Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der Psychoanalyse 1912-006/1931
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    EINIGE BEMERKUNGEN UBER DEN
    BEGRIFF DES UNBEWUSSTEN
    IN DER PSYCHOANALYSE

    (1913)

    Ich möchte mit wenigen Worten und so klar als möglich
    darlegen, welcher Sinn dem Ausdruck ,,Unbewuftes“ in der
    Psychoanalyse, nur in der Psychoanalyse, zukommt.

    Eine Vorstellung — oder jedes andere psychische Element
    — kann jetzt in meinem Bewußtsein gegenwärtig sein
    und im nächsten Augenblick daraus verschwinden; sie
    kann nach einer Zwischenzeit ganz unverändert wiederum
    auftauchen, und zwar, wie wir es ausdriicken, aus der Er-
    innerung, nicht als Folge einer neuen Sinneswahrnehmung.
    Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, sind wir zu der An-
    nahme genötigt, daß die Vorstellung auch während der Zwi-
    schenzeit in unserem Geiste gegenwärtig gewesen sei, wenn
    sie auch im Bewußtsein latent blieb. In welcher Gestalt
    sie aber existiert haben kann, während sie im Seelenleben ge-
    genwärtig und im Bewußtsein latent war, darüber können
    wir keine Vermutungen aufstellen.

    An diesem Punkte müssen wir darauf gefaßt sein, dem
    philosophischen Einwurf zu begegnen, daß die latente Vor-
    stellung nicht als Objekt der Psychologie vorhanden gewesen

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    sei, sondern nur als physische Disposition für den Wiederablauf
    desselben psychischen Phänomens, nämlich eben jener Vor-
    stellung. Aber wir können darauf erwidern, daß eine solche
    Theorie das Gebiet der eigentlichen Psychologie weit über-
    schreitet, daß sie das Problem einfach umgeht, indem sie
    daran festhålt, daß „bewußt“ und „psychisch“ identische Be-
    griffe sind, und daß sie offenbar im Unrecht ist, wenn sie der
    Psychologie das Recht bestreitet, eine ihrer gewöhnlichsten
    Tatsachen, wie das Gedächtnis, durch ihre eigenen Hilfs-
    mittel zu erklären.

    Wir wollen nun die Vorstellung, die in unserem Bewußt-
    sein gegenwärtig ist und die wir wahrnehmen, „bewufšt“
    nennen und nur dies als Sinn des Ausdruckes „bewußt“ gelten
    lassen; hingegen sollen latente Vorstellungen, wenn wir Grund
    zur Annahme haben, daß sie im Seelenleben enthalten sind —
    wie es beim Gedächtnis der Fall war — mit dem Ausdruck
    ,unbewufit“ gekennzeichnet werden.

    Eine unbewufte Vorstellung ist dann eine solche, die wir
    nicht bemerken, deren Existenz wir aber trotzdem auf Grund
    anderweitiger Anzeichen und Beweise zuzugeben bereit sind.

    Dies könnte als eine recht uninteressante deskriptive oder
    klassifikatorische Arbeit aufgefaßt werden, wenn keine andere
    Erfahrung fiir unser Urteil in Betracht kime als die Tat-
    sachen des Gedächtnisses oder die der Assoziation über un-
    bewufte Mittelglieder. Aber das wohlbekannte Experiment
    der 。posthypnotischen Suggestion“ lehrt uns an der Wichtig-
    keit der Unterscheidung zwischen bewuft und unbe-
    マ ュ ネ t festhalten und scheint ihren Wert zu erhöhen.

    Bei diesem Experiment, wie es Bernheim ausgefiihrt hat,
    wird eine Person in einen hypnotischen Zustand versetzt und
    dann daraus erweckt. Während sie sich in dem hypnotischen
    Zustande, unter dem Einflusse des Arztes, befand, wurde ihr
    der Auftrag erteilt, eine bestimmte Handlung zu einem genau

