„Ein Kind wird geschlagen“ 1919-002/1931
  • S.

    124 Uber Triebumsetzungen

    des Kastrationskomplexes ein. Die organische Analogie, der-
    zufolge der Darminhalt den Vorläufer des Penis während der
    prägenitalen Phase darstellte, kann als Motiv nicht in Betracht
    kommen; sie findet aber durch die Sexualforschung einen
    psychischen Ersatz.

    Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexualforschung
    als ,,Lumpf* erkannt und mit mächtigem, analerotischem Inter-
    esse besetzt. Einen zweiten Zuzug aus gleicher Quelle erhält
    der Kindwunsch, wenn die soziale Erfahrung lehrt, daß das
    Kind als Liebesbeweis, als Geschenk aufgefaßt werden kann.
    Alle drei, Kotsäule, Penis und Kind, sind feste Körper, welche
    ein Schleimhautrohr (den Enddarm und die ihm nach einem
    guten Worte von Lou Andreas-Salomé gleichsam
    abgemietete Vagina)? bei ihrem Eindringen oder Herausdringen
    erregen. Der infantilen Sexualforschung kann von diesem Sach-
    verhalt nur bekannt werden, daß das Kind denselben Weg
    nimmt wie die Kotsäule; die Funktion des Penis wird von der
    kindlichen Forschung in der Regel nicht aufgedeckt. Doch ist
    es interessant zu sehen, daß eine organische Übereinstimmung
    nach so vielen Umwegen wieder im Psychischen als eine un-
    bewußte Identität zum Vorschein kommt.

    „EIN KIND WIRD GESCHLAGEN“
    Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversionen
    (1919)

    1

    Die Phantasievorstellung: „ein Kind wird geschlagen“ wird
    mit überraschender Häufigkeit von Personen eingestanden, die
    wegen einer Hysterie oder einer Zwangsneurose die analytische

    3) „Anal“ und „Sexual“, Imago IV, 5. 1916.

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 125

    Behandlung aufgesucht haben. Es ist recht wahrscheinlich, daß
    sie noch öfter bei anderen vorkommt, die nicht durch manifeste
    Erkrankung zu diesem Entschluß genötigt worden sind.

    An diese Phantasie sind Lustgefühle geknüpft, wegen welcher
    sie ungezählte Male reproduziert worden ist oder noch immer
    reproduziert wird. Auf der Höhe der vorgestellten Situation
    setzt sich fast regelmäßig eine onanistische Befriedigung (an
    den Genitalien also) durch, anfangs mit Willen der Person,
    aber ebenso späterhin mit Zwangscharakter gegen ihr Wider-
    streben.

    Das Eingeständnis dieser Phantasie erfolgt nur zögernd, die
    Erinnerung an ihr erstes Auftreten ist unsicher, der analytischen
    Behandlung des Gegenstandes tritt ein unzweideutiger Wider-
    stand entgegen, Schämen und Schuldbewußtsein regen sich
    hiebei vielleicht kräftiger als bei ähnlichen Mitteilungen über
    die erinnerten Anfänge des Sexuallebens.

    Es läßt sich endlich feststellen, daß die ersten Phantasien
    dieser Art sehr frühzeitig gepflegt worden sind, gewiß vor
    dem Schulbesuch, schon im fünften und sechsten Jahr. Wenn
    das Kind in der Schule mitangesehen hat, wie andere Kinder
    vom Lehrer geschlagen wurden, so hat dieses‘ Erleben die
    Phantasien wieder hervorgerufen, wenn sie eingeschlafen
    waren, hat sie verstärkt, wenn sie noch bestanden, und ihren
    Inhalt in merklicher Weise modifiziert. Es wurden von da an
    „unbestimmt viele“ Kinder geschlagen. Der Einfluß der Schule
    war so deutlich, daß die betreffenden Patienten zunächst ver-
    sucht waren, ihre Schlagephantasien ausschließlich auf diese
    Eindrücke der Schulzeit, nach dem sechsten Jahr, zurück-
    zuführen. Allein dies ließ sich niemals halten; sie waren schon
    vorher vorhanden gewesen.

    Hörte das Schlagen der Kinder in höheren Schulklassen auf,
    so wurde dessen Einfluß durch die Einwirkung der bald zu
    Bedeutung kommenden Lektüre mehr als nur ersetzt. In dem

  • S.

    126 „Ein Kind wird geschlagen“

    Milieu meiner Patienten waren es fast immer die nimlichen,
    der Jugend zugänglichen Bücher, aus deren Inhalt sich die
    Schlagephantasien neue Anregungen holten: die sogenannte
    Bibliothèque rose, Onkel Toms Hütte und dergleichen. Im
    Wetteifer mit diesen Dichtungen begann die eigene Phantasie-
    tåtigkeit des Kindes, einen Reichtum von Situationen und In-
    stitutionen zu erfinden, in denen Kinder wegen ihrer Schlimm-
    heit und ihrer Unarten geschlagen oder in anderer Weise
    bestraft und geziichtigt werden.

    Da die Phantasievorstellung, ein Kind wird geschlagen,
    regelmäßig mit hoher Lust besetzt war und in einen Akt lust-
    voller, autoerotischer Befriedigung auslief, könnte man er-
    warten, daß auch das Zuschauen, wie ein anderes Kind in der
    Schule geschlagen wurde, eine Quelle ähnlichen Genusses ge-
    wesen sei. Allein dies war nie der Fall. Das Miterleben realer
    Schlageszenen in der Schule rief beim zuschauenden Kinde ein
    eigentümlich aufgeregtes, wahrscheinlich gemischtes Gefühl
    hervor, an dem die Ablehnung einen großen Anteil hatte. In
    einigen Fällen wurde das reale Erleben der Schlageszenen als
    unerträglich empfunden. Übrigens wurde auch in den raf-
    finierten Phantasien spiterer Jahre an der Bedingung fest-
    gehalten, daß den gezüchtigten Kindern kein ernsthafter
    Schaden zugefügt werde.

    Man mußte die Frage aufwerfen, welche Beziehung
    zwischen der Bedeutung der Schlagephantasien und der Rolle
    bestehen möge, die reale körperliche Züchtigungen in der häus-
    lichen Erziehung des Kindes gespielt hätten. Die nächstliegende
    Vermutung, es werde sich hiebei eine umgekehrte Relation
    ergeben, ließ sich infolge der Einseitigkeit des Materials nicht
    erweisen. Die Personen, die den Stoff für die Analyse her-
    gaben, waren in ihrer Kindheit sehr selten geschlagen, waren
    jedenfalls nicht mit Hilfe von Prügeln erzogen worden. Jedes
    dieser Kinder hatte natürlich doch irgendeinmal die überlegene

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 127

    Kørperkraft seiner Eltern oder Erzieher zu spüren bekommen;
    daß es an Schligereien zwischen den Kindern selbst in keiner
    Kinderstube gefehlt, bedarf keiner ausdrücklichen Hervor-
    hebung.

    Bei jenen frühzeitigen und simplen Phantasien, die nicht
    offenkundig auf den Einfluß von Schuleindrücken oder
    Szenen aus der Lektüre hinwiesen, wollte die Forschung gern
    mehr erfahren. Wer war das geschlagene Kind? Das phanta-
    sierende selbst oder ein fremdes? War es immer dasselbe Kind
    oder beliebig oft ein anderes? Wer war es, der das Kind
    schlug? Ein Erwachsener? Und wer dann? Oder phantasierte
    das Kind, daß es selbst ein anderes schlüge? Auf alle diese
    Fragen kam keine aufklärende Auskunft, immer nur die eine
    scheue Antwort: Ich weiß nichts mehr darüber; ein Kind wird
    geschlagen.

    Erkundigungen nach dem Geschlecht des geschlagenen Kindes
    hatten mehr Erfolg, brachten aber auch kein Verständnis.
    Manchmal wurde geantwortet: Immer nur Buben, oder: Nur
    Mädel; öfter hieß es: Das weiß ich nicht, oder: Das ist
    gleichgültig. Das, worauf es dem Fragenden ankam, eine kon-
    stante Beziehung zwischen dem Geschlecht des phantasierenden
    und dem des geschlagenen Kindes, stellte sich niemals heraus,
    Gelegentlich einmal kam noch ein charakteristisches Detail aus
    dem Inhalt der Phantasie zum Vorschein: Das. kleine Kind
    wird auf den nackten Popo geschlagen.

    Unter diesen Umständen konnte man vorerst nicht einmal
    entscheiden, ob die an der Schlagephantasie haftende Lust als
    eine sadistische oder als eine masochistische zu bezeichnen sei.

    11

    Die Auffassung einer solchen, im frühen Kindesalter viel-
    leicht bei zufälligen Anlässen auftauchenden und zur auto-

  • S.

