S.
70
Wiener klinische Rundschau 1898.
und derselbe werde jede Minute unbemerkt erscheinen, um ihr
von riickwiirts mit einem Schlanche das Kopfhaar abzubinden und
abzuscheiden. Sie hore ihn schon kommen, sie sehe ihn vor sich
den Mann in schwarzen Kleidern, sie hore schon den Schlauch
rascheln. Händeringend fleht sie um Schutz; „sie könne eine
solche Schande nicht ertragen, sie hiitte doch kein Verbrechen
begangen“. Endlich ist die Aengstliche zu beruhigen. Da erscheint die
Nachmittagsvisite, und entweder durch die vielen herantretenden
Personen oder deren Schatten erschreckt, beginnt Patientin in
dem Wahne, ihr Feind hätte sich unter’s Bett versteckt, neuer-
dings aufzuschreien, setzt sich blitzartig im Bette auf, späht iingst-
lich unter dasselbe, um dann aus dem Bette zu springen. In's
Bett zuriickgebracht duckt sie sich angstvoll zusammen, liegt still,
bewegungslos, nur die Augen spiihen ängstlich umher. Im nächsten
Aügenblicke folgt ein zweiter Fluchtversuch.Nach 11/, gr Chloralhydrat fällt Patientin in tiefen Schlaf.
12. December, 8 h. a. m. Patientin hat die vergangene Nacht
sehr unruhig geschlafen, oftmals erschreckt aus dem Schlafe aut-
geschrieen. Heute Früh ist Patientin bedeutend ruhiger, dabei
deutlich benommen, erinnert sich gar nicht an die Vorkomm-
nisse des vergangenen Tages, klagt über heftigen Kopfschmerz
und Ohrensausen. Alle Korpergelenke sind frei und schmerzlos,
die Temperatur 36:8.Im Verlaufe des Vormittags erneuert sich wiederum die
Aufregung und führt gegen Mittag zum Ausbruche derselben Er-
scheinungen, wie den Abend zuvor, nur dass dieselben bald und
von selbst vorübergehen.4 h. p. m. Patientin ist fast vollkommen beruhigt, doch
scheint sie ihren völligen Gleichmuth noch nicht erlangt zu haben.
Sie ist sehr sensibel, leicht zum Weinen geneigt. Sie klagt be-
stindig über Kopfschmerzen und Ohrensausen.13. December, 8 h. a. m. Patientin hat in der vorigen Nacht
gut geschlafen, fühlt sieh heute ganz wohl. Das Sensorium ist
ganz frei, jedes Angstgefühl verschwunden. Patientin erinnert sich
deutlich an das vorgestern Vorgefallene und lüchelt heute selbst
über ihre Wahnideen.Die Kórpergelenke sind alle frei, schmerzlos, die Tempe-
ratur 31:0. Kopfschmerzen und Olirensausen geschwunden.Herzbefund unverändert.
Urin dunkelrothbraun. Salicylsiiure-Reaction positiv.
Der günstige Zustand hält auch die nächsten Tage an und
Patientin. verlässt am 21. December geheilt das Spital.Aus dem Geschilderten ergibt sich .ein Krankheitsbild,
das mit allgemeiner Erregung und Angstgefiihlen einsetzend, sich
im Laufe einiger Stunden zu einem Anfalle mit schreckhaften
Wahnideen, Gesichts- und Gehórs-Hallucinationen und dadurch
bedingtem Fluchtversuche steigert; ein Krankheitsbild, das
acut beginnend zu sehr starken Erscheinungen führt, um im
Verlaufe von kaum 18 Stunden vollständig zu verschwinden :
eine acute Psychose. Und das bei einem schwächlichen, viel-
leicht auch von Vaters Seiten her belasteten Individuum,
im Verlaufe eines acuten Gelenksreumatismus nach 18:0 Natri
salicylici, welche sich auf 36 Stunden vertheilen. Als Neben-
erscheinungen treten heftiger Kopfschmerz, theilweise vor-
handene Benommenheit, Onrensausen und Schwerhorigkeit auf.Es fragt sich nun, ob als Aetiologie für diese Psychose
die Polyarthritis rheumatica oder die Verabreichung der als
mittelgross zn bezeiclnenden Gabe von 18:0 Natr. salicyl.