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    bestimmten Zeitpunkt, z. B. eine halbe Stunde später, aus-
    zuführen. Nach dem Erwachen ist allem Anscheine nach
    volles Bewußtsein und die gewöhnliche Geistesverfassung
    wiederum eingetreten, eine Erinnerung an den hypnotischen
    Zustand ist nicht vorhanden, und trotzdem drängt sich in
    dem vorher festgesetzten Augenblick der Impuls, dieses oder
    jenes zu tun, dem Geiste auf, und die Handlung wird mit
    Bewußtsein, wenn auch ohne zu wissen weshalb, ausgeführt.
    Es dürfte kaum möglich sein, eine andere Beschreibung des
    Phänomens zu geben, als mit den Worten, daß der Vorsatz
    im Geiste jener Person in latenter Form oder un-
    bewußt vorhanden war, bis der gegebene Moment kam, in
    dem er dann bewußt geworden ist. Aber nicht in seiner
    Gänze ist er im Bewußtsein aufgetaucht, sondern nur die
    Vorstellung des auszuführenden Aktes. Alle anderen mit dieser
    Vorstellung assoziierten Ideen — der Auftrag, der Einfluß
    des Arztes, die Erinnerung an den hypnotischen Zustand,
    blieben auch dann noch unbewuft.

    Wir können aber aus einem solchen Experiment noch mehr
    lernen. Wir werden von einer rein beschreibenden zu einer
    dynamischen Auffassung des Phånomens hiniibergeleitet.
    Die Idee der in der Hypnose aufgetragenen Handlung wurde
    in einem bestimmten Augenblick nicht blof ein Objekt des
    Bewußtseins, sondern sie wurde auch wirksam, und dies
    ist die auffallendere Seite des Tatbestandes; sie wurde in
    Handlung übertragen, sobald das Bewußtsein ihre Gegenwart
    bemerkt hatte. Da der wirkliche Antrieb zum Handeln der
    Auftrag des Arztes ist, kann man kaum anders als einräumen,
    daß auch die Idee des Auftrages wirksam geworden ist.

    Dennoch wurde dieser letztere Gedanke nicht ins Bewußt-
    sein aufgenommen, wie es mit seinem Abkömmling, der Idee
    der Handlung, geschah; er verblieb unbewußt und war daher
    gleichzeitig wirksam und unbewußt.

    Freud, Theoretische Schriften 2

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    Die posthypnotische Suggestion ist ein Produkt des Labo-
    ratoriums, eine künstlich geschaffene Tatsache. Aber wenn
    wir die Theorie der hysterischen Phänomene, die zuerst durch
    P. Janet aufgestellt und von Breuer und mir ausge-
    arbeitet wurde, annehmen, so stehen uns natürliche Tatsachen
    in Fülle zur Verfügung, die den psychologischen Charakter
    der posthypnotischen Suggestion sogar noch klarer und deut-
    licher zeigen.

    Das Seelenleben des hysterischen Patienten ist erfüllt mit
    wirksamen, aber unbewußten Gedanken; von ihnen stammen
    alle Symptome ab. Es ist in der Tat der auffälligste Charak-
    terzug der hysterischen Geistesverfassung, daß sie von unbe-
    wußten Vorstellungen beherrscht wird. Wenn eine hysterische
    Frau erbricht, so kann sie dies wohl infolge der Idee
    tun, daß sie schwanger sei. Dennoch hat sie von dieser Idee
    keine Kenntnis, obwohl dieselbe durch eine der technischen
    Prozeduren der Psychoanalyse leicht in ihrem Seelenleben
    entdeckt und für sie bewußt gemacht werden kann. Wenn
    sie die Zuckungen und Gesten ausführt, die ihren „Anfall“
    ausmachen, so stellt sie sich nicht einmal die von ihr beabsich-
    tigten Aktionen bewußt vor und beobachtet sie vielleicht mit
    den Gefühlen eines unbeteiligten Zuschauers. Nichtsdesto-
    weniger vermag die Analyse nachzuweisen, daß sie ihre Rolle
    in der dramatischen Wiedergabe einer Szene aus ihrem Leben
    spielte, deren Erinnerung während der Attacke unbewußt
    wirksam war. Dasselbe Vorwalten wirksamer unbewußter
    Ideen wird durch die Analyse als das Wesentliche in der
    Psychologie aller anderen Formen von Neurose enthüllt.