    128 „Ein Kind wird geschlagen“

    erotischen Befriedigung festgehaltenen Phantasie kann nach
    unseren bisherigen Einsichten nur lauten, daß es sich hiebei
    um einen primären Zug von Perversion handle. Eine der
    Komponenten der Sexualfunktion sei den anderen in der Ent-
    wicklung vorangeeilt, habe sich vorzeitig selbständig gemacht,
    sich fixiert und dadurch den späteren Entwicklungsvorgången
    entzogen, damit aber ein Zeugnis fiir eine besondere, anormale
    Konstitution der Person gegeben. Wir wissen, daf eine solche
    infantile Perversion nicht fürs Leben zu verbleiben braucht,
    sie kann noch später der Verdrängung verfallen, durch eine
    Reaktionsbildung ersetzt oder durch eine Sublimierung um-
    gewandelt werden. (Vielleicht ist es aber so, daß die Subli-
    mierung aus einem besonderen Prozeß hervorgeht, welcher
    durch die Verdrängung hintangehalten würde.) Wenn aber
    diese Vorgänge ausbleiben, dann erhält sich die Perversion im
    reifen Leben, und wo wir beim Erwachsenen eine sexuelle Ab-
    irrung — Perversion, Fetischismus, Inversion — vorfinden, da
    erwarten wir mit Recht, ein solches fixierendes Ereignis der
    Kinderzeit durch anamnestische Erforschung aufzudecken. Ja,
    lange vor der Zeit der Psychoanalyse haben Beobachter wie
    Binet die sonderbaren sexuellen Abirrungen der Reifezeit
    auf solche Eindrücke, gerade der nämlichen Kinderjahre von
    fünf oder sechs an, zurückführen können. Man war hiebei
    allerdings auf eine Schranke unseres Verständnisses gestoßen,
    denn den fixierenden Eindrücken fehlte jede traumatische
    Kraft, sie waren zumeist banal und für andere Individuen
    nicht aufregend; man konnte nicht sagen, warum sich das
    Sexualstreben gerade an sie fixiert hatte. Aber man konnte ihre
    Bedeutung darin suchen, daß sie eben der voreiligen und
    sprungbereiten Sexualkomponente den, wenn auch zufälligen,
    Anlaß zur Anheftung geboten hatten, und man mußte ja
    darauf vorbereitet sein, daß die Kette der Kausalverknüpfung
    irgendwo ein vorläufiges Ende finden werde. Gerade die mit-

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 129

    gebrachte Konstitution schien allen Anforderungen an einen
    solchen Haltepunkt zu entsprechen.

    Wenn die frühzeitig losgerissene Sexualkomponente die
    sadistische ist, so bilden wir auf Grund anderswo gewonnener
    Einsicht die Erwartung, daß durch spätere Verdrängung der-
    selben eine Disposition zur Zwangsneurose geschaffen werde.
    Man kann nicht sagen, daß dieser Erwartung durch das Er-
    gebnis der Untersuchung widersprochen wird. Unter den sechs
    Fällen, auf deren eingehendem Studium diese kleine Mitteilung
    aufgebaut ist (vier Frauen, zwei Männer), befanden sich Fälle
    von Zwangsneurose, ein allerschwerster, lebenszerstörender,
    und ein mittelschwerer, der Beeinflussung gut zugänglicher,
    ferner ein dritter, der wenigstens einzelne deutliche Züge der
    Zwangsneurose aufwies. Ein vierter Fall war freilich eine
    glatte Hysterie mit Schmerzen und Hemmungen, und ein
    fünfter, der die Analyse bloß wegen Unschlüssigkeiten im
    Leben aufsuchte, wäre von grober klinischer Diagnostik über-
    haupt nicht klassifiziert oder als ,,Psychasthenie" abgetan
    worden. Man darf in dieser Statistik keine Enttäuschung er-
    blicken, denn erstens wissen wir, daß nicht jegliche Disposition
    sich zur Affektion weiterentwickeln muß, und zweitens darf
    es uns genügen, zu erklären, was vorhanden ist, und dürfen
    wir uns der Aufgabe, auch verstehen zu lassen, warum etwas
    nicht zustande gekommen ist, im allgemeinen entziehen.

    So weit und nicht weiter würden uns unsere gegenwärtigen
    Einsichten ins Verständnis der Schlagephantasien eindringen
    lassen. Eine Ahnung, daß das Problem hiemit nicht erledigt
    ist, regt sich allerdings beim analysierenden Arzte, wenn er
    sich eingestehen muß, daß diese Phantasien meist abseits vom
    übrigen Inhalt der Neurose bleiben und keinen rechten Platz
    in deren Gefüge einnehmen; aber man pflegt, wie ich aus

    eigener Erfahrung weiß, über solche Eindrücke gern hinweg-
    zugehen.

    Freud, Kleine Schriften zur Sexualtheorie

  • S.

    130 „Ein Kind wird geschlagen“

    III

    Streng genommen — und warum sollte man dies nicht so
    streng als möglich nehmen? — verdient die Anerkennung als
    korrekte Psychoanalyse nur die analytische Bemithung, der es
    gelungen ist, die Amnesie zu beheben, welche dem Erwachsenen
    die Kenntnis seines Kinderlebens vom Anfang an (d.h. etwa
    vom zweiten bis zum fünften Jahr) verhiillt. Man kann das
    unter Analytikern nicht laut genug sagen und nicht oft genug
    wiederholen. Die Motive, sich über diese Mahnung hinweg-
    zusetzen, sind ja begreiflich. Man möchte brauchbare Erfolge
    in kiirzerer Zeit und mit geringerer Miihe erzielen. Aber gegen-
    wirtig ist die theoretische Erkenntnis noch ungleich wichtiger
    fiir jeden von uns als der therapeutische Erfolg, und wer die
    Kindheitsanalyse vernachlässigt, muß notwendig den folgen-
    schwersten Irrtümern verfallen. Eine Unterschitzung des Ein-
    flusses späterer Erlebnisse wird durch diese Betonung der
    Wichtigkeit der frühesten nicht bedingt; aber die späteren
    Lebenseindrücke sprechen in der Analyse laut genug durch den
    Mund des Kranken, für das Anrecht der Kindheit muß erst
    der Arzt die Stimme erheben.

    Die Kinderzeit zwischen zwei und vier oder fünf Jahren
    ist diejenige, in welcher die mitgebrachten libidinósen Fak-
    toren von den Erlebnissen zuerst geweckt und an gewisse
    Komplexe gebunden werden. Die hier behandelten Schlage-
    phantasien zeigen sich erst zu Ende oder nach Ablauf dieser
    Zeit. Es könnte also wohl sein, daß sie eine Vorgeschichte
    haben, eine Entwicklung durchmachen, einem Endausgang,
    nicht einer Anfangsiuferung entsprechen.

    Diese Vermutung wird durch die Analyse bestätigt. Die
    konsequente Anwendung derselben lehrt, daß die Schlage-
    phantasien eine gar nicht einfache Entwicklungsgeschichte
    haben, in deren Verlauf sich das meiste an ihnen mehr als

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 131

    einmal ändert: ihre Beziehung zur phantasierenden Person,
    ihr Objekt, Inhalt und ihre Bedeutung.

    Zur leichteren Verfolgung dieser Wandlungen in den
    Schlagephantasien werde ich mir nun gestatten, meine Be-
    schreibungen auf die weiblichen Personen einzuschränken, die
    ohnedies (vier gegen zwei) die Mehrheit meines Materials
    ausmachen. An die Schlagephantasien der Männer knüpft
    außerdem ein anderes Thema an, das ich in dieser Mitteilung
    beiseite lassen will. Ich werde mich dabei bemühen, nicht mehr
    zu schematisieren, als zur Darstellung eines durchschnittlichen
    Sachverhaltes unvermeidlich ist. Mag dann weitere Beob-
    achtung auch eine größere Mannigfaltigkeit der Verhältnisse
    ergeben, so bin ich doch sicher, ein typisches Vorkommnis,
    und zwar nicht von seltener Art, erfaßt zu haben.

    Die erste Phase der Schlagephantasien bei Midchen also
    muß einer sehr frühen Kinderzeit angehören. Einiges an ihnen
    bleibt in merkwürdiger Weise unbestimmbar, als ob es gleich-
    gültig wire. Die kärgliche Auskunft, die man von den Patienten
    bei der ersten Mitteilung erhalten hat: Ein Kind wird ge-
    schlagen, erscheint für diese Phantasie gerechtfertigt. Allein
    anderes ist mit Sicherheit bestimmbar und dann allemal im
    gleichen Sinne. Das geschlagene Kind ist nämlich nie das
    phantasierende, regelmäßig ein anderes Kind, zumeist ein
    Geschwisterchen, wo ein solches vorhanden ist. Da dies Bruder
    oder Schwester sein kann, kann sich hier auch keine konstante
    Beziehung zwischen dem Geschlecht des phantasierenden und
    dem des geschlagenen Kindes ergeben. Die Phantasie ist also
    sicherlich keine masochistische; man möchte sie sadistisch
    nennen, allein man darf nicht außer acht lassen, daß das phan-
    tasierende Kind auch niemals selbst das schlagende ist. Wer
    in Wirklichkeit die schlagende Person ist, bleibt zunächst
    unklar. Es läßt sich nur feststellen: kein anderes Kind, sondern
    ein Erwachsener. Diese unbestimmte erwachsene Person wird

    gt

  • S.

    132 „Ein Kind wird geschlagen“

    dann spåterhin klar und eindeutig als der Vater (des
    Mädchens) erkenntlich.

