S.
EINIGE BEMERKUNGEN UBER DEN
BEGRIFF DES UNBEWUSSTEN
IN DER PSYCHOANALYSE(1913)
Ich möchte mit wenigen Worten und so klar als möglich
darlegen, welcher Sinn dem Ausdruck ,,Unbewuftes“ in der
Psychoanalyse, nur in der Psychoanalyse, zukommt.Eine Vorstellung — oder jedes andere psychische Element
— kann jetzt in meinem Bewußtsein gegenwärtig sein
und im nächsten Augenblick daraus verschwinden; sie
kann nach einer Zwischenzeit ganz unverändert wiederum
auftauchen, und zwar, wie wir es ausdriicken, aus der Er-
innerung, nicht als Folge einer neuen Sinneswahrnehmung.
Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, sind wir zu der An-
nahme genötigt, daß die Vorstellung auch während der Zwi-
schenzeit in unserem Geiste gegenwärtig gewesen sei, wenn
sie auch im Bewußtsein latent blieb. In welcher Gestalt
sie aber existiert haben kann, während sie im Seelenleben ge-
genwärtig und im Bewußtsein latent war, darüber können
wir keine Vermutungen aufstellen.An diesem Punkte müssen wir darauf gefaßt sein, dem
philosophischen Einwurf zu begegnen, daß die latente Vor-
stellung nicht als Objekt der Psychologie vorhanden gewesenS.
16 Einige Bemerkungen über den Begriff
sei, sondern nur als physische Disposition für den Wiederablauf
desselben psychischen Phänomens, nämlich eben jener Vor-
stellung. Aber wir können darauf erwidern, daß eine solche
Theorie das Gebiet der eigentlichen Psychologie weit über-
schreitet, daß sie das Problem einfach umgeht, indem sie
daran festhålt, daß „bewußt“ und „psychisch“ identische Be-
griffe sind, und daß sie offenbar im Unrecht ist, wenn sie der
Psychologie das Recht bestreitet, eine ihrer gewöhnlichsten
Tatsachen, wie das Gedächtnis, durch ihre eigenen Hilfs-
mittel zu erklären.Wir wollen nun die Vorstellung, die in unserem Bewußt-
sein gegenwärtig ist und die wir wahrnehmen, „bewufšt“
nennen und nur dies als Sinn des Ausdruckes „bewußt“ gelten
lassen; hingegen sollen latente Vorstellungen, wenn wir Grund
zur Annahme haben, daß sie im Seelenleben enthalten sind —
wie es beim Gedächtnis der Fall war — mit dem Ausdruck
,unbewufit“ gekennzeichnet werden.Eine unbewufte Vorstellung ist dann eine solche, die wir
nicht bemerken, deren Existenz wir aber trotzdem auf Grund
anderweitiger Anzeichen und Beweise zuzugeben bereit sind.Dies könnte als eine recht uninteressante deskriptive oder
klassifikatorische Arbeit aufgefaßt werden, wenn keine andere
Erfahrung fiir unser Urteil in Betracht kime als die Tat-
sachen des Gedächtnisses oder die der Assoziation über un-
bewufte Mittelglieder. Aber das wohlbekannte Experiment
der 。posthypnotischen Suggestion“ lehrt uns an der Wichtig-
keit der Unterscheidung zwischen bewuft und unbe-
マ ュ ネ t festhalten und scheint ihren Wert zu erhöhen.Bei diesem Experiment, wie es Bernheim ausgefiihrt hat,
wird eine Person in einen hypnotischen Zustand versetzt und
dann daraus erweckt. Während sie sich in dem hypnotischen
Zustande, unter dem Einflusse des Arztes, befand, wurde ihr
der Auftrag erteilt, eine bestimmte Handlung zu einem genauS.
des Unbewnften in der Psychoanalyse 17
bestimmten Zeitpunkt, z. B. eine halbe Stunde später, aus-
zuführen. Nach dem Erwachen ist allem Anscheine nach
volles Bewußtsein und die gewöhnliche Geistesverfassung
wiederum eingetreten, eine Erinnerung an den hypnotischen
Zustand ist nicht vorhanden, und trotzdem drängt sich in
dem vorher festgesetzten Augenblick der Impuls, dieses oder
jenes zu tun, dem Geiste auf, und die Handlung wird mit
Bewußtsein, wenn auch ohne zu wissen weshalb, ausgeführt.