    Wir lernen also aus der Analyse neurotischer Phänomene,
    daß ein latenter oder unbewußter Gedanke nicht notwendiger-
    weise schwach sein muß, und daß die Anwesenheit eines
    solchen Gedankens im Seelenleben indirekte Beweise der
    zwingendsten Art gestattet, die dem direkten durch das Be-

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    wußtsein gelieferten Beweis fast gleichwertig sind, Wir fühlen
    uns gerechtfertigt, unsere Klassifikation mit dieser Vermehrung
    unserer Kenntnisse in Übereinstimmung zu bringen, indem
    wir eine grundlegende Unterscheidung zwischen verschiedenen
    Arten von latenten und unbewußten Gedanken einführen,
    Wir waren gewohnt zu denken, daß jeder latente Gedanke
    dies infolge seiner Schwäche war, und daß er bewußt wurde,
    sowie er Kraft erhielt. Wir haben nun die Überzeugung ge-
    wonnen, daß es gewisse latente Gedanken gibt, die nicht ins
    Bewußtsein eindringen, wie stark sie auch sein mögen. Wir
    wollen daher die latenten Gedanken der ersten Gruppe vor-
    bewußt nennen, während wir den Ausdruck unbewufit
    (im eigentlichen Sinne) für die zweite Gruppe reservieren,
    die wir bei den Neurosen betrachtet haben. Der Ausdruck
    unbewußt, den wir bisher bloß im beschreibenden Sinne
    benützt haben, erhält jetzt eine erweiterte Bedeutung. Er
    bezeichnet nicht bloß latente Gedanken im allgemeinen, son-
    dern besonders solche mit einem bestimmten dynamischen
    Charakter, nämlich diejenigen, die sich trotz ihrer Intensität
    und Wirksamkeit dem Bewußtsein ferne halten.

    Ehe ich meine Auseinandersetzungen fortführe, will ich auf
    zwei Einwendungen Bezug nehmen, die sich voraussichtlich
    an diesem Punkte erheben. Die erste kann folgendermaßen
    formuliert werden: anstatt uns die Hypothese der unbewußten
    Gedanken, von denen wir nichts wissen, anzueignen, täten
    wir besser anzunehmen, daß das Bewußtsein geteilt werden
    kann, so daß einzelne Gedanken oder andere Seelen-
    vorgänge ein gesondertes Bewußtsein bilden können, das
    von der Hauptmasse bewußter psychischer Tätigkeit los-
    gelöst und ihr entfremdet wurde. Wohlbekannte pathologische
    Fille, wie jener des Dr. Azam, scheinen sehr geeignet zu
    sein, zu beweisen, daß die Teilung des Bewußtseins keine
    phantastische‘ Einbildung ist.

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    Ich gestatte mir, dieser Theorie entgegenzuhalten, daß sie
    einfach aus dem Mißbrauch mit dem Worte „bewußt“ Kapital
    schlägt. Wir haben kein Recht, den Sinn dieses Wortes so
    weit auszudehnen, daß damit auch ein Bewußtsein bezeichnet
    werden kann, von dem sein Besitzer nichts weiß. Wenn
    Philosophen eine Schwierigkeit darin finden, an die Existenz
    eines unbewußten Gedankens zu glauben, so scheint mir die
    Existenz eines unbewußten Bewußtseins noch angreifbarer.
    Die Fälle, die man als Teilung des Bewußtseins beschreibt,
    wie der des Dr. А z a m, können besser als Wandern des Be-
    wußtseins angesehen werden, wobei diese Funktion — oder
    was immer es sein mag — zwischen zwei verschiedenen
    psychischen Komplexen hin- und herschwankt, die abwech-
    selnd bewußt und unbewußt werden.

    Der andere Einwand, der voraussichtlich erhoben werden
    wird, wäre der, daß wir auf die Psychologie der Normalen
    Folgerungen anwenden, die hauptsächlich aus dem Studium
    pathologischer Zustände stammen. Wir können ihn durch eine
    Tatsache erledigen, deren Kenntnis wir der Psychoanalyse
    verdanken. Gewisse Funktionsstörungen, die sich bei Gesunden
    höchst häufig ereignen, z. B. Lapsus linguae, Gedächtnis- und
    Sprachirrtümer, Namenvergessen usw. können leicht auf die
    Wirksamkeit starker unbewußter Gedanken zurückgeführt
    werden, gerade so wie die neurotischen Symptome. Wir
    werden mit einem zweiten, noch überzeugenderen Argument
    in einem späteren Abschnitt dieser Erörterung zusammen-
    treffen.

    Durch die Auseinanderhaltung vorbewußter und unbe-
    wußter Gedanken werden wir dazu veranlaßt, das Gebiet der
    Klassifikation zu verlassen und uns über die funktionalen
    und dynamischen Relationen in der Tätigkeit der Psyche
    eine Meinung zu bilden. Wir fanden ein wirksames
    Vorbewußtes, das ohne Schwierigkeit ins Bewußtsein

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    übergeht, und ein wirksames Unbewuftes, das un-
    bewußt bleibt und vom Bewußtsein abgeschnitten zu sein
    scheint.