    Diese erste Phase der Schlagephantasie wird also voll
    wiedergegeben durch den Satz: Der Vater schlägt
    das Kind. Ich verrate viel von dem später aufzuzeigenden
    Inhalt, wenn ich anstatt dessen sage: Der Vater schlägt das
    mir verhafite Kind. Man kann übrigens schwankend
    werden, ob man dieser Vorstufe der späteren Schlagephantasie
    auch schon den Charakter einer „Phantasie“ zuerkennen soll.
    Es handelt sich vielleicht eher um Erinnerungen an solche
    Vorgänge, die man mitangesehen hat, an Wünsche, die bei ver-
    schiedenen Anlässen aufgetreten sind, aber diese Zweifel haben
    keine Wichtigkeit.

    Zwischen dieser ersten und der nächsten Phase haben sich
    große Umwandlungen vollzogen. Die schlagende Person ist
    zwar die nåmliche, die des Vaters, geblieben, aber das ge-
    schlagene Kind ist ein anderes geworden, es ist regelmäßig
    die des phantasierenden Kindes selbst, die Phantasie ist in
    hohem Grade lustbetont und hat sich mit einem bedeutsamen
    Inhalt erfüllt, dessen Ableitung uns später beschäftigen wird.
    Ihr Wortlaut ist jetzt also: Ich werde vom Vater
    geschlagen. Sie hat unzweifelhaft masochistischen Cha-
    rakter.

    Diese zweite Phase ist die wichtigste und folgenschwerste
    von allen. Aber man kann in gewissem Sinne von ihr sagen,
    sie habe niemals eine reale Existenz gehabt. Sie wird in keinem
    Falle erinnert, sie hat es nie zum Bewufitwerden gebracht.
    Sie ist eine Konstruktion der Analyse, aber darum nicht
    minder eine Notwendigkeit.

    Die dritte Phase åhnelt wiederum der ersten. Sie hat den
    aus der Mitteilung der Patientin bekannten Wortlaut. Die
    schlagende Person ist niemals die des Vaters, sie wird ent-
    weder wie in der ersten Phase unbestimmt gelassen oder in

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 133

    typischer Weise durch einen Vatervertreter (Lehrer) ersetzt.
    Die eigene Person des phantasierenden Kindes kommt in der
    Schlagephantasie nicht mehr zum Vorschein. Auf eindringliches
    Befragen äußern die Patienten nur: Ich schaue wahrscheinlich
    zu. Anstatt des einen geschlagenen Kindes sind jetzt meistens
    viele Kinder vorhanden. Überwiegend häufig sind es (in den
    Phantasien der Mädchen) Buben, die geschlagen werden, aber
    auch nicht individuell bekannte. Die ursprünglich einfache und
    monotone Situation des Geschlagenwerdens kann die mannig-
    faltigsten Abänderungen und Ausschmückungen erfahren, das
    Schlagen selbst durch Strafen und Demütigungen anderer Art
    ersetzt werden. Der wesentliche Charakter aber, der auch die
    einfachsten Phantasien dieser Phase von denen der ersten unter-
    scheidet und der die Beziehung zur mittleren Phase herstellt,
    ist der folgende: die Phantasie ist jetzt der Träger einer
    starken, unzweideutig sexuellen Erregung und vermittelt als
    solcher die onanistische Befriedigung. Gerade das ist aber das
    Rätselhafte; auf welchem Wege ist die nunmehr sadistische
    Phantasie, daß fremde und unbekannte Buben geschlagen
    werden, zu dem von da an dauernden Besitz der libidinösen
    Strebung des kleinen Mädchens gekommen?

    Wir verhehlen uns auch nicht, daß Zusammenhang und Auf-
    einanderfolge der drei Phasen der Schlagephantasie wie alle

    ihre anderen Eigentümlichkeiten bisher ganz unverständlich ge-
    blieben sind.

    IV

    Führt man die Analyse durch jene frühen Zeiten, in die
    die Schlagephantasie verlegt und aus denen sie erinnert wird,
    so zeigt sie das Kind in die Erregungen seines Elternkomplexes
    verstrickt.

    Das kleine Mädchen ist zärtlich an den Vater fixiert, der
    wahrscheinlich alles getan hat, um seine Liebe zu gewinnen,

  • S.

    134 „Ein Kind wird geschlagen“

    und legt dabei den Keim zu einer Haß- und Konkurrenz-
    einstellung gegen die Mutter, die neben einer Strömung von
    zärtlicher Anhånglichkeit bestehen bleibt, und der vorbehalten
    sein kann, mit den Jahren immer stärker und deutlicher bewußt
    zu werden oder den Anstoß zu einer übergroßen reaktiven
    Liebesbindung an sie zu geben. Aber nicht an das Verhältnis
    zur Mutter kniipft die Schlagephantasie an. Es gibt in der
    Kinderstube noch andere Kinder, um ganz wenige Jahre älter
    oder jünger, die man aus allen anderen Gründen, hauptsächlich
    aber darum nicht mag, weil man die Liebe der Eltern mit ihnen
    teilen soll, und die man darum mit der ganzen wilden Energie,
    die dem Gefihlsleben dieser Jahre eigen ist, von sich stößt.
    Ist es ein jiingeres Geschwisterchen (wie in drei von meinen
    vier Füllen), so verachtet man es, außerdem daß man es haft,
    und muß doch zusehen, wie es jenen Anteil von Zärtlichkeit
    an sich zieht, den die verblendeten Eltern jedesmal fiir das
    Jüngste bereit haben. Man versteht bald, daß Geschlagen-
    werden, auch wenn es nicht sehr wehe tut, eine Absage der
    Liebe und eine Demiitigung bedeutet. So manches Kind, das
    sich fiir sicher thronend in der unerschütterlichen Liebe seiner
    Eltern hielt, ist durch einen einzigen Schlag aus allen Himmeln
    seiner eingebildeten Allmacht gestürzt worden. Also ist es eine
    behagliche Vorstellung, daß der Vater dieses verhaftte Kind
    schlägt, ganz unabhängig davon, ob man gerade ihn schlagen
    gesehen hat. Es heißt: der Vater liebt dieses andere Kind nicht,
    er liebt nur mich.

    Dies ist also Inhalt und Bedeutung der Schlagephantasie in
    ihrer ersten Phase. Die Phantasie befriedigt offenbar die Eifer-
    sucht des Kindes und hängt von seinem Liebesleben ab, aber
    sie wird auch von dessen egoistischen Interessen kräftig ge-
    stützt. Es bleibt also zweifelhaft, ob man sie als eine rein
    „sexuelle“ bezeichnen darf; auch eine ,,sadistische“ getraut
    man sich nicht, sie zu nennen. Man weiß ja, daß gegen den

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 135

    Ursprung hin alle die Kennzeichen zu verschwimmen pflegen,
    auf welche wir unsere Unterscheidungen aufzubauen gewohnt
    sind. Also vielleicht ähnlich wie die Verheißung der drei
    Schicksalsschwestern an Ban quo lautete: nicht sicher sexuell,
    nicht selbst sadistisch, aber doch der Stoff, aus dem später
    beides werden soll. Keinesfalls aber liegt ein Grund zur Ver-
    mutung vor, daß schon diese erste Phase der Phantasie einer
    Erregung dient, welche sich unter Inanspruchnahme der Geni-
    talien Abfuhr in einem onanistischen Akt zu verschaffen lernt,

    In dieser vorzeitigen Objektwahl der inzestuGsen Liebe er-
    reicht das Sexualleben des Kindes offenbar die Stufe der
    genitalen Organisation. Es ist dies fiir den Knaben leichter
    nachzuweisen, aber auch fürs kleine Mädchen nicht zu be-
    zweifeln. Etwas wie eine Ahnung der späteren definitiven und
    normalen Sexualziele beherrscht das libidinöse Streben des
    Kindes; man mag sich füglich verwundern, woher es kommt,
    darf es aber als Beweis dafür nehmen, daß die Genitalien ihre
    Rolle beim Erregungsvorgang bereits angetreten haben. Der
    Wunsch, mit der Mutter ein Kind zu haben, fehlt nie beim
    Knaben; der Wunsch, vom Vater ein Kind zu bekommen, ist
    beim Mädchen konstant, und dies bei völliger Unfähigkeit, sich
    Klarheit über den Weg zu schaffen, der zur Erfüllung dieser
    Wünsche führen kann. Daß die Genitalien etwas damit zu tun
    haben, scheint beim Kinde festzustehen, wenngleich seine
    grübelnde Tätigkeit das Wesen der zwischen den Eltern voraus-
    gesetzten Intimität in andersartigen Beziehungen suchen mag,
    z. В. im Beisammenschlafen, in gemeinsamer Harnentleerung
    und dergleichen und solcher Inhalt eher in Wortvorstellungen
    erfaßt werden kann als das Dunkle, das mit dem Genitalen
    zusammenhängt.

    Allein es kommt die Zeit, zu der diese frühe Blüte vom
    Frost geschädigt wird; keine dieser inzestuösen Verliebtheiten
    kann dem Verhängnis der Verdrängung entgehen. Sie verfallen

  • S.

