Eine Beziehung zwischen einem Symbol und einem Symptom 1916-003/1931
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    Zwei Kinderliigen 21

    kleinern zu müssen. Als sie später das Eis beim Mittagessen
    mit ,,Glace" übersetzen lernte, war der Weg gebahnt, auf wel-
    chem dann der Vorwurf wegen dieser Reminiszenz in eine
    Angst vor Glasscherben und Splittern einmiinden konnte.

    Der Vater war ein vorziiglicher Zeichner und hatte durch
    die Proben seines Talents oft genug das Entziicken und die
    Bewunderung der Kinder hervorgerufen. In der Identifizierung
    mit dem Vater zeichnete sie in der Schule jenen Kreis, der
    ihr nur durch betriigerische Mittel gelingen konnte. Es war,
    als ob sie sich riihmen wollte: Schau her, was mein Vater
    kann! Das Schuldbewuftsein, das der überstarken Neigung
    zum Vater anhaftete, fand in dem versuchten Betrug seinen
    Ausdruck; ein Gestindnis war aus demselben Grunde un-
    möglich wie in der vorstehenden Beobachtung, es hätte das
    Geständnis der verborgenen inzestudsen Liebe sein müssen.

    Man måge nicht gering denken von solchen Episoden des
    Kinderlebens. Es wire eine arge Verfehlung, wenn man aus
    solchen kindlichen Vergehen die Prognose auf Entwicklung
    eines unmoralischen Charakters stellen würde. Wohl aber
    hingen sie mit den stårksten Motiven der kindlichen Seele
    zusammen und kiinden die Dispositionen zu spåteren Schick-
    salen oder kiinftigen Neurosen an.

    EINE BEZIEHUNG
    ZWISCHEN EINEM SYMBOL
    UND EINEM SYMPTOM

    (1916)

    Der Hut als Symbol des Genitales, vorwiegend des månn-
    lichen, ist durch die Erfahrung der Traumanalysen hin-
    reichend sichergestellt. Man kann aber nicht behaupten, daß

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    22 Eine Beziehung zwischen einem Symbol

    dieses Symbol zu den begreiflichen gehört. In Phantasien
    wie in mannigfachen Symptomen erscheint auch der Kopf
    als Symbol des männlichen Genitales, oder wenn man will,
    als Vertretung desselben. Mancher Analytiker wird bemerkt
    haben, daß seine zwangsleidenden Patienten ein Maß von
    Abscheu und Entrüstung gegen die Strafe des Kôpfens äußern
    wie weitaus gegen keine andere Todesart, und wird sich
    veranlafit gesehen haben, ihnen zu erklären, daß sie das
    GekSpfrwerden wie einen Ersatz des Kastriertwerdens be-
    handeln. Wiederholt sind Triume jugendlicher Personen oder
    aus jungen Jahren analysiert und auch mitgeteilt worden, die
    das Thema der Kastration betrafen, und in denen von einer
    Kugel die Rede war, welche man als den Kopf des Vaters
    deuten mußte. Ich habe kürzlich ein Zeremoniell vor dem
    Einschlafen auflösen können, in dem es vorgeschrieben war,
    daß das kleine Kopfpolster rautenfSrmig auf den anderen
    Polstern liegen und der Kopf der Schlafenden genau im
    langen Durchmesser der Raute ruhen sollte. Die Raute hatte
    die bekannte, aus Mauerzeichnungen vertraute Bedeutung, der
    Kopf sollte ein männliches Glied darstellen.

    Es könnte nun sein, daß die Symbolbedeutung des Hutes
    sich aus der des Kopfes ableitet, insofern der Hut als ein
    fortgesetzter, aber abnehmbarer Kopf betrachtet werden kann.
    In diesem Zusammenhange erinnerte ich mich eines
    Symptoms der Zwangsneurotiker, aus dem sich diese Kranken
    eine hartnäckige Quälerei zu bereiten wissen. Sie lauern auf
    der Straße unausgesetzt darauf, ob sie ein Bekannter zuerst
    durch Hutabnehmen gegrüßt hat, oder ob er auf ihren
    Gruß zu warten scheint, und verzichten auf eine Anzahl von
    Beziehungen, indem sie die Entdeckung machen, daß der Be-
    treffende sie nicht mehr grüßt oder ihren Gruß nicht ordent-
    lich erwidert. Sie finden solcher Grufschwierigkeiten, die sie
    nach Stimmung und Belieben aufgreifen, kein Ende. Es ändert

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    und einem Symptom 23

    an diesem Verhalten auch nichts, wenn man ihnen vorhålt,
    was sie ohnedies alle wissen, daß der Gruß durch Hut-
    abnehmen eine Erniedrigung vor dem Begrüfiten bedeutet,
    daß z. B. ein Grande von Spanien das Vorrecht genof, in
    Gegenwart des Königs bedeckten Hauptes zu bleiben, und
    daß ihre Gruđempfindlichkeit also den Sinn hat, sich nicht
    geringer darzustellen, als der andere sich dünkt. Die
    Resistenz ihrer Empfindlichkeit gegen solche Aufklärung läßt
    die Vermutung zu, daß man die Wirkung eines dem Bewußt-
    sein weniger gut bekannten Motivs vor sich hat, und die
    Quelle dieser Verstärkung könnte leicht in der Beziehung
    zum Kastrationskomplex gefunden werden.

    MITTEILUNG EINES DER
    PSYCHOANALYTISCHEN THEORIE
    WIDERSPRECHENDEN FALLES

    VON PARANOIA
    (1915)

    Vor Jahren ersuchte mich ein bekannter Rechtsanwalt um
    Begutachtung eines Falles, dessen Auffassung ihm zweifelhaft
    erschien. Eine junge Dame hatte sich an ihn gewendet, um
    Schutz gegen die Verfolgungen eines Mannes zu finden, der
    sie zu einem Liebesverhältnis bewogen hatte. Sie behauptete,
    daß dieser Mann ihre Gefügigkeit mißbraucht hatte, um von
    ungesehenen Zuschauern photographische Aufnahmen ihres
    zärtlichen Beisammenseins herstellen zu lassen; nun läge es
    in seiner Hand, sie durch das Zeigen dieser Bilder zu be-
    schimen und zum Aufgeben ihrer Stellung zu zwingen. Der
    Rechtsfreund war erfahren genug, das krankhafte Gepräge
    dieser Anklage zu erkennen, meinte aber, es komme so viel