S.
IMAGO
ZEITSCHRIFT FUR ANWENDUNG DER PSYCHOANALYSE
AUF DIE NATUR- UND GEISTES WISSENSCHAFTENXIV. Band 1928 Hefe 1
Der Humor
Von
Sigm. Freud
In meiner Schrift über den „Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“
(1905) habe ich den Humor eigentlich nur vom ökonomischen Gesichtspunkt
behandelt. Es lag mir daran, die Quelle der Lust am Humor zu finden,
und ich meine, ich habe gezeigt, daß der humoristische Lustgewinn aus
erspartem Gefühlsaufwand hervorgeht.Der humoristische Vorgang kann sich in zweierlei Weisen vollziehen, ent-
weder an einer einzigen Person, die selbst die humoristische Einstellung
einnimmt, während der zweiten Person die Rolle des Zuschauers und Nutz-
nießers zufällt, oder zwischen zwei Personen, von denen die eine am
humoristischen Vorgang gar keinen Anteil hat, die zweite aber diese Person
zum Objekt ihrer humoristischen Betrachtung macht. Wenn, um beim
gröbsten Beispiel zu verweilen, der Delinquent, der am Montag zum Galgen
geführt wird, die Äußerung tut: „Na, die Woche fängt gut an“, so ent-
wickelt er selbst den Humor, der humoristische Vorgang vollendet sich an
seiner Person und trägt ihm offenbar eine gewisse Genugtuung ein. Mich,
den unbeteiligten Zuhörer, trifft gewissermaßen eine Fernwirkung der humo-
ristischen Leistung des Verbrechers; ich verspüre, vielleicht ähnlich wie er,
den humoristischen Lustgewinn.Der zweite Fall liegt vor, wenn 2. В. ein Dichter oder Schilderer das
Gehaben von realen oder erfundenen Personen in humoristischer Weise* beschreibt. Diese Personen brauchen selbst keinen Humor zu zeigen, die
humoristische Einstellung ist allein Sache dessen, der sie zum Objekt nimmt
und der Leser oder Zuhórer wird wiederum wie im vorigen Falle desImago XIV. 1
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2 Sigm. Freud
Genusses am Humor teilhaftig. Zusammenfassend kann man also sagen, man
kann die humoristische Einstellung — worin immer diese bestehen mag —
gegen die eigene oder gegen fremde Personen wenden; es ist anzunehmen,
daß sie dem, der es tut, einen Lustgewinn bringt; ein ähnlicher Lustgewinn |
fällt dem — unbeteiligten — Zuhörer zu.Die Genese des humoristischen Lustgewinns erfassen wir am besten,
wenn wir uns dem Vorgang beim Zuhörer zuwenden, vor dem ein anderer
Humor entwickelt. Er sieht diesen anderen in einer Situation, die es erwarten
läßt, daß er die Anzeichen eines Affekts produzieren wird; er wird sich
ärgern, klagen, Schmerz äußern, sich schrecken, grausen, vielleicht selbst
verzweifeln, und der Zuschauer-Zuhörer ist bereit, ihm darin zu folgen,
die gleichen Gefühlsregungen bei sich entstehen zu lassen. Aber diese Ge-
fühlsbereitschaft wird enttäuscht, der andere äußert keinen Affekt, sondern
macht einen Scherz; aus dem ersparten Gefühlsaufwand wird nun beim
Zuhörer die humoristische Lust.So weit kommt man leicht, aber man sagt sich auch bald, daß es der
Vorgang beim anderen, beim „Humoristen“ ist, der die größere Aufmerk-
samkeit verdient. Kein Zweifel, das Wesen des Humors besteht darin, daß
man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlaß gäbe und
sich mit einem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen
hinaussetzt. Insofern muß der Vorgang beim Humoristen mit dem beim
Zuhörer übereinstimmen, richtiger gesagt, der Vorgang beim Zuhörer muß
den beim Humoristen kopiert haben. Aber wie bringt der Humorist jene
psychische Einstellung zustande, die ihm die Affektentbindung überflüssig
macht, was geht bei „der humoristischen Einstellung“ dynamisch in ihm
vor? Offenbar ist die Lösung des Problems beim Humoristen zu suchen,
beim Zuhörer ist nur ein Nachklang, eine Kopie dieses unbekannten
Prozesses anzunehmen.Es ist Zeit, daß wir uns mit einigen Charakteren des Humors vertraut
machen, Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes, wie der Witz und
die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes, welche Züge
an den beiden anderen Arten des Lustgewinns aus intellektueller Tätigkeit
nicht gefunden werden, Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narziß-
mus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich ver-
weigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum
Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außen-
welt nicht nahe gehen können, ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu
Lustgewinn sind. Dieser letzte Zug ist für den Humor durchaus wesent-S.