    136 „Ein Kind wird geschlagen“

    ihr entweder bei nachweisbaren äußeren Anlässen, die eine
    Enttäuschung hervorrufen, bei unerwarteten Kränkungen, bei
    der unerwiinschten Geburt eines neuen Geschwisterchens, die
    als Treulosigkeit empfunden wird usw., oder ohne solche Ver-
    anlassungen, von innen heraus, vielleicht nur infolge des Aus-
    bleibens der zu lange ersehnten Erfüllung, Es ist unverkennbar,
    daß die Veranlassungen nicht die wirkenden Ursachen sind,
    sondern daß es diesen Liebesbeziehungen bestimmt ist, irgend
    einmal unterzugehen, wir können nicht sagen, woran. Am
    wahrscheinlichsten ist es, daß sie vergehen, weil ihre Zeit um
    ist, weil die Kinder in eine neue Entwicklungsphase eintreten,
    in welcher sie genötigt sind, die Verdrängung der inzestuósen
    Objektwahl aus der Menschheitsgeschichte zu wiederholen, wic
    sie vorher gedrängt waren, solche Objektwahl vorzunehmen.
    (Siehe das Schicksal in der Odipusmythe.) Was als psychisches
    Ergebnis der inzestuósen Liebesregungen unbewufit vorhanden
    ist, wird vom Bewußtsein der neuen Phase nicht mehr über-
    nommen, was davon bereits bewußt geworden war, wieder
    herausgedringt. Gleichzeitig mit diesem Verdrångungsvorgang
    erscheint ein Schuldbewufitsein, auch dieses unbekannter Her-
    kunft, aber ganz unzweifelhaft an jene Inzestwünsche geknüpft
    und durch deren Fortdauer im Unbewuften gerechtfertigt.

    Die Phantasie der inzestuósen Liebeszeit hatte gesagt: Er
    (der Vater) liebt nur mich, nicht das andere Kind, denn dieses
    schlägt er ja. Das Schuldbewufitsein weiß keine härtere Strafe
    zu finden als die Umkehrung dieses Triumphes: „Nein, er
    liebt dich nicht, denn er schlägt dich.“ So würde die Phantasie
    der zweiten Phase, selbst vom Vater geschlagen zu werden,
    zum direkten Ausdruck des Schuldbewufitseins, dem nun die
    Liebe zum Vater unterliegt. Sie ist also masochistisch geworden;
    meines Wissens ist es immer so, jedesmal ist das Schuldbewufit-

    1) Siehe die Fortführung in „Der Untergang des Odipus-
    komplexes“ r924. [Ges. Schriften, Bd. V.]

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 137

    sein das Moment, welches den Sadismus zum Masochismus-um-
    wandelt. Dies ist aber gewiß nicht der ganze Inhalt des
    Masochismus. Das Schuldbewußtsein kann nicht allein das Feld
    behauptet haben; der Liebesregung muß auch ihr Anteil
    werden. Erinnern wir uns daran, daß es sich um Kinder
    handelt, bei denen die sadistische Komponente aus konstitu-
    tionellen Gründen vorzeitig und isoliert hervortreten konnte.
    Wir brauchen diesen Gesichtspunkt nicht aufzugeben. Bei eben
    diesen Kindern ist ein Rückgreifen auf die prägenitale, sadi-
    stisch-anale Organisation des Sexuallebens besonders erleichtert.
    Wenn die kaum erreichte genitale Organisation von der Ver-
    drängung betroffen wird, so tritt nicht nur die eine Folge auf,
    daß jegliche psychische Vertretung der inzestuösen Liebe
    unbewußt wird oder bleibt, sondern es kommt noch als andere
    Folge hinzu, daß die Genitalorganisation selbst eine regressive
    Erniedrigung erfährt. Das: Der Vater liebt mich, war im
    genitalen Sinne gemeint; durch die Regression verwandelt es
    sich in: Der Vater schlägt mich (ich werde vom Vater ge-
    schlagen). Dies Geschlagenwerden ist nun ein Zusammentreffen
    von Schuldbewufttsein und Erotik; es ist nicht nur
    die Strafe für die verpónte genitale Be-
    ziehung, sondern auch der regressive Er-
    satz für sie, und aus dieser letzteren Quelle bezieht es
    die libidinóse Erregung, die ihm von nun anhaften und in
    onanistischen Akten Abfuhr finden wird. Dies ist aber erst
    das Wesen des Masochismus.

    Die Phantasie der zweiten Phase, selbst vom Vater ge-
    schlagen zu werden, bleibt in der Regel unbewuft, wahr-
    scheinlich infolge der Intensitit der Verdringung. Ich kann
    nicht angeben, warum sie doch in einem meiner sechs Fille
    (einem männlichen) bewußt erinnert wurde. Dieser jetzt er-
    wachsene Mann hatte es klar im Gedächtnis bewahrt, daß er
    die Vorstellung, von der Mutter geschlagen zu werden, zu

  • S.

    138 „Ein Kind wird geschlagen“

    onanistischen Zwecken zu gebrauchen pflegte; allerdings er-
    setzte er die eigene Mutter bald durch die Miitter von Schul-
    kollegen oder andere, ihr irgendwie ähnliche Frauen. Es ist
    nicht zu vergessen, daß bei der Verwandlung der inzestučsen
    Phantasie des Knaben in die entsprechende masochistische eine
    Umkehrung mehr vor sich geht als im Falle des Mädchens,
    nämlich die Ersetzung von Aktivität durch Passivität, und
    dies Mehr von Entstellung mag die Phantasie vor dem Un-
    bewuftbleiben als Erfolg der Verdrängung schützen. Dem
    Schuldbewuftsein hätte so die Regression an Stelle der Ver-
    drångung geniigt; in den weiblichen Fållen wåre das, vielleicht
    an sich anspruchsvollere, Schuldbewuftsein erst durch das Zu-
    sammenwirken beider begütigt worden.

    In zweien meiner vier weiblichen Fálle hatte sich über der
    masochistischen Schlagephantasie ein kunstvoller, für das
    Leben der Betreffenden sehr bedeutsamer Uberbau von Tag-
    tråumen entwickelt, dem die Funktion zufiel, das Gefiihl der
    befriedigten Erregung auch bei Verzicht auf den onanistischen
    Akt möglich zu machen. In einem dieser Fille durfte der
    Inhalt, vom Vater geschlagen zu werden, sich wieder ins
    Bewußtsein wagen, wenn das eigene Ich durch leichte Ver-
    kleidung unkenntlich gemacht war. Der Held dieser Ge-
    schichten wurde regelmäßig vom Vater geschlagen, später nur
    gestraft, gedemiitigt usw.

    Ich wiederhole aber, in der Regel bleibt die Phantasie un-
    bewußt und muß erst in der Analyse rekonstruiert werden.
    Dies läßt vielleicht den Patienten recht geben, die sich er-
    innern wollen, die Onanie sei bei ihnen früher aufgetreten als
    die — gleich zu besprechende — Schlagephantasie der dritten
    Phase; letztere habe sich erst später hinzugesellt, etwa unter
    dem Eindruck von Schulszenen. Sooft wir diesen Angaben
    Glauben schenkten, waren wir immer geneigt anzunehmen,
    die Onanie sei zunächst unter der Herrschaft unbewufter

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 139

    Phantasien gestanden, die später durch bewußte ersetzt
    wurden.

    Als solchen Ersatz fassen wir dann die bekannte Schlage-
    phantasie der dritten Phase auf, die endgültige Gestaltung
    derselben, in der das phantasierende Kind höchstens noch als
    Zuschauer vorkommt, der Vater in der Person eines Lehrers
    oder sonstigen Vorgesetzten erhalten ist. Die Phantasie, die
    nun jener der ersten Phase ähnlich ist, scheint sich wieder ins
    Sadistische gewendet zu haben. Es macht den Eindruck, als
    wire in dem Satze: Der Vater schlägt das andere Kind, er
    liebt nur mich, der Akzent auf den ersten Teil zurückgewichen,
    nachdem der zweite der Verdringung erlegen ist. Allein nur
    die Form dieser Phantasie ist sadistisch, die Befriedigung, die
    aus ihr gewonnen wird, ist eine masochistische, ihre Bedeutung
    liegt darin, daß sie die libidinóse Besetzung des verdrängten
    Anteils übernommen hat und mit dieser auch das am Inhalt
    haftende Schuldbewuftsein. Alle die vielen unbestimmten
    Kinder, die vom Lehrer geschlagen werden, sind doch nur Er-
    setzungen der eigenen Person.

    Hier zeigt sich auch zum erstenmal etwas wie eine Konstanz
    des Geschlechtes bei den der Phantasie dienenden Personen.
    Die geschlagenen Kinder sind fast durchweg Knaben, in den
    Phantasien der Knaben ebensowohl wie in denen der Mädchen,
    Dieser Zug erklärt sich greifbarerweise nicht aus einer etwaigen
    Konkurrenz der Geschlechter, denn sonst müßten ja in den
    Phantasien der Knaben viel mehr Mädchen geschlagen werden;
    er hat auch nichts mit dem Geschlecht des gehafiten Kindes
    der ersten Phase zu tun, sondern er weist auf einen kom-
    plizierenden Vorgang bei den Midchen hin. Wenn sie sich
    von der genital gemeinten inzestudsen Liebe zum Vater ab-
    wenden, brechen sie iiberhaupt leicht mit ihrer weiblichen Rolle,
    beleben ihren ,,Minnlichkeitskomplex (van Ophuijsen)
    und wollen von da an nur Buben sein. Daher sind auch ihre

  • S.