Es dürfte kaum möglich sein, eine andere Beschreibung des
Phänomens zu geben, als mit den Worten, daß der Vorsatz
im Geiste jener Person in latenter Form oder un-
bewußt vorhanden war, bis der gegebene Moment kam, in
dem er dann bewußt geworden ist. Aber nicht in seiner
Gänze ist er im Bewußtsein aufgetaucht, sondern nur die
Vorstellung des auszuführenden Aktes. Alle anderen mit dieser
Vorstellung assoziierten Ideen — der Auftrag, der Einfluß
des Arztes, die Erinnerung an den hypnotischen Zustand,
blieben auch dann noch unbewuft.Wir können aber aus einem solchen Experiment noch mehr
lernen. Wir werden von einer rein beschreibenden zu einer
dynamischen Auffassung des Phånomens hiniibergeleitet.
Die Idee der in der Hypnose aufgetragenen Handlung wurde
in einem bestimmten Augenblick nicht blof ein Objekt des
Bewußtseins, sondern sie wurde auch wirksam, und dies
ist die auffallendere Seite des Tatbestandes; sie wurde in
Handlung übertragen, sobald das Bewußtsein ihre Gegenwart
bemerkt hatte. Da der wirkliche Antrieb zum Handeln der
Auftrag des Arztes ist, kann man kaum anders als einräumen,
daß auch die Idee des Auftrages wirksam geworden ist.Dennoch wurde dieser letztere Gedanke nicht ins Bewußt-
sein aufgenommen, wie es mit seinem Abkömmling, der Idee
der Handlung, geschah; er verblieb unbewußt und war daher
gleichzeitig wirksam und unbewußt.Freud, Theoretische Schriften 2
S.
18 Einige Bemerkungen über den Begriff
Die posthypnotische Suggestion ist ein Produkt des Labo-
ratoriums, eine künstlich geschaffene Tatsache. Aber wenn
wir die Theorie der hysterischen Phänomene, die zuerst durch
P. Janet aufgestellt und von Breuer und mir ausge-
arbeitet wurde, annehmen, so stehen uns natürliche Tatsachen
in Fülle zur Verfügung, die den psychologischen Charakter
der posthypnotischen Suggestion sogar noch klarer und deut-
licher zeigen.Das Seelenleben des hysterischen Patienten ist erfüllt mit
wirksamen, aber unbewußten Gedanken; von ihnen stammen
alle Symptome ab. Es ist in der Tat der auffälligste Charak-
terzug der hysterischen Geistesverfassung, daß sie von unbe-
wußten Vorstellungen beherrscht wird. Wenn eine hysterische
Frau erbricht, so kann sie dies wohl infolge der Idee
tun, daß sie schwanger sei. Dennoch hat sie von dieser Idee
keine Kenntnis, obwohl dieselbe durch eine der technischen
Prozeduren der Psychoanalyse leicht in ihrem Seelenleben
entdeckt und für sie bewußt gemacht werden kann. Wenn
sie die Zuckungen und Gesten ausführt, die ihren „Anfall“
ausmachen, so stellt sie sich nicht einmal die von ihr beabsich-
tigten Aktionen bewußt vor und beobachtet sie vielleicht mit
den Gefühlen eines unbeteiligten Zuschauers. Nichtsdesto-
weniger vermag die Analyse nachzuweisen, daß sie ihre Rolle
in der dramatischen Wiedergabe einer Szene aus ihrem Leben
spielte, deren Erinnerung während der Attacke unbewußt
wirksam war. Dasselbe Vorwalten wirksamer unbewußter
Ideen wird durch die Analyse als das Wesentliche in der
Psychologie aller anderen Formen von Neurose enthüllt.Wir lernen also aus der Analyse neurotischer Phänomene,
daß ein latenter oder unbewußter Gedanke nicht notwendiger-
weise schwach sein muß, und daß die Anwesenheit eines
solchen Gedankens im Seelenleben indirekte Beweise der
zwingendsten Art gestattet, die dem direkten durch das Be-S.