Der Humor 3
lich. Nehmen wir an, der am Montag zur Hinrichtung geführte Verbrecher
hätte gesagt: Ich mach’ mir nichts daraus, was liegt denn daran, wenn ein Kerl
wie ich aufgehängt wird, die Welt wird darum nicht zugrunde gehen, = ©
müßten wir urteilen, diese Rede enthält zwar diese großartige Überlegenheit
über die reale Situation, sie ist weise und berechtigt, aber sie verrät auch
nicht die Spur von Humor, ja sie ruht auf einer Einschätzung der Realität,
die der des Humors direkt zuwiderläuft. Der Humor ist nicht resigniert,
er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den
des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu
behaupten vermag.Durch diese beiden letzten Züge, die Abweisung des Anspruchs der
Realität und die Durchsetzung des Lustprinzips nähert sich der Humor
den regressiven oder reaktionären Prozessen, die uns in der Psychopathologie
so ausgiebig beschäftigen. Mit seiner Abwehr der LeidensmSglichkeit nimmt
er einen Platz ein in der groBen Reihe jener Methoden, die das menschliche
Seelenleben ausgebildet hat, um sich dem Zwang des Leidens zu entziehen,
einer Reihe, die mit der Neurose und dem Wahnsinn anhebt, und in die
der Rausch, die Selbstversenkung, die Ekstase einbezogen sind. Der Humor
dankt diesem Zusammenhange eine Wiirde, die z. B. dem Witze vollig abgeht,
denn dieser dient entweder nur dem Lustgewinn oder er stellt den Lust-
gewinn in den Dienst der Aggression. Worin besteht nun die humoristische
Einstellung, durch die man sich dem Leiden verweigert, die Uniiberwind-
lichkeit des Ichs durch die reale Welt betont, das Lustprinzip siegreich
behauptet, all dies aber, ohne wie andere Verfahren gleicher Absicht den
Boden seelischer Gesundheit aufzugeben? Die beiden Leistungen scheinen
doch unvereinbar miteinander.Wenn wir uns an die Situation wenden, daß sich jemand gegen andere
humoristisch einstellt, so liegt die Auffassung nahe, die ich auch bereits im
Buch über den Witz zaghaft angedeutet habe, er benehme sich gegen sie
wie der Erwachsene gegen das Kind, indem er die Interessen und Leiden,
die diesem groß erscheinen, in ihrer Nichtigkeit erkenne und belächle.
Der Humorist gewinne also seine Überlegenheit daher, daß er sich in die
Rolle des Erwachsenen, gewissermaßen in die Vateridentifizierung begebe
und die anderen zu Kindern herabdrücke. Diese Annahme deckt wohl den
‚Sachverhalt, aber sie erscheint kaum zwingend. Man fragt sich, wie kommt
der Humorist dazu, sich diese Rolle anzumaBen.Aber man erinnert sich an die andere, wahrscheinlich ursprünglichere
und bedeutsamere Situation des Humors, daB jemand die humoristischeS.
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Einstellung gegen seine eigene Person richtet, um sich solcherart seiner
Leidensmöglichkeiten zu erwehren. Hat es einen Sinn zu sagen, jemand
behandle sich selbst wie ein Kind und spiele gleichzeitig gegen dies Kind die
Rolle des überlegenen Erwachsenen? dIch meine, wir geben dieser wenig plausiblen Vorstellung einen starken
Rückhalt, wenn wir in Betracht ziehen, was wir aus pathologischen Er-
fahrungen über die Struktur unseres Ichs gelernt haben. Dieses Ich ist nichts
Einfaches, sondern beherbergt als seinen Kern eine besondere Instanz, das Uber-
Ich, mit dem es manchmal zusammenflieBt, so daB wir die beiden nicht
zu unterscheiden vermögen, während es sich in anderen Verhältnissen scharf
von ihm sondert. Das Uber-Ich ist genetisch Erbe der Elterninstanz, es halt
das Ich oft in strenger Abhängigkeit, behandelt es wirklich noch wie einst
in frühen Jahren die Eltern — oder der Vater — das Kind behandelt
haben. Wir erhalten also eine dynamische Aufklirung der humoristischen
Einstellung, wenn wir annehmen, sie bestehe darin, daB die Person des
Humoristen den psychischen Akzent von ihrem Ich abgezogen und auf
ihr Uber-Ich verlegt habe. Diesem so geschwellten Uber-Ich kann nun das
Ich winzig klein erscheinen, alle seine Interessen geringfiigig, und es mag
dem Uber-Ich bei dieser neuen Energieverteilung leicht werden, die
Reaktionsmäglichkeiten des Ichs zu unterdrücken.Unserer gewohnten Ausdrucksweise treu, werden wir anstatt Verlegung
des psychischen Akzents zu sagen haben: Verschiebung großer Besetzungs-
mengen. Es fragt sich dann, ob wir uns solche ausgiebige Verschiebungen
von einer Instanz des seelischen Apparats auf eine andere vorstellen dürfen.