    140 „Ein Kind wird geschlagen“

    Priigelknaben, die sie vertreten, Buben. In beiden Fällen von
    Tagtriumen — der eine erhob sich beinahe zum Niveau einer
    Dichtung — waren die Helden immer nur junge Männer, ja
    Frauen kamen in diesen Schôpfungen überhaupt nicht vor und
    fanden erst nach vielen Jahren in Nebenrollen Aufnahme.

    Ich hoffe, ich habe meine analytischen Erfahrungen detailliert
    genug vorgetragen und bitte nur noch in Betracht zu ziehen,
    daß die oft erwähnten sechs Fille nicht mein Material er-
    schöpfen, sondern daß ich auch wie andere Analytiker über
    eine weit größere Anzahl von minder gut untersuchten Fällen
    verfüge. Diese Beobachtungen können nach mehreren Rich-
    tungen verwertet werden, zur Aufklärung über die Genese
    der Perversionen überhaupt, im besonderen des Masochismus,
    und zur Würdigung der Rolle, welche der Geschlechtsunter-
    schied in der Dynamik der Neurose spielt.

    Das augenfilligste Ergebnis einer solchen Diskussion be-
    trifft die Entstehung der Perversionen. An der Auffassung,
    die bei ihnen die konstitutionelle Verstårkung oder Voreiligkeit
    einer Sexualkomponente in den Vordergrund riickt, wird zwar
    nicht geriittelt, aber damit ist nicht alles gesagt. Die Perversion
    steht nicht mehr isoliert im Sexualleben des Kindes, sondern
    sie wird in den Zusammenhang der uns bekannten typischen
    — um nicht zu sagen: normalen — Entwicklungsvorgånge
    aufgenommen. Sie wird in Beziehung zur inzestuósen Objekt-
    liebe des Kindes, zum Udipuskomplex desselben, gebracht,
    tritt auf dem Boden dieses Komplexes zuerst hervor, und nach-
    dem er zusammengebrochen ist, bleibt sie, oft allein, von ihm
    übrig, als Erbe seiner libidinôsen Ladung und belastet mit
    dem an ihm haftenden Schuldbewufitsein. Die abnorme Sexual-
    konstitution hat schließlich ihre Stärke darin gezeigt, daß sie

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 141

    den Odipuskomplex in eine besondere Richtung gedrängt und
    ihn zu einer ungewöhnlichen Resterscheinung gezwungen hat.

    Die kindliche Perversion kann, wie bekannt, das Fundament
    fiir die Ausbildung einer gleichsinnigen, durchs Leben be-
    stehenden Perversion werden, die das ganze Sexualleben des
    Menschen aufzehrt, oder sie kann abgebrochen werden und im
    Hintergrunde einer normalen Sexualentwicklung erhalten
    bleiben, der sie dann doch immer einen gewissen Energiebetrag
    entzieht. Der erstere Fall ist der bereits in voranalytischen
    Zeiten erkannte, aber die Kluft zwischen beiden wird durch die
    analytische Untersuchung solcher ausgewachsener Perversionen
    nahezu ausgefüllt. Man findet nämlich häufig genug bei diesen
    Perversen, daß auch sie gewöhnlich in der Pubertätszeit einen
    Ansatz zur normalen Sexualtätigkeit gebildet haben. Aber der
    war nicht kräftig genug, wurde vor den ersten, nie aus-
    bleibenden Hindernissen aufgegeben, und dann griff die Person
    endgültig auf die infantile Fixierung zurück,

    Es wäre natürlich wichtig zu wissen, ob man die Entstehung
    der infantilen Perversionen aus dem Odipuskomplex ganz
    allgemein behaupten darf. Das kann ja ohne weitere Unter-
    suchungen nicht entschieden werden, aber unmöglich erschiene
    es nicht. Wenn wir der Anamnesen gedenken, die von den
    Perversionen Erwachsener gewonnen wurden, so merken wir
    doch, daß der mafigebende Eindruck, das „erste Erlebnis“, all
    dieser Perversen, Fetischisten и. dgl. fast niemals in Zeiten
    früher als das sechste Jahr verlegt wird. Um diese Zeit ist die
    Herrschaft des Odipuskomplexes aber bereits abgelaufen; das
    erinnerte, in so ritselhafter Weise wirksame Erlebnis konnte
    schr wohl die Erbschaft desselben vertreten haben. Die Be-
    ziehungen zwischen ihm und dem nun verdrångten Komplex
    müssen dunkle bleiben, solange nicht die Analyse in die Zeit
    hinter dem ersten ,,pathogenen” Eindruck Licht getragen hat.
    Man erwige nun, wie wenig Wert zum Beispiel die Be-

  • S.

    142 „Ein Kind wird geschlagen“

    hauptung einer angeborenen Homosexualität hat, die sich auf
    die Mitteilung stiitzt, die betreffende Person habe schon vom
    achten oder vom sechsten Jahre an nur Zuneigung zum
    gleichen Geschlecht verspürt.

    Wenn aber die Ableitung der Perversionen aus dem
    Odipuskomplex allgemein durchführbar ist, dann hat unsere
    Würdigung desselben eine neue Bekräftigung erfahren. Wir
    meinen ja, der Odipuskomplex sei der eigentliche Kern der
    Neurose, die infantile Sexualität, die in ihm gipfelt, die wirk-
    liche Bedingung der Neurose, und was von ihm im Un-
    bewußten erübrigt, stelle die Disposition zur späteren neuroti-
    schen Erkrankung des Erwachsenen dar. Die Schlagephantasie
    und andere analoge perverse Fixierungen wären dann auch
    nur Niederschläge des Odipuskomplexes, gleichsam Narben
    nach dem abgelaufenen Prozeß, geradeso wie die berüchtigte
    „Minderwertigkeit“ einer solchen narzißtischen Narbe ent-
    spricht. Ich muß in dieser Auffassung Marcinowski, der
    sie kürzlich in glücklicher Weise vertreten hat (Die erotischen
    Quellen der Minderwertigkeitsgefühle, Zeitschrift für Sexual-
    wissenschaft, IV, 1918), uneingeschränkt beistimmen. Dieser
    Kleinheitswahn der Neurotiker ist bekanntlich auch nur ein
    partieller und mit der Existenz von Selbstüberschätzung aus
    anderen Quellen vollkommen verträglich. Über die Herkunft
    des Odipuskomplexes selbst und über das den Menschen wahr-
    scheinlich allein unter allen Tieren zugemessene Schicksal, das
    Sexualleben zweimal beginnen zu müssen, zuerst wie alle
    anderen Geschöpfe von früher Kindheit an und dann nach
    langer Unterbrechung in der Pubertätszeit von neuem, über
    all das, was mit seinem ,,archaischen Erbe" zusammenhängt,
    habe ich mich an anderer Stelle geäußert, und darauf gedenke
    ich hier nicht einzugehen.

    Zur Genese des Masochismus liefert die Diskussion unserer
    Schlagephantasien nur spirliche Beiträge. Es scheint sich zu-

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 143

    nächst zu bestätigen, daß der Masochismus keine primäre
    Triebäußerung ist, sondern aus einer Rückwendung des
    Sadismus gegen die eigene Person, also durch Regression vom
    Objekt aufs Ich entsteht. (Vgl. „Triebe und Triebschicksale“
    Bd. V der Ges. Schriften.) Triebe mit passivem Ziele sind,
    zumal beim Weibe, von Anfang zuzugeben, aber die Passivitåt
    ist noch nicht das Ganze des Masochismus; es gehórt noch der
    Unlustcharakter dazu, der bei einer Trieberfiillung so be-
    fremdlich ist. Die Umwandlung des Sadismus in Masochismus
    scheint durch den Einfluß des am Verdrångungsakt beteiligten
    Schuldbewufitseins zu geschehen. Die Verdrängung äußert sich
    also hier in dreierlei Wirkungen; sie macht die Erfolge der
    Genitalorganisation unbewuft, nótigt diese selbst zur Re-
    gression auf die frühere sadistisch-anale Stufe und verwandelt
    deren Sadismus in den passiven, in gewissem Sinne wiederum
    narzifitischen Masochismus. Der mittlere dieser drei Erfolge
    wird durch die in diesen Fällen anzunehmende Schwäche der
    Genitalorganisation ermöglicht; der dritte wird notwendig,
    weil das Schuldbewuftsein am Sadismus ähnlichen Anstoß
    nimmt wie an der genital gefafiten inzestuósen Objektwahl.
    Woher das Schuldbewufitsein selbst stammt, sagen wiederum
    die Analysen nicht. Es scheint von der neuen Phase, in die das
    Kind eintritt, mitgebracht zu werden, und wenn es von da an
    verbleibt, einer ähnlichen Narbenbildung, wie es das Minder-
    wertigkeitsgefühl ist, zu entsprechen. Nach unserer bisher noch
    unsicheren Orientierung in der Struktur des Ichs würden wir
    es jener Instanz zuteilen, die sich als kritisches Gewissen dem
    übrigen Ich entgegenstellt, im Traum das Silberersche
    funktionale Phänomen erzeugt und sich im Beachtungswahn
    vom Ich ablöst.

    Im Vorbeigehen wollen wir auch zur Kenntnis nehmen,
    daß die Analyse der hier behandelten kindlichen Perversion
    auch ein altes Rätsel lösen hilft, welches allerdings die außer-

  • S.

