Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 1923-002/1924.2
  • S.

    EINE TEUFELSNEUROSE
    IM SIEBZEHNTEN JAHRHUNDERT

    Erschienen zuerst in „Imago“, IX.Bd. (1923),
    Heft x (Religionspsychologisches Heft).

    An den Neurosen der Kinderzeit haben wir gelernt, daß manches
    hier mühelos mit freiem Auge zu sehen ist, was sich späterhin
    nur gründlicher Forschung zu erkennen gibt. Eine ähnliche Er-
    wartung wird sich für die neurotischen Erkrankungen früherer
    Jahrhunderte ergeben, wenn wir nur darauf gefaßt sind, dieselben
    unter anderen Überschriften als unsere heutigen Neurosen zu
    finden. Wir dürfen nicht erstaunt sein, wenn die Neurosen dieser
    frühen Zeiten im dämonologischen Gewande auftreten, während
    die der unpsychologischen Jetztzeit im hypochondrischen, als or-
    ganische Krankheiten verkleidet, erscheinen. Mehrere Autoren,
    voran Charcot, haben bekanntlich in den Darstellungen der Be-
    sessenheit und Verzückung, wie sie uns die Kunst hinterlassen
    hat, die Äußerungsformen der Hysterie agnosziert; es wäre nicht
    schwer gewesen, in den Geschichten dieser Kranken die Inhalte
    der Neurose wiederzufinden, wenn man ihnen damals mehr Auf-
    merksamkeit geschenkt hätte.

    Die dämonologische Theorie jener dunkeln Zeiten hat gegen
    alle somatischen Auffassungen der „exakten“ Wissenschaftsperiode
    recht behalten. Die Besessenheiten entsprechen unseren Neurosen,

  • S.

    410 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    zu deren Erklärung wir wieder psychische Mächte heranziehen.
    Die Dämonen sind uns böse, verworfene Wünsche, Abkömmlinge
    abgewiesener, verdrängter Triebregungen. Wir lehnen bloß die
    Projektion in die äußere Welt ab, welche das Mittelalter mit
    diesen seelischen Wesen vornahm; wir lassen sie im Innenleben
    der Kranken, wo sie hausen, entstanden sein.

    T
    DIE GESCHICHTE DES MALERS CHRISTOPH
    HAITZMANN

    Einen Einblick in eine solche dämonologische Neurose des sieb-
    zehnten Jahrhunderts verdanke ich dem freundlichen Interesse
    des Herrn Hofrats Dr. R. Payer-Thurn, Direktor der ehemals
    k. k. Fideikommißbibliothek in Wien. Payer-Thurn hatte in
    der Bibliothek ein aus dem Gnadenort Mariazell stammendes
    Manuskript aufgefunden, in dem über eine wunderbare Erlösung
    von einem Teufelspakt durch die Gnade der heiligen Maria aus-
    führlich berichtet wird. Sein Interesse wurde durch die Beziehung
    dieses Inhalts zur Faustsage geweckt und wird ihn zu einer ein-
    gehenden Darstellung und Bearbeitung des Stoffes veranlassen.
    Da er aber fand, daß die Person, deren Erlösung beschrieben
    wird, an Krampfanfällen und Visionen litt, wandte er sich an
    mich um eine ärztliche Begutachtung des Falles. Wir sind über-
    eingekommen, unsere Arbeiten unabhängig voneinander und ge-
    sondert zu veröffentlichen. Ich statie ihm für seine Anregung,
    wie für mancherlei Hilfeleistung beim Studium des Manuskripts
    meinen Dank ab.

    Diese dämonologische Krankengeschichte bringt wirklich einen
    wertvollen Fund, der ohne viel Deutung klar zutage liegt, wie
    manche Fundstelle als gediegenes Metall liefert, was anderwärts
    mühsam aus dem Erz geschmolzen werden muß.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 411

    Das Manuskript, von dem mir eine genaue Abschrift vorliegt,
    zerlegt sich uns in zwei Stücke von ganz verschiedener Natur:
    in den lateinisch abgefaßten Bericht des mönchischen Schreibers
    oder Kompilators und in ein deutsch geschriebenes Tagebuch-
    bruchstück des Patienten. Der erste Teil enthält den Vorbericht
    und die eigentliche Wunderheilung; der zweite Teil kann für die
    geistlichen Herren nicht von Bedeutung gewesen sein, um so wert-
    voller ist er für uns. Er trägt viel dazu bei, unser sonst schwan-
    kendes Urteil über den Krankheitsfall zu festigen, und wir haben
    guten Grund, den Geistlichen zu danken, daß sie dies Dokument
    erhalten haben, obgleich es ihrer Tendenz nichts mehr leistet, ja
    diese eher gestört haben mag.

    Ehe ich aber in die Zusammensetzung der kleinen handschrift-
    lichen Broschüre, die den Titel

    „Trophacum Mariano-Cellense“
    führt, weiter eingehe, muß ich ein Stück ihres Inhalts erzählen,
    das ich dem Vorbericht entnehme.

    Am 3. September ı677 wurde der Maler Christoph Haitzmann,
    ein Bayer, mit einem Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn
    (in Niederösterreich) nach dem nahen Mariazell gebracht.‘ Er habe
    sich in Ausübung seiner Kunst mehrere Monate in Pottenbrunn
    aufgehalten, sei dort am 29. August in der Kirche von schreck-
    lichen Krämpfen befallen worden, und als sich diese in den
    nächsten Tagen wiederholten, habe ihn der Praefectus Dominii
    Pottenbrunnensis examiniert, was ihn wohl bedrücke, ob er sich
    wohl in unerlaubten Verkehr mit dem bösen Geist eingelassen
    habe? Worauf er gestanden, daß er wirklich vor neun Jahren
    zu einer Zeit der Verzagtheit an seiner Kunst und des Zweifels
    an seiner Selbsterhaltung dem Teufel, der ihn neunmal versucht,

    1) Das Alter des Malers ist nirgends angegeben. Der Zusammenhang läßt einen
    Mann zwischen 30 und 40, wahrscheinlich der unteren Grenze nüher, erraten. Er
    verstarb, wie wir hören werden, im Jahre 1700.

    2) Die Möglichkeit, daß diese Fragestellung dem Leidenden die Phantasie seines
    Teufelspaktes eingegeben, „suggeriert“ hat, sei hier nur gestreift.

  • S.

    42 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    nachgegeben und sich schriftlich verpflichtet, ihm nach Ablauf
    dieser Zeit mit Leib und Seele anzugehören. Das Ende des Ter-
    mins nahe mit dem 24. des laufenden Monats.‘ Der Unglückliche
    bereue und sei überzeugt, daß nur die Gnade der Mutter Gottes
    von Mariazell ihn retten könne, indem sie den Bösen zwinge,
    ihm die mit Blut geschriebene Verschreibung herauszugeben. Aus
    diesem Grund erlaube man sich miserum hunc hominem omni
    auzilio destitutum dem Wohlwollen der Herren von Mariazell zu
    empfehlen.

    Soweit der Pfarrer von Pottenbrunn, Leopoldus Braun, am
    ı. September 1677.

    Ich kann nun in der Analyse des Manuskripts fortfahren. Es
    besteht also aus drei Teilen:

    ı. einem farbigen Titelblatt, welches die Szene der Verschrei-
    bung und die der Erlösung in der Kapelle von Mariazell darstellt;
    auf dem nächsten Blatt sind acht ebenfalls farbige Zeichnungen
    der späteren Erscheinungen des Teufels mit kurzen Beischriften
    in deutscher Sprache. Diese Bilder sind nicht Originale, sondern
    Kopien — wie uns feierlich versichert wird: getreue Kopien —
    nach den ursprünglichen Malereien des Chr. Haitzmann;

    2. aus dem eigentlichen Trophaeum Mariano-Cellense (lateinisch),
    dem Werk eines geistlichen Kompilators, der sich am Ende P. A. E.
    unterzeichnet und diesen Buchstaben vier Verszeilen, welche seine
    Biographie enthalten, beifügt. Den Abschluß bildet ein Zeugnis
    des Abtes Kilian von St. Lambert vom ı2. September ı729,
    welches in anderer Schrift als der des Kompilators die genaue
    Übereinstimmung des Manuskripts und der Bilder mit den im
    Archiv aufbewahrten Originalen bestätigt. Es ist nicht angegeben,
    in welchem Jahr das Trophaeum angefertigt wurde. Es steht uns
    frei anzunehmen, daß es im gleichen Jahr geschah, in dem der
    Abt Kilian das Zeugnis ausstellte, also 1729 oder, da ı714 die
    letzte im Text genannte Jahreszahl ist, das Werk des Kompilators

    1) quorum et finis 24 mensis hujus futurus appropinquat.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 413

    in irgend: eine Zeit zwischen ı714 und ı729 zu verlegen. Das
    Wunder, welches durch diese Schrift vor Vergessenheit bewahrt
    werden sollte, hat sich im Jahr ı677 zugetragen, also 37 bis
    52 Jahre, vorher;

    5. aus dem deutsch abgefaßten Tagebuch des Malers, welches
    von der Zeit seiner Erlösung in der Kapelle bis zum ı3. Januar
    des nächsten Jahres 1678 reicht. Es ist in den Text des Trophaeum
    kurz vor dessen Ende eingeschaltet.

    Den Kern des eigentlichen Trophaeum bilden zwei Schrift-
    stücke, der bereits erwähnte Geleitbrief des Pfarrers Leopold Braun
    von Pottenbrunn vom ı. September 1677, und der Bericht des
    Abtes Franciscus von Mariazell und St. Lambert, der die Wunder-
    heilung schildert, vom ı2. September 1677, also nur wenige
    Tage später datiert. Die Tätigkeit des Redakteurs oder Kompilators
    P; A. E. hat eine Einleitung geliefert, welche die beiden Akten-
    stücke gleichsam verschmilzt, ferner einige wenig bedeutsame
    Verbindungsstücke und am Schluß einen Bericht über die weiteren
    Schicksale des Malers nach einer im Jahre 1714 eingeholten Er-
    kundigung beigefügt.‘

    Die Vorgeschichte des Malers wird also im Trophaeum dreimal
    erzählt,

    ı. im Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn,

    2. im feierlichen Bericht des Abtes Franciscus und

    3. in der Einleitung des Redakteurs. Beim Vergleich dieser drei
    Quellen stellen sich gewisse Unstimmigkeiten heraus, die zu ver-
    folgen nicht unwichtig sein wird.

    Ich kann jetzt die Geschichte des Malers fortsetzen. Nach-
    dem er in Mariazell lange gebüßt und gebetet, erhält er am
    8. September, dem Tag Mariä Geburt, um die zwölfte Nacht-
    stunde vom Teufel, der in der heiligen Kapelle als geflügelter
    Drache erscheint, den mit Blut geschriebenen Pakt zurück.

    3) Dies würde dafür sprechen, daß ı7ı14 auch das Datum der Abfassung des
    Trophaeum ist.