anzusehen 1st.Simon!) veröffentlicht 62 von Griesinger, Tungd,
Julius Peyser, Ferber etc. beobachtete Fälle von
Psychosen im Verlaufe oben genannter Infectionskrankheit;
der Ausbruch von acuten Psychosen nach Polyarthritis
rheumatica ist also keine Seltenheit. Allen diesen Fällen ge-
meinsam ist, dass die Erscheinungen von Seiten. des cerebrum
auf der Hohe der fieberhaften Erkrankung, Hand in Hand
mit hohen Temperaturen auftreten und mit dem Fieber ver-
schwinden.Andererseits ist es eine 'Phatsache, dass unter den
Intoxications-Erscheinungen, welche bei mittelgrossen, undNr. 5
=== = =
bei bestehender Idiosyncrasie auch bei kleinen Dosen von
Salicylsåure sich finden, auch Erscheinungen von Seiten des
Cerebrum auftreten konnen, angefangen von leichter Unruhe
und Schlaflosigkeit bis zu heftigen mehrtägigen Delirien, die
oft einen furibunden Charakter annehmen und zu dem Aus-
bruche einer acuten Psychose führen können.Im oben geschilderten Falle trat die acute Psychose
am zehnten Krankheitstage auf, wo der acute Gelenks-
rheumatismus, der übrigens ganz leicht und nur in einigen
wenigen Gelenken aufgetreten, bereits im Abklingen und die
beim Kintritte ohnedies nicht besonders hohe Temperatur
(39:0) nach den ersten Dosen von Natr. salicyl. fast gänzlich
zur Norm herabgesunken war. Es wurden im Ganzen 18:0
Natr. salicyl., also eine mittelgrosse Gabe, verabfolgt und
zwar bei einem schwächlichen, andmischen Mädchen. Unter
den Nebenerscheinungen stehen heftiger Kopfschmerz, friih-
zeitig auftretendes Ohrensausen und Schwerhorigkeit, anderer-
seits ein profuser Schweissausbruch in erster Reihe — Mo-
mente, die unseren Fall in die zweite Kategorie, 1. e. als
Intoxications-Erscheinung nach Natr. salicyl. verweisen.(Schluss folgt.)
Die Sexualität in der Aetiologie der Neurosen.
Von Dr. Sigm. Freud.
(Fortsetzung.*)Nur die sexuelle Aetiologie ermóglicht uns ferner das
Verstündniss aller Einzelheiten der Krankengeschichten bei
Neurasthenikern, der räthselhaften Besserungen mitten im
Krankheitsverlaufe und der ebenso unbegreiflichen Versehlim-
merungen, die von Aerzten und Kranken dann gewóhnlich
mit der eingeschlagenen Therapie in Beziehung gebracht
werden. In meiner mehr als 200 Fille umfassenden Sammlung
ist z. B. die Geschichte eines Mannes verzeichnet, der, nach-
dem ihm die hausårztliche Behandlung nichts genützt hatte,
zu Pfarrer Kneipp ging und von dieser Cur an ein Jahr
von ausserordentlicher Besserung mitten in seinen Leiden zu
verzeichnen hatte. Als aber ein Jahr später die Beschwerden
sich wieder verstärkten und er neuerdings Hilfe in Woris-
hofen suchte. blieb der Erfolg dieser zweiten Cur aus. Ein
Bliek in die Familienchronik dieses Patienten lóst das zwei-
fache Räthsel auf: 6!/, Monate nach der ersten Rückkehr
aus Wörishofen wurde dem Kranken von seiner Frau ein
Kind geboren; er hatte sie also zu Beginn einer noch uner-
kannten Graviditåt verlassen und durfte nach seiner Wieder-
kunft natürlichen Verkehr mit ihr pflegen. Als nach Ablauf
dieser für ihn heilsamen Zeit seine Neurose dureh neuer-
lichen Coitus interruptus wieder angefacht war, musste sich
die zweite Cur erfolglos erweisen, da jene oben erwähnte
Graviditåt die letzte blieb.Ein ähnlicher Fall, in dem gleichfalls eine unerwartete
Einwirkung der Therapie zu erklären war, gestaltete sich
noch lehrreicher, indem er eine ráthselhafte Abwechslung in
den Symptomen der Neurose enthielt. Ein jugendlicher Ner-
vôser war von seinem Arzte in eine wohlgeleitete Wasser-
heilanstalt wegen typischer Neurasthenie geschickt worden.