    144 „Ein Kind wird geschlagen“

    halb der Analyse Stehenden immer mehr gequält hat als die
    Analytiker selbst. Aber noch kürzlich hat selbst E. Bleuler
    als merkwürdig und unerklirlich anerkannt, daß von den
    Neurotikern die Onanie zum Mittelpunkt ihres Schuldbewußt-
    seins gemacht werde. Wir haben von jeher angenommen, daß
    dies Schuldbewuftsein die friihkindliche und nicht die Puber-
    tåtsonanie meine, und daß es zum größten Teil nicht auf den
    onanistischen Akt, sondern auf die ihm zugrunde liegende,
    wenn auch unbewuftte Phantasie — aus dem Udipuskomplex
    also — zu beziehen sei.

    Ich habe bereits ausgeführt, welche Bedeutung die dritte,
    scheinbar sadistische Phase der Schlagephantasie als Träger
    der zur Onanie dringenden Erregung gewinnen, und zu
    welcher teils gleichsinnig fortsetzenden, teils kompensatorisch
    aufhebenden Phantasietätigkeit sie anzuregen pflegt. Doch
    ist die zweite, unbewußte und masochistische Phase, die
    Phantasie, selbst vom Vater geschlagen zu werden, die un-
    gleich wichtigere. Nicht nur, daß sie ja durch Vermittlung
    der sie ersetzenden fortwirkt; es sind auch Wirkungen auf
    den Charakter nachzuweisen, welche sich unmittelbar von
    ihrer unbewußten Fassung ableiten. Menschen, die eine solche
    Phantasie bei sich tragen, entwickeln eine besondere Empfind-
    lichkeit und Reizbarkeit gegen Personen, die sie in die Vater-
    reihe einfügen können; sie lassen sich leicht von ihnen kränken
    und bringen so die Verwirklichung der phantasierten Situation,
    daß sie vom Vater geschlagen werden, zu ihrem Leid und
    Schaden zustande. Ich würde nicht verwundert sein, wenn
    es einmal gelänge, dieselbe Phantasie als Grundlage des
    paranoischen Querulantenwahns nachzuweisen.

    VI
    Die Beschreibung der infantilen Schlagephantasien wäre
    völlig. unübersichtlich geraten, wenn ich sie nicht, von wenigen

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 145

    Beziehungen abgesehen, auf die Verhältnisse bei weiblichen
    Personen eingeschränkt hätte. Ich wiederhole kurz die Er-
    gebnisse: Die Schlagephantasie der kleinen Mädchen macht
    drei Phasen durch, von denen die erste und letzte als bewußt
    erinnert werden, die mittlere unbewußt bleibt. Die beiden
    bewußten scheinen sadistisch, die mittlere, unbewußte, ist un-
    zweifelhaft masochistischer Natur; ihr Inhalt ist, vom Vater
    geschlagen zu werden, an ihr hängt die libidinöse Ladung und
    das Schuldbewußtsein. Das geschlagene Kind ist in den beiden
    ersteren Phantasien stets ein anderes, in der mittleren Phase
    nur die eigene Person, in der dritten, bewußten Phase sind es
    weit überwiegend nur Knaben, die geschlagen werden. Die
    schlagende Person ist von Anfang an der Vater, später ein
    Stellvertreter aus der Vaterreihe. Die unbewußte Phantasie der
    mittleren Phase hatte ursprünglich genitale Bedeutung, ist
    durch Verdrängung und Regression aus dem inzestuösen
    Wunsch, vom Vater geliebt zu werden, hervorgegangen. In
    anscheinend lockerem Zusammenhange schließt sich an,
    daß die Mädchen zwischen der zweiten und dritten Phase
    ihr Geschlecht wechseln, indem sie sich zu Knaben phanta-
    sieren.

    In der Kenntnis der Schlagephantasien der Knaben bin ich,
    vielleicht nur durch die Ungunst des Materials, weniger weit
    gekommen. Ich habe begreiflicherweise volle Analogie der
    Verhältnisse bei Knaben und Mädchen erwartet, wobei an
    die Stelle des Vaters in der Phantasie die Mutter hätte treten
    müssen. Die Erwartung schien sich auch zu bestätigen, denn
    die für entsprechend gehaltene Phantasie des Knaben hatte
    zum Inhalt, von der Mutter (später von einer Ersatzperson)
    geschlagen zu werden. Allein diese Phantasie, in welcher die
    eigene Person als Objekt festgehalten war, unterschied sich
    von der zweiten Phase bei Mädchen dadurch, daß sie bewußt
    werden konnte. Wollte man sie aber darum eher der dritten

    Freud, Kleine Schriften zur Sexualtheorie 10

  • S.

    146 „Ein Kind wird geschlagen“

    Phase beim Midchen gleichstellen, so blieb als neuer Unter-
    schied, daß die eigene Person des Knaben, nicht durch viele,
    unbestimmte, fremde, am wenigsten durch viele Mädchen er-
    setzt war. Die Erwartung eines vollen Parallelismus hatte sich
    also getäuscht.

    Mein minnliches Material umfaßte nur wenige Fille mit
    infantiler Schlagephantasie ohne sonstige grobe Schidigung
    der Sexualtätigkeit, dagegen eine größere Anzahl von Per-
    sonen, die als richtige Masochisten im Sinne der sexuellen
    Perversion bezeichnet werden mußten. Es waren entweder
    solche, die ihre Sexualbefriedigung ausschließlich in Onanie bei
    masochistischen Phantasien fanden, oder denen es gelungen
    war, Masochismus und Genitalbetätigung so zu verkoppeln,
    daß sie bei masochistischen Veranstaltungen und unter eben-
    solchen Bedingungen Erektion und Ejakulation erzielten oder
    zur Ausführung eines normalen Koitus befähigt wurden. Dazu
    kam der seltenere Fall, daß ein Masochist in seinem perversen
    Tun durch unerträglich stark auftretende Zwangsvorstellungen
    gestört wurde. Befriedigte Perverse haben nun selten Grund,
    die Analyse aufzusuchen; fiir die drei angeführten Gruppen
    von Masochisten können sich aber starke Motive ergeben, die
    sie zum Analytiker führen. Der masochistische Onanist findet
    sich absolut impotent, wenn er endlich doch den Koitus mit
    dem Weibe versucht, und wer bisher mit Hilfe einer maso-
    chistischen Vorstellung oder Veranstaltung den Koitus zu-
    standegebracht hat, kann plötzlich die Entdeckung machen,
    daß dies ihm bequeme Bündnis versagt hat, indem das Genitale
    auf den masochistischen Anreiz nicht mehr reagiert. Wir sind
    gewohnt, den psychisch Impotenten, die sich in unsere Be-
    handlung begeben, zuversichtlich Herstellung zu versprechen,
    aber wir sollten auch in dieser Prognose zurückhaltender sein,
    solange uns die Dynamik der Störung unbekannt ist. Es ist
    eine böse Überraschung, wenn uns die Analyse als Ursache der

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 147

    „bloß psychischen“ Impotenz eine exquisite, vielleicht längst
    eingewurzelte, masochistische Einstellung enthüllt.

    Bei diesen masochistischen Männern macht man nun eine
    Entdeckung, welche uns mahnt, die Analogie mit den Ver-
    hältnissen beim Weibe vorerst nicht weiter zu verfolgen,
    sondern den Sachverhalt selbständig zu beurteilen. Es stellt
    sich nämlich heraus, daß sie in den masochistischen Phantasien
    wie bei den Veranstaltungen zur Realisierung derselben sich
    regelmäßig in die Rolle von Weibern versetzen, daß also ihr
    Masochismus mit einer femininen Einstellung zusammen-
    fällt. Dies ist aus den Einzelheiten der Phantasien leicht nach-
    zuweisen; viele Patienten wissen es aber auch und äußern es
    als eine subjektive Gewißheit. Daran wird nichts geändert,
    wenn der spielerische Aufputz der masochistischen Szene an
    der Fiktion eines unartigen Knaben, Pagen oder Lehrlings,
    der gestraft werden soll, festhält. Die züchtigenden Personen
    sind aber in den Phantasien wie in den Veranstaltungen
    jedesmal Frauen. Das ist verwirrend genug; man möchte auch
    wissen, ob schon der Masochismus der infantilen Schlage-
    phantasie auf solcher femininen Einstellung beruht.?

    Lassen wir darum die schwer aufzuklärenden Verhältnisse
    des Masochismus der Erwachsenen beiseite und wenden uns
    zu den infantilen Schlagephantasien beim männlichen Ge-
    schlecht. Hier gestattet uns die Analyse der frühesten Kinder-
    zeit wiederum, einen überraschenden Fund zu machen: Die
    bewußte oder bewußtseinsfähige Phantasie des Inhalts, von
    der Mutter geschlagen zu werden, ist nicht primär. Sie hat ein
    Vorstadium, das regelmäßig unbewuft ist und das den Inhalt
    hat: Ich werde vom Vater geschlagen. Dieses
    Vorstadium entspricht also wirklich der zweiten Phase der
    Phantasie beim Mädchen. Die bekannte und bewufite Phantasie:

    2) Weiteres darüber in „Das ökonomische Problem des Maso-
    chismus“ 1924. [S. 193 ff. dieses Bandes.]