  • S.

    414 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    Wir werden später zu unserem Befremden erfahren, daß in
    der Geschichte des Malers Chr. Haitzmann zwei Verschreibungen
    an den Teufel vorkommen, eine frühere, mit schwarzer Tinte
    und eine spätere, mit Blut geschriebene. In der mitgeteilten
    Beschwörungsszene handelt es sich, wie auch noch das Bild
    auf dem Titelblatt erkennen läßt, um die blutige, also um die
    spätere.

    An dieser Stelle könnte sich bei uns ein Bedenken gegen die
    Glaubwürdigkeit der geistlichen Berichterstatter erheben, das uns
    mahnen würde, doch nicht unsere Arbeit an ein Produkt mönchi-
    schen Aberglaubens zu verschwenden. Es wird erzählt, daß mehrere,
    mit Namen benannte Geistliche dem Exorzierten während der
    ganzen Zeit Beistand leisteten und auch während der Teufels-
    erscheinung in der Kapelle anwesend waren. Wenn behauptet
    würde, daß auch sie den teuflischen Drachen gesehen haben, wie
    er dem Maler den rot beschriebenen Zettel hinhält (Schedam
    sibi porrigentem conspexisset), so stünden wir vor mehreren un-
    angenehmen Möglichkeiten, unter denen die einer kollektiven
    Halluzination noch die mildeste wäre. Allein der Wortlaut des
    vom Abt Franciscus ausgestellten Zeugnisses schlägt dieses Bedenken
    nieder. Es wird darin keineswegs behauptet, daß auch die geist-
    lichen Beistände den Teufel erschaut haben, sondern es heißt
    ehrlich und nüchtern, daß der Maler sich plötzlich von den Geist-
    lichen, die ihn hielten, losgerissen, in die Ecke der Kapelle, wo
    er die Erscheinung sah, gestürmt und dann mit dem Zettel in
    der Hand zurückgekommen sei.'

    Das Wunder war groß, der Sieg der heiligen Mutter über
    Satan unzweifelhaft, die Heilung aber leider nicht beständig. Es
    sei nochmals zur Ehre der geistlichen Herren hervorgehoben, daß
    sie diese Tatsache nicht verschweigen. Der Maler verließ Mariazell

    1)... . ipsumgue Dacmonem ad Aram Sac. Cellae per fenestrellam in cornu Epistolae Schedam
    sibi porrigentem consperisset eo advolans e Religiosorum manibus, qui eum tenebant, ipsam
    Schedam ad manum obtinudt, . » »

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 415

    nach kurzer Zeit im besten Wohlbefinden und begab sich dann
    nach Wien, wo er bei einer verheirateten Schwester wohnte, Dort
    fingen am ıı. Oktober neuerliche, zum Teil sehr schwere Anfälle
    an, über die das Tagebuch bis zum ı35. Januar berichtet. Es
    waren Visionen, Abwesenheiten, in denen er die mannigfaltigsten
    Dinge sah und erlebte, Krampfzustände, begleitet von den schmerz-
    haftesten Sensationen, einmal ein Zustand von Lähmung der
    Beine u. dgl. Diesmal plagte ihn aber nicht der Teufel, sondern
    es waren heilige Gestalten, die ihn heimsuchten, Christus, die
    heilige Jungfrau selbst. Merkwürdig, daß er unter diesen himm-
    lischen Erscheinungen und den Strafen, die sie über ihn ver-
    hängten, nicht minder litt, als früher unter dem Verkehr mit
    dem Teufel. Er faßte auch diese neuen Erlebnisse im Tagebuch
    als Erscheinungen des Teufels zusammen und beklagte sich über
    maligni Spiritus manifestationes, als er im Mai 1678 nach Mariazell
    zurückkehrte.

    Den geistlichen Herren gab er als Motiv seiner Rückkehr an,
    daß er auch eine andere, frühere, mit Tinte geschriebene Ver-
    schreibung vom Teufel zu fordern habe.‘ Auch diesmal verhalfen
    ihm die heilige Maria und die frommen Patres zur Erfüllung
    seiner Bitte. Aber der Bericht, wie das geschah, ist schweigsam.
    Es heißt nur mit kurzen Worten: qua iuxta votum reddita. Er
    betete wieder und er erhielt den Vertrag zurück. Dann fühlte
    er sich ganz frei und trat in den Orden der Barmherzigen
    Brüder ein.

    Man hat wiederum Anlaß anzuerkennen, daß die offenkundige
    Tendenz seiner Bemühung den Kompilator nicht dazu verführt
    hat, die von einer Krankengeschichte zu fordernde Wahrhaftigkeit
    zu verleugnen. Denn er verschweigt nicht, was die Erkundigung
    nach dem Ausgang des Malers beim Vorstand des Klosters der
    Barmherzigen Brüder im Jahre ı714. ergeben. Der R. P”- Pro-

    1) Diese wäre, im September 1668 ausgestellt, 91/ Jahre später, im Mai 1678
    längst verfallen gewesen.

  • S.

    416 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    vincialis berichtet, daß Bruder Chrysostomus noch wiederholt
    Anfechtungen des bösen Geistes erfahren hat, der ihn zu einem
    neuen Pakt verleiten wollte, und zwar nur dann, „wenn er etwas
    mehrers von Wein getrunken“, durch die Gnade Gottes sei es
    aber immer möglich gewesen ihn abzuweisen. Bruder Chrysostomus
    sei dann im Kloster des Ordens Neustatt an der Moldau im
    Jahre 1700 „sanft und trostreich“ an der Hektica verstorben.

    u
    DAS MOTIV DES TEUFELSPAKTS

    Wenn wir diese Teufelsverschreibung wie eine neurotische
    Krankengeschichte betrachten, wendet sich unser Interesse zunächst
    der Frage nach ihrer Motivierung zu, die ja mit der Veranlassung
    innig zusammenhängt. Warum verschreibt man sich dem Teufel?
    Dr. Faust fragt zwar verächtlich: Was willst du armer Teufel
    geben? Aber er-hat nicht recht, der Teufel hat als Entgelt für
    die unsterbliche Seele allerlei zu bieten, was die Menschen hoch
    einschätzen: Reichtum, Sicherheit vor Gefahren, Macht über die
    Menschen und über die Kräfte der Natur, selbst Zauberkünste
    und vor allem anderen: Genuß, Genuß bei schönen Frauen. Diese
    Leistungen oder Verpflichtungen des Teufels pflegen auch im
    Vertrag mit ihm ausdrücklich erwähnt zu werden. Was ist nun
    für Christoph Haitzmann das Motiv seines Pakts gewesen?

    Merkwürdigerweise keiner von all diesen so natürlichen Wün-
    schen. Um jeden Zweifel daran zu bannen, braucht man nur die
    kurzen Bemerkungen einzusehen, die der Maler zu den von ihm
    abgebildeten Teufelserscheinungen hinzusetzt. Zum Beispiel lautet
    die Note zur dritten Vision:

    ı) Siehe in Faust I, Studierzimmer:
    Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
    Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
    Wenn wir uns drüben wieder finden,
    So sollst du mir das Gleiche thun.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 417

    „Zum driten ist er mir in anderthalb Jahren in dißer abscheüh-
    lichen Gestalt erschinen, mit einen Buuch in der Handt, darin
    lauter Zauberey und schwarze Kunst war begrüffen ...*

    Aber aus der Beischrift zu einer späteren Erscheinung er-
    fahren wir, daß der Teufel ihm heftige Vorwürfe macht, warum
    er „sein vorgemeldtes Buuch verbrennt“, und ihn zu zerreißen
    droht, wenn er es ihm nicht wieder beschafft.

    Bei der vierten Erscheinung zeigt er ihm einen großen gelben
    Beutel und einen großen Dukaten und verspricht ihm jederzeit
    soviel davon, als er nur haben will, „aber ich solliches gar nicht
    angenomben“, kann sich der Maler rühmen.

    Ein anderes Mal verlangt er von ihm, er solle sich amüsieren,
    unterhalten lassen. Wozu der Maler bemerkt, „welliches zwar
    auch auf sein begehren geschehen aber ich yber drey Tag nit
    continuirt, und gleich widerumb außgelöst worden“.

    Da er nun Zauberkünste, Geld und Genuß zurückweist, wenn
    der Teufel sie ihm bietet, geschweige denn, daß er sie zu Bedin-
    gungen des Pakts gemacht hätte, wird es wirklich dringlich zu
    wissen, was dieser Maler eigentlich vom Teufel wollte, als er sich
    ihm verschrieb. Irgend ein Motiv sich mit dem Teufel einzulassen,
    muß er doch gehabt haben.

    Das Trophaeum gibt auch sichere Auskunft über diesen Punkt.
    Er war schwermütig geworden, konnte nicht, oder wollte nicht recht
    arbeiten und hatte Sorge um die Erhaltung seiner Existenx, also
    melancholische Depression mit Arbeitshemmung und (berechtigter)
    Lebenssorge. Wir sehen, daß wir es wirklich mit einer Kranken-
    geschichte zu tun haben, erfahren auch, welches die Veranlassung
    dieser Erkrankung war, die der Maler selbst in den Bemerkungen
    zu den Teufelsbildern geradezu eine Melancholie nennt („solte
    mich darmit belustigen und melancoley vertreiben“). Von unseren
    drei Quellen erwähnt zwar die erste, der Geleitbrief des Pfarrers,
    nur den Depressionszustand („dum artis suae progressum emolu-
    mentumque secuturum pusillanimis perpenderet“), aber die zweite,

    Freud, X. 27

  • S.

    418 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    der Bericht des Abtes Franciscus weiß auch die Quelle dieser
    Verzagtheit oder Verstimmung zu nennen, denn hier heißt es
    „accepta aliguä pusillanimitate ex morte parentis“ und dem-
    entsprechend auch in der Einleitung des Kompilators mit den
    nämlichen, nur umgestellten Worten: ex morte parentis accepta
    aliquä pusillanimitate. Es war also sein Vater gestorben, er
    darüber in eine Melancholie verfallen, da näherte sich ihm der
    Teufel, fragte ihn, warum er so bestürzt und traurig sei, und
    versprach ihm „auf alle Weiß zu helfen und an die Handt zu
    gehen“

    Da verschreibt sich also einer dem Teufel, um von einer Gemüts-
    depression befreit zu werden. Gewiß ein ausgezeichnetes Motiv
    nach dem Urteil eines jeden, der sich in die Qualen eines solchen
    Zustandes einfühlen kann und der überdies weiß, wie wenig
    ärztliche Kunst von diesem Leiden zu lindern versteht. Doch
    würde keiner, der dieser Erzählung soweit gefolgt ist, erraten
    können, wie der Wortlaut der Verschreibung an den Teufel (oder
    vielmehr der beiden Verschreibungen, einer ersten, mit Tinte und
    einer zweiten, etwa ein Jahr später, mit Blut geschriebenen, beide
    angeblich noch in der Schatzkammer von Mariazell vorhanden
    und im Trophaeum mitgeteilt), wie also der Wortlaut dieser Ver-
    schreibungen gelautet hat.