des Unbewußten in der Psychoanalyse 19
wußtsein gelieferten Beweis fast gleichwertig sind, Wir fühlen
uns gerechtfertigt, unsere Klassifikation mit dieser Vermehrung
unserer Kenntnisse in Übereinstimmung zu bringen, indem
wir eine grundlegende Unterscheidung zwischen verschiedenen
Arten von latenten und unbewußten Gedanken einführen,
Wir waren gewohnt zu denken, daß jeder latente Gedanke
dies infolge seiner Schwäche war, und daß er bewußt wurde,
sowie er Kraft erhielt. Wir haben nun die Überzeugung ge-
wonnen, daß es gewisse latente Gedanken gibt, die nicht ins
Bewußtsein eindringen, wie stark sie auch sein mögen. Wir
wollen daher die latenten Gedanken der ersten Gruppe vor-
bewußt nennen, während wir den Ausdruck unbewufit
(im eigentlichen Sinne) für die zweite Gruppe reservieren,
die wir bei den Neurosen betrachtet haben. Der Ausdruck
unbewußt, den wir bisher bloß im beschreibenden Sinne
benützt haben, erhält jetzt eine erweiterte Bedeutung. Er
bezeichnet nicht bloß latente Gedanken im allgemeinen, son-
dern besonders solche mit einem bestimmten dynamischen
Charakter, nämlich diejenigen, die sich trotz ihrer Intensität
und Wirksamkeit dem Bewußtsein ferne halten.Ehe ich meine Auseinandersetzungen fortführe, will ich auf
zwei Einwendungen Bezug nehmen, die sich voraussichtlich
an diesem Punkte erheben. Die erste kann folgendermaßen
formuliert werden: anstatt uns die Hypothese der unbewußten
Gedanken, von denen wir nichts wissen, anzueignen, täten
wir besser anzunehmen, daß das Bewußtsein geteilt werden
kann, so daß einzelne Gedanken oder andere Seelen-
vorgänge ein gesondertes Bewußtsein bilden können, das
von der Hauptmasse bewußter psychischer Tätigkeit los-
gelöst und ihr entfremdet wurde. Wohlbekannte pathologische
Fille, wie jener des Dr. Azam, scheinen sehr geeignet zu
sein, zu beweisen, daß die Teilung des Bewußtseins keine
phantastische‘ Einbildung ist.2
S.
20 Einige Bemerkungen über den Begriff
Ich gestatte mir, dieser Theorie entgegenzuhalten, daß sie
einfach aus dem Mißbrauch mit dem Worte „bewußt“ Kapital
schlägt. Wir haben kein Recht, den Sinn dieses Wortes so
weit auszudehnen, daß damit auch ein Bewußtsein bezeichnet
werden kann, von dem sein Besitzer nichts weiß. Wenn
Philosophen eine Schwierigkeit darin finden, an die Existenz
eines unbewußten Gedankens zu glauben, so scheint mir die
Existenz eines unbewußten Bewußtseins noch angreifbarer.
Die Fälle, die man als Teilung des Bewußtseins beschreibt,
wie der des Dr. А z a m, können besser als Wandern des Be-
wußtseins angesehen werden, wobei diese Funktion — oder
was immer es sein mag — zwischen zwei verschiedenen
psychischen Komplexen hin- und herschwankt, die abwech-
selnd bewußt und unbewußt werden.Der andere Einwand, der voraussichtlich erhoben werden
wird, wäre der, daß wir auf die Psychologie der Normalen
Folgerungen anwenden, die hauptsächlich aus dem Studium
pathologischer Zustände stammen. Wir können ihn durch eine
Tatsache erledigen, deren Kenntnis wir der Psychoanalyse
verdanken. Gewisse Funktionsstörungen, die sich bei Gesunden
höchst häufig ereignen, z. B. Lapsus linguae, Gedächtnis- und
Sprachirrtümer, Namenvergessen usw. können leicht auf die
Wirksamkeit starker unbewußter Gedanken zurückgeführt
werden, gerade so wie die neurotischen Symptome. Wir
werden mit einem zweiten, noch überzeugenderen Argument
in einem späteren Abschnitt dieser Erörterung zusammen-
treffen.Durch die Auseinanderhaltung vorbewußter und unbe-
wußter Gedanken werden wir dazu veranlaßt, das Gebiet der
Klassifikation zu verlassen und uns über die funktionalen
und dynamischen Relationen in der Tätigkeit der Psyche
eine Meinung zu bilden. Wir fanden ein wirksames
Vorbewußtes, das ohne Schwierigkeit ins BewußtseinS.