    10%

  • S.

    148 „Ein Kind wird geschlagen“

    Ich werde von der Mutter geschlagen, steht an der Stelle der
    dritten Phase beim Mädchen, in der, wie erwähnt, unbekannte
    Knaben die geschlagenen Objekte sind. Ein der ersten Phase
    beim Mädchen vergleichbares Vorstadium sadistischer Natur
    konnte ich beim Knaben nicht nachweisen, aber ich will hier
    keine endgültige Ablehnung aussprechen, denn ich sehe die
    Möglichkeit komplizierterer Typen wohl ein.

    Das Geschlagenwerden der minnlichen Phantasie, wie ich
    sie kurz und hoffentlich nicht mißverständlich nennen werde,
    ist gleichfalls ein durch Regression erniedrigtes Geliebtwerden
    im genitalen Sinne. Die unbewufte männliche Phantasie hat
    also ursprünglich nicht gelautet: Ich werde vom Vater ge-
    schlagen, wie wir es vorhin vorläufig hinstellten, sondern viel-
    mehr: Ich werde vom Vater geliebt. Sie ist durch
    die bekannten Prozesse umgewandelt worden in die bewufte
    Phantasie: Ich w erdev o n der Mutter geschlagen.
    Die Schlagephantasie des Knaben ist also von Anfang an eine
    passive, wirklich aus der femininen Einstellung zum Vater
    hervorgegangen. Sie entspricht auch ebenso wie die weibliche
    (die des Mädchens) dem Odipuskomplex, nur ist der von uns
    erwartete Parallelismus zwischen beiden gegen eine Gemein-
    samkeit anderer Art aufzugeben: In beiden Fällen
    leitet sich die Schlagephantasie von der
    inzestuösen Bindung an den Vater ab.

    Es wird der Übersichtlichkeit dienen, wenn ich hier die
    anderen Übereinstimmungen und Verschiedenheiten zwischen
    den Schlagephantasien der beiden Geschlechter anfüge. Beim
    Mädchen geht die unbewußte masochistische Phantasie von
    der normalen Udipuseinstellung aus; beim Knaben von der
    verkehrten, die den Vater zum Liebesobjekt nimmt. Beim
    Mädchen hat die Phantasie eine Vorstufe (die erste Phase),
    in welcher das Schlagen in seiner indifferenten Bedeutung
    auftritt und eine eifersüchtig gehaßte Person betrifft; beides

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 149

    entfällt beim Knaben, doch könnte gerade diese Differenz
    durch glücklichere Beobachtung beseitigt werden. Beim Über-
    gang zur ersetzenden bewußten Phantasie hält das Mädchen
    die Person des Vaters und somit das Geschlecht der schla-
    genden Person fest; es ändert aber die geschlagene Person
    und ihr Geschlecht, so daß am Ende ein Mann männliche
    Kinder schlägt; der Knabe ändert im Gegenteil Person und
    Geschlecht des Schlagenden, indem er Vater durch Mutter
    ersetzt, und behält seine Person bei, so daß am Ende der
    Schlagende und die geschlagene Person verschiedenen Ge-
    schlechts sind. Beim Mädchen wird die ursprünglich maso-
    chistische (passive) Situation durch die Verdrängung in eine
    sadistische umgewandelt, deren sexueller Charakter sehr ver-
    wischt ist, beim Knaben bleibt sie masochistisch und bewahrt
    infolge der Geschlechtsdifferenz zwischen schlagender und
    geschlagener Person mehr Ähnlichkeit mit der ursprünglichen,
    genital gemeinten Phantasie. Der Knabe entzieht sich durch
    die Verdrängung und Umarbeitung der unbewußten Phantasie
    seiner Homosexualität; das Merkwürdige an seiner späteren
    bewußten Phantasie ist, daß sie feminine Einstellung ohne
    homosexuelle Objektwahl zum Inhalt hat. Das Mädchen da-
    gegen entläuft bei dem gleichen Vorgang dem Anspruch des
    Liebeslebens überhaupt, phantasiert sich zum Manne, ohne
    selbst männlich aktiv zu werden, und wohnt dem Akt, welcher
    einen sexuellen ersetzt, nur mehr als Zuschauer bei.

    Wir sind berechtigt anzunehmen, daß durch die Ver-
    drängung der ursprünglichen unbewußten Phantasie nicht allzu-
    viel geändert wird. Alles fürs Bewußtsein Verdrängte und
    Ersetzte bleibt im Unbewußten erhalten und wirkungsfähig.
    Anders ist es mit dem Effekt der Regression auf eine frühere
    Stufe der Sexualorganisation. Von dieser dürfen wir glauben,
    daß sie auch die Verhältnisse im Unbewußten ändert, so daß
    nach der Verdrängung im Unbewußten bei beiden Geschlechtern

  • S.

    150 „Ein Kind wird geschlagen“

    zwar nicht die (passive) Phantasie, vom Vater geliebt zu
    werden, aber doch die masochistische, von ihm geschlagen zu
    werden, bestehen bleibt. Es fehlt auch nicht an Anzeichen
    dafür, daß die Verdrängung ihre Absicht nur sehr unvoll-
    kommen erreicht hat. Der Knabe, der ja der homosexuellen
    Objektwahl entfliehen wollte und sein Geschlecht nicht ge-
    wandelt hat, fühlt sich doch in seinen bewuften Phantasien
    als Weib und stattet die schlagenden Frauen mit minnlichen
    Attributen und Eigenschaften aus. Das Mädchen, das selbst
    sein Geschlecht aufgegeben und im ganzen griindlichere Ver-
    drängungsarbeit geleistet hat, wird doch den Vater nicht los,
    getraut sich nicht selbst zu schlagen, und weil es selbst zum
    Buben geworden ist, läßt es hauptsächlich Buben geschlagen
    werden.

    Ich weiß, daß die hier beschriebenen Unterschiede im Ver-
    halten der Schlagephantasie bei beiden Geschlechtern nicht
    genügend aufgeklärt sind, unterlasse aber den Versuch, diese
    Komplikationen durch Verfolgung ihrer Abhängigkeit von
    anderen Momenten zu entwirren, weil ich selbst das Material
    der Beobachtung nicht für erschöpfend halte. Soweit es aber
    vorliegt, möchte ich es zur Prüfung zweier Theorien benützen,
    die, einander entgegengesetzt, beide die Beziehung der Ver-
    drängung zum Geschlechtscharakter behandeln und dieselbe,
    jede in ihrem Sinne, als eine sehr innige darstellen, Ich schicke
    voraus, daß ich beide immer für unzutreffend und irreführend
    gehalten habe.

    Die erste dieser Theorien ist anonym; sie wurde mir vor
    vielen Jahren von einem damals befreundeten Kollegen vor-
    getragen. Ihre großzügige Einfachheit wirkt so bestechend, daß
    man sich nur verwundert fragen muß, warum sie sich seither
    in der Literatur nur durch vereinzelte Andeutungen vertreten
    findet. Sie lehnt sich an die bisexuelle Konstitution der mensch-
    lichen Individuen an und behauptet, bei jedem einzelnen sei

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 151

    der Kampf der Geschlechtscharaktere das Motiv der Ver-
    drångung. Das stärker ausgebildete, in der Person vorherr-
    schende Geschlecht habe die seelische Vertretung des unter-
    legenen Geschlechtes ins Unbewufte verdrängt. Der Kern des
    Unbewufiten, das Verdrångte, sei also bei jedem Menschen das
    in ihm vorhandene Gegengeschlechtliche. Das kann einen greif-
    baren Sinn wohl nur dann geben, wenn wir das Geschlecht
    cines Menschen durch die Ausbildung seiner Genitalien be-
    stimmt sein lassen, sonst wird ja das stirkere Geschlecht eines
    Menschen unsicher, und wir laufen Gefahr, das, was uns als
    Anhaltspunkt bei der Untersuchung dienen soll, selbst wieder
    aus deren Ergebnis abzuleiten. Kurz zusammengefaßt: Beim
    Manne ist das tmbewufte Verdrångte auf weibliche Trieb-
    regungen zurückzuführen; umgekehrt so beim Weibe.

    Die zweite Theorie ist neuerer Herkunft; sie stimmt mit
    der ersten darin überein, daß sie wiederum den Kampf der
    beiden Geschlechter als entscheidend fiir die Verdrängung hin-
    stellt. Im übrigen muß sie mit der ersteren in Gegensatz
    geraten; sie beruft sich auch nicht auf biologische, sondern auf
    soziologische Stützen. Diese von Alf. Adler ausgesprochene
    Theorie des „männlichen Protestes hat zum Inhalt, daß jedes
    Individuum sich stråubt, auf der minderwertigen „weiblichen
    Linie“ zu verbleiben, und zur allein befriedigenden männlichen
    Linie hindrängt. Aus diesem männlichen Protest erklärt
    Adler ganz allgemein die Charakter- wie die Neurosen-
    bildung. Leider sind die beiden, doch gewiß auseinander zu

    * haltenden Vorgänge bei Adler so wenig scharf geschieden
    und wird die Tatsache der Verdrängung überhaupt so wenig
    gewürdigt, daß man sich der Gefahr eines Mißverständnisses
    aussetzt, wenn man die Lehre vom männlichen Protest auf die
    Verdrängung anzuwenden versucht. Ich meine, dieser Versuch
    müßte ergeben, daß der männliche Protest, das Abrückenwollen
    von der weiblichen Linie, in allen Fällen das Motiv der Ver-

  • S.