Dort besserte sich sein Zustand anfänglich immer mehr, so
dass alle Aussicht vorhanden war, den Patienten als dank-
baren Anhänger der Hydrotherapie zu entlassen. Da trat in
der sechsten. Woche ein Umschlag ein; der Kranke „vertrug
das Wasser nicht mehr“, wurde immer nervóser und verliess
endlich nach zwei weiteren Wochen ungeheilt und unzufrieden
die Anstalt. Als er sich bei mir über diesen Trug der
Therapie beklagte, erkundigte ich mieh ein wenig nach den
Symptomen, die ihn mitten in der Cur befallen hatten. Merk-
würdigerweise hat sich darin ein Wandel vollzogen. Er war
mit Koptdruck, Müdigkeit und Dyspepsie in die Anstalt*) Siehe „Wiener klinische Rundschau“1898, Nr. 2 und 4.
= "ss NEL LUN
S.
Nr. 5
gegangen; was ihn in der Behandlung gestört hatte, waren:
Aufgeregtheit, Anfälle von Beklemmung, Schwindel im Gehen
und Schlafstórung gewesen. Nun konnte ich dem Kranken
sagen: „Sie thun der Hydrotherapie Unrecht. Sie sind, wie
Sie selbst sehr wohl gewusst haben, in Folge von lange fort-
gesetzter Masturbation erkrankt. In der Anstalt haben Sie
diese Art der Befriedigung aufgegeben und sich darum rasch
erholt. Als Sie sich aber wohl fiihlten, haben Sie unkluger-
weise Beziehungen zu einer Dame, nehmen wir an, einer Mit-
patientin gesucht, die nur zur Aufregung ohne normale Be-
friedigung führen konnten. Die: schönen Spaziergänge in der
Nähe der Anstalt gaben Ihnen gute Gelegenheit dazu. An
diesem Verhältnisse sind Sie von Neuem erkrankt, nicht an
einer plötzlich aufgetretenen Intoleranz gegen die Hydro-
therapie. Aus Ihrem gegenwärtigen Befinden schliesse ich
übrigens, dass Sie dasselbe Verhältniss auch in der Stadt
fortsetzen.“ Ich kann versichern, dass der Kranke mich dann
Punkt für Punkt bestätigt hat.Die gegenwärtige Therapie der Neurasthenie, wie sie
wohl am günstigsten in den Wasserheilanstalten geübt wird,
setzt sich das Ziel, die Besserung des nervösen Zustandes
durch zwei Momente: Schonung und Stärkung des Patienten
zu erreichen. Ich wüsste nichts Anderes gegen diese Therapie
vorzubringen, als dass sie den sexuellen Bedingungen des
Falles keine Rechnung trägt. Nach meiner Erfahrung ist es
höchst wünschenswerth, dass die ärztlichen Leiter solcher
Anstalten sich genügend klar machen, dass sie es nicht mitOpfern der Civilisation oder der Heredität, sondern — sit
venia verbo — mit Sexualitätskrüppeln zu thun haben. Siewürden sich dann einerseits ihre Erfolge wie ihre Misserfolge
leichter erklären, andererseits aber neue Erfolge erzielen, die
bis jetzt dem Zufalle oder dem unbeeinflussten Verhalten des
Kranken anheimgegeben sind. Wenn man eine ängstlich-
neurasthenische Frau von ihrem Hause weg in die Wasser-
heilanstalt schickt, sie dort, aller Pflichten ledig, baden,
turnen und sich reichlich ernähren lässt, so wird man gewiss
geneigt sein, die oft glänzende Besserung, die so In einigen
Wochen oder Monaten erreicht wird, auf Rechnung der
Ruhe, welche die Kranke genossen hat, und der Stärkung,
die ihr die Hydrotherapie gebracht hat, zu setzen. Das mag
so sein; man übersieht aber dabei, dass mit der Entfernung
vom Hause fiir die Patientin auch eine Unterbrechung des
ehelichen Verkehres gegeben ist, und dass erst diese zeit-
weilige Ausschaltung der krankmachenden Ursache ihr die
Möglichkeit gibt, sich bei zweckmåssiger Therapie zu erholen.