    Diese Verschreibungen bringen uns zwei starke Überraschungen.
    Erstens nennen sie nicht eine Verpflichtung des Teufels, für deren
    Einhaltung die ewige Seligkeit verpfändet wird, sondern nur eine
    Forderung des Teufels, die der Maler einhalten soll. Es berührt
    uns als ganz unlogisch, absurd, daß dieser Mensch seine Seele
    einsetzt nicht für etwas, was er vom Teufel bekommen, sondern
    was er dem Teufel leisten soll. Noch sonderbarer klingt die Ver-
    pflichtung des Malers.

    Erste, mit schwarzer Tinte geschriebene „Syngrapha“:

    1) Bild ı und Legende dazu auf dem Titelblatt, der Teufel in Gestalt eines
    „Ersamen Bürgers“,

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 419

    Ich Christoph Haitzmann vndterschreibe mich diesen
    Herrn sein leibeigener Sohn auf 9 Jahr. 1669 Jahr.

    Zweite, mit Blut geschrieben:

    Anno 1669
    Christoph Haizmann. Ich verschreibe mich dißen
    Satan, ich sein leibeigner Sohn zu sein, und in
    9 Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugeheren.

    Alles Befremden entfällt aber, wenn wir den Text der Ver-
    schreibungen so zurechtrücken, daß in ihr als Forderung des Teufels
    dargestellt wird, was vielmehr seine Leistung, also Forderung des
    Malers ist. Dann bekäme der unverständliche Pakt: einen geraden
    Sinn und könnte solcherart ausgelegt werden: Der Teufel ver-
    pflichtet sich, dem Maler durch neun Jahre den verlorenen Vater
    zu ersetzen. Nach Ablauf dieser Zeit verfällt der Maler mit Leib
    und Seele dem Teufel, wie es bei diesen Händeln allgemein
    üblich war. Der Gedankengang des Malers, der seinen Pakt
    motiviert, scheint ja der folgende zu sein: Durch den Tod des
    Vaters hat er Stimmung und Arbeitsfähigkeit eingebüßt; wenn
    er nun einen Vaterersatz bekommt, hofft er das Verlorene wieder
    zu gewinnen.

    Jemand, der durch den Tod seines Vaters melancholisch ge-
    worden ist, muß doch diesen Vater lieb gehabt haben. Dann ist
    es aber sehr sonderbar, daß ein solcher Mensch auf die Idee
    kommen kann, den Teufel zum Ersatz für den geliebten Vater
    zu nehmen.

    II

    DER TEUFEL ALS VATERERSATZ

    Ich besorge, eine nüchterne Kritik wird uns nicht zugeben,
    daß wir mit jener Umdeutung den Sinn des Teufelspakts bloß-
    gelegt haben. Sie wird zweierlei Einwendungen dagegen erheben.
    Erstens: es sei nicht notwendig, die Verschreibung als einen Ver-

    ar

  • S.

    420 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    trag anzusehen, in dem die Verpflichtungen beider Teile Platz
    gefunden haben. Sie enthalte vielmehr nur die Verpflichtung des
    Malers, die des Teufels sei außerhalb ihres Textes geblieben,
    gleichsam „sousentendue“. Der Maler verpflichtet sich aber zu
    zweierlei, erstens zur Teufelssohnschaft durch neun Jahre und
    zweitens dazu, ihm nach dem Tode ganz anheimzufallen. Damit
    ist eine der Begründungen unseres Schlusses weggeräumt.

    Die zweite Einwendung wird sagen, es sei nicht berechtigt auf
    den Ausdruck, des Teufels leibeigener Sohn zu sein, besonderes
    Gewicht zu legen. Das sei eine geläufige Redensart, die jeder so
    auffassen könne, wie die geistlichen Herren sie verstanden haben
    mögen. Diese übersetzen die in den Verschreibungen versprochene
    Sohnschaft nicht in ihr Latein, sondern sagen nur, daß der Maler
    sich dem Bösen „mancipavit“, zu eigen gegeben, es auf sich ge-
    nommen habe, ein sündhaftes Leben zu führen und Gott und
    die heilige Dreieinigkeit zu verleugnen. Warum sollten wir uns
    von dieser naheliegenden und ungezwungenen Auffassung ent-
    fernen?* Der Sachverhalt wäre dann einfach der, daß sich jemand
    in der Qual und Ratlosigkeit einer melancholischen Depression
    dem Teufel verschreibt, dem er auch das stärkste therapeutische
    Können zutraut. Daß diese Verstimmung aus dem Tod des
    Vaters hervorging, komme nicht weiter in Betracht, es hätte auch
    ein anderer Anlaß sein können. Das klingt stark und vernünftig.
    Gegen die Psychoanalyse erhebt sich wieder der Vorwurf, daß sie
    einfache Verhältnisse in spitzfindiger Weise kompliziert, Geheim-
    nisse und Probleme dort sieht, wo sie nicht existieren, und daß
    sie dies bewerkstelligt, indem sie kleine und nebensächliche Züge,
    wie man sie überall finden kann, übermäßig betont und zu
    Trägern der weitgehendsten und fremdartigsten Schlüsse erhebt.
    Vergeblich würden wir dagegen geltend machen, daß durch

    1) In der Tat werden wir später, wenn wir erwägen, wann und für wen diese
    Verschreibungen abgefaßt wurden, selbst einsehen, daß ihr Text unauffällig und all-
    gemein verständlich lauten mußte. Es reicht uns aber hin, wenn er eine Zweideu-
    tigkeit bewahrt, an welche auch unsere Auslegung anknüpfen kann.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 421

    diese Abweisung so viele schlagende Analogien aufgehoben und
    feine Zusammenhänge zerrissen werden, die wir in diesem
    Falle aufzeigen können. Die Gegner werden sagen, diese Ana-
    logien und Zusammenhänge bestehen eben nicht, sondern
    werden von uns mit überflüssigem Scharfsinn in den Fall
    hineingetragen.

    Nun, ich werde meine Entgegnung nicht mit den Worten ein-
    leiten: seien wir ehrlich oder seien wir aufrichtig, denn das muß
    man immer sein können, ohne einen besonderen Anlauf dazu zu
    nehmen, sondern ich werde mit schlichten Worten versichern,
    daß ich wohl weiß, wenn jemand nicht bereits an die Berechti-
    gung der psychoanalytischen Denkweise glaubt, werde er diese
    Überzeugung auch nicht aus dem Fall des Malers Chr. Haitzmann
    im siebzehnten Jahrhundert gewinnen. Es ist auch gar nicht meine
    Absicht, diesen Fall als Beweismittel für die Gültigkeit der Psycho-
    analyse zu verwerten; ich setze vielmehr die Psychoanalyse als
    gültig voraus und verwende sie dazu, um die dämonologische
    Erkrankung des Malers aufzuklären. Die Berechtigung hiezu nehme
    ich aus dem Erfolg unserer Forschungen über das Wesen der
    Neurosen überhaupt. In aller Bescheidenheit darf man es aus-
    sprechen, daß heute selbst die Stumpferen unter unseren Zeit-
    und Fachgenossen einzusehen beginnen, daß ein Verständnis der
    neurotischen Zustände ohne Hilfe der Psychoanalyse nicht zu
    erreichen ist.

    „Die Pfeile nur erobern Troja, sie allein‘

    bekennt der Odysseus in Sophokles’ Philoktet.

    Wenn es richtig ist, die Teufelsverschreibung unseres Malers
    als neurotische Phantasie anzusehen, so bedarf eine psychoanalyti-
    sche Würdigung derselben keiner weiteren Entschuldigung. Auch
    kleine Anzeichen haben ihren Sinn und Wert, ganz besonders
    unter den Entstehungsbedingungen der Neurose. Man kann sie
    freilich ebensowohl überschätzen wie unterschätzen, und es bleibt

  • S.

    422 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    eine Sache des Takts, wie weit man in ihrer Verwertung gehen
    will. Wenn aber jemand nicht an die Psychoanalyse und nicht ein-
    mal an den Teufel glaubt, muß es ihm überlassen bleiben, was
    er mit dem Fall des Malers anfangen will, sei es, daß er dessen
    Erklärung aus eigenen Mitteln bestreiten kann, sei es, daß er
    nichts der Erklärung Bedürftiges an ihm findet.

    Wir kehren also zu unserer Annahme zurück, daß der Teufel,
    dem unser Maler sich verschreibt, ihm ein direkter Vaterersatz
    ist. Dazu stimmt auch die Gestalt, in der er ihm zuerst erscheint,
    als ehrsamer älterer Bürgersmann mit braunem Vollbart, in rotem
    Mantel, schwarzem Hut, die Rechte auf den Stock gestützt, einen
    schwarzen Hund neben sich (Bild 1). Später wird seine Erschei-
    nung immer schreckhafter, man möchte sagen mythologischer:
    Hörner, Adlerklauen, Fledermausflügel werden zu ihrer Ausstattung
    verwendet. Zum Schluß erscheint er in der Kapelle als fliegender
    Drache. Auf ein bestimmtes Detail seiner körperlichen Gestaltung
    werden wir später zurückkommen müssen.

    Daß der Teufel zum Ersatz eines geliebten Vaters gewählt
    wird, klingt wirklich befremdend, aber doch nur, wenn wir zum
    erstenmal davon hören, denn wir wissen mancherlei, was die
    Überraschung mindern kann. Zunächst, daß Gott ein Vaterersatz
    ist oder richtiger: ein erhöhter Vater oder noch anders: ein Nach-
    bild des Vaters, wie man ihn in der Kindheit sah und erlebte,
    der Einzelne in seiner eigenen Kindheit und das Menschen-
    geschlecht in seiner Vorzeit als Vater der primitiven Urhorde.
    Später sah der Einzelne seinen Vater anders und geringer, aber
    das kindliche Vorstellungsbild blieb erhalten und verschmolz mit
    der überlieferten Erinnerungsspur des Urvaters zur Gottesvor-
    stellung des Einzelnen. Wir wissen auch aus der Geheimgeschichte
    des Individuums, welche die Analyse aufdeckt, daß das Verhältnis
    zu diesem Vater vielleicht vom Anfang an ein ambivalentes war,

    1) Aus einem solchen schwarzen Hund entwickelt sich bei Goethe der Teufel
    selbst.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 425

    jedenfalls bald so wurde, d. h. es umfaßte zwei einander ent-
    gegengesetzte Gefühlsregungen, nicht nur eine zärtlich unter-
    würfige, sondern auch eine feindselig trotzige. Dieselbe Ambi-
    valenz beherrscht nach unserer Auffassung das Verhältnis der
    Menschenart zu ihrer Gottheit. Aus dem nicht zu Ende ge-
    kommenen Widerstreit von Vatersehnsucht einerseits, Angst und
    Sohnestrotz anderseits haben wir uns wichtige Charaktere und
    entscheidende Schicksale der Religionen erklärt.