    Wir wissen nicht, ob diese zwei Arten psychischer Tåtig-
    keit von Anfang an identisch oder ihrem Wesen nach ent-
    gegengesetzt sind, aber wir können uns fragen, warum sie im
    Verlaufe der psychischen Vorgånge verschieden geworden sein
    sollten. Auf diese Frage gibt uns die Psychoanalyse ohne
    Zögern klare Antwort. Es ist dem Erzeugnis des wirksamen
    Unbewufiten keineswegs. unmöglich, ins Bewußtsein ein-
    zudringen, aber zu dieser Leistung ist ein gewisser Aufwand
    von Anstrengung notwendig. Wenn wir es an uns selbst ver-
    suchen, erhalten wir das deutliche Gefiihl einer Abwehr,
    die bewältigt werden muß, und wenn wir es bei einem
    Patienten hervorrufen, so erhalten wir die unzweideutigsten
    Anzeichen von dem, was wir Widerstand dagegen nennen.
    So lernen wir, daß der unbewufite Gedanke vom Bewußtsein
    durch lebendige Kräfte ausgeschlossen wird, die sich seiner
    Aufnahme entgegenstellen, wåhrend sie anderen Gedanken,
    den vorbewufiten, nichts in den Weg legen. Die Psycho-
    analyse läßt keine Möglichkeit übrig, daran zu zweifeln, daß
    die Abweisung unbewuftter Gedanken bloß durch die in
    ihrem Inhalt verkórperten "Tendenzen hervorgerufen wird.
    Die nåchstliegende und wahrscheinlichste Theorie, die wir in
    diesem Stadium unseres Wissens bilden kónnen, ist die fol-
    gende: Das Unbewufite ist eine regelmäßige und unvermeid-
    liche Phase in den Vorgängen, die unsere psychische Tätigkeit
    begründen; jeder psychische Akt beginnt als unbewufter und
    kann entweder so bleiben oder sich weiter entwickelnd zum
    Bewußtsein fortschreiten, je nachdem, ob er auf Widerstand
    trifft oder nicht. Die Unterscheidung zwischen vorbewufiter
    und unbewufter Tätigkeit ist keine primäre, sondern wird
    erst hergestellt, nachdem die „Abwehr“ ins Spiel getreten ist.

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    Erst dann gewinnt der Unterschied zwischen vorbewußten
    Gedanken, die im Bewußtsein erscheinen und jederzeit dahin
    zurückkehren können, und unbewußten Gedanken, denen
    dies versagt bleibt, theoretischen sowie praktischen Wert.
    Eine grobe, aber ziemlich angemessene Analogie dieses
    supponierten Verhältnisses der bewußten Tätigkeit zur un-
    bewußten bietet das Gebiet der gewöhnlichen Photographie.
    Das erste Stadium der Photographie ist das Negativ; jedes
    photographische Bild muß den „Negativprozeß“ durch-
    machen, und einige dieser Negative, die in der Prüfung gut
    bestanden haben, werden zu dem ,Positivprozef zugelassen,
    der mit dem Bilde endigt.

    Aber die Unterscheidung zwischen vorbewufiter und un-
    bewußter Tätigkeit und die Erkenntnis der sie trennenden
    Schranke ist weder das letzte noch das bedeutungsvollste
    Resultat der psychoanalytischen Durchforschung des Seelen-
    lebens. Es gibt ein psychisches Produkt, das bei den nor-
    malsten Personen anzutreffen ist, und doch eine höchst auf-
    fallende Analogie zu den wildesten Erzeugnissen des Wahn-
    sinns bietet und den Philosophen nicht verstindlicher war als
    der Wahnsinn selbst. Ich meine die Tráume. Die Psycho-
    analyse gründet sich auf die Traumanalyse; die Traum-
    deutung ist das vollståndigste Stück Arbeit, das die junge
    Wissenschaft bis heute geleistet hat. Ein typischer Fall der
    Traumbildung kann folgendermaßen beschrieben werden: Ein
    Gedankenzug ist durch die geistige Tätigkeit des Tages wach-
    gerufen worden und hat etwas von seiner Wirkungsfáhigkeit
    zurückbehalten, durch die er dem allgemeinen Absinken des
    Interesses, welches den Sehlaf herbeiführt und die geistige
    Vorbereitung für das Schlafen bildet, entgangen ist. Während
    der Nacht gelingt es diesem Gedankenzug, die Verbindung
    zu einem der unbewufiten Wünsche zu finden, die von Kind-
    heit an im Seelenleben des Triumers immer gegenwirtig,