des Unbewuften in der Psychoanalyse 21
übergeht, und ein wirksames Unbewuftes, das un-
bewußt bleibt und vom Bewußtsein abgeschnitten zu sein
scheint.Wir wissen nicht, ob diese zwei Arten psychischer Tåtig-
keit von Anfang an identisch oder ihrem Wesen nach ent-
gegengesetzt sind, aber wir können uns fragen, warum sie im
Verlaufe der psychischen Vorgånge verschieden geworden sein
sollten. Auf diese Frage gibt uns die Psychoanalyse ohne
Zögern klare Antwort. Es ist dem Erzeugnis des wirksamen
Unbewufiten keineswegs. unmöglich, ins Bewußtsein ein-
zudringen, aber zu dieser Leistung ist ein gewisser Aufwand
von Anstrengung notwendig. Wenn wir es an uns selbst ver-
suchen, erhalten wir das deutliche Gefiihl einer Abwehr,
die bewältigt werden muß, und wenn wir es bei einem
Patienten hervorrufen, so erhalten wir die unzweideutigsten
Anzeichen von dem, was wir Widerstand dagegen nennen.
So lernen wir, daß der unbewufite Gedanke vom Bewußtsein
durch lebendige Kräfte ausgeschlossen wird, die sich seiner
Aufnahme entgegenstellen, wåhrend sie anderen Gedanken,
den vorbewufiten, nichts in den Weg legen. Die Psycho-
analyse läßt keine Möglichkeit übrig, daran zu zweifeln, daß
die Abweisung unbewuftter Gedanken bloß durch die in
ihrem Inhalt verkórperten "Tendenzen hervorgerufen wird.
Die nåchstliegende und wahrscheinlichste Theorie, die wir in
diesem Stadium unseres Wissens bilden kónnen, ist die fol-
gende: Das Unbewufite ist eine regelmäßige und unvermeid-
liche Phase in den Vorgängen, die unsere psychische Tätigkeit
begründen; jeder psychische Akt beginnt als unbewufter und
kann entweder so bleiben oder sich weiter entwickelnd zum
Bewußtsein fortschreiten, je nachdem, ob er auf Widerstand
trifft oder nicht. Die Unterscheidung zwischen vorbewufiter
und unbewufter Tätigkeit ist keine primäre, sondern wird
erst hergestellt, nachdem die „Abwehr“ ins Spiel getreten ist.S.
22 Einige Bemerkungen über den Begriff
Erst dann gewinnt der Unterschied zwischen vorbewußten
Gedanken, die im Bewußtsein erscheinen und jederzeit dahin
zurückkehren können, und unbewußten Gedanken, denen
dies versagt bleibt, theoretischen sowie praktischen Wert.
Eine grobe, aber ziemlich angemessene Analogie dieses
supponierten Verhältnisses der bewußten Tätigkeit zur un-
bewußten bietet das Gebiet der gewöhnlichen Photographie.
Das erste Stadium der Photographie ist das Negativ; jedes
photographische Bild muß den „Negativprozeß“ durch-
machen, und einige dieser Negative, die in der Prüfung gut
bestanden haben, werden zu dem ,Positivprozef zugelassen,
der mit dem Bilde endigt.Aber die Unterscheidung zwischen vorbewufiter und un-
bewußter Tätigkeit und die Erkenntnis der sie trennenden
Schranke ist weder das letzte noch das bedeutungsvollste
Resultat der psychoanalytischen Durchforschung des Seelen-
lebens. Es gibt ein psychisches Produkt, das bei den nor-
malsten Personen anzutreffen ist, und doch eine höchst auf-
fallende Analogie zu den wildesten Erzeugnissen des Wahn-
sinns bietet und den Philosophen nicht verstindlicher war als
der Wahnsinn selbst. Ich meine die Tráume. Die Psycho-
analyse gründet sich auf die Traumanalyse; die Traum-
deutung ist das vollståndigste Stück Arbeit, das die junge
Wissenschaft bis heute geleistet hat. Ein typischer Fall der
Traumbildung kann folgendermaßen beschrieben werden: Ein
Gedankenzug ist durch die geistige Tätigkeit des Tages wach-
gerufen worden und hat etwas von seiner Wirkungsfáhigkeit
zurückbehalten, durch die er dem allgemeinen Absinken des
Interesses, welches den Sehlaf herbeiführt und die geistige
Vorbereitung für das Schlafen bildet, entgangen ist. Während
der Nacht gelingt es diesem Gedankenzug, die Verbindung
zu einem der unbewufiten Wünsche zu finden, die von Kind-
heit an im Seelenleben des Triumers immer gegenwirtig,S.
des Unbewußten in der Psychoanalyse 23
aber für gewöhnlich verdrängt und von seinem bewufiten
Dasein ausgeschlossen sind. Durch die von dieser unbewufiten
Unterstützung gelichene Kraft können die Gedanken, die
Überbleibsel der Tagesarbeit, nun wiederum wirksam werden
und im Bewußtsein in der Gestalt eines Traumes auftauchen.