    Vom bösen Dämon wissen wir, daß er als Widerpart Gottes
    gedacht ist und doch seiner Natur sehr nahe steht. Seine Geschichte
    ist allerdings nicht so gut erforscht wie die Gottes, nicht alle
    Religionen haben den bösen Geist, den Gegner Gottes, aufge-
    nommen, sein Vorbild im individuellen Leben bleibt zunächst im
    Dunkeln. Aber eines steht fest, Götter können zu bösen Dämonen
    werden, wenn neue Götter sie verdrängen. Wenn ein Volk von
    einem anderen besiegt wird, so wandeln sich die gestürzten Götter
    der Besiegten nicht selten für das Siegervolk in Dämonen um.
    Der böse Dämon des christlichen Glaubens, der Teufel des Mittel-
    alters, war nach der christlichen Mythologie selbst ein gefallener
    Engel und gottgleicher Natur. Es braucht nicht viel analytischen
    Scharfsinns, um zu erraten, daß Gott und Teufel ursprünglich
    identisch waren, eine einzige Gestalt, die später in zwei mit
    entgegengesetzten Eigenschaften zerlegt wurde” In den Ur-
    zeiten der Religionen trug Gott selbst noch alle die schreckenden
    Züge, die in der Folge zu einem Gegenstück von ihm vereinigt
    wurden.

    Es ist der von uns wohlbekannte Vorgang der Zerlegung einer
    Vorstellung mit gegensinnigem — ambivalentem — Inhalt in
    zwei scharf kontrastierende Gegensätze. Die Widersprüche in der
    ursprünglichen Natur Gottes sind aber eine Spiegelung der Am-

    3) Siehe Totem und Tabu und im Einzelnen Th. Reik, Probleme der Religions-
    Psychologie I, 1919.

    2) Siehe Th. Reik, Der eigene und der fremde Gott (Imago-Bücher III, 1935)
    im Kapitel: Gott und Teufel.

  • S.

    424 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    bivalenz, welche das Verhältnis des Einzelnen zu seinem persön-
    lichen Vater beherrscht. Wenn der gütige und gerechte Gott ein
    Vaterersatz ist, so darf man sich nicht darüber wundern, daß auch
    die feindliche Einstellung, die ihn haßt und fürchtet und sich
    über ihn beklagt, in der Schöpfung des Satans zum Ausdruck
    gekommen ist. Der Vater wäre also das individuelle Urbild sowohl
    Gottes wie des Teufels. Die Religionen würden aber unter der
    untilgbaren Nachwirkung der Tatsache stehen, daß der primitive
    Urvater ein uneingeschränkt böses Wesen war, Gott weniger ähnlich
    als dem Teufel.

    Freilich, so leicht ist es nicht, die Spur der satanischen Auf-
    fassung des Vaters im Seelenleben des Einzelnen aufzuzeigen.
    Wenn der Knabe Fratzen und Karikaturen zeichnet, so gelingt
    es etwa nachzuweisen, daß er in ihnen den Vater verhöhnt, und
    wenn beide Geschlechter sich nächtlicherweise vor Räubern und
    Einbrechern schrecken, so hat die Erkennung derselben als Ab-
    spaltungen des Vaters keine Schwierigkeit." Auch die in den Tier-
    phobien der Kinder auftretenden Tiere sind am häufigsten Vater-
    ersatz wie in der Urzeit das Totemtier. So deutlich aber wie bei
    unserem neurotischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts hört
    man sonst nicht, daB der Teufel ein Nachbild des Vaters ist und
    als Ersatz für ihn eintreten kann. Darum sprach ich eingangs
    dieser Arbeit die Erwartung aus, eine solche dämonologische
    Krankengeschichte werde uns als gediegenes Metall zeigen, was
    in den Neurosen einer späteren, nicht mehr abergläubischen
    aber dafür hypochondrischen Zeit mühselig durch analytische
    Arbeit aus dem Erz der Einfälle und Symptome dargestellt werden
    muß.

    ı) Als Einbrecher erscheint der Vater Wolf auch in dem bekannten Märchen
    von den sieben Geißlein.

    2) Wenn es uns so selten gelingt, in unseren Analysen den Teufel als Vaterersatz
    aufzufinden, so mag dies darauf hinweisen, daß diese Figur der mittelalterlichen
    Mythologie bei den Personen, die sich unserer Analyse unterziehen, ihre Rolle längst
    ausgespielt hat. Dem frommen Christen früherer Jahrhunderte war der Glaube an
    den Teufel nicht weniger Pflicht als der Glaube an Gott. In der Tat brauchte er

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 425

    Stärkere Überzeugung werden wir wahrscheinlich gewinnen,
    wenn wir tiefer in die Analyse der Erkrankung bei unserem
    Maler eindringen. Daß ein Mann durch den Tod seines Vaters
    eine melancholische Depression und Arbeitshemmung erwirbt, ist
    nichts Ungewöhnliches. Wir schließen daraus, daß er an diesem
    Vater mit besonders starker Liebe gehangen hat, und erinnern
    uns daran, wie oft auch die schwere Melancholie als neurotische
    Form der Trauer auftritt.

    Darin haben wir gewiß recht, nicht aber, wenn wir weiter
    schließen, daß dies Verhältnis eitel Liebe gewesen sei. Im Gegen-
    teil, eine Trauer nach dem Verlust des Vaters wird sich um so
    eher in Melancholie umwandeln, je mehr das Verhältnis zu ihm
    im Zeichen der Ambivalenz stand. Die Hervorhebung dieser Am-
    bivalenz bereitet uns aber auf die Möglichkeit der Erniedrigung
    des Vaters vor, wie sie in der Teufelsneurose des Malers zum
    Ausdruck kommt. Könnten wir nun von Chr. Haitzmann so viel
    erfahren wie von einem Patienten, der sich unserer Analyse unter-
    zieht, so wäre es ein leichtes, diese Ambivalenz zu entwickeln,
    ihm zur Erinnerung zu bringen, wann und bei welchen Anlässen
    er Grund bekam, seinen Vater zu fürchten und zu hassen, vor
    allem aber die akzidentellen Momente aufzudecken, die zu den
    typischen Motiven des Vaterhasses hinzugekommen sind, welche
    in der natürlichen Sohn-Vaterbeziehung unvermeidlich wurzeln.
    Vielleicht fände dann die Arbeitshemmung eine spezielle Auf-
    klärung. Es ist möglich, daß der Vater sich dem Wunsch des
    Sohnes, Maler zu werden, widersetzt hatte; dessen Unfähigkeit,
    seine Kunst nach dem Tode des Vaters auszuüben, wäre dann
    einerseits ein Ausdruck des bekannten „nachträglichen Gehorsams“,

    den Teufel, um an Gott festhalten zu können. Der Rückgang der Gläubigkeit hat
    dann aus verschiedenen Gründen zuerst und zunächst die Person des Teufels be-
    troffen.

    Wenn man sich getraut, die Idee des Teufels als Vaterersatz kulturgeschichtlich
    zu verwerten, so kann man auch die Hexenprozesse des Mittelalters in einem nenen
    Lichte sehen.

  • S.

    226 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    anderseits würde sie, die den Sohn zur Selbsterhaltung unfähig
    macht, die Sehnsucht nach dem Vater als Beschützer vor der
    Lebenssorge steigern müssen. Als nachträglicher Gehorsam wäre
    sie auch eine Äußerung der Reue und eine erfolgreiche Selbst-
    bestrafung.

    Da wir eine solche Analyse mit Chr. Haitzmann, + 1700, nicht
    anstellen können, müssen wir uns darauf beschränken, diejenigen
    Züge seiner Krankengeschichte hervorzuheben, welche auf die
    typischen Anlässe zu einer negativen Vatereinstellung hinweisen
    können. Es sind nur wenige, nicht sehr auffällig, aber recht
    interessant.

    Vorerst die Rolle der Zahl Neun. Der Pakt mit dem Bösen
    wird auf neun Jahre geschlossen. Der gewiß unverdächtige Be-
    richt des Pfarrers von Pottenbrunn äußert sich klar darüber: pro
    novem annis Syngraphen scriptam tradidit. Dieser vom ı. Sep-
    tember 1677 datierte Geleitbrief weiß auch anzugeben, daß die
    Frist in wenigen Tagen abgelaufen wäre: quorum et finis 24
    mensis hujus futurus appropinguat. Die Verschreibung wäre also
    am 24. September ı668 erfolgt.‘ Ja in diesem Bericht hat die
    Zahl Neun noch eine andere Verwendung. Nonies — neunmal —
    will der Maler den Versuchungen des Bösen widerstanden haben,
    ehe er sich ihm ergab. Dies Detail wird in den späteren Berichten
    nicht mehr erwähnt; „Post annos novem“ heißt es dann auch
    im Attest des Abtes und „ad novem annos“, wiederholt der Kom-
    pilator in seinem Auszug, ein Beweis, daß diese Zahl nicht als
    gleichgültig angesehen wurde.

    Die Neunzahl ist uns aus neurotischen Phantasien wohl be-
    kannt. Sie ist die Zahl der Schwangerschaftsmonate und lenkt, wo
    immer sie vorkommt, unsere Aufmerksamkeit auf eine Schwanger-
    schaftsphantasie hin. Bei unserem Maler handelt es sich freilich
    um neun Jahre, nicıt um neun Monate, und die Neun, wird

    1) Der Widerspruch, daß die wiedergegebenen Verschreibungen beide die Jahres-
    zahl 1669 zeigen, wird uns später beschäftigen.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 427

    man sagen, ist auch sonst eine bedeutungsvolle Zahl. Aber wer
    weiß, ob die Neun nicht überhaupt ein gutes Teil ihrer Heilig-
    keit ihrer Rolle in der Schwangerschaft verdankt; und die Wand-
    lung von neun Monaten zu neun Jahren braucht uns nicht zu
    beirren. Wir wissen vom Traum her, wie die „unbewußte Geistes-
    tätigkeit“ mit den Zahlen umspringt, Treffen wir z. B. im Traum
    auf eine Fünf, so ist diese jedesmal auf eine bedeutsame Fünf des
    Wachlebens zurückzuführen, aber in der Realität waren es fünf
    Jahre Altersunterschied oder eine Gesellschaft von fünf Personen,
    im Traum erscheinen sie als fünf Geldscheine oder fünf Stücke
    Obst. Das heißt die Zahl wird beibehalten, aber ihr Nenner be-
    liebig, je nach den Anforderungen der Verdichtung und Verschie-
    bung vertauscht. Neun Jahre im Traum können also ganz leicht
    neun Monaten der Wirklichkeit entsprechen. Auch spielt die
    Traumarbeit noch in anderer Weise mit den Zahlen des Wach-
    lebens, indem sie mit souveräner Gleichgültigkeit sich um die
    Nullen nicht bekümmert, sie gar nicht wie Zahlen behandelt.
    Fünf Dollars im Traum können fünfzig, fünfhundert, fünftausend
    Dollars der Realität vertreten.