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    aber für gewöhnlich verdrängt und von seinem bewufiten
    Dasein ausgeschlossen sind. Durch die von dieser unbewufiten
    Unterstützung gelichene Kraft können die Gedanken, die
    Überbleibsel der Tagesarbeit, nun wiederum wirksam werden
    und im Bewußtsein in der Gestalt eines Traumes auftauchen.
    Es haben sich also dreierlei Dinge ereignet:

    1) die Gedanken haben eine Verwandlung, Verkleidung
    und Entstellung durchgemacht, welche den Anteil des un-
    bewufiten Bundesgenossen darstellt;

    2) den Gedanken ist es gelungen, das Bewußtsein zu einer
    Zeit zu besetzen, wo es ihnen nicht zugänglich hätte sein sollen;

    3) ein Stück des Unbewuften, dem dies sonst unmöglich
    gewesen wire, ist im Bewußtsein aufgetaucht.

    Wir haben die Kunst gelernt, die „Tagesreste” und
    die latenten Traumgedanken herauszufinden;
    durch ihren Vergleich mit dem manifesten Traum-
    inhalt sind wir befáhigt, uns ein Urteil über die Wand-
    lungen, die sie durchgemacht haben, und über die Art und
    Weise, wie diese zustande gekommen sind, zu bilden.

    Die latenten Traumgedanken unterscheiden sich in keiner
    Weise von den Erzeugnissen unserer gewöhnlichen bewuften
    Seclentátigkeit. Sie verdienen den Namen von vorbewufiten
    Gedanken und kónnen in der Tat in einem Zeitpunkte des
    Wachlebens bewußt gewesen sein. Aber durch die Verbindung
    mit den unbewuften Strebungen, die sie während der Nacht
    eingegangen sind, wurden sie den letzteren assimiliert,
    gewissermaßen auf den Zustand unbewufter Gedanker
    herabgedrückt und den Gesetzen, durch welche die unbewufte
    Tätigkeit geregelt wird, unterworfen. Hier ergibt sich die
    Gelegenheit zu lernen, was wir auf Grund von Überlegungen
    oder aus irgend einer andern Quelle empirischen Wissens
    nicht hätten erraten können, daß die Gesetze der unbewußten
    Seelentätigkeit sich im weiten Ausmaß von jenen der be-

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    24 Der Begriff des Unbewuften

    wußten unterscheiden. Wir gewinnen durch Detailarbeit dic
    Kenntnis der Eigentiimlichkeiten des Unbewufiten und
    können hoffen, daß wir durch griindlichere Erforschung der
    Vorgänge bei der Traumbildung noch mehr lernen werden.
    Diese Untersuchung ist noch kaum zur Hilfte beendet und
    eine Darlegung der bis jetzt erhaltenen Resultate ist nicht
    möglich, ohne in die höchst verwickelten Probleme der
    Traumdeutung einzugehen. Aber ich wollte diese Erörterung
    nicht abbrechen, ohne auf die Wandlung und den Fortschritt
    unseres Verständnisses des Unbewuften hinzuweisen, welche
    wir dem psychoanalytischen Studium der Träume verdanken.
    Das Unbewufte schien uns anfangs bloß ein rätselhafter
    Charakter eines bestimmten psychischen Vorganges; nun be-
    deutet es uns mehr, es ist ein Anzeichen dafür, daß dieser
    Vorgang an der Natur einer gewissen psychischen Kategorie
    teilnimmt, die uns durch andere bedeutsamere Charakterziige
    bekannt ist, und daß er zu einem System psychischer Tåtig-
    keit gehört, das unsere vollste Aufmerksamkeit verdient. Der
    Wert des Unbewuften als Index hat seine Bedeutung als
    Eigenschaft bei weitem hinter sich gelassen. Das System,
    welches sich uns durch das Kennzeichen kundgibt, daß die
    einzelnen Vorgånge, die es zusammensetzen, unbewuftt sind,
    belegen wir mit dem Namen „das Unbewufte“, in Ermange-
    lung eines besseren und weniger zweideutigen Ausdruckes.
    Ich schlage als Bezeichnung dieses Systems die Buchstaben
    »Ubw", eine Abkürzung des Wortes ,Unbewuft“ vor.
    Dies ist der dritte und wichtigste Sinn, den der Ausdruck
    „unbewuft in der Psychoanalyse erworben hat.