Die Vernachlässigung dieses ätiologischen Gesichtspunktes
råcht sich nachtråglich, indem der scheinbar so befriedigende
Heilerfolg sich als sehr flüchtig erweist. Kurze Zeit, nachdem
der Patient in seine Lebensverhåltnisse zurückgekehrt ist,
stellen sich die Symptome des Leidens wieder ein und
nothigen ihn, entweder immer von Zeit zu Zeit einen Theil
seiner Existenz unproductiv in solchen Anstalten zu verbringen,
oder veranlassen ihn, seine Hoffnungen auf Heilung anders-
wohin zu richten. Es ist also klar, dass die therapeutischen
Aufgaben bei der Neurasthenie nicht in den Wasserheil-
anstalten, sondern innerhalb der Lebensverhåltnisse der
Kranken in Angriff zu nehmen sind.Bei anderen Fållen kann unsere åtiologische Lehre dem
Anstaltsarzte Aufklärung über die Quelle von Misserfolgen
geben, die sich noch in der Anstalt selbst ereignen, und ihm
nahe legen, wie solche zu vermeiden sind. Die Masturbation
ist bei erwachsenen Mädchen und reifen Männern weit håu-
figer, als man anzunehmen pflegt, und wirkt als Schädlichkeit
nicht nur durch die Erzeugung der neurasthenischen Symptome,
sondern auch, indem sie die Kranken unter dem Drucke einesals schändlich empfundenen Geheimnisses erhält. Der Arzt, der
nicht gewohnt ist, Neurasthenie in Masturbation zu übersetzen,
gibt sich fiir den Krankheitszustand Rechenschaft, indem er
sich auf ein Schlagwort, wie Anämie, Unterernáhrung, Ueber-
arbeitung etc. bezieht, und erwartet nun bei Anwendung der4
Wiener klinische Rundschau 1898.
|
11
- ー 一
dagegen ausgearbeiteten Therapie die Heilung seines Kranken.
Zu seinem Erstaunen wechseln aber beim Kranken Zeiten von
Besserung mit anderen ab, in denen unter schwerer Ver-
stimmung alle Symptome sich verschlimmern. Der Ausgang
einer solchen Behandlung ist im Allgemeinen zweifelhaft.
Wüsste der Arzt, dass der Kranke die ganze Zeit über mit
seiner sexuellen Angewöhnung kämpft, dass er in Verzweif-
lung verfallen ist, weil er ihr wieder einmal unterliegen
musste, verstünde er, dem Kranken sein Geheimniss abzu-
nehmen, dessen Schwere in seinen Augen zu entwerthen, und
ihn bei seinem Abgewöhnungskampfe zu unterstützen, so würde
der Erfolg der therapeutischen Bemühung hiedurch wohl ge-
sichert.Die Abgewöhnung der Masturbation ist nur eine der
neuen therapeutischen Aufgaben, welche dem Arzte aus der Be-
rücksichtigung der sexuellen Aetiologie erwachsen, und diese
Aufgabe gerade scheint wie jede andere Abgewöhnung nur in
einer Krankenanstalt und unter beständiger Aufsicht des
Arztes lösbar. Sich selbst überlassen pflegt der Masturbant bel
jeder verstimmenden Einwirkung auf die ihm bequeme Be-
friedigung zurückzugreifen. Die Ärztliche Behandlung kann