    Ein anderes Detail in den Beziehungen des Malers zum Teufel
    weist uns gleichfalls auf die Sexualität hin. Das erstemal sieht
    er, wie schon erwähnt, den Bösen in der Erscheinung eines ehr-
    samen Bürgers. Aber schon das nächste Mal ist er nackt, miß-
    gestaltet und hat zwei Paar weiblicher Brüste. Die Brüste, bald
    einfach, bald mehrfach vorhanden, fehlen nun in keiner der fol-
    genden Erscheinungen. Nur in einer derselben zeigt der Teufel
    außer den Brüsten einen großen, in eine Schlange auslaufenden
    Penis. Diese Betonung des weiblichen Geschlechtscharakters durch
    große, hängende Brüste (nie findet sich eine Andeutung des weib-
    lichen Genitales) muß uns als auffälliger Widerspruch gegen
    unsere Annahme erscheinen, der Teufel bedeute unserem Maler
    einen Vaterersatz. Eine solche Darstellung des Teufels ist auch
    an und für sich ungewöhnlich. Wo Teufel ein Gattungsbegriff

  • S.

    428 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    ist, also Teufel in der Mehrzahl auftreten, hat auch die Dar-
    stellung von weiblichen Teufeln nichts Befremdendes, aber daß
    der eine Teufel, der eine große Individualität ist, der Herr der
    Hölle und Widersacher Gottes, anders als männlich, ja übermänn-
    lich mit Hörnern, Schweif und großer Penisschlange gebildet
    werde, scheint mir nicht vorzukommen.

    Aus diesen beiden kleinen Anzeichen läßt sich doch erraten,
    welches typische Moment den negativen Anteil seines Vaterver-
    hältnisses bedingt. Das, wogegen er sich sträubt, ist die feminine
    Einstellung zum Vater, die in der Phantasie, ihm ein Kind zu
    gebären (neun Jahre) gipfelt. Wir kennen diesen Widerstand genau
    aus unseren Analysen, wo er in der Übertragung sehr merkwür-
    dige Formen annimmt und uns viel zu schaffen macht. Mit der
    Trauer um den verlorenen Vater, mit der Steigerung der Sehn-
    sucht nach ihm, wird bei unserem Maler auch die längst ver-
    drängte Schwangerschaftsphantasie reaktiviert, gegen die er sich
    durch Neurose und Vatererniedrigung wehren muß.

    Warum trägt aber der zum Teufel herabgesetzte Vater das
    körperliche Merkmal des Weibes an sich? Dieser Zug erscheint
    anfangs schwer deutbar, bald aber ergeben sich zwei Erklärungen
    für ihn, die miteinander konkurrieren ohne einander auszuschließen.
    Die feminine Einstellung zum Vater unterlag der Verdrängung,
    sobald der Knabe verstand, daß der Wettbewerb mit dem Weib
    um die Liebe des Vaters das Aufgeben des eigenen männlichen
    Genitales, also die Kastration, zur Bedingung hat. Die Ablehnung
    der femininen Einstellung ist also die Folge des Sträubens gegen
    die Kastration, sie findet regelmäßig ihren stärksten Ausdruck in
    der gegensätzlichen Phantasie, den Vater selbst zu kastrieren, ihn
    zum Weib zu machen. Die Brüste des Teufels entsprächen also
    einer Projektion der eigenen Weiblichkeit auf den Vaterersatz.
    Die andere Erklärung dieser Ausstattung des Teufelskörpers hat
    nicht mehr feindseligen, sondern zärtlichen Sinn; sie erblickt in
    dieser Gestaltung ein Anzeichen dafür, daß die infantile Zärtlich-

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 429

    keit von der Mutter her auf den Vater verschoben worden ist,
    und deutet so eine starke, vorgängige Mutterfixierung an, die
    ihrerseits wieder für ein Stück der Feindseligkeit gegen den Vater
    verantwortlich ist. Die großen Brüste sind das positive Geschlechts-
    kennzeichen der Mutter, auch zu einer Zeit, wo der negative
    Charakter des Weibes, der Penismangel, dem Kinde noch nicht
    bekannt ist.‘

    Wenn das Widerstreben gegen die Annahme der Kastration
    unserem Maler die Erledigung seiner Vatersehnsucht unmöglich
    macht, so ist es überaus verständlich, daß er sich um Hilfe und
    Rettung an das Bild der Mutter wendet. Darum erklärt er, daß
    nur die heilige Mutter Gottes von Mariazell ihn vom Pakt mit
    dem Teufel lösen kann, und erhält am Geburtstag der Mutter
    (8. September) seine Freiheit wieder. Ob der Tag, an dem der
    Pakt geschlossen wurde, der 24. September, nicht auch ein in
    ähnlicher Weise ausgezeichneter Tag war, werden wir natürlich
    nie erfahren.

    Kaum ein anderes Stück der psychoanalytischen Ermittlungen
    aus dem Seelenleben des Kindes klingt dem normalen Erwachsenen
    so abstoßend und unglaubwürdig wie die feminine Einstellung
    zum Vater und die aus ihr folgende Schwangerschaftsphantasie
    des Knaben. Wir können erst ohne Besorgnis und ohne Bedürfnis
    nach Entschuldigung von ihr reden, seitdem der sächsische Senats-
    präsident Daniel Paul Schreber die Geschichte seiner psycho-
    tischen Erkrankung und weitgehenden Herstellung bekannt gemacht
    hat.” Aus dieser unschätzbaren Veröffentlichung erfahren wir, daß
    der Herr Senatspräsident etwa um das fünfzigste Jahr seines Lebens
    die sichere Überzeugung bekam, daß Gott — der übrigens deut-
    liche Züge seines Vaters, des verdienten Arztes Dr. Schreber an

    1) Vgl. Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci [Ges. Schriften, Bd. IX].

    2) D. P. Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Leipzig ı903. Vgl.
    meine Analyse des Falles Schreber [Psychoanalytische Bemerkungen über einen
    autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia. Ges. Schriften, Bd. VII].

  • S.

    430 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    sich trägt — den Entschluß gefaßt, ihn zu entmannen, als Weib
    zu gebrauchen und aus ihm neue Menschen von Schreberschem
    Geist entstehen zu lassen. (Er war selbst in seiner Ehe kinderlos
    geblieben.) An dem Sträuben gegen diese Absicht Gottes, welche
    ihm höchst ungerecht und „weltordnungswidrig“ vorkam, er-
    krankte er unter den Erscheinungen einer Paranoia, die sich aber
    im Laufe der Jahre bis auf einen geringen Rest rückbildete. Der
    geistvolle Verfasser seiner eigenen Krankengeschichte konnte wohl
    nicht ahnen, daß er in ihr ein typisches pathogenes Moment auf-
    gedeckt hatte.

    Dieses Sträuben gegen die Kastration oder die feminine Ein-
    stellung hat Alf. Adler aus seinen organischen Zusammenhängen
    gerissen, in seichte oder falsche Beziehungen zum Machtstreben
    gebracht und als „männlichen Protest“ selbständig hingestellt. Da
    eine Neurose immer nur aus dem Konflikt zweier Strebungen
    hervorgehen kann, ist es ebenso berechtigt, im männlichen Protest
    die Verursachung „aller“ Neurosen zu sehen wie in der femininen
    Einstellung, gegen welche protestiert wird. Richtig ist, daß dieser
    männliche Protest einen regelmäßigen Anteil an der Charakter-
    bildung hat, bei manchen Typen einen sehr großen, und daß er uns
    als scharfer Widerstand bei der Analyse neurotischer Männer ent-
    gegentritt. Die Psychoanalyse würdigt den männlichen Protest im
    Zusammenhang des Kastrationskomplexes, ohne seine Allmacht
    oder Allgegenwart bei den Neurosen vertreten zu können. Der
    ausgeprägteste Fall von männlichem Protest in allen manifesten
    Reaktionen und Charakterzügen, der meine Behandlung aufgesucht
    hat, bedurfte ihrer wegen einer Zwangsneurose mit Obsessionen,
    in denen der ungelöste Konflikt zwischen männlicher und weib-
    licher Einstellung (Kastrationsangst und Kastrationslust) zu deut-
    lichem Ausdruck kam. Überdies hatte der Patient masochistische
    Phantasien entwickelt, die durchaus auf den Wunsch, die Kastra-
    tion anzunehmen, zurückgingen, und war selbst von diesen Phan-
    tasien zur realen Befriedigung in perversen Situationen vorge-

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 451

    schritten. Das Ganze seines Zustandes beruhte — wie die Adler-
    sche Theorie überhaupt — auf der Verdrängung, Verleugnung
    frühinfantiler Liebesfixierungen.

    Der Senatspräsident Schreber fand seine Heilung, als er sich
    entschloß, den Widerstand gegen die Kastration aufzugeben und
    sich. in die ihm von Gott zugedachte weibliche Rolle zu fügen.
    Er wurde dann klar und ruhig, konnte seine Entlassung aus der
    Anstalt selbst durchsetzen und führte ein normales Leben bis auf
    den einen Punkt, daß er einige Stunden täglich der Pflege seiner
    Weiblichkeit widmete, von deren langsamem Fortschreiten bis zu
    dem von Gott bestimmten Ziel er überzeugt blieb.

    WV
    DIE ZWEI VERSCHREIBUNGEN

    Ein merkwürdiges Detail in der Geschichte unseres Malers ist
    die Angabe, daß er dem Teufel zwei verschiedene Verschrei
    bungen ausgestellt. .

    Die erste, mit schwarzer Tinte geschriebene, hatte den Wortlaut:

    „Ich Chr. H. undterschreibe mich diesen Herrn sein leibeigener
    Sohn auff 9 Jahr.“

    Die zweite, mit Blut geschrieben, lautet:

    „Ch. H. Ich verschreibe mich dißen Satan ich sein leibeigener
    Sohn zu sein vnd in 9. Jahr ihm mein Leib und Seel zuzuge-
    heren.“

    Beide sollen zur Zeit der Abfassung des Trophaeum im Archiv
    von Mariazell im Original vorhanden gewesen sein, beide tragen
    die nämliche Jahreszahl 1669.

    Ich habe die beiden Verschreibungen bereits mehrmals erwähnt
    und unternehme es jetzt, mich eingehender mit ihnen zu be-
    schäftigen, obwohl gerade hier die Gefahr, Kleinigkeiten zu über-
    schätzen, besonders drohend erscheint.

  • S.

