humor macht, ist
    ja auch nicht das Wesentliche, er hat nur den Wert einer Probe;
    die Hauptsache ist die Absicht, welche der Humor ausführt, ob
    er sich nun an der eigenen oder an fremden Personen betitigt.
    Er will sagen: Sieh’ her, das ist nun die Welt, die so gefihrlich
    aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu
    machen!

    Wenn es wirklich das Über-Ich ist, das im Humor so liebevoll
    tröstlich zum eingeschüchterten Ich spricht, so wollen wir daran
    gemahnt sein, daß wir über das Wesen des Uber-Ichs noch allerlei
    zu lernen haben. Übrigens sind nicht alle Menschen der humo-
    ristischen Einstellung fähig, es ist cine köstliche und seltene Be-
    gabung und vielen fehlt selbst die Fähigkeit, die ihnen vermittelte
    humoristische Lust zu genießen. Und endlich, wenn das Über-Ich
    durch den Humor das Ich zu trösten und vor Leiden zu bewahren
    strebt, hat es damit seiner Abkunft von der Elterninstanz nicht

    widersprochen.