Es sieht wie eine neue ad hoc gemachte Annahme aus, doch dürfen wir
uns erinnern, daß wir wiederholt, wenn auch nicht oft genug, bei unseren
Versuchen einer metapsychologischen Vorstellung des seelischen Geschehens
mit einem solchen Faktor gerechnet haben. So nahmen wir zum Beispiel
an, der Unterschied zwischen einer gewöhnlichen erotischen Objektbe-
setzung und dem Zustand einer Verliebtheit bestehe darin, daß in letz-
terem Falle ungleich mehr Besetzung auf das Objekt übergeht, das Ich
sich gleichsam nach dem Objekt entleert. Beim Studium einiger Fälle von
Paranoia konnte ich feststellen, daß die Verfolgungsideen frühzeitig gebildet
werden und lange Zeit bestehen, ohne eine merkliche Wirkung zu äußern,
bis sie dann auf einen bestimmten Anlaß hin die Besetzungsgrößen erhalten,
die sie dominant werden lassen. Auch die Heilung solcher paranoischer Anfälle
dürfte weniger in einer Auflösung und Korrektur der Wahnideen als in der
Entziehung der ihnen verliehenen Besetzung bestehen. Die Abwechslung vonS.
_________ | | | | |
Der Humor 5Melancholie und Manie, von grausamer Unterdrückung des Ichs durch das
Úber-Ich und von Befreiung des Ichs nach solchem Druck hat uns den
Eindruck eines solchen Beseizungswandels gemacht, den man übrigens
auch zur Erklirung einer ganzen Reihe von Erscheinungen des normalen
Seelenlebens heranziehen müßte. Wenn dies bisher in so geringem Ausmaß
geschehen ist, so liegt der Grund dafür in der von uns geübten, eher lobens-
werten Zurückhaltung. Das Gebiet, auf dem wir uns sicher fühlen, ist
das der Pathologie des Seelenlebens; hier machen wir unsere Beobachtungen,
erwerben wir unsere Überzeugungen. Eines Urteils über das Normale getrauen
wir uns vorläufig nur insoweit, als wir in den [Isolierungen und Ver-
zerrungen des Krankhaften das Normale erraten. Wenn diese Scheu einmal
überwunden ist, werden wir erkennen, eine wie groBe Rolle für das
Verständnis der seelischen Vorgänge den statischen Verhältnissen wie dem
dynamischen Wechsel in der Quantitit der Energiebesetzung zukommt.Ich meine also, die hier vorgeschlagene Möglichkeit, daß die Person in
einer bestimmten Lage plótzlich ihr Über-Ich überbesetzt und nun von diesem
aus die Reaktionen des Ichs abåndert, verdient es festgehalten zu werden.
Was ich für den Humor vermute, findet auch eine bemerkenswerte Analogie
auf dem verwandten Gebiet des Witzes. Als die Entstehung des Witzes
mußte ich annehmen, daß ein vorbewuBter Gedanke für einen Moment der
unbewuften Bearbeitung überlassen wird, der Witz sei also der Beitrag
zur Komik, den das UnbewuBte leiste. Ganz ähnlich wire der Humor
der Beitrag zur Komik durch die Vermittlung des Über-Ichs.| Wir kennen das Über-Ich sonst als einen gestrengen Herrn. Man wird
sagen, es stimmt schlecht zu diesem Charakter, daß es sich herbeiläBt,
dem Ich einen kleinen Lustgewinn zu ermüglichen. Es ist richtig, daf die
humoristische Lust nie die Intensitit der Lust am Komischen oder am
Witz erreicht, sich niemals im herzhaften Lachen ausgibt; es ist auch wahr,
daB das Über-Ich, wenn es die humoristische Einstellung herbeiführt, eigent-
lich die Realität abweist und einer Illusion dient. Aber dieser wenig inten-
siven Lust schreiben wir — ohne recht zu wissen warum — einen hoch-
wertigen Charakter zu, wir empfinden sie als besonders befreiend und
erhebend. Der Scherz, den der Humor macht, ist ja auch nicht das Wesent-
liche, er hat nur den Wert einer Probe; die Hauptsache ist die Absicht,
welche der Humor ausführt, ob er sich nun an der eigenen oder an
fremden Personen betätigt. Er will sagen: Sieh’ her, das ist nun die Welt,
die so gefihrlich aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz dar-
über zu machen!S.
Freud: Der Humor
Wenn es wirklich das Uber-Ich ist, das im Humor so liebevoll tröstlich
zum eingeschiichterten Ich spricht, so wollen wir daran gemahnt sein, daß
wir über das Wesen des Uber-Ichs noch allerlei zu lernen haben. Übrigens
sind nicht alle Menschen der humoristischen Einstellung fihig, es ist eine
köstliche und seltene Begabung und vielen fehlt selbst die Fähigkeit, die
ihnen vermittelte humoristische Lust zu genieBen. Und endlich, wenn das
Uber-Ich durch den Humor das Ich zu trösten und vor Leiden zu be-
wahren strebt, hat es damit seiner Abkunft von der Elterninstanz nichtVorgelesen von Anna Freud am 1. Septem-
ber 1927 auf dem X. Internationalen Psycho-
analytischen Kongreß in Innsbruck.
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