    452 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    Die Tatsache, daß sich einer dem Teufel zweimal verschreibt,
    so daß die erste Schrift durch die zweite ersetzt wird, ohne aber
    ihre eigene Gültigkeit zu verlieren, ist ungewöhnlich. Vielleicht
    befremdet sie andere weniger, die mit dem Teufelsstoff vertrauter
    sind. Ich konnte nur eine besondere Eigentümlichkeit unseres
    Falles darin sehen und wurde mißtrauisch, als ich fand, daß die
    Berichte gerade in diesem Punkt nicht zusammenstimmen. Die
    Verfolgung dieser Widersprüche wird uns in unerwarteter Weise
    zu einem tieferen Verständnis der Krankengeschichte leiten.

    Das Geleitschreiben des Pfarrers von Pottenbrunn weist die
    einfachsten und klarsten Verhältnisse auf. In ihm ist nur von
    einer Verschreibung die Rede, die der Maler vor neun Jahren
    mit Blut gefertigt, und die nun in den nächsten Tagen, am
    24. September fällig wird, sie wäre also am 24. September 1668
    ausgestellt worden; leider ist diese Jahreszahl, die sich mit Sicher-
    heit ableiten läßt, nicht ausdrücklich genannt.

    Der Attest des Abtes Franciscus, wie wir wissen, wenige Tage
    später datiert (12. Sept. 1677), erwähnt bereits. einen komplizier-
    teren Sachverhalt. Es liegt nahe anzunehmen, daß der Maler in-
    zwischen genauere Mitteilungen gemacht hatte. In diesem Attest
    wird erzählt, daß der Maler zwei Verschreibungen von sich ge-
    geben, die eine im Jahre ı668 (wie es auch nach dem Geleit-
    brief sein müßte) mit schwarzer Tinte geschrieben, die andere
    aber sequenti anno 1669 mit Blut geschrieben. Die Verschreibung,
    die er am Tage Mariä Geburt zurückbekam, war die mit Blut
    geschriebene, also die spätere, 1669 ausgestellte. Dies geht nicht
    aus dem Attest des Abtes hervor, denn dort heißt es im weiteren
    einfach: schedam redderet und schedam sibi porrigentem con-
    spexisset, als ob es sich nur um ein einziges Schriftstück handeln
    könnte. Aber wohl folgt es aus dem weiteren Verlauf der Ge-
    schichte sowie aus dem farbigen Titelblatt des Trophaeum, wo
    auf dem Zettel, den der dämonische Drache hält, deutlich rote
    Schrift zu sehen ist. Der weitere Verlauf ist, wie bereits erwähnt

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 433

    der, daß der Maler im Mai ı678 nach Mariazell wiederkehrt,
    nachdem er in Wien neuerliche Anfechtungen des Bösen erfahren,
    und das Ansuchen stellt, es möge ihm durch einen neuerlichen
    Gnadenakt der heiligen Mutter auch dies erste, mit Tinte ge-
    schriebene Dokument wiedergegeben werden. Auf welche Weise
    dies geschieht, wird nicht mehr so ausführlich wie das erstemal
    beschrieben. Es heißt nur gquä iuxta votum reddita und an an-
    derer Stelle erzählt der Kompilator, daß gerade diese Verschrei-
    bung „zusammengeknäult und in vier Stücke zerrissen“ dem Maler
    am 9. Mai ı678 um die neunte Abendstunde vom Teufel zuge-
    worfen wurde.

    Die Verschreibungen tragen aber beide dasselbe Datum: Jahr
    1669.

    Dieser Widerspruch bedeutet entweder gar nichts oder er führt
    auf folgende Spur:

    Wenn wir von der Darstellung des Abtes als der ausführ-
    licheren ausgehen, ergeben sich mancherlei Schwierigkeiten.
    Als Chr. H. dem Pfarrer von Pottenbrunn bekannte, er sei in
    Teufelsnöten, der Termin laufe bald ab, kann er (im Jahre 1677)
    nur an die im Jahre ı668 ausgestellte Verschreibung gedacht
    haben, also an die erste, schwarze (die im Geleitbrief allerdings
    einzig genannt und als die blutige bezeichnet wird). Wenige
    Tage später, in Mariazell, bekümmert er sich aber nur darum,
    die spätere, blutige, zurückzubekommen, die noch gar nicht fällig
    ist (1669— 1677), und läßt die erste überfällig werden. Diese
    wird erst 1678, also im zehnten Jahr zurückerbeten. Ferner,
    warum sind beide Verschreibungen aus dem gleichen Jahr 1669
    datiert, wenn die eine ausdrücklich „anno subsequenti“ zu-
    geteilt ist?

    Der Kompilator muß diese Schwierigkeiten verspürt haben,
    denn er macht einen Versuch, sie zu beheben. In seiner Einleitung
    schließt er sich der Darstellung des Abtes an, modifiziert sie aber
    in einem Punkte. Der Maler, sagt er, habe sich im Jahre 1669

    Freud, X. 28

  • S.

    454 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    dem Teufel mit Tinte verschrieben, „deinde vero“, später aber
    mit Blut. Er setzt sich also über die ausdrückliche Angabe der
    beiden Berichte, daß eine Verschreibung ins Jahr 1668 fällt, hinweg
    und vernachlässigt die Bemerkung im Attest des Abtes, daB sich
    zwischen beiden Verschreibungen die Jahreszahl geändert, um im
    Einklang mit der Datierung der beiden, vom Teufel zurückge-
    gebenen Schriftstücke zu bleiben.

    Im Attest des Abtes findet sich nach den Worten sequenti vero
    anno 1669 eine in Klammern eingeschlossene Stelle, welche lautet:
    sumitur hic alter annus pro nondum completo uti saepe in lo-
    quendo fieri solet, nam eundum annum indicant Syngraphae quarum
    atramenio scripta ante praesentem altestationem nondum habita
    fuit. Diese Stelle ist ein unzweifelhaftes Einschiebsel des Kom-
    pilators, denn der Abt, der nur eine Verschreibung gesehen hat,
    kann doch nicht aussagen, daß beide dasselbe Datum tragen. Sie
    soll wohl auch durch die Klammern als ein dem Zeugnis fremder
    Zusatz kenntlich gemacht werden. Was sie enthält, ist ein anderer
    Versuch des Kompilators, die vorliegenden Widersprüche zu ver-
    söhnen. Er meint, es sei zwar richtig, daß die erste Verschreibung
    im Jahre ı668 gegeben worden ist, aber da das Jahr schon vor-
    gerückt war (September), habe der Maler sie um ein Jahr vor-
    datiert, so daß beide Verschreibungen die gleiche Jahreszahl zeigen
    konnten. Seine Berufung darauf, man mache es ja im mündlichen
    Verkehr oft ähnlich, verurteilt wohl diesen ganzen Erklärungs-
    versuch als eine „faule Ausrede“.

    Ich weiß nun nicht, ob meine Darstellung dem Leser irgend
    einen Eindruck gemacht und ob sie ihn in Stand gesetzt hat,
    sich für diese Winzigkeiten zu interessieren. Ich fand es unmöglich,
    den richtigen Sachverhalt in unzweifelhafter Weise festzustellen,
    bin aber beim Studium dieser verworrenen Angelegenheit auf eine
    Vermutung gekommen, die den Vorzug hat, den natürlichsten Her-
    gang einzusetzen, wenngleich die schriftlichen Zeugnisse sich auch
    ihr nicht völlig fügen.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 435

    Ich meine, als der Maler zuerst nach Mariazell kam, sprach er
    nur von einer regelrecht mit Blut geschriebenen Verschreibung,
    die bald verfallen sollte, also im September ı668 gegeben war,
    ganz so wie esim Geleitbrief des Pfarrers mitgeteilt ist. In Mariazell
    präsentierte er auch diese blutige Verschreibung als diejenige, die
    ihm der Dämon unter dem Zwang der heiligen Mutter zurück-
    gegeben hatte. Wir wissen, was’ weiter geschah. Der Maler ver-
    ließ bald darauf den Gnadenort und ging nach Wien, wo er sich
    auch bis Mitte Oktober frei fühlte. Aber dann fingen Leiden und
    Erscheinungen, in denen er das Werk des bösen Geistes sah,
    wieder an. Er fühlte sich wieder erlösungsbedürftig, fand sich
    aber vor der Schwierigkeit, aufzuklären, warum ihm die Beschwö-
    rung in der heiligen Kapelle keine dauernde Erlösung gebracht
    hatte. Als ungeheilter Rückfälliger wäre er wohl in Mariazell
    nicht willkommen gewesen. In dieser Not erfand er eine frühere,
    erste Verschreibung, die aber mit Tinte geschrieben sein sollte,
    damit ihr Zurückstehen gegen eine spätere, blutige, plausibel
    erscheinen konnte. Nach Mariazell zurückgekommen, ließ er sich
    auch diese angeblich erste Verschreibung zurückgeben. Dann
    hatte er Ruhe vor dem Bösen, allerdings tat er gleichzeitg etwas
    anderes, was uns auf den Hintergrund dieser Neurose hinweisen
    wird.

    Die Zeichnungen fertigte er gewiß erst bei seinem zweiten
    Aufenthalt in Mariazell an; das einheitlich komponierte Titelblatt
    enthält die Darstellung beider Verschreibungsszenen. Bei dem
    Versuch, seine neueren Angaben mit seinen früheren in Einklang
    zu bringen, mag er wohl in Verlegenheiten geraten sein. Es war
    für ihn ungünstig, daß er nur eine frühere, nicht eine spätere
    Verschreibung hinzudichten konnte. So konnte er das ungeschickte
    Ergebnis nicht vermeiden, daß er die eine, die blutige Verschrei-
    bung zu früh (im achten Jahr), die andere, die schwarze, zu spät
    (im zehnten Jahr) eingelöst hatte. Als verräterische Anzeichen
    seiner zweifachen Redaktion ereignete es sich ihm, daß er sich

    28*

  • S.

    456 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    in der Datierung der Verschreibungen irrte und auch die frühere
    in das Jahr ı669 setzte. Dieser Irrtum hat die Bedeutung einer
    ungewollten Aufrichtigkeit; er läßt uns erraten, daß die angeblich
    frühere Verschreibung zu einem späteren Termin hergestellt wurde.
    Der Kompilator, der den Stoff gewiß nicht früher als 1714, viel-
    leicht erst 1729 zur Bearbeitung übernahm, mußte sich bemühen,
    die nicht unwesentlichen Widersprüche, so gut er konnte, weg-
    zuschaffen. Da die beiden Verschreibungen, die ihm vorlagen, auf
    166g lauteten, half er sich durch die Ausrede, die er in das
    Zeugnis des Abtes einschaltete.

    Man erkennt leicht, worin die Schwäche dieser sonst anspre-
    chenden Konstruktion gelegen ist. Die Angabe zweier Verschrei-
    bungen, einer schwarzen und einer blutigen, findet sich bereits
    im Zeugnis des Abtes Franciscus. Ich habe also die Wahl, ent-
    weder dem Kompilator unterzuschieben, daß er an diesem Zeugnis
    im engen Anschluß an seine Einschaltung auch etwas geändert
    hat, oder ich muß bekennen, daß ich die Verwirrung nicht zu

    lösen vermag."