sich hier kein anderes Ziel stecken, als den wiedergekräf-
tigten Neurastheniker dem normalen Geschlechtsverkehre zu-
zuführen, denn das einmal geweckte und durch eine geraume
Zeit befriedigte Sexualbedürfniss lässt sich nicht mehr zum
Schweigen bringen, sondern blos auf ein anderes Object ver-
schieben. Eine ganz analoge Bemerkung gilt übrigens auch
für alle anderen Abstinenzcuren, die so lange nur scheinbar
gelingen werden, so lange sich der Arzt damit begnügt, dem
Kranken das narkotische Mittel zu entziehen, ohne sich um
die Quelle zu kümmern, aus welcher das imperative Bedürfniss
nach ‘einem solchen entspringt. „Gewöhnung“ 1st eine blosse
Redensart, ohne aufklärenden Werth; nicht Jedermann, der
eine Zeit lang Morphin, Cocain, Chloralhydrat u. dgl. zu nehmen
Gelegenheit hat, erwirbt hiedurch die „Sucht“ nach diesenDingen. Genauere Untersuchung weist in der Regel nach,
dass diese Narcotica zum Ersatze — direct oder auf Um-
wegen — des mangelnden Sexualgenusses bestimmt sind, undwo sich normales Sexualleben nicht mehr herstellen lässt, da
darf man den Rückfall des Entwöhnten mit Sicherheit er-
warten.Die andere Aufeabe wird dem Arzte durch die Aetiologie
der Angstneurose gestellt und besteht darin, den Kranken
zum Verlassen aller schädlichen Arten des Sexualverkehres
und zur Aufnahme normaler sexueller Beziehungen zu veran-
lassen. Wie begreiflich fällt diese Pflicht vor Allem dem ärzt-
lichen Vertrauensmanne des kranken, dem Hausarzte, zu, der
seine Clienten schwer schädigt, wenn er sich zu vornehm
hält um in diese Sphäre einzugreifen.Da es sich hierbei zumeist um Ehepaare handelt, stósst
das: Bemühen des Arztes alsbald mit den malthusianischen
Tendenzen, die Anzahl der Conceptionen in der Ehe einzu-
schränken, zusammen. Es scheint mir unzweifelhaft, dass |
diese Vorsátze in unserem Mittelstande immer mehr an Aus-
breitung gewinnen; ich bin Ehepaaren begegnet, die schon
nach dem ersten Kinde die Verhütung der Conception durch-
zuführen begannen, und anderen, deren sexueller Verkehr von
der Hochzeitsnacht an diesem Vorsatze Rechnung tragen
wollte. Das Problem des Malthusianismus ist weitläufig und
complicirt; ich habe nicht die Absicht, es hier erschóptend
zu behandeln, wie es für die Therapie der Neurosen eigent-
lich erforderlich wire. Ich gedenke nur zu erórtern, welche
Stellung der Arzt, der die sexuelle Aetiologie der Neurosen
anerkennt, zu diesem Probleme am besten einnehmen kann.Das Verkehrteste ist es offenbar, wenn er dasselbe —
unter welchen Vorwånden immer 一 ignoriren will. Was
nothwendig ist, kann nicht unter meiner ärztlichen Würde
sein, und es ist nothwendig, einem Ehepaare, das an die Kin-
schrånkung der Kinderzeuguug denkt, mit årztlichem RatheS.