Es haben sich also dreierlei Dinge ereignet:1) die Gedanken haben eine Verwandlung, Verkleidung
und Entstellung durchgemacht, welche den Anteil des un-
bewufiten Bundesgenossen darstellt;2) den Gedanken ist es gelungen, das Bewußtsein zu einer
Zeit zu besetzen, wo es ihnen nicht zugänglich hätte sein sollen;3) ein Stück des Unbewuften, dem dies sonst unmöglich
gewesen wire, ist im Bewußtsein aufgetaucht.Wir haben die Kunst gelernt, die „Tagesreste” und
die latenten Traumgedanken herauszufinden;
durch ihren Vergleich mit dem manifesten Traum-
inhalt sind wir befáhigt, uns ein Urteil über die Wand-
lungen, die sie durchgemacht haben, und über die Art und
Weise, wie diese zustande gekommen sind, zu bilden.Die latenten Traumgedanken unterscheiden sich in keiner
Weise von den Erzeugnissen unserer gewöhnlichen bewuften
Seclentátigkeit. Sie verdienen den Namen von vorbewufiten
Gedanken und kónnen in der Tat in einem Zeitpunkte des
Wachlebens bewußt gewesen sein. Aber durch die Verbindung
mit den unbewuften Strebungen, die sie während der Nacht
eingegangen sind, wurden sie den letzteren assimiliert,
gewissermaßen auf den Zustand unbewufter Gedanker
herabgedrückt und den Gesetzen, durch welche die unbewufte
Tätigkeit geregelt wird, unterworfen. Hier ergibt sich die
Gelegenheit zu lernen, was wir auf Grund von Überlegungen
oder aus irgend einer andern Quelle empirischen Wissens
nicht hätten erraten können, daß die Gesetze der unbewußten
Seelentätigkeit sich im weiten Ausmaß von jenen der be-S.
24 Der Begriff des Unbewuften
wußten unterscheiden. Wir gewinnen durch Detailarbeit dic
Kenntnis der Eigentiimlichkeiten des Unbewufiten und
können hoffen, daß wir durch griindlichere Erforschung der
Vorgänge bei der Traumbildung noch mehr lernen werden.
Diese Untersuchung ist noch kaum zur Hilfte beendet und
eine Darlegung der bis jetzt erhaltenen Resultate ist nicht
möglich, ohne in die höchst verwickelten Probleme der
Traumdeutung einzugehen. Aber ich wollte diese Erörterung
nicht abbrechen, ohne auf die Wandlung und den Fortschritt
unseres Verständnisses des Unbewuften hinzuweisen, welche
wir dem psychoanalytischen Studium der Träume verdanken.
Das Unbewufte schien uns anfangs bloß ein rätselhafter
Charakter eines bestimmten psychischen Vorganges; nun be-
deutet es uns mehr, es ist ein Anzeichen dafür, daß dieser
Vorgang an der Natur einer gewissen psychischen Kategorie
teilnimmt, die uns durch andere bedeutsamere Charakterziige
bekannt ist, und daß er zu einem System psychischer Tåtig-
keit gehört, das unsere vollste Aufmerksamkeit verdient. Der
Wert des Unbewuften als Index hat seine Bedeutung als
Eigenschaft bei weitem hinter sich gelassen. Das System,
welches sich uns durch das Kennzeichen kundgibt, daß die
einzelnen Vorgånge, die es zusammensetzen, unbewuftt sind,
belegen wir mit dem Namen „das Unbewufte“, in Ermange-
lung eines besseren und weniger zweideutigen Ausdruckes.
Ich schlage als Bezeichnung dieses Systems die Buchstaben
»Ubw", eine Abkürzung des Wortes ,Unbewuft“ vor.
Dies ist der dritte und wichtigste Sinn, den der Ausdruck
„unbewuft in der Psychoanalyse erworben hat.
Freud_1931_Theoretische_Schriften_k
15
–24