    1) Der Kompilator, meine ich, fand sich zwischen zwei fixen Punkten eingeengt.
    Einerseits fand er sowohl im Geleitbrief des Pfarrers wie im Attest des Abtes die
    Angabe, daß die Verschreibung (zumindest die erste) im Jahre 1668 ausgestellt
    worden sei, anderseits zeigten beide im Archiv aufbewahrten Verschreibungen die
    Jahreszahl 1669; da er zwei Verschreibungen vor sich liegen hatte, stand es für ihn
    fest, daß zwei Verschreibungen erfolgt waren. Wenn im Zeugnis des Abtes mur von
    einer die Rede war, wie ich glaube, so mußte er in dieses Zeugnis die Erwähnung
    der anderen einsetzen und dann den Widerspruch durch die Annahme einer Vor-
    datierung aufheben. Die Abänderung des Textes, die er vomahm, stößt an die Ein-
    schaltung, die nur von ihm herrühren kann, unmittelbar an. Er war gezwungen,
    Einschaltung und Abänderung durch die Worte sequenti vero anno 1669 zu verbinden,
    weil der Maler in der (schr beschädigten) Legende zum Titelbilde ausdrücklich
    geschrieben hatte:

    Nach einem Jahr würd: Er

    . schrökhliche betrohungen in ab-

    gestalt Nr. 2 bezwungen sich,
    ....n Bluut zu verschreiben,

    Das „Verschreiben“ des Malers, als er die Syngraphae anfertigte, durch das ich
    zu meinem Erklärungsversuch genötigt worden bin, erscheint mir nicht weniger
    interessant als seine Verschreibungen selbst.

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 437

    Die ganze Diskussion wird den Lesern längst überflüssig und
    die in ihr behandelten Details zu unwichtig erschienen sein. Aber
    die Sache gewinnt ein neues Interesse, wenn man sie nach einer
    bestimmten Richtung hin verfolgt.

    Ich habe eben vom Maler ausgesagt, daß er, durch den Ver-
    lauf seiner Krankheit unliebsam überrascht, eine frühere Verschrei-
    bung (die mit Tinte) erfunden habe, um seine Position gegen
    die geistlichen Herren in Mariazell behaupten zu können. Nun
    schreibe ich für Leser, die zwar an die Psychoanalyse glauben,
    aber nicht an den Teufel, und diese könnten mir vorhalten, es
    sei unsinnig, dem armen Kerl von Maler — hunc miserum nennt
    ihn der Geleitbrief — einen solchen Vorwurf zu machen. Die
    blutige Verschreibung war ja genau so phantasiert wie die an-
    geblich frühere mit Tinte. In Wirklichkeit ist ihm ja überhaupt
    kein Teufel erschienen, der ganze Pakt mit dem Teufel existierte
    ja nur in seiner Phantasie. Ich sehe das ein; man kann dem
    Armen das Recht nicht bestreiten, seine ursprüngliche Phantasie
    durch eine neue zu ergänzen, wenn die geänderten Verhältnisse
    es zu erfordern schienen.

    Aber auch hier gibt es noch eine Fortsetzung. Die beiden Ver-
    schreibungen sind ja nicht Phantasien wie die Teufelsvisionen; sie
    waren Dokumente, nach der Versicherung des Abschreibers wie
    nach dem Zeugnis des spätereren Abtes Kilian im Archiv von
    Mariazell für alle sichtbar und greifbar aufbewahrt. Also stehen
    wir hier vor einem Dilemma. Entweder haben wir anzunehmen,
    daß der Maler die beiden ihm angeblich durch göttliche Huld
    zurückgestellten Schedae selbst zur Zeit verfertigt, da er sie brauchte,
    oder wir müssen den geistlichen Herren von Mariazell und Sankt
    Lambert trotz aller feierlichen Versicherungen, Bestätigungen durch
    Zeugen mit beigefügten Siegeln usw. die Glaubwürdigkeit ver-
    weigern. Ich gestehe, die Verdächtigung der geistlichen Herren
    fiele mir nicht leicht. Ich neige zwar zur Annahme, daß der
    Kompilator im Interesse der Konkordanz einiges am Zeugnis des

  • S.

    458 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    ersten Abtes verfälscht hat, aber diese „sekundäre Bearbeitung“
    geht nicht weit über ähnliche Leistungen, auch moderner und
    weltlicher Geschichtsschreiber, hinaus und geschah jedenfalls im
    guten Glauben. Nach anderer Richtung haben sich die geistlichen
    Herren gegründeten Anspruch auf unser Vertrauen erworben. Ich
    sagte es schon, nichts hätte sie hindern können, die Berichte über
    die Unvollständigkeit der Heilung und die Fortdauer der Ver-
    suchungen zu unterdrücken, und auch die Schilderung der Be-
    schwörungsszene in der Kapelle, der man mit einigem Bangen
    entgegensehen durfte, ist nüchtern und glaubwürdig geraten. Es
    bleibt also. nichts übrig, als den Maler zu beschuldigen. Die rote
    Verschreibung hatte er wohl bei sich, als er sich zum Bußgebet
    in die Kapelle begab, und zog sie dann hervor, als er von seiner
    Begegnung mit dem Dämon zu den geistlichen Beiständen zurück-
    kehrte. Es muß auch gar nicht derselbe Zettel gewesen sein, der
    später im Archiv aufbewahrt wurde, sondern nach unserer Kon-
    struktion kann er die Jahreszahl ı668 (neun Jahre vor der Be-
    schwörung) getragen haben.

    v
    DIE WEITERE NEUROSE

    Aber das wäre Betrug und nicht Neurose, der Maler ein Simu-
    lant und Fälscher, nicht ein kranker Besessener! Nun, die Über-
    gänge zwischen Neurose und Simulation sind bekanntlich fließende.
    Ich finde auch keine Schwierigkeit anzunehmen, daß der Maler
    diesen Zettel ebenso wie die späteren in einem besonderen, seinen
    Visionen gleichzustellenden Zustand geschrieben und mit sich ge-
    nommen hat. Wenn er die Phantasie vom Teufelspakt und von
    der Erlösung durchführen wollte, konnte er ja gar nichts an-
    deres tun.

    Den Stempel der Wahrhaftigkeit trägt dagegen das Tagebuch
    aus Wien an sich, das er bei seinem zweiten Aufenthalt zu Mariazell

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 439

    den Geistlichen übergab. Es läßt uns freilich tief in die Motivie-
    rung oder sagen wir lieber Verwertung der Neurose blicken.

    Die Aufzeichnungen reichen von seiner erfolgreichen Beschwö-
    rung bis zum ı5. Januar des nächsten Jahres 1678. Bis zum
    ı1. Oktober erging es ihm in Wien, wo er bei einer verheirateten
    Schwester wohnte, recht gut, dann aber fingen neue Zustände
    mit Visionen und Krämpfen, Bewußtlosigkeit und schmerzhaften
    Sensationen an, die dann auch zu seiner Rückkehr nach Mariazell
    im Mai 1678 führten.

    Die neue Leidensgeschichte gliedert sich in drei Phasen. Zuerst
    meldet sich die Versuchung in Gestalt eines schön gekleideten
    Kavaliers, der ihm zureden will, den Zettel wegzuwerfen, der
    seine Aufnahme in die Bruderschaft vom heiligen Rosenkranz
    bescheinigt. Da er widerstand, wiederholte sich dieselbe Erschei-
    nung am nächsten Tag, aber diesmal in einem prächtig ge-
    schmückten Saal, in dem vornehme Herren mit schönen Damen
    tanzten. Derselbe Kavalier, der ihn schon einmal versucht, machte
    ihm einen auf Malerei bezüglichen Antrag‘ und versprach ihm
    dafür ein schönes Stück. Geld. Nachdem er diese Vision durch
    Gebete zum Verschwinden gebracht, wiederholte sie sich einige
    Tage später in noch eindringlicherer Form. Diesmal schickte
    der Kavalier eine der schönsten Frauen, die an der Festtafel
    saßen, zu ihm hin, um ihn zur Gesellschaft zu bringen, und
    er hatte Mühe, sich der Verführerin zu erwehren. Am er-
    schreckendsten war aber die bald darauf folgende Vision eines
    noch prunkvolleren 'Saales, in dem ein von „Goldstuckh auf-
    gerichteter Thron“ war. Kavaliere standen herum und erwarteten
    die Ankunft ihres Königs. Dieselbe Person, die sich schon so oft
    um ihn bekümmert hatte, ging auf ihn zu und forderte ihn auf,
    den Thron zu besteigen, sie „wollten ihn für ihren König halten
    und in Ewigkeit verehren“. Mit dieser Ausschweifung seiner

    ı) Eine mir unverständliche Stelle.

  • S.

    440 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    Phantasie schließt die erste, recht durchsichtige Phase der Ver-
    suchungsgeschichte ab. j

    Es mußte jetzt zu einer Gegenwirkung kommen. Die asketische
    Reaktion erhob ihr Haupt. Am 2o. Oktober erschien ihm ein
    großer Glanz, eine Stimme daraus gab sich als Christus zu er-
    kennen und forderte von ihm, daß er dieser bösen Welt entsagen
    und sechs Jahre lang in einer Wüste Gott dienen solle. Der
    Maler litt unter diesen heiligen Erscheinungen offenbar mehr als
    unter den früheren dämonischen. Aus diesem Anfall erwachte er
    erst nach 2), Stunden. Im nächsten war die von Glanz umgebene
    heilige Person weit unfreundlicher, drohte ihm, weil er den gött-
    lichen Vorschlag nicht angenommen hatte, und führte ihn in die
    Hölle, damit er durch das Los der Verdammten geschreckt werde.
    Offenbar blieb aber die Wirkung aus, denn die Erscheinungen
    der Person im Glanze, die Christus sein sollte, wiederholten sich
    noch mehrmals, jedesmal mit stundenlanger Geistesabwesenheit
    und Verzücktheit für den Maler. In der großartigsten dieser Ver-
    zücktheiten führte ihn die Person im Glanze zuerst in eine Stadt,
    in deren Straßen die Menschen alle Werke der Finsternis übten,
    und dann zum Gegensatz auf eine schöne Au, in der Einsiedler
    ihr gottgefälliges Leben führten und greifbare Beweise von Gottes
    Gnade und Fürsorge erhielten. Dann erschien an Stelle Christi
    die heilige Mutter selbst, die ihn unter Berufung auf ihre früher
    geleistete Hilfe mahnte, dem Befehl ihres lieben Sohnes nach-
    zukommen. „Da er sich hiezu nicht recht resolviret“, kam Christus
    am nächsten Tage wieder und setzte ihm mit Drohungen und
    Versprechungen tüchtig zu. Da gab er endlich nach, beschloß aus
    diesem Leben auszutreten und zu tun, was von ihm verlangt
    wurde, Mit dieser Entschließung endet die zweite Phase. Der
    Maler konstatiert, daß er von dieser Zeit an keine Erscheinung
    oder Anfechtung mehr gehabt hat.