4
-
rr —
a
。
DTos SAGAS し 、
e A72 Wiener klinische Rundschau 1898. Nr. ⑤ ;
beizustehen, wenn man nicht einen Theil Ense Beide de Tu "der k. k. bóhmischen Klinik und Abtheilung fiir Haut-
Neurose aussetzen will. Es låsst sich nicht bestreiten, dass
malthusianische Vorkehrungen irgend einmal in einer Ehe zur
Nothwendigkeit werden, und theoretisch wäre es einer der
grössten Triumphe der Menschheit, eine der fühlbarsten Be-
freiungen vom Naturzwange, dem unser Geschlecht unter-
worfen ist, wenn es gelånge, den verantwortlichen Act der
Kindererzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigten
Handlung zu erheben, und ihn von der Verquickung mit der
nothwendigen Befriedigung eines natiirlichen Bediirfnisses los-
zulósen.Der einsichtsvolle Arzt wird es
zu entscheiden, unter welchen Verháltnissen die Anwendung
von Maassregeln zur Verhütung der Conception gerecht-
fertigt ist, und wird die schädlichen unter diesen Hilfsmitteln
von den harmlosen zu sondern haben. Schädlich ist Alles,
was das Zustandekommen der Befriedigung hindert; bekannt-
lich besitzen wir aber derzeit kein Schutzmittel gegen die
Conception, welches allen berechtigten Anforderungen genügen
würde, d. h. sicher, bequem ist, der Lustempfindung beim
Coitus nicht Eintrag thut und das Feingefühl der Frau nicht
verletzt. Hier ist ‘den Aerzten eine praktische Aufgabe ge-
stellt, an deren Lôsung sie ihre Kräfte dankbringend setzen
können. Wer jene Lücke in unserer ärztlichen Technik
ausfüllt, der hat Unzähligen den Lebensgenuss erhalten und
die Gesundheit bewahrt, freilich dabei auch eine tief ein-
sclneidende Veränderung in unseren gesellschaftlichen Zu-
ständen angebahnt.also auf sich nehmen,
der
Neurosen fliessen.
der NeurasthenikerHiermit sind die Anregungen nicht erschöpft, die aus
Krkenntniss einer sexuellen Aetiologie der
Die Hauptleistung, die uns zu Gunsten
möglich ist, fällt in die Prophylaxis. Wenn die Masturbation
die Ursache der Neurasthenie in der Jugend ist und später-
hin durch die von ihr geschaffene Verminderung der Potenz
auch zur ätiologischen Bedeutung für die Angstneurose ge-
langt, so ist die Verhütung der Masturbation bei beiden Ge-
schlechtern eine Aufgabe, die mehr Beachtung verdient, als
sie bis jetzt gefunden hat. Ueberdenkt man alle die feineren
und gröberen Schädigungen, die von der angeblich immer mehr um
sich greifenden Neurasthenie ausgehen, so erkennt man geradezu
ein Volksinteresse darin, dass die Männer mit voller
Potenz in den Sexualverkehr eintreten. In Sachen
der Prophylaxis aber ist der Einzelne ziemlich ohnmächtig. Die
Gesammtheit muss ein Interesse an dem Gegenstande ge-
winnen und ihre Zustimmung zur Schöpfung von gemein-
giltigen Einriehtungen geben. Vorläufige sind wir von einem
solchen Zustande, der Abhilfe versprechen würde, noch weit
entfernt, und darum kann man mit Recht auch unsere Civili-
satıon für die Verbreitung der Neurasthenie verantwortlich
machen. Es müsste sich Vieles ändern. Der Widerstand einer
Generation von Aerzten muss gebrochen werden, die sich
nicht mehr an ihre eigene Jugend erinnern können; der Hoch-
muth der Väter ist zu überwinden, die vor ihren Kindern
nicht gerne auf das Niveau der Menschlichkeit herabsteigen
wollen, die unverständige Verschämtheit der Mütter zu bekämpfen,
denen es jetzt regelmässig als unerforschliche, aber unver-
diente, Schicksalsfügung erscheint, dass „gerade ihre Kinder
nervös geworden sind“. Vor Allem aber muss in der offent-
lichen Meinung Raum geschaffen werden für die Discussion der
Probleme des Sexuallebens; man muss von diesen reden können,
ohne für einen Ruhestorer oder für
niedrige Instincte erklärt zu werden. Und somit verbliebe
auch hier genügend Arbeit für ein nächstes Jahrhundert, in
dem unsere Civilisation es verstehen soll, sich mit den An-
sprüchen unserer Sexualität zu vertragen!(Fortsetzung folgt.)
einen Speculanten auf
krankheiten und Syphilis des Herrn Prof. Dr. V. JADOYERY a |
in Prag.
Ueber die Behandlung der gonorrhoischen -
Epididymitis durch Guajakolapplication. =Von Dr. Jaroslav Lenz, Secundararzt.