    152 „Ein Kind wird geschlagen“

    dringung ist. Das Verdringende wire also stets eine männ-
    liche, das Verdrångte eine weibliche Triebregung. Aber auch
    das Symptom wäre Ergebnis einer weiblichen Regung, denn
    wir können den Charakter des Symptoms, daß es ein Ersatz
    des Verdrångten sei, der sich der Verdrängung zum Trotze
    durchgesetzt hat, nicht aufgeben.

    Erproben wir nun die beiden Theorien, denen sozusagen die
    Sexualisierung des Verdringungsvorganges gemeinsam ist, an
    dem Beispiel der hier studierten Schlagephantasie. Die ur-
    sprüngliche Phantasie: Ich werde vom Vater geschlagen, ent-
    spricht beim Knaben einer femininen Einstellung, ist also
    eine Auferung seiner gegengeschlechtlichen Anlage. Wenn sie
    der Verdringung unterliegt, so scheint die erstere Theorie
    Recht behalten zu sollen, die ja die Regel aufgestellt hat, das
    Gegengeschlechtliche deckt sich mit dem Verdringten. Es ent-
    spricht freilich unseren Erwartungen wenig, wenn das, was
    sich nach erfolgter Verdrängung herausstellt, die bewußte
    Phantasie, doch wiederum die feminine Einstellung, nur dies-
    mal zur Mutter, aufweist. Aber wir wollen nicht auf Zweifel
    eingehen, wo die Entscheidung so nahe bevorsteht. Die ur-
    sprüngliche Phantasie der Mädchen: Ich werde vom Vater
    geschlagen (das heißt: geliebt), entspricht doch gewiß als
    feminine Einstellung dem bei ihnen vorherrschenden, mani-
    festen Geschlecht, sie sollte also der Theorie zufolge der Ver-
    drängung entgehen, brauchte nicht unbewußt zu werden. In
    Wirklichkeit wird sie es doch und erfährt eine Ersetzung durch
    eine bewußte Phantasie, welche den manifesten Geschlechts-
    charakter verleugnet. Diese Theorie ist also für das Ver-
    ständnis der Schlagephantasien unbrauchbar und durch sie
    widerlegt. Man konnte einwenden, es scien eben weibische
    Knaben und minnische Mädchen, bei denen diese Schlage-
    phantasien vorkommen und die diese Schicksale erfahren, oder
    es sei ein Zug von Weiblichkeit beim Knaben und von Månn-

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 153

    ichkeit beim Mädchen dafür verantwortlich zu machen, beim
    Knaben für die Entstehung der passiven Phantasie, beim
    Mädchen für deren Verdrängung. Wir würden dieser Auf-
    assung wahrscheinlich zustimmen, aber die behauptete Be-
    ziehung zwischen manifestem Geschlechtscharakter und Aus-
    wahl des zur Verdrängung Bestimmten wäre darum nicht
    minder unhaltbar. Wir sehen im Grunde nur, daß bei männ-
    ichen und weiblichen Individuen sowohl männliche wie weib-
    iche Triebregungen vorkommen und ebenso durch Verdrän-
    gung unbewußt werden können.
    Sehr viel besser scheint sich die Theorie des männlichen
    Protestes gegen die Probe an den Schlagephantasien zu be-
    haupten. Beim Knaben wie beim Mädchen entspricht die
    Schlagephantasie einer femininen Einstellung, also einem Ver-
    weilen auf der weiblichen Linie, und beide Geschlechter beeilen
    sich, durch Verdrängung der Phantasie von dieser Einstellung
    loszukommen. Allerdings scheint der männliche Protest nur
    beim Mädchen vollen Erfolg zu erzielen, hier stellt sich ein
    geradezu ideales Beispiel für das Wirken des männlichen Pro-
    testes her. Beim Knaben ist der Erfolg nicht voll befriedigend,
    die weibliche Linie wird nicht aufgegeben, der Knabe ist in
    seiner bewußten masochistischen Phantasie gewiß nicht „oben“.
    Es entspricht also der aus der Theorie abgeleiteten Erwartung,
    wenn wir in dieser Phantasie ein Symptom erkennen, das
    durch Mißglücken des männlichen Protestes entstanden ist.
    Es stört uns freilich, daß die aus der Verdrängung hervor-
    gegangene Phantasie des Mädchens ebenfalls Wert und Be-
    deutung eines Symptoms hat. Hier, wo der männliche Protest
    seine Absicht voll durchgesetzt hat, müßte doch die Bedingung
    für die Symptombildung entfallen sein.

    Ehe wir noch aus dieser Schwierigkeit die Vermutung
    schöpfen, daß die ganze Betrachtungsweise des männlichen
    Protestes den Problemen der Neurosen und Perversionen un-

  • S.

    154 „Ein Kind wird geschlagen“

    angemessen und in ihrer Anwendung auf sie unfruchtbar sei,
    werden wir unseren Blick von den passiven Schlagephantasien
    weg zu anderen Triebiufterungen des kindlichen Sexuallebens
    richten, die gleichfalls der Verdrängung unterliegen. Es kann
    doch niemand daran zweifeln, daß es auch Wünsche und
    Phantasien gibt, die von vornherein die männliche Linie ein-
    halten und Ausdruck männlicher Triebregungen sind, z. B.
    sadistische Impulse oder die aus dem normalen Odipuskomplex
    hervorgehenden Gelüste des Knaben gegen seine Mutter. Es
    ist ebensowenig zweifelhaft, daß auch diese von der Ver-
    drängung befallen werden; wenn der männliche Protest die
    Verdrängung der passiven, später masochistischen Phantasien
    gut erklärt haben sollte, so wird er eben dadurch für den ent-
    gegengesetzten Fall der aktiven Phantasien völlig unbrauchbar.
    Das heißt: die Lehre vom männlichen Protest ist mit der Tat-
    sache der Verdrängung überhaupt unvereinbar. Nur wer bereit
    ist, alle psychologischen Erwerbungen von sich zu werfen, die
    seit der ersten kathartischen Kur Breuers und durch sie
    gemacht worden sind, kann erwarten, daß dem Prinzip des
    männlichen Protestes in der Aufklärung der Neurosen und
    Perversionen eine Bedeutung zukommen wird.

    Die auf Beobachtung gestützte psychoanalytische Theorie
    hält fest daran, daß die Motive der Verdrängung nicht
    sexualisiert werden dürfen. Den Kern des seelisch Unbewußten
    bildet die archaische Erbschaft des Menschen, und dem Ver-
    drängungsprozeß verfällt, was immer davon beim Fortschritt
    zu späteren Entwicklungsphasen als unbrauchbar, als mit dem
    Neuen unvereinbar und ihm schädlich zurückgelassen werden
    soll. Diese Auswahl gelingt bei einer Gruppe von Trieben
    besser als bei der anderen. Letztere, die Sexualtriebe, ver-
    mögen es, kraft besonderer Verhältnisse, die schon oftmals
    aufgezeigt worden sind, die Absicht der Verdrängung zu ver-
    eiteln und sich die Vertretung durch störende Ersatzbildungen

  • S.

    „Ein Kind wird geschlagen“ 155

    zu erzwingen. Daher ist die der Verdrängung unterliegende
    infantile Sexualität die Haupttriebkraft der Symptombildung,
    und das wesentliche Stück ihres Inhalts, der Odipuskomplex,
    der Kernkomplex der Neurose. Ich hoffe, in dieser Mitteilung
    die Erwartung rege gemacht zu haben, daf auch die sexuellen
    Abirrungen des kindlichen wie des reifen Alters von dem
    nåmlichen Komplex abzweigen.

    UBER DIE PSYCHOGENESE EINES FALLES
    VON WEIBLICHER HOMOSEXUALITAT

    (1920)

    I

    Die weibliche Homosexualität, gewiß nicht weniger häufig
    als die männliche, aber doch weit weniger lärmend als diese,
    ist nicht nur vom Strafgesetz übergangen, sondern auch von
    der psychoanalytischen Forschung vernachlässigt worden. Die
    Mitteilung eines einzelnen, nicht allzu grellen Falles, in dem
    es möglich wurde, dessen psychische Entstehungsgeschichte fast
    lückenlos und mit voller Sicherheit zu erkennen, mag daher
    einen gewissen Anspruch auf Beachtung erheben. Wenn die
    Darstellung nur die allgemeinsten Umrisse der Geschehnisse
    und die aus dem Falle gewonnenen Einsichten bringt und alle
    charakteristischen Einzelheiten unterschlägt, auf denen die
    Deutung ruht, so ist diese Einschränkung durch die von einem
    frischen Fall geforderte ärztliche Diskretion leicht erklärlich.

    Ein achtzehnjähriges, schönes und kluges Mädchen aus sozial
    hochstehender Familie hat das Mißfallen und die Sorge seiner
    Eltern durch die Zärtlichkeit erweckt, mit der sie eine etwa
    zehn Jahre ältere Dame „aus der Gesellschaft“ verfolgt. Die
    Eltern behaupten, daß diese Dame trotz ihres vornehmen