    Indes muß dieser Entschluß nicht sehr gefestigt oder seine
    Ausführung allzulang aufgeschoben worden sein, denn als er am

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 441

    26. Dezember in St. Stephan seine Andacht verrichtete, konnte
    er sich beim Anblick einer wackeren Jungfrau, die mit einem
    wohlaufgeputzten Herrn ging, der Idee nicht erwehren, er könnte
    selbst an Stelle dieses Herrn sein. Das forderte Strafe, noch am
    selben Abend traf es ihn wie ein Donnerschlag, er sah sich in
    hellen Flammen und fiel in Ohnmacht. Man bemühte sich, ihn
    zu erwecken, aber er wälzte sich in der Stube, bis Blut aus Mund
    und Nase kam, verspürte, daß er sich in Hitze und Gestank be-
    fand, und hörte eine Stimme sagen, daß ihm dieser Zustand als
    Strafe für seine unnützen und eiteln Gedanken geschickt worden
    sei. Später wurde er dann von bösen Geistern mit Stricken ge-
    geißelt und ihm versprochen, daB er alle Tage so gepeinigt werden
    solle, bis er sich entschlossen habe, in den Einsiedlerorden einzu-
    treten. Diese Erlebnisse setzten sich, soweit die Aufzeichnungen
    reichen (15. Januar) fort.

    Wir sehen, wie bei unserem armen Maler die Versuchungs-
    phantasien von asketischen und endlich von Strafphantasien ab-
    gelöst werden; das Ende der Leidensgeschichte kennen wir bereits.
    Er begibt sich im Mai nach Mariazell, bringt dort die Ge-
    schichte von einer früheren, mit schwarzer Tinte geschriebenen
    Verschreibung vor, der er es offenbar zuschreibt, daß er noch
    vom Teufel geplagt werden kann, erhält auch diese zurück und
    ist geheilt,

    Während dieses zweiten Aufenthaltes malt er die Bilder, die
    im Trophaeum kopiert sind, dann aber tut er etwas, was mit
    der Forderung der asketischen Phase seines Tagebuches zusammen-
    trifft. Er geht zwar nicht in die Wüste, um Einsiedler zu werden,
    aber er tritt in den Orden der Barmherzigen Brüder ein: religiosus
    factus est.

    Bei der Lektüre des Tagebuches gewinnen wir Verständnis für
    ein neues Stück des Zusammenhangs. Wir erinnern uns, daß der
    Maler sich dem Teufel verschrieben, weil er nach dem Tode des
    Vaters, verstimmt und arbeitsunfähig, Sorge hatte, seine Existenz

  • S.

    442 Zur Anwendung der Psychoanalyse

    zu erhalten. Diese Momente, Depression, Arbeitshemmung und
    Trauer um den Vater sind irgendwie, auf einfache oder kompli-
    ziertere Art miteinander verknüpft. Vielleicht waren die Erschei-
    nungen des Teufels darum so überreichlich mit Brüsten ausge-
    stattet, weil der Böse sein Nährvater werden sollte. Die Hoffnung
    erfüllte sich nicht, es ging ihm auch weiterhin schlecht, er konnte
    nicht ordentlich arbeiten oder er hatte kein Glück und fand nicht
    genug Arbeit. Der Geleitbrief des Pfarrers spricht von ihm als
    „hunc miserum omni auzilio destitutum“. Er war also nicht nur
    in moralischen Nöten, er litt auch materielle Not. In die Wieder-
    gabe seiner späteren Visionen finden sich Bemerkungen einge-
    streut, die wie die Inhalte der erschauten Szenen zeigen, daß sich
    auch nach der erfolgreichen ersten Beschwörung daran nichts
    geändert hatte. Wir lernen einen Menschen kennen, der es zu
    nichts bringt, dem man auch darum kein Vertrauen schenkt. In
    der ersten Vision fragt ihn der Kavalier, was er eigentlich an-
    fangen wolle, da sich niemand seiner annehme („dieweillen ich von
    iedermann izt verlassen, waß ich anfangen würde“). Die erste
    Reihe der Visionen in Wien entspricht durchaus den Wunsch-
    phantasien des Armen, nach Genuß Hungernden, Verkommenen:
    Herrliche Säle, Wohlleben, silbernes Tafelgeschirr und schöne
    Frauen; hier wird nachgeholt, was wir im Teufelsverhältnis ver-
    mißt haben. Damals bestand eine Melancholie, die ihn genuß-
    ig machte, auf die lockendsten Anerbieten verzichten hieß.
    Seit der Beschwörung scheint die Melancholie überwunden, alle
    Gelüste des Weltkindes sind wieder rege.

    In einer der asketischen Visionen beklagt er sich gegen die
    ihn führende Person (Christus), daß ihm niemand glauben wolle,
    so daß er dessentwegen, was ihm anbefohlen, nicht vollziehen
    könne. Die Antwort, die er darauf erhält, bleibt uns leider dunkel
    („so fer man mir nit glauben, waß aber geschechen, waiß ich
    wol, ist mir aber selbes auszuspröchen unmöglich“). Besonders auf-
    klärend ist aber, was ihn sein göttlicher Führer bei den Ein-

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 443

    siedlern erleben läßt. Er kommt in eine Höhle, in der ein alter
    Mann schon seit sechzig Jahren sitzt, und erfährt auf seine Frage,
    daß dieser Alte täglich von den Engeln Gottes gespeist wird. Und
    dann sieht er selbst, wie ein Engel dem Alten zu essen bringt:
    „Drei Schüßerl mit Speiß, ein Brot und ein Knödl und Getränk.“
    Nachdem der Einsiedler gespeist, nimmt der Engel alles zusammen
    und trägt es ab. Wir verstehen, welche Versuchung die frommen
    Visionen zu bieten haben, sie wollen ihn bewegen, eine Form
    der Existenz zu wählen, in der ihm die Nahrungssorgen abge-
    nommen sind. Beachtenswert sind auch die Reden Christi in der
    letzten Vision. Nach der Drohung, wenn er sich nicht füge, werde
    etwas geschehen, daß er und die Leute [daran] glauben müßten,
    mahnt er direkt: „Ich solle die Leith nit achten, obwollen ich von
    ihnen verfolgt wurdte, oder von ihnen keine hilfflaistung empfienge,
    Gott würde mich nit verlasßen.“

    Ch. Haitzmann war soweit Künstler und Weltkind, daß es ihm
    nicht leicht fiel, dieser sündigen Welt zu entsagen. Aber endlich
    tat er es doch mit Rücksicht auf seine hilflose Lage. Er trat in
    einen geistlichen Orden ein; damit war sein innerer Kampf wie
    seine materielle Not zu Ende. In seiner Neurose spiegelt sich
    dieser Ausgang darin, daß die Rückstellung einer angeblich ersten
    Verschreibung seine Anfälle und Visionen beseitigt. Eigentlich
    hatten beide Abschnitte seiner dämonologischen Erkrankung den-
    selben Sinn gehabt. Er wollte immer nur sein Leben sichern, das
    erste Mal mit Hilfe des Teufels auf Kosten seiner Seligkeit, und
    als dieser versagt hatte und aufgegeben werden mußte, mit
    Hilfe des geistlichen Standes auf Kosten seiner Freiheit und der
    meisten Genußmöglichkeiten des Lebens. Vielleicht war Chr.
    Haitzmann nur selbst ein armer Teufel, der eben kein Glück
    hatte, vielleicht war er zu ungeschickt oder zu unbegabt, um
    sich selbst zu erhalten, und zählte zu jenen Typen, die als
    „ewige Säuglinge“ bekannt sind, die sich von der beglückenden
    Situation an der Mutterbrust nicht losreißen können und durchs

  • S.

    444. Zur Anwendung der Psychoanalyse

    ganze Leben den Anspruch festhalten, von jemand anderem
    ernährt zu werden. Und so legte er in dieser Krankengeschichte
    den Weg vom Vater über den Teufel als Vaterersatz zu den
    frommen Patres zurück.

    Seine Neurose erscheint oberflächlicher Betrachtung als ein
    Gaukelspiel, welches ein Stück des ernsthaften, aber banalen
    Lebenskampfes überdeckt. Dies Verhältnis ist gewiß nicht immer
    so, aber es kommt auch nicht gar so selten vor. Die Analytiker
    erleben es oft, wie unvorteilhaft es ist, einen Kaufmann zu be-
    handeln, der „sonst gesund, seit einiger Zeit die Erscheinungen
    einer Neurose zeigt“. Die geschäftliche Katastrophe, von der sich
    der Kaufmann bedroht fühlt, wirft als Nebenwirkung diese Neurose
    auf, von der er auch den Vorteil hat, daß er hinter ihren Sym-
    ptomen seine realen Lebenssorgen verheimlichen kann. Sonst aber
    ist sie überaus unzweckmäßig, da sie Kräfte in Anspruch nimmt,
    die vorteihafter zur besonnenen Erledigung der gefährlichen Lage
    Verwendung fänden.

    In weit zahlreicheren Fällen ist die Neurose selbständiger und
    unabhängiger von den Interessen der Lebenserhaltung und Be-
    hauptung. Im Konflikt, der die Neurose schafft, stehen entweder
    nur libidinöse Interessen auf dem Spiel oder libidinöse in inniger
    Verknüpfung mit solchen der Lebensbehauptung. Der Dynamis-
    mus der Neurose ist in allen drei Fällen der gleiche. Eine nicht
    real zu befriedigende Libidostauung schafft sich mit Hilfe der
    Regression zu alten Fixierungen Abfluß durch das verdrängte
    Unbewußte. Soweit das Ich des Kranken aus diesem Vor-
    gang einen Krankheitsgewinn ziehen kann, läßt es die Neurose
    gewähren, deren ökonomische Schädlichkeit doch keinem Zweifel
    unterliegt.

    Auch die üble Lebenslage unseres Malers hätte keine Teufels-
    neurose bei ihm hervorgerufen, wenn aus seiner Not nicht eine
    verstärkte Vatersehnsucht erwachsen wäre. Nachdem aber die
    Melancholie und der Teufel abgetan waren, kam es bei ihm

  • S.

    Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert 445

    noch zum Kampf zwischen der libidinösen Lebenslust und der
    Einsicht, daß das Interesse der Lebenserhaltung gebieterisch Ver-
    zicht und Askese fordere. Es ist interessant, .daß der Maler die
    Einheitlichkeit der beiden Stücke seiner Leidensgeschichte sehr
    wohl verspürt, denn er führt die eine wie die andere auf Ver-
    schreibungen, die er dem Teufel gegeben, zurück. Anderseits
    unterscheidet er nicht scharf zwischen den Einwirkungen des bösen
    Geistes und jenen der göttlichen Mächte, er hat für beide eine
    Bezeichnung: Erscheinungen des Teufels.