(Fortsetzung.*)Indem wir später die Fr folge unserer Erfahrungen Aa, al
nnd den Verlauf der Guajakolbehandlung bei unseren 59 Fällen be- =schreiben werden, beschränken wir uns jetzt auf die Ausführung |
der allgemeinen und durchschnittlichen Daten. Aus den
sorgsam notirten Thatsachen und Zahlen bei mehr als ДА
Kranken kann man gewiss durchschnittliche Daten gewinnen,
auf welche sich jeder Arzt, der diese Methode in der Praxisversuchen will, mit Ver trauen stützen kann. In der Ueber-
sichtstabelle stellten wir die folgenden Punkte zusammen :
Wie lange die Hauptkrankheit — Gonorrhoe und wie fr,
die Nebenhodenentzündung dauert, ob auch der Samenstrangmitbetroffen ist, wann der Kranke anfing und aufhôrte die _
Guajakolsalbe zu appliciren, wann ihm die Zeisslsche _
Salbe verordnet wurde, wie lange der Kranke das Brennen _nach der Guajakolapplication empfand, wie viel Percent Guajakol —
die Salbe enthielt und wann der Kranke entlassen wurde. Bei
einigen fieberhaften Kranken
Temperatur,
und über die Beschaffenheit
Stunden nach
Kranke innerlich Salol eingenommen hatte, prüfte man die
Reaction auf Guajakol im Urin mit Ferrum sesquichloratum.
Alle Kranken, die auf der Abtheilung mit Epididymitis
lagen, wurden ohne Ausnahme mit Guajakol behandelt und
man muss zugeben,
ohne besondere Schwierigkeiten und unangenehme
symptome vertragen wurde. Nur in drei Fällen wurde die
anfängliche zehnpercentige durch eine fünfpercentige Con-des Pulses. In den ersten
centration ersetzt, well die Patienten sich über starkes
Brennen beklagten. Bei einem Kranken, der an einer nicht-
specifisehen, nur rein eiterigen Nebenhodenentzündung litt,horte man mit Guajakol überhaupt auf, da dasselbe seine guten
Eigenschaften nicht äusserte.Nach der Application der Salbe empfanden die Kranken
mehr oder weniger starkes Brennen und Jucken. Das Brennendauerte nach unseren Notizen durchschnittlich 1—10, am
häufigsten 3—5 Minuten nach der ersten Application. Nachder zweiten und den weiteren Applicationen rief die Salbe
gewöhnlich keine unangenehmen Gefühle hervor. Bei einem
Kranken dauerte das Brennen 3/, Stunden, bei einem anderen
zwei Stunden. Dagegen spürte Sin anderer Kranker von derzehnpercentiyen Salbe überhaupt gar nichts und einer äusserte
sich sogar, dass ihn die Salbe kühle. Zu bemerken wire
noch, dass es sich in unseren Fällen zum grössten Theile
um eine acute Erkrankung handelte und dass nur bei vierKranken dieselbe mehr als zehn Tage dauerte. Bei den übrigen
dauerte sie nur 4—8 Tage.Was die Zeit anbelangt, während welcher man die Be-
handlung mit Guajakol durchführte,
unseren DO Fällen durchschnittlich 3!/, Tage,
Applicationen bedeutet. Nach dieser Dauer konnte der Kranke
aus dem Krankenhause entlassen oder in ambulatorische Be-
handlung gewiesen werden. Es blieb gewöhnlich den Krankeneine mehr oder weniger bemerkbare Anschwellung und Ver-
härtung des Nebenhodens, manchmal auch eine mässige
Empfindliehkeit beim Drucke zurück. Zu diesem Zweckeverschrieben wir dem Kranken zur weiteren Behandlung die
Zeisslsche Salbe, Suspensorium und Schonung vor.Im Ganzen steht es fest, dass, je acuter und frischer
die Affection war, desto sicherer und prompter die Wirkung
des Guajakols. Im subchronischen Stadium, wenn kein Fieber*) Siehe „Wiener klinische Rundschau“ 1898 Nr. 4
machte man Notizen über die
wie sie sich unter der Guajakolwirkung änderte —der Application der Salbe, bevor noch der
/ Tai T.
dass dieses Mittel im Ganzen und Grossen |
Neben-so betrug dieselbe bei
was siebena
い.
E
⑧
+[
4.
bsb11853801
70
–72