Ein Traum als Beweismittel 1913-004/1922
  • S.

    Sø EIN TRAUM ALS BEWEISMITTEL. 7) :

    ME: Eine Dame, die an Zweifelsucht und Zwangszeremoniell
    | leidet, stellt an ihre Pilegerinnen die Anforderung,. von ihnen
    it keinen Moment aus den Augen gelassen zu werden, weil sie
    |. . sonst zu grübeln beginnen. würde, was sie in dem unbewachten
    — Zeitraum. Unerlaubtes getan haben mag. Wie sie nun eines —
    Abends auf dem. Diwan. ausruht, glaubt sie zu bemerken, daß |
    die diensthabende Pilegerin eingeschlafen ist. Sie fragt:
    Haben. Sie mich. geschen?; die Pflegerin fährt auf und ant-
    FEA Ja, gewib. Die Kranke. hat nun Grund zu einem
    neuen Zweifel und wiederholt nach einer Weile dieselbe
    i Frage. Die Pflegerin. beteuert « es von neuem; in diesem /Augen-

    lóren. EAE siagt untorwoga die imie auf der
    Straße, ob. NE das Kind gesehen haben. Dann

    kommt sie an ein großes Wasser, geht über einen |
    E schmalen Steg. (Dazu spüter ein Nachtrag: Auf diesem
    Steg ist 2250) die Person

    einer anderen |

    x

    i
    =

  • S.

    1

    . chen Stellen unvollständige Deutung des Traumes vorzu- S

    lig SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    bo
    Pflegerin wie eine Fata Morgana vor ihr aut
    getaucht.) Dann ist sie in einer ihr bekannten
    Gegend und trifft dort eine Frau die sie als
    Mädchen gekannt hat, die damals Verkäuferin’

    in einem EBwarengeschütt war, später aber ge-
    heiratethat. Sie fragt die vorihrer Tür stehende
    Frau: "Haben Sie das Kind gesehen? Die Fran |
    interessiert sich aber nicht fiir diese Frage,
    sondern erzählt ihr, daß sie jetzt von ihrem

    Manne geschieden ist, wobei sie hinzufügt, daß

    es auch in der Ehe nicht immer glücklich geht.
    Dann wacht sie beruhigt auf und denkt sich,
    das Kind wird sich schon bei einer Nachbarin |
    finden, cv $us So

    Analyse. Von diesem Traum” nahm die Patientin an, |
    daß er sich auf das von der Pflegerin abgeleugnete Ein- —
    schlafen beziche. "Was ihr die Pflegerin, ohne ausgefragt zu
    werden, im Anschluß an den Traum erzählte,‘ setzte sie in

    „den“ Stand, eine praktisch zurcichende, wenn auch an man

    nehmen. - Ich selbst habe nur den Bericht der Dame gehört,
    nicht die Pflegerin gesprochen; ich werde, nachdem die
    Patiemtim, ihre Deutung vorgetragen hat, hinzufügen, was E
    sich aus unserer allgemeinen Einsichtnahme in die Gesetze 43

    der Traumbildung : ergänzen läßt. _ $
    „Die Pflegerin sagt, bei dem Kind. im Teen denia
    sie an eine Pflege, von stone sie sich außerordentlich be-
    friedigt gefühlt habe. Es handelte sich um ein an blennor-
    rhoischer Augenentzündung erkranktes Kind, das nicht sehen * ・ 3
    konnte. Aber die MAT ue Binder reiste nicht ab, E №

  • S.

    EIN TRAUM ALS BEWEISMITTEL,

    der viel auf diese Pflegerin hilt, mich ihr beim Abschied

    zur Behütung übergeben hat, und daß sie ihm damals ver-
    sprach, auf mich achtzugeben — wie anf ein Kind!“

    , Wir erraten anderseits aus der Analyse der Patientin,
    daß sic sich mit ihrer Forderung, nicht aus den Augen ge-
    lassen zu werden, selbst in die Kindheit zuriickversetzt hat.

    „Sie hat das Kind verloren,“ fährt die Patientin fort,
    „heißt, sie hat mich nicht geschen, hat mich ‘aus den Augen
    verloren. Das ist ihr Geständnis, daß sie wirklich eine Weile
    geschlafen und mir dann nicht die Wahrheit gesagt hat.“

    Das Stückchen des Traumes, in dem die Pflegerin bei
    den Leuten auf der StraBe nach dem Kinde fragt, blieb der
    Dame dunkel, dagegen weiß sie über die weiteren Elemente
    „des manifesten Traumes gute Auskunft zu gében.

    ј „Bei дет ‚großen Wasser denkt sie an den Rhein, aber
    sie E hinzu, es war doch weit größer als der Rhein, Sie
    "erinnert sich dann, daß ich ihr am Abend vorher die Geschichte
    von Jonas und dem Walfisch vorgelesen und erzählt habe,

    daB ich selbst einmal im Ármelkanal einen Walfisch gesehen.

    Ich meine, das große Wasser ist das Meer, also eine SMED
    lung auf die Geschichte von Jonas.“

    „Ich glaube auch, daB der schmale- Steg aus der nim-
    lichen, in Mundart geschriebenen lustigen Geschichte her-
    rührt. In ihr wird erzählt, daß der Religionslehrer den Schul-
    kindern das wunderbare Abenteuer des Jonas vorträgt, worauf
    ein Knabe den Einwand macht, das könne doch nicht sein,
    denn der Herr Lehrer ‚habe ein anderes Mal gesagt, der Wal-
    fisch habe einen so engen Schlund, daß er nur ganz kleine
    Tiere schlucken könne. Der Lehrer hilft sich mit der Er-

    klürung, Jonas sei eben ein Jude gewesen, und der drücke

    sich überall durch. ; Meine Pflegerin ist sehr religiös, aber

  • S.

    180 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    zu religiösen Zweifeln geneigt, und ich habe mir darum Vor-
    würfe gemacht, daß ich durch meine Vorlesung vielleicht
    ihre Zweifel angeregt habe,“

    „Auf diesem schmalen Steg sah sie nun die Erscheinung‘
    einer anderen ihr bekannten Pflegerin. Sie hat mir deren
    Geschichte erzählt, diese ist in den Rhein gegangen,- weil

    man sie aus der Pflege, in der sie sich etwas hatte zu
    Schulden kommen lassen, weggeschickt hatte. *( Sie. ‚fürchtet.
    also auch wegen jenes Einschlafens weggeschickt zu werden.
    Übrigens hat sie am Tage nach dem Vorfall‘ und der Traum-
    erzählung heftig geweint und mir, auf meine Frage nach
    ihren Griinden, recht barsch geantwortet : Das wissen Sie

    80 gut wie ich, und jetzt werden Sie kein Vertrauen mehr
    zu mir haben.“ ;

    *) Ich habe mir an dieser Stelle eine “Verdichtung des Mate iis
    zu Schulden kommen lassen, die ich bei einer Revision der Niederschri
    vor der referierenden Dame ‚korrigieren konnte. Die als Erscheinung į
    dem Steg auftretende Pflegerin hatte sich in der Pflege nichts zu Schulden
    kommen lassen. Sie wurde weggeschickt, weil die Mutter des Kindes, die "A
    zur Abreise genötigt, war, erklärte, sie wolle in ihrer Abwesenheit ine
    ältere 一 also doch verlåblichere 一 Warteperson bei dem Kinde haben.
    Daran reihte sich eine zweite Erzählung von einer anderen Pflegerin, die
    . wirklich wegen einer Nachlässigkeit entlassen "worden war, sich darum |
    aber nicht ertránkt hatte. Das für die Deutung des Traumelements näti
    Material ist hier wie sonst nicht selten, auf zwei Quellen verteilt. Mein
    Gedüächtnis vollzog‘ die zur Deutung führende Synthese. - — Übrigens findet |
    sich in der Geschichte der ertränkten Pflegerin - ‚das Moment des Abroisens å
    der Mutter, welches von der Dame auf die Abreise ihres Mannes bezogen |
    wird. Wie man sieht, eine Überdeterminierung, ‚welche die ee deri
    Deutung beeinträchtigt. —

  • S.

    Át | IX. EIN TRAUM ALS BEWEISMITTEL, 181

    Berichte der Triumerin auch von heftigster Angst erfüllt,
    |. im zweiten Teil bereitet sich die Beruhigung vor, mit wel-
    cher sie erwacht. ‏ה‎

    „Im nächsten Stück des Traumes,“ setzt die analysierende
    Dame fort, „finde ich wieder einen sicheren Beweis für

    qs

    | . meine Auffassung, daß es sich darin um den Vorfall am
    E Freitag abends handelt, denn mit der Frau, die früher Ver-
    E - kåuferin/in einem E EBwarengeschäfte war, kann nur das Mäd-

    | | chen gemeint sein, welches damals das Nachtmahl brachte.
    Ich: bemerke, dal die Pflegerin den ganzen Tag über Ublig-
    E keiten geklagt hatte. Die Frage, die sie an die Frau richtet:
    Haben Sie das Kind gesehen 7, ist ja offenbar abgeleitet von
    meiner Frage: Haben Sie mich gesehen?, wie meine Formel
    | lautet, die ich eben zum zweitenmal stellte, als das Mädchen
    mit den Schüsseln‘ eintrat, с ‏א‎
    ‎В : ‘Auch ue Traume wird in zwei Stellen nach dem Kinde
    | gefragt. — ‘Dal die Frau keine Antwort gibt, sich nicht
    | interessiert, möchten wir als eine Herabsetzung der anderen
    Dienerin zu Gunsten der Tråumerin deuten, die sich im
    Traume über die andere erhebt, gerade weil sie gegen Vor-
    ; wife wegen ihrer Unachtsamkeit anzukämpfen hat..

    Seay „Die, im Traume erscheinende. Frau ist nicht wirklich |
    | von ihrem Manne geschieden. Die ganze Stelle stammt aus
    ‘der. Lebensgeschichte des anderen Mädchens, welches durch
    das Machtwort ihrer Eltern von einem Manne fern gehalten
    — geschieden | — wird, der sie heiraten will. Der Satz, daB
    es in der Ehe auch nicht immer gut abgeht, ist wahrschein-
    lich ein "Trost, der in Gesprächen der beiden zur Verwendung
    į kam. | Dieser Trost wird ihr zum Vorbild fiir einen anderen,
    mit dem der Traum schließt: Das Kind wird sich schon
    finden." DONU

  • S.

    . | \ 1 3 0
    SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    „Ich habe aber aus diesem Traume entnommen, daß die
    Pflegerin an jenem Abend wirklich eingeschlafen war und |
    ‚darum, weggeschickt zu werden fürchtet. Ich habe darum
    den Zweifel an meiner eigenen Wahrnehmung ‚aufgegeben.
    Übrigens hat sie nach der Erzählung‘ des Traumes hinzuge-
    fügt, sie bedaure es schr, daß sie kein Traumbuch mitge- |
    bracht habe. Als ich bemerkte, in solchen‘ Büchern stehe :
    doch nur der schlimmste Aberglaube, entgegnete sie, sie sei |
    gar nicht abergliubisch, aber das miisse sie sagen: alle Un-
    annehmlichkeiten ihres Lebens seien ihr immer an Freitagen SE
    passiert. Außerdem behandelt sie mich jetzt schlecht, ‚zeigt
    sich empfindlich, reizbar und ‘macht mir Szenen,“ ⑧
    „Ich glaube, wir werden. der Dame zugestehen müssen;
    daß sie den Traum ihrer Pflegerin richtig gedeutet und ver- =
    wertet hat. Wie so oft bei. der Traumdeutung in der Psycho- |
    analyse kommen fiir die Übersetzung des Traumes nicht allein
    die Ergebnisse der Assoziation .in. Betracht, “sondern auch...
    die Begleitumstånde der Traumerzåhlung, das Benehmen des
    Tråumers vor und nach der Traumanalyse, sowie alles, was |
    er ungefähr gleichzeitig mit dem Traume — in derselben |
    Stunde .der Behandlung — ånBert und /verråt, Nehmen wir
    die Reizbarkeit der Pflegerin, ihre Beziehung auf. den un- |
    glückbringenden Freitag u. ‏.ה‎ hinzu, so werden wir das Urteil
    bestatiger: der Traum enthalte das Geständnis, daß sie da- —
    mals, als sie es ableugnete, wirklich eingenickt sei und |
    darum FUSCO von uven Pilegekind woggosóliickt _ 201:

    ද A

    werden. *) È ; ‏א‎
    ‎Aber der Traum, welcher für die. Dame eine praktische

    À .

    *) Die Pflegerin gestand ina einige Tage spåter einer ‏ה‎
    ‎Person ihr Einschlafen ~ an jenem Abend zu und а и, so die Deu- «
    ‚tung der Dame. メ V

  • S.

    183

    IX. EIN TRAUM ALS BEWEISMITTEL.

    hatte,
    Richtungen an. Der Traum läuft zwar in eine

    Bedeutung regt bei uns das theoretische Interesse
    nach zwel
    Tréstung aus, aber im wesentlichen bringt er ein für die.
    Wie

    doch 'der Wunscherfüllung dienen

    Beziehung zu ihrer Dame wichtiges Geständnis,

    kommt der Traum, der
    soll, dazu, ein Geständnis zu ersetzen, welches der Träumerin
    nicht einmal vorteilhaft wird? Sollen wir uns wirklich ver-
    anlaBt finden, außer den Wunsch- (und Angst-)Tråumen auch |
    Gestündnistráume | zuzugeben, sowie Warnungstråume, Re-
    | flexionstrüume, Anpassungsträume u. dgl.? t
    Ich bekenne nun, daß ich noch nicht ganz verstehe,
    warum der Standpunkt, den meine Traumdeutung gegen
    solche Versuchungen einnimmt, bei so vielen und darunter
    ‘namhaften Psychoanalytikern Bedenken findet. Die Unter-
    scheidung von Wunsch-, Geståndnis-, Warnungs- und An-
    passungstránmen 1 u. dgl. scheint mir nicht viel sinnreicher,
    als die motgedrungen ‘zugelassene Differenzierung ärztlicher
    Spezialisten in Frauen-, Kinder- und Zahnärzte. Ich nehme
    mir die Freiheit, die Erörterungen der Traumdeutung über
    diesen. Punkt hier in äuberster Kürze zu wiederholen.%) ;
    Als Schlafstórer ‘und - Traumbildner können die soge- |
    nannten »Tagesreste" fungieren, affektbesetzte Denkvorgånge
    des Traumtages, welche der allgemeinen Schlaferniedrigung
    einigermaßen widerstanden haben. Diese Tagesreste deckt
    4 man auf, indem. man den manifesten Traum auf die latenten
    > Traumgedanken zurückführt; sie sind Stücke dieser letzteren,
    gehören also den — bewußt oder. unbewubt gebliebenen —
    Tåtigkeiten des Wachens an, die sich in die Zeit des Schla-
    fens fortsetzen mögen, Entsprechend der Mannigfaltigkeit
    der Denkvorgänge im Bewußten und VorbewuBten haben diese
    td pni ВА ‏ו‎ ⑥ a \

    *) 3. Auflage, p. 867 u. ff,

    gata s Ig

  • S.

    SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.

    Tagesreste die vielfachsten und verschiedenartigsten Bedeu-_
    tungen, es konnen unerledigte Wiinsche oder Befiirchtungen
    sein, ebenso Vorsätze, Überlegungen, Warnungen, Anpassungs- |
    versuche an bevorstehende Aufgaben usw. Insofern muß. ja
    die in Rede stehende Charakteristik der Trüume nach ihrem
    durch Deutung erkannten Inhalt gerechtfertigt erscheinen.
    Aber diese Tagesreste sind noch nicht der Traum, vielmehr
    ‚fehlt ihnen das Wesentliche, was den Traum ausmacht. Sie
    sind für sich allein nicht im stande, einen Traum zu bilden.

    Streng genommen sind sie nur psychisches Material für die |

    Traumarbeit, wie die zufüllig vorhandenen Sinnes- und Leib-

    reize oder eingeführte experimentelle Bedingungen deren so- R

    matisches Material bilden. Ihnen die Hauptrolle bei der |
    > Traumbildung zuschreiben, - heißt nichts anderes als den vor-

    analytischen Irrtum an neuer Stelle wiederholen, Träume er- —

    "klårten sich durch den. Nachweis: eines verdorbenen Magens

    oder einer gedriickten Hautstélle. So zåhlebig sind wissen-

    | Schaftliche Irrtümer und so gern bereit, sich, wenn abge- |

    wiesen, unter neuen Masken wieder einzuschleichen.

    Soweit. wir Sachverhalt | durchsohant haben, müssen.

    E Wunsch, in ie; Regel ein kam jet. ver-
    dringter, welcher sich in Jem somatischen oder psychischen >
    . Material (also auch in den Tagesresten) zum Ausdruck: brin-
    gen. kann: und. ihnen darum eine Kraft leiht, so daß sie auch.
    während. der nächtlichen Denkpause zum. Bewußtsein durch- |
    dringen können. Dieses unbewuBten Wunsches Erfüllung
    ist jedesmal. der Traum, mag er sonst was immer enthalten,
    Warnung, Überlegung, ‘Geständnis und was sonst. aus dem |
    reichen Inhalt des vorbewuBten Wachlebens unerledigt in.
    die Nacht hineinragt. Dieser unbewubte Wunsch ist es,

  • S.

    IX. EIN TRAUM ALS BEWEISMITTEL. 185.

    welcher der Traumarbeit ihren eigentiimlichen Charakter gibt
    als einer unbewufiten Bearbeitung eines vorbewuBten Ma--
    terials, Der Psychoanalytiker kann den Traum nur charak--
    terisieren als Ergebnis der Traumarbeit; die latenten Traum--
    gedąnken kann er nicht dem Traume zurechnen, sondern dem
    - vorbewuDten Nachdenken, wenngleich er diese Gedanken erst.
    aus der Deutung des Traumes erfahren hat. (Die sekundäre
    Bearbeitung durch die bewuBte Instanz ist hiebci der Traum--
    arbeit zugezåhlt; ‘es wird an dieser Auffassung nichts ge-

    , ändert, wenn man sie absondert. Man müßte dann sagen:
    der Traum im psychoanalytischen Sinne umfaßt die eigent-.
    liche Traumarbeit und die sekundäre Bearbeitung ihres Er-. |
    “gebnisses) Der Schluß aus diesen Erwägungen lautet, daß
    man den Wunscherfällungbeharakter des Traumes nicht in.

    / einen Rang mit dessen, Charakter als Warnung, Geständnis,
    Läsungsversuch usw. versetzen darf, ohne den Gesichtspunkt
    ‚der psychischen Tiefondimension, also den Fou au.
    Psychoanalyse, zu verleugnen. ⑥

    Kehren wir nun zum Traume der Pflegerin zurück, um
    an ihm den Tiefencharakter der Wunscherfüllung nachzu-.
    | weisen. Wir sind darauf vorbereitet, daß seine Deutung durch.
    ‘die Dame keine vollständige ist. 8 erübrigen die Partien
    dés Trauminhaltes, denen sie nicht gerecht werden ‘Könnte,
    Sie leidet überdies an einer Zwangsneurose, welche nach
    meinen Eindrücken das Verständnis der "l'raumsymbole er
    — heblich erschwert, ähnlich wie die Dementia praecox es er--
    leichtert; © a çi . e

    ta Unsere Kenntnis, der Traumsymbolik ‏ות‎ uns aber,
    + ungedeuteto Stellen dieses Traumes zu verstehen und hinter“

    den bereits gedeuteten | einen tieferen Sinn zu erraten. Es

    muß uns auffallen, daß einiges Material welches die Pfle-

  • S.

    186 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV. \

    gerin verwendet, aus dem Komplex des, Gebårens, Kinder-
    habens kommt. Das große Wasser (der ‘Rhein, der Kanal,
    in dem der Walfisch gesehen wurde) ist wohl das Wasser,
    aus dem die Kinder kommen, Sie kommt ja auch dahin „auf
    «der Suche nach dem Kinde, Die Jonasmythe hinter der De-
    terminicrung dieses Wassers, die. Frage, wie Jonas (das
    Kind) durch die enge Spalte kommt, gehören. demselben Zu-
    ' sammenhang an. Die Pflegerin, die sich aus Krånkung in

    ⑧ ,

    den Rhein gestiirzt hat, ins Wasser gegangen ist, hat ja auch
    in ihrer Verzweiflung am Leben eine sexualsymbolische |
    "Iróstung an der Todesart gefunden. Der enge Steg, auf dem —
    ihr die Erscheinung entgegentritt, ist sehr wahrscheinlich
    gleichfalls. als cin Genitalsymbol zu deuten, wenngleich ich |
    ‚gestehen muß, daß dessen genauere Erkenntnis noch aussteht.
    Der Wunsch: ich will ein Kind haben, scheint also der

    ç Traumbildner aus dem Unbewuften zu sein, und | kein an-
    derer scheint besser geeignet, die Pflegerin über die pein- ,
    „liche Situation der Realität zu trösten, „Man wird mich weg- .
    schicken, ich werde mein" Pilegekind 00 | Was liegt |
    „daran? Ich werde mir dafür cin eigenes, leibliches ver- x
    schaffen.“ Vielleicht gehört die ungedeutete Stelle, daß sie
    alle Leute auf der Straße nach dem Kinde fragt, in diesen »
    Zusammenhang; sie wäre dann zu übersetzen: und müßte ich
    mich auf der Straße ausbieten, ich werde mir das Kind zu

    schaffen wissen, Ein bisher verdeckter Trotz der Triumerin
    ^ wird hier plötzlich laut, und zu diesem paßt erst; das Ge-
    ståndnis: „Also gut, Æh habe die Augen zugemacht und
    meine VerliBlichkeit. dls Pflegerin kompromittiert, ich werde —
    ‘jetzt die Stelle verlieren: Werde ich so dumm sein, ins Wasser
    zu gehen wie die X? Nein, ich bleibe überhaupt nicht Pfle-
    | gerin, ich will heiraten, Weib sein, ein leibliches Kind haben,

  • S.

    daran lasse ich 22 nicht hindern.“ Diese Übersetzung recht-
    fertigt sich durch die Erwägung, daß ,,Kinderhaben* wohl
    der infantile Ausdruck des Wunsches nach dem Sexualverkehr
    ist, wie es auch vor dem Bewußtsein zum euphemistischen
    Ausdruck dieses anstoBigen Wunsches gewählt werden kann.

    Das für, die Träumerin, nachteilige Geständhis, zu dem

    " wohl im Wachleben eine gewisse Neigung vorhanden war,

    ist also im Traume ermôglicht worden, indem ein latenter
    Charakterzug der Pilegerin sich ‚desselben zur Herstellung.

    einer infantilen Wunscherfüllung bediente, Wir dürfen vor-
    - muten, daß dieser Charakter. in innigem Zusammenhang —
    zeitlichem _ wie inhaltlichem — mit dem Wunsche nach Kind
    und SexualgenuB steht. 4 : ;
    Eine weitere Erkundigung bei der Dame, der ich das
    erste Stück dieser Traumdeutung danke, fôrderte folgende
    unerwartete Aufschliisse über die Lebensschicksale der Pfle-
    gerin zu Tage. Sie wollte, che sie Pflegerin wurde, einen
    Mann Heiraten, der sich eifrig um sie bemühte, verzichtete
    aber darauf infolge des Einspruches einer Tante, zu welcher

    sie in einem merkwürdigen, aus ‚Abhängigkeit und Trotz ge-

    mischten Verhältnis steht. Diese Tante, die ihr das Heiraten:

    versagte, “ist selbst Oberin eines Krankenpflegerordens; die
    Trüumerin _ sah ‚in ihr immer ihr Vorbild, sie ist durch Erb-
    rücksichten an sie gebunden, widersetzte sich ihr aber, in-
    dem sie nicht in den. Orden eintrat, den ihr die Tante be-
    stimmt hatte. Der Trotz, der sich im Traume verraten, gilt
    also der Tante. Wir haben diesem Charakterzug analerotische
    Herkunft zugesprochen und nehmen hinzu, daß es Geldinter-
    "essen sind, welche sie von der Tante abhängig‘ ‚machen,
    denken auch daran, daf das Kind die anale Geburtstheorie

    も E

    bevorzugt. | FA |

    187

  • S.

    letzten Szene des Tae annehmen lassen. Die ehemalige |
    Verkäuferin von EBwaren im Traume ist zunächst die andere |
    Dieneri der Dame, die im Moment der Frage: Haben Sie |
    mich geschen? mit dem Nachtmahl ins Zimmer trat. Aber
    es scheint, daß sie überhaupt die Stelle der femndlichen Kon-
    Kurrentin zu übernehmen bestimmt ist. Sie wird als Prlege-
    ‚person. herabgesetzt, indem sie sich fiir das verlorene Kind |

    3: 903

    ©

    gar nicht interessiert, sondern von ihren cigenen Angelegen-
    heiten Antwort gibt. Auf sie wird also die Gleichgültigkeit s
    gegen das Pflegekind verschoben, zu der sich die Tråumerin
    gewendet hat. Ihr wird die ungliickliche Ehe und Scheidung
    angedichtet, welche die Träumerin in ihren geheimsten Wün-
    schen selbst fürchten müßte. Wir wissen aber, daß es die |
    | Tante ist, welche die Träumerin von ihrem Verlobten ge
    schieden hat, So mag die „Verkäuferin von Eßwaren“ (was
    einer infantilen symbolischen Bedeutung nicht zu "entbehren
    braucht) zur Repråsentantin der, übrigens nicht viel älteren, _
    Tu Oberin werden, welche bei Ün T Te die her. _

    Fine gute Beståtigung dieser Deutung liegt in dem. motele % :
    daß der im Traume „bekannte“ Ort) an dem «sie ie in Rede _ 3

    diese Tante als Obra lebt. |

    _ Infolge. der Distanz, welche den KO vom GÖRE
    jekt der Analyse trennt, muß es ratsam werden,’ nicht weiter
    in das Gewebe dieses Traumes _ einzudringen. : Man darf viel-
    m sagen, gia soweit er der Deutung zugänglich

    ⑥